Terrorermittlungen und Internet. Verdachtsmomente und Gegenstrategien

In den aktuellen Ermittlungen der bundesdeutschen Ermittlungsbehörden gegen linke AktivistInnen und Zusammenhänge wird auf den Paragraphen 129a zurückgegriffen, der in den 1970er Jahren als Repressionsinstrument gegen die RAF entwickelt wurde. Strafrechtlich verfolgt werden können damit nicht nur konkrete Straftaten, sondern auch die Mitgliedschaft in und die Unterstützung von sogenannten „terroristischen Vereinigungen“.

In den aktuellen Ermittlungen der bundesdeutschen Ermittlungsbehörden gegen linke AktivistInnen und Zusammenhänge wird auf den Paragraphen 129a zurückgegriffen, der in den 1970er Jahren als Repressionsinstrument gegen die RAF entwickelt wurde. Strafrechtlich verfolgt werden können damit nicht nur konkrete Straftaten, sondern auch die Mitgliedschaft in und die Unterstützung von sogenannten „terroristischen Vereinigungen“. Kritische JuristInnen nennen dies „Vorverlagerung der Straffälligkeit“, denn die Ermittlungen richten sich nicht nur auf die Aufklärung von Brandanschlägen und Attentaten, sondern vor allem auf die Erkundungen von tatsächlichen und vermuteten Zugehörigkeiten zu tatsächlich und vermuteten „terroristischen Vereinigungen“. In der Praxis wurden die entsprechenden Ermittlungen vor allem genutzt, um linke Milieus auszuleuchten.

So wurden allein im vergangen Jahr vier Ermittlungsverfahren gegen linke Gruppen bekannt. Am 9. Mai durchsuchten Beamte des Bundeskriminalamtes Wohnungen und Arbeitsstätten von 18 G8-GegnerInnen, denen vorgeworfen wurde, eine „militante Kampagne gegen den Weltwirtschaftsgipfel“ vorzubereiten. Auch wurden am selben Tag vier Wohnungen von Beschuldigten durchsucht, gegen die seit 2001 erfolglos, wegen der angeblichen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg), ermittelt wird. Am 13. und 19. Juni folgten Razzien bei elf jungen AntifaschistInnen, denen verschiedene Anschläge gegen Militäreinrichtungen und Rüstungsfirmen vorgeworfen wurden/werden.
In der Nacht zum 31. Juli wurden drei Männer festgenommen, nachdem sie von einem Observationsteam beim Versuch der Brandstiftung an mehreren Bundeswehrfahrzeugen auf einem Firmengelände in Brandenburg beobachtet worden sein sollen. Am folgenden Morgen wurden die Wohnungen und Arbeitsplätze von uns und drei weiteren Männern durchsucht, Andrej wurde festgenommen. Der Vorwurf gegen alle sieben Festgenommenen: Mitgliedschaft in der „terroristischen Vereinigung“ militante gruppe (mg) (nicht die vier mg-Beschuldigten, bei denen am 9. Mai die Razzien stattfanden). Die einzige Verbindung zu den drei in Brandenburg festgenommenen und den vier anderen, soll – so die Ermittlungsakten – in zwei angeblich konspirativen Treffen zwischen zwei Beschuldigten im Frühjahr 2007 bestehen. Ganz typisch für §129a-Ermittlungen – aber sehr zur Überraschung der Beschuldigten – stellte sich bei der Lektüre der Durchsuchungsbeschlüsse und Haftbefehle heraus, dass die Ermittlungen gegen die vier ursprünglich Beschuldigten – denen keine Brandstiftung vorgeworfen wird – bereits seit fast einem Jahr liefen, nämlich seit September 2006. Fast alle arbeiten als Wissenschaftler oder sind als Publizisten tätig. Die Verdachtsmomente der Bundesanwaltschaft lesen sich abenteuerlich und haben auch international einen Sturm der Empörung ausgelöst: Die Beschuldigten haben Kontakte in die linke Szene und beteiligen sich an Mobilisierungen, wie etwa gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm; sie verfügen über die intellektuellen Fähigkeiten, vergleichsweise anspruchsvolle Texte zu formulieren; sie haben als Wissenschaftler die Gelegenheit, unauffällig in Bibliotheken zu recherchieren und sie benutzen in ihren Texten so auffällige Begriffe wie „Gentrification“, „Prekarisierung“, „drakonisch“, „Bezugsrahmen“ und „politische Praxis“.

Ermittlungen per Internet

Ausgangspunkt der Ermittlungen – so geht es jedenfalls aus den Ermittlungsakten hervor – soll eine Internetrecherche gewesen sein. Dabei seien den BeamtInnen Begriffe aufgefallen, die auch in den Bekennerschreiben der mg benutzt wurden. Zudem fielen den ErmittlerInnen in einem Artikel über die UÇK (Kosovarische Befreiungsarmee) die vielen militärischen Begriffe auf. Und das, obwohl doch in linken Texten eine militaristische Sprache sonst eher verpönt sei – außer eben bei der mg. Auch die Personenprofile der vier ursprünglich Beschuldigten speisen sich in erster Linie aus der Auswertung netzgebundener Informationen. So wurden Publikationslisten und Selbstbeschreibungen auf den Seiten der Institute und Universitäten ausgewertet, aber auch Veranstaltungsankündigungen, Vorträge und veröffentlichte Texte. Die Überwachung von E-Mail-Kommunikation gehört mittlerweile zum Ermittlungsstandard. Gegen alle Beschuldigten genehmigte der Ermittlungsrichter die Überwachung aller Kommunikationsmittel. Festnetztelefone zu Hause und im Büro, Handys, E-Mail-Adressen und auch die Registrierung aller Internetlogins wurden eingesetzt, um ein möglichst umfassendes Gesamtbild der Beschuldigten und ihrer Kontakte zu gewinnen. Wie und mit welchen Programmen die elektronischen Informationen ausgewertet wurden, geht aus den Akten nicht hervor, jedoch gibt ein so genanntes „Profil“ für mögliche mg-Mitglieder Anhaltspunkte für den Ermittlungsansatz. Ins Profil des Bundskriminalamtes (BKA) passen dabei alle, die folgende Kriterien erfüllen:

_ enge soziale Bindungen innerhalb der Gruppe
_ ein außergewöhnliches politisches und historisches Wissen
_ die Fähigkeit, wissenschaftlich/analytisch zu arbeiten und komplexe Texte zu erstellen
_ Zugriffsmöglichkeiten auf umfangreiche politische und historische Literatur und Tagespresse (FAZ bis Jungle World)
_ es sollen „keine polizeilichen Erkenntnisse“ vorliegen und die verdächtigten Personen sollen weder als „klassische Autonomen“ noch als „klassische Antiimps“ einzuordnen sein.

Ob und wie diese Kriterien in den Ermittlungen tatsächlich Anwendung fanden, geht aus den bisher vorliegenden Ermittlungsakten nicht hervor – doch insbesondere der offensichtlich praktizierte Sammeleifer von Netzeinträgen, Publikationen und Kommunikationsdaten legt einen rechnergestützten Auswertungsmodus nahe. Insbesondere Telefonate und E-Mails werden in Anti-Terrorermittlungen nicht nur nach ihren Inhalten, sondern vor allem nach Kommunikationsstrukturen ausgewertet. Dabei geht es weniger darum, worüber am Telefon gesprochen oder was in E-Mails geschrieben wird, als vielmehr um die Fragen, wer wann wie lange und wie oft mit wem Kontakt hat. Ebenfalls ausgewertet werden die jeweiligen Aufenthaltsorte der Mobiltelefone, die stündlich mit so genannten „stillen SMS“ geortet werden. Dabei werden die Telefone für die BenutzerInnen unbemerkt zu einer Verbindungsaufnahme mit dem nächstgelegenen Funkmasten gewungen, so dass der Standort des Telefons rund um die Uhr rekonstruiert werden kann. Außerdem wurde aus den Akten bekannt, dass das BKA auf der eigenen Homepage eine Fangschaltung („Honeypot“) für alle BesucherInnen einrichtete, die sich auf der Website des BKA über die militante gruppe (mg) informieren wollten. Allein zwischen dem 28. März und dem 18. April 2007 wurden über 400 IP-Adressen festgestellt, deren Identität für weitere Ermittlungen überprüft werden sollten. Internetrecherchen und Datenauswertungen sind wesentliche Bestandteile in Anti-Terror-Ermittlungen. Die Visionen der „gläsernen BürgerInnen“ erscheinen im Zusammenhang mit solchen Ermittlungen längst Realität. Kaum ein Detail der Lebensführung, das nicht erfasst und ausgewertet wird. Die BürgerInnenrechte scheinen zu enden, wo der Terrorverdacht beginnt.

Websites und Internet-Blogs gegen den Überwachungsstaat

Doch Computer und Internet sind längst auch zu Instrumenten gegen die zunehmende Überwachung geworden. Allein rund um die vier aktuellen §129(a)- Verfahren gegen linke Gruppen und Strukturen in Deutschland gibt es zwei Websites und sechs Internetblogs – nicht mitgerechnet die dutzenden Internetseiten, die sich am Rande ihres Themenspektrums mit Anti-Terror-Ermittlungen beschäftigen. Während ein Großteil dieser Internetprojekte sich an den klassischen Zielen einer Gegenöffentlichkeit orientiert und die jeweiligen Verfahren in ihrem Verlauf aus der Perspektive der Betroffenen dokumentiert, versucht annalist, der Blog von Anne, die Auswirkungen eines Terrorismusverfahrens im Alltag aus der Perspektive der Freundin eines Beschuldigten zu beschreiben.

Zwei Monate nach den Festnahmen im Juli begann ich, vor allem die mehr oder weniger offensichtlichen Folgen von Überwachung aufzuschreiben. Die Entscheidung, mitten in einer Ermittlung wegen eines so schweren Vorwurfs damit anzufangen, meine Beobachtungen öffentlich zu machen, war nicht leicht. Ob und wie die Behörden darauf reagieren würden, war nicht vorhersehbar – einen solchen Blog gab es bisher nicht. Überwachung bedeutet einen massiven Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen. Bloggen dagegen steht in der Regel dafür, zumindest Teile des Privatlebens einer anonymen Öffentlichkeit zugänglich zu machen und damit stellt sich die Frage, ob es nicht sehr widersprüchlich ist, ausgerechnet mit einem Blog gegen Überwachung zu protestieren?

Der Blog hat sich erst mit der Zeit zu einem vielbeachteten Forum zu verschiedenen Fragen rund um den allgegenwärtigen „Krieg gegen Terror“ entwickelt. Anfangs diente er weniger ehrgeizigen Zielen. Plötzlich zu erfahren, dass der eigene Partner verdächtigt wird, Terrorist zu sein; am frühen Morgen in der eigenen Wohnung Zeugin seiner bewaffneten Festnahme zu sein und allein vor der Aufgabe zu stehen, dies den Kindern, der Familie, FreundInnen und Bekannten erklären zu müssen, verändert das Leben radikal. Es bedeutet auch, zu realisieren, dass Überwachung seit Monaten stattfindet: Dass das Telefon abgehört, die Post gelesen, der Hauseingang von einer Videokamera gefilmt und jeder Schritt beobachtet wird. Es bedeutet, sich zu vergegenwärtigen, dass jeder Kontakt zu anderen für diese womöglich bedeutet, daraufhin auch von der Polizei beobachtet zu werden. Über all dies zu bloggen zu können, ist die Gelegenheit, einige Fliegen mit einer Klappe zu schlagen:

_ so haben viele die Möglichkeit, direkt zu erfahren, wie sich solche Ermittlungen auf die Betroffenen auswirken und wie offen und/oder dilettantisch sie gelegentlich geführt werden
_ erst mit dem Web 2.0 ist es möglich geworden, diese Informationen ohne etwa den Filter der Journalistenperspektive oder Zeitungsredaktionen zu veröffentlichen und damit viele LeserInnen zu erreichen: Gerade auch diejenigen, die normalerweise wenig Kontakt zu klassischen linken Publikationen haben und sich noch weniger mit Folgen staatlicher Repression beschäftigen
_ es ist eine wirksame Gegenmethode, um sich nicht aus Angst vor weiterer Repression gegen sich und andere völlig zu isolieren oder gar paranoid zu werden.

Im weiterhin laufenden Verfahren gegen die sieben Beschuldigten, dem so genannten Berliner mg-Verfahren hat es sich als erfolgreich erwiesen, den Zirkel zu schließen, der mit Recherche im Internet begann. Auch die Öffentlichkeitsarbeit der Solidaritätskampagne Bündnis für die Einstellung der §129(a)-Verfahren nutzt das Internet, um eine in diesem Fall breite und interessierte Öffentlichkeit über das absurde Innenleben der Terrorbekämpfung zu informieren. Der Blog annalist geht in dieselbe Richtung und erreicht – das lässt sich aus den zahlreichen Reaktionen erkennen – ein Publikum, das mehrheitlich entsetzt ist, wenn es erfährt, wie in einem vorgeblich demokratischen Rechtsstaat über das Vehikel Terrorbekämpfung Grund- und Bürgerrechte ausgehebelt werden.

Einstellung So36
annalist Blog

Andrej Holm Soziologe und linker Aktivist, weiß seit seiner Festnahme im Juli 2007 von der gegen ihn gerichteten Terrorismus-Ermittlung.

Anne Roth Politologin, arbeitet als freie Journalistin und Übersetzerin. Bloggt seit letztem Herbst über den Alltag mit Terrorismus-Überwachung.