Dazu darf man heutzutage schon gar nichts mehr sagen – Adjanie Kamucote im Gespräch über Rassismus und Intersektionalität

Adjanie Kamucote ist Sozialpädagogin, diplomierte Mentaltrainerin sowie Sprachpädagogin und verfügt über viel Erfahrung im Bereich der Aufklärungsarbeit zu Rassismus, Sexismus und Intersektionalität. Sie arbeitet als Anti-Rassismus- sowie Anti-Diskriminierungstrainerin an Schulen, in Jugendzentren, NGOs und Unternehmen. Dort hält sie diverse Workshops mit den Schwerpunkten Rassismus, Sexismus, Intersektionalität, Critical Whiteness, White Fragility und Empowerment von Betroffenen von Diskriminierung durch Methoden aus dem Mentaltraining. Wir haben mit ihr über ihr Arbeitsfeld gesprochen. 

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© studio BRETT FORM KOPF

IG Kultur Stmk: Starten wir mit einer Begriffserklärung: Deine Arbeitsschwerpunkte als Trainerin liegen in den Bereichen Rassismus, Sexismus und Intersektionalität. Wie verstehst du bzw. wie bindest du diese Begriffe in deine Arbeit ein?

Adjanie Kamucote: Rassismus ist es eine Ideologie von Ungleichheit, d.h. Menschen mit anderer Hautfarbe, mit anderer Herkunft, Religion usw. dürfen aus dieser Ideologie heraus schlechter behandelt werden. Sexismus ist hingegen die Diskriminierung eines Menschen aufgrund des zugeschriebenen Geschlechts und dadurch, dass wir in der Gesellschaft leben, in der wir nun einmal leben, ist es so, dass Frauen bzw. FINTA*-Personen1 überwiegend betroffen sind. Intersektionalität meint schließlich die Überschneidung unterschiedlicher Diskriminierungsformen, denn es gibt ja eine Vielzahl davon. Meine Expertise liegt vor allem im Bereich des Rassismus und Sexismus, aber das Spektrum ist natürlich viel breiter. Man kann sich das so vorstellen, dass es beispielsweise Personen gibt, die Schwarz2 und weiblich gelesen sind, im Rollstuhl sitzen und/oder dann vielleicht auch noch Muslima sind. D.h., es kommen unterschiedliche Ebenen zusammen, die Diskriminierung begünstigen. Das bezeichnet man als Intersektionalität. Für meine Arbeit bedeutet das, Menschen dahingehend aufzuklären und zu sensibilisieren, dass es eben einerseits diese einzelnen Arten von Diskriminierung gibt, andererseits aber darüber hinaus auch Überschneidungen dieser Diskriminierungsformen häufig auftreten. Das wird oft vergessen oder nicht gesehen.

IG Kultur Stmk: Die Notwendigkeit und die Berücksichtigung von Diversität wurden in den letzten Jahren zu einem immer wichtigeren Thema im öffentlichen Diskurs. Sind hier auch Änderungen in der tatsächlichen Praxis zu beobachten? Welche Schritte wurden gemacht? Welche brauchen wir noch?

Adjanie Kamucote: Ja, es wurde etwas gemacht und es wird weiterhin etwas gemacht, aber es ist ein sehr schleppender Prozess. Vor allem in der Steiermark oder prinzipiell in Österreich hinken wir in Bezug auf diese Themen noch sehr hinterher. Ich denke bzw. bin sogar davon überzeugt, dass bei der Mehrheit einfach eine gewisse Art von Ignoranz vorherrscht. Durch die Black-Lives-Matter-Bewegung ist auch in Österreich nochmals verstärkt auf das Thema aufmerksam gemacht worden. Etwa ein halbes Jahr haben die Menschen dann Solidarität gezeigt, aber jetzt ist davon nicht mehr viel zu sehen. Ich denke, es braucht dahingehend viel mehr Aufklärungsarbeit. Die Menschen müssen in allen Bereichen sensibilisiert werden am besten schon von klein auf!

Aber um nicht nur Negativbeispiele zu nennen: Es hat sich schon auch etwas getan. Aus der BLM-Bewegung sind durchaus vereinzelte Personen und v.a. Allies übrig geblieben, die versuchen, in ihrem Umfeld auf diese Themen aufmerksam zu machen. Leute organisieren Workshops oder Seminare und laden Expert:innen zu solchen Themen ein.  Auch auf Social Media tut sich viel.

IG Kultur Stmk: Oft fühlen sich weiße3 Personen im Rahmen der Debatten über Rassismus angegriffen, woraus ein politischer Backlash gegenüber diesen Themen entsteht. Was passiert hier eigentlich bzw. wie sollen wir damit umgehen?

Adjanie Kamucote: Ja, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Ein Fachbegriff dazu wäre White Fragility bzw. auf Deutsch Weiße Zerbrechlichkeit. Dieser Begriff wurde von der amerikanischen Soziologin Robin DiAngelo geprägt und bezeichnet sozusagen eine Abwehrreaktion von einigen weißen Menschen, wenn sie ganz allgemein mit Rassismus konfrontiert werden, oder auch, wenn sie persönlich darauf hingewiesen werden, dass sie selbst rassistisch diskriminiert haben. Das können unterschiedlichste Emotionen sein, die dann auftreten: Wut, Aggressionen, aber auch Schamgefühl, Schuldgefühle usw.

Häufig erkennt man solche Emotionen dann an Sätzen wie: „Dazu darf man heutzutage schon gar nichts mehr sagen.“, oder „Ich bezeichne dieses und jenes trotzdem so, weil das hat man früher auch gesagt und da hat sich niemand aufgeregt.“. Hier habe ich das Gefühl, dass das mehr geworden ist. Ganz einfach, weil die Themen präsenter sind und zum Nachdenken anstoßen zwar noch nicht genug, für die Allgemeinbevölkerung aber doch immer präsenter. Man hört immer häufiger, dass etwas nicht mehr so bezeichnet oder gesagt werden soll, oder dass man mit etwas nicht mehr so umgeht, sondern so. Dadurch, dass das immer mehr Personen in ihrem Alltag erleben, kommt meiner Meinung nach auch mehr Gegenreaktion nicht nur, aber es kommt auch Gegenreaktion.

Vor diesem Hintergrund würde ich schon sagen, dass es mehr in diese Richtung der Weißen Zerbrechlichkeit geht. Wahrscheinlich war sie vorher auch da, aber nicht so offensichtlich wie jetzt. Hier muss ich aber auch festhalten, dass es mehr oder weniger „normal“ ist, dass diese White Fragility als Reaktion passiert, denn welche Person hört schon gerne, dass sie Fehler gemacht hat. Wichtig ist hierbei die Frage, was ich mit diesen aufkommenden Emotionen mache: Verweile ich in meiner Wut, in meiner Trauer, in meinen Schuldgefühlen, in meiner Scham? Oder erkenne ich daraus meine Privilegien, die ich als weiße Person habe? Vor allem: Erkenne ich meine Privilegien und nutze sie dann auch für ein besseres Miteinander in unserer Gesellschaft?

IG Kultur Stmk: Wenn dieses Spannungsfeld und die eigenen Privilegien erkannt wurden, wie kann dieses Wissen dann für eine besseres Miteinander eingesetzt werden? Häufig wird beispielsweise die Kritik geäußert, dass ein Workshop nicht hilft bzw. nicht genug ist. Wie gehst du damit um, einerseits Aufklärungsarbeit zu leisten und andererseits Leuten zu helfen, dieses neue Wissen zu nutzen und in Alltagspraxen zu etablieren?

Adjanie Kamucote: Die Frage, ob ein Workshop überhaupt etwas bringt, habe ich auch schon ein paar Mal gehört. Ich mache selbst ja u.a. Workshops in Schulen und da stelle ich mir selbst auch die Frage: „Jetzt bin ich 4 Stunden hier und dann gehe ich wieder und dann?“. Ich sehe das Ganze zwiegespalten:

Einerseits kann ein Workshop schon etwas bringen, weil er einen Impuls gibt. Personen, die solche Workshops anbieten, geben sozusagen einen Impuls, über den Leute erst einmal nachdenken können, wenn sie es davor noch nicht gemacht haben. D.h., man reflektiert vielleicht die Themen, die aufgekommen sind, und trägt sie eventuell sogar weiter, wenn man Gedanken dazu hat. Und auch wenn es kritische Gedanken sind, zumindest redet man darüber. Darum geht es in erster Linie: darum, dass mehr Personen darüber sprechen.

Andererseits stelle auch ich mir die Frage, wie nachhaltig ein einzelner Workshop ist. Deutlich sinnvoller wäre es natürlich, wenn das nicht nur im Workshop-Format stattfinden würde, sondern wenn es auf einer regelmäßigen Basis aufbaut. Im Schul- bzw. allgemein im Bildungskontext könnten diese Themen beispielsweise einfach Teil des Unterrichtsplans sein. Den Mathematikunterricht gibt es ja beispielsweise auch nicht als Workshop, sondern er ist im Lehrplan enthalten. Genauso wichtig sollte das meiner Meinung nach auch sein und dann wäre es natürlich auch nachhaltiger. Insbesondere betreffend Firmen, NGOs etc. würde ich sagen, dass ein einmaliger Workshop nichts bringt. In anderen Bereichen haben wir es aber glücklicherweise bereits geschafft, dass es regelmäßigere Formate gibt.

IG Kultur Stmk: Kannst du uns Beispiele für derartige Bereiche nennen?

Adjanie Kamucote: Ein Bespiel wäre hier das AMS: Bei AMS-geförderten Projekten müssen die Mitarbeiter:innen ‚Gender and Diversity’ nachweisen, alle 2 Jahre, wenn ich mich nicht täusche. Hier nimmt man das Thema einfach mit hinein und sagt, es ist verpflichtend, sich regelmäßig damit zu beschäftigen, weil es dadurch nachhaltiger wird. Natürlich wäre es auch leicht, das in jedem Studium zu etablieren. Auch einige Firmen und NGOs versuchen, das mittlerweile in die Praxis umzusetzen, weil ihnen bewusst ist, dass das wichtig wäre. Es sind zwar nicht viele, aber in Graz gibt es beispielsweise ein paar. Auch ich berate begleitend einige NGOs und kleinere Vereine, die diese Themen mehr ins Team einbringen oder in Veranstaltungen umsetzen möchten, bei solchen Prozessen. Diese Möglichkeit gibt es auf jeden Fall, dass sich Personen oder auch Teams wirklich aktiv begleiten lassen, sodass man gemeinsam analysiert, wo sie gerade stehen und was es braucht.

Ein ganz wichtiger Punkt, der dabei allerdings immer fehlt, ist das Budget, also die finanziellen Ressourcen dafür. Es braucht sicherlich auch viele andere Ressourcen für einen solchen Prozess, aber nach meiner Erfahrung stellen die finanziellen Ressourcen einen der wichtigsten Punkte dar. Du kannst noch so engagiert sein wenn die budgetäre Situation es nicht zulässt, ist es trotzdem schwierig. Ich glaube, dass viele nicht so weit gehen, wie sie eigentlich tatsächlich gehen wollen würden, weil ihnen eben die entsprechenden Gelder fehlen und weil es aus seitens der Politik als nicht so wichtig empfunden wird.

IG Kultur Stmk: Wenn ich das aus deinen Beispielen richtig herausgehört habe, gibt es zwei Herangehensweisen, Diskriminierungspraxen zu bewältigen: Top-Down (von oben) bzw. Bottom-Up (von unten). Wo siehst du in dieser Hinsicht Möglichkeiten, Schrauben zu drehen, damit wir uns nicht nur in einem repräsentativen Zusammenhang mit Diversität befassen (z.B. im Kulturbereich nur auf der Bühne oder am Flyer, Stichwort Tokenism4), sondern einen Schritt weiterkommen?

Adjanie Kamucote: Diese Frage wird immer wieder gestellt und ist sehr spannend, weil es im Endeffekt um Strukturen geht. Da Diskriminierung strukturell begründet ist, ist es für Einzelpersonen nochmals schwieriger ist, etwas zu tun, weil die Strukturen sozusagen schon einiges vorgeben ­– trotzdem kann man aktiv werden. 

Dabei stellt sich immer die Frage, ob etwas wirklich durchdacht ist, oder ob es nur gewünscht wird, während im Hintergrund keine wirkliche Auseinandersetzung mit der Thematik erfolgt. Als Beispiel im Gender-Kontext könnte sich dies z.B. dadurch äußern, dass man als Organisation nun zwar mehr jüngere Frauen einstellt, es dann aber keine Umkleidekabinen für diese Personen gibt. Hat man also alles gut durchdacht oder heißt es einfach nur von oben: „Wir hätten das gerne!“? Im zweiteren Fall gehen diese "gewünschten" Personen unter Umständen schnell wieder, weil die Rahmenbedingungen nicht passen.

Dazu gibt es unterschiedlichste Debatten, wie eben zum Beispiel über All-Gender-WCs oder auch Gebetsräume. Bereiche, in denen es wichtig ist, dass man wirklich reflektiert und sich anpasst. Bezogen auf das Bühnenbeispiel aus dem Kulturbereich, wäre es beispielsweise eine Frage, wie es mit den Visagist:innen ausschaut: Können sie Schwarze Personen schminken? Können sie ihre Haare stylen? Solche Dinge, die natürlich strukturell verankert sind, müssen unbedingt bedacht werden. Nur auf diese Weise kann man es gewissen Personen „schmackhafter“ machen, zu partizipieren. Eine Schwarze Person hat vermutlich wenig Interesse an einem Job, wenn sie laufend mit Dingen konfrontiert ist, auf die sie während ihres Arbeitsalltags keine Lust hat. Wenn man schon wieder den Kolleg:innen erklären möchte: „Das und das ist diskriminierend ...“, „Könnte man bitte erst einmal ...“, dann bedeutet das einen Mehraufwand, der eigentlich nicht sein sollte. Im Grunde geht es also darum, es den Personen irgendwie schmackhafter zu machen, indem man die Rahmenbedingungen anpasst.

IG Kultur Stmk: „Sich auf Augenhöhe zu begegnen“ ist dabei eine sehr beliebte Phrase, die leider in der Praxis häufig scheitert. Warum ist das so? Warum fällt es uns oft so schwer unsere Prinzipien (z.B. die Anerkennung der Gleichstellung aller Personen) in unseren Arbeitsweisen bzw. im Alltag umzusetzen?

Adjanie Kamucote: Auch das ist eine sehr spannende Frage. Zunächst komme ich wieder auf diese Weiße Zerbrechlichkeit zurück: Wenn ich als weiße Person davon ausgehe, dass ich sehr sensibel und en vogue bin, kann ein Hinweis einer anderen Person darauf, dass ich mich gerade nicht so sensibel verhalten habe, schnell dazu führen, dass ich beleidigt bin, anstatt zu sagen: „Okay, da habe ich wohl einen blinden Fleck.“. Es ist oft schwer, sich einzugestehen, dass man nicht „diskriminierungsfrei“ (ein Begriff, den ich nicht mag, weil wir das einfach nicht sein können) bzw. dass man nicht immer sensibel ist. Sich das einzugestehen und Kritik dann auch annehmen zu können, ist aber sehr wichtig.

Daran scheitert es einerseits sehr oft dass wir Menschen uns prinzipiell schwer tun, solche Sachen anzunehmen und andererseits in weiterer Folge natürlich daran, dass man die eigenen Privilegien nicht erkennt oder sieht. Wenn dies der Fall ist, ist eine Kommunikation auf Augenhöhe grundsätzlich schwierig. Ich würde sagen, dass dann eine Art von Ignoranz vorherrscht, auch wenn man von sich selbst sagt, dass man offen ist und eh alles versucht. Man sollte trotzdem einen Schritt zurückgehen, sich nicht in den Mittelpunkt stellen und erst einmal schauen, was mein Umfeld eigentlich braucht oder wie ich etwas machen kann, ohne dass ich dies nur aus meiner Sicht heraus mache.

IG Kultur Stmk: Bietest du Workshops für alle Interessierten an oder konzentrierst du dich auf gewisse Gruppen, bei denen es im Hinblick auf eine gesellschaftliche Änderung besonders wichtig wäre, sie zu erreichen?

Adjanie Kamucote: Es gibt eigentlich keine Gruppe, auf die ich mich speziell konzentriere, da bin ich total offen. Ein Teil betrifft Schulbildung, also Schulklassen, ein anderer Multiplikator:innen. Multiplikator:innen aus dem Sozialbereich, die ständig mit unterschiedlichsten Menschen in Kontakt sind, brauchen wir beispielsweise ganz dringend, obwohl das ein Bereich ist, in dem oft gesagt wird: „Wir brauchen das nicht!“. Dem stimme ich nicht zu, denn Multiplikator:innen sind v.a. da gefragt, wo Personen ständig mit Menschen in Kontakt sind und die Themen bzw. auch eine Haltung weitertragen. Davon können sich andere wieder etwas abschauen.

IG Kultur Stmk: Wir befinden uns 2024 in einem Superwahljahr, in dem Fragen zur Identität stark emotionalisieren und somit eine wichtige Rolle im Wahlkampf spielen. Welche Politik braucht es, um den von rechten Parteien geführten Backlash abzufedern und nicht in rassistische Diskurse zu verfallen?

Adjanie Kamucote: Es gibt einen Aktionsplan, den das Black-Voices-Volksbegehren mittlerweile schon vor 2 Jahren in den Nationalrat einbringen wollte – leider vergeblich. Daran kann man sehen, dass die Bereitschaft zur Veränderung hier nach wie vor nicht sehr groß ist. Nichtsdestotrotz wird weiterhin ständig daran gearbeitet, eben diese Themen hineinzubringen. Das ist total wichtig, denn in diesem Aktionsplan ist genau ausgearbeitet, wo es was braucht. Er sollte angenommen werden und die Umsetzung seiner Inhalte sollte ermöglicht werden. Im Bereich Bildung wird dabei u.a. mehr Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung für Rassismus gefordert, im Bereich der Medizin u.a. der Ausbau von Diversität in der Forschung, Lehre und Praxis. Das sind ganz konkrete Beispiele, bei denen wir noch sehr hinterher hinken. Da haben für gewöhnlich viele andere Dinge Vorrang, in die dann auch die finanziellen Mittel fließen. Das Thema Diskriminierung, vor allem rassistische Diskriminierung, kommt erst ganz weit hinten. D.h., bis man dorthin kommt, ist meist schon gar kein Geld mehr übrig. Das ist auch bei vielen kleineren Projekten der Fall. Mein Appell wäre, diesen Aktionsplan heranzuziehen und daran zu arbeiten, weil da wirklich alle Bereiche abgedeckt sind: Bildung, Arbeit, Polizei, Öffentlichkeitsarbeit usw.

IG Kultur Stmk: Ich würde sagen, dass wir so einen Aktionsplan auch für die Kultur brauchen, da dieser Bereich wichtig für die Formierung unserer kollektiven Vorstellungen ist und eine Kernrolle dabei spielt, wie wir gesellschaftliche Diversität sehen – als Bereicherung oder als Problem.

Adjanie Kamucote: Das ist ebenfalls ein Thema, das zwiegespalten betrachtet werden kann. Wenn man sich beispielsweise in Österreich Werbeplakate anschaut, bemerkt man schnell, dass sie nicht sonderlich repräsentativ für die Bevölkerung sind bzw. repräsentieren sie die Gesellschaft mehr oder weniger gar nicht. Es wird hierbei zwar immer mehr auf Diversität geachtet, aber trotzdem noch viel zu wenig. Das gilt auch für Berichterstattungen oder in Bezug auf den Kulturbereich beispielsweise für Filme oder Theaterstücke. Wenn junge Schwarze Männer immer in stereotypischen Rollen zu sehen sind, führt dies zu kognitiven Biases, also zu Wahrnehmungsverzerrungen. Das bewirkt etwas in den Köpfen der Menschen. Wir haben alle aufgrund unserer Prägungen mit diskriminierenden Vorstellungen gewisse Voreingenommenheiten gegenüber dem, was uns fremd ist. Wichtig ist es dabei, zu reflektieren: „Ja, ich bin so geprägt, aber das heißt nicht, dass das richtig ist.“

Diversität sollte als Ressource angesehen werden, aber dazu kommt es häufig gar nicht, weil man immer wieder liest, dass Diversität schlecht ist, dass Diversität bedeutet, irgendwer vergewaltigt irgendwen, irgendwer bringt irgendwen um, irgendwer macht dieses und jenes. Wenn man immer davon liest bzw. hört, dann kann es gar nicht als etwas Positives oder als wertvolle Ressource wahrgenommen und folglich auch nicht genutzt werden. Das finde ich besonders tragisch und das gilt es im Diskurs umzudrehen. Es sollte einfach nicht sein, dass die Leute z.B. total verwundert sind, wenn eine Schwarze Ärztin daherkommt.


Das Interview führte Lidija Krienzer-Radojević.

Zur Website von Adjanie Kamucote: https://adjaniekamucote.at/


1 Das Akronym FINTA* steht für Frauen, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen. Das Sternchen verdeutlicht weitere Variationen der Geschlechtervielfalt.

2 Der Begriff „Schwarze“ ist eine politische Selbstbezeichnung und weist auf eine kollektive Erfahrung rassistischer Diskriminierung hin, die Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe haben. Es handelt sich dabei nicht um die Farbe bzw. das Adjektiv schwarz. Aus diesem Grund wird das S großgeschrieben!

3 Als weiße Menschen werden Personen bezeichnet, die „dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus“ einnehmen (https://weranderneinenbrunnengraebt.wordpress.com/2012/09/15/weisweisse…). Bei diesem Begriff geht man nicht rein von der Hautfarbe aus, sondern vor allem von einem gesellschaftspolitischen Konstrukt. Aus diesem Grund wird der Begriff klein und kursiv oder mit großem W geschrieben.

4 Tokenism bezeichnet die Praxis, eine symbolische Geste zu machen, um Diversität oder Inklusion vorzutäuschen, ohne echte strukturelle Veränderungen umzusetzen, oft durch die Repräsentation von Minderheiten in begrenztem und oberflächlichem Umfang.