Yvonne Gimpel im Interview: Erfolgreich durch Krisen
Unsere Geschäftsführerin Yvonne Gimpel, die sich im letzten Jahr in der Pandemie unermüdlich engagiert über jede Neuerung und Verordnung und in jedes Interview gestürzt hat, um auf die schwierige Lage der Kultur aufmerksam zu machen, ist nun in Babypause. Wir freuen uns mit ihr, vermissen sie aber auch schmerzlich und freuen uns darauf, wenn sie wieder zu uns zurückkehrt. Wir haben mit ihr noch vor dem Mutterschutz ein Interview geführt, über ihr Engagement im Kulturbereich, ihren Weg zur IG Kultur und die Krisen, durch die sie diese gleich mal führen musste und wie sie die Zukunft der freien Kulturarbeit sieht.
Patrick Kwasi: Liebe Yvonne, ich fange gern mit den basalen Fragen an. Welchen Kulturbegriff verwendest du eigentlich?
Yvonne Gimpel: Das ist keine basale Frage, sondern eine, mit der man Bibliotheken füllen kann. Ich würde präferieren von freier oder emanzipatorischer Kulturarbeit zu sprechen, im Bewusstsein dessen, dass man das nie abschließend definieren kann. Ich gehe da von einer Kultur aus, die einen Anspruch hat und nicht nur zur Unterhaltung und Belustigung da ist und die Gesellschaft mitgestalten will.
Kwasi: Wie hast du eigentlich im Kulturbereich angefangen?
Gimpel: Das ist mir sozusagen passiert, über Freunde, die in Kulturvereinen aktiv waren und wo man dann mitarbeitet. Das war so klassische ehrenamtliche Arbeit. Es hat sich relativ schnell professionalisiert über freie Medienprojekte und mein Weg führte mich dann über den ORF und das Kulturministerium zurück zur freien Szene, weil ich es spannender fand, dort zu sein, wo die Dinge entstehen und wo man mehr am Puls der Zeit ist.
Kwasi: Wie hast du die Szene in deiner Anfangszeit in den 2000ern wahrgenommen?
Gimpel: Ich war damals zu frisch gefangen um wirklich einen Überblick über die Szene zu haben. Was im Nachhinein betrachtet sehr auffallend war, ist, dass die Debatte um den Kulturbegriff weniger in der Szene stattfand, sondern eher vom rechten Rand her betrieben wurde. Von dort ist der Kulturbegriff verhandelt und vereinnahmt worden um damit ein „Wir“ und ein „Anderes“ zu erzeugen.
Kwasi: Was waren die bewegenden Themen, als du angefangen hast?
Gimpel: Es ging meist um Räume und die Frage, wo man etwas veranstalten kann, mit Publikum, aber auch in der Gemeinschaft oder der Gruppe. Man hat nach Orten gesucht, wo man Ausstellungen organisieren kann, oft leerstehende Häuser. Das waren tolle Locations, die es heute leider nicht mehr gibt, weil sie abgerissen wurden. Tolle Orte, aber es war auch mit einem wahnsinnigen Aufwand verbunden, dort überhaupt etwas zu machen.
Kwasi: Hat sich die Szene über die Jahrzehnte stark verändert?
Gimpel: Ich habe das Gefühl, dass es sich stärker ausdifferenziert hat, sich die Themen verändert haben und es einen Teil gab, der sich in Richtung Professionalisierung bewegt hat, man denke an das Thema Creative Industries und Co., also eine sehr neoliberale Entwicklung, bei der es darum geht, sich möglichst gut am Markt zu verkaufen, Portfolios zu erstellen und so weiter. Und dann gab es noch die Gegenbewegung, die an den Wurzeln anknüpft, versucht Räume zu öffnen, Nischen zu besetzen und die Frage zu stellen, welche Themen überhaupt bearbeitet werden können, wer daran teilnehmen kann und wen wir in unserem Tun repräsentieren.
Kwasi: In welchem Zustand war die IG Kultur, als du sie übernommen hast?
Gimpel: In einem sehr guten Zustand, da sie sehr solide geführt worden ist von meiner Vorgängerin Gabriele Gerbasits. Die IG Kultur hatte auch schon ein klares Profil. Man hat also auf sehr viel aufbauen können und mit dem Blick von außen, mit dem ich reingekommen bin, konnte ich überlegen, welche Dinge man zuspitzen und was man vielleicht hinzufügen möchte und mich vor allem auch Fragen widmen, wie man mit den Landesorganisationen in der Praxis enger zusammenarbeiten kann. Es war großes Thema, als ich gekommen bin, wie man hier Synergien schafft und sich zwischen den verschiedenen Ebenen stärker vernetzt, also der Länder-, Bundesebene und auch EU-weit bzw. international.
Kwasi: War das ein wenig das Hauptaugenmerk deiner ersten Jahre bei der IG Kultur?
Gimpel: Ich sehe was den ganzen Bereich der Interessenvertretung betrifft einen großen Bedarf, stärker mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen. Das hat man im letzten Jahr unter Corona auch deutlich gemerkt, dass wenn man zusammenhält und Solidarität auch lebt, man auch besser gehört und gesehen wird, als wenn es neun bzw. mit der Bundesvertretung zehn Einzelstimmen gibt.
Kwasi: Solidarität ist ein sehr geflügeltes Wort in der Szene, aber es wird nicht immer so wahrgenommen. Glaubst du unser Bereich tut sich besonders schwer an einem Strang zu ziehen?
Gimpel: Ich glaube das liegt in der Natur der Sache. Die Kultur ist extrem heterogen, es gibt viele divergierende Interessen, Schwerpunkte und Settings, abgesehen davon, was man inhaltlich tut. Das spiegelt auch die Gesellschaft wider und genauso komplex ist es, dem Anspruch gerecht zu werden. Diese Spannungen muss man aushalten – sie können auch produktiv sein, müssen es aber nicht.
Kwasi: Die politische Lage war ja nicht ganz einfach als du zur IG Kultur gewechselt bist…
Gimpel: Wir hatten ganz frisch die erste türkis-blaue Bundesregierung, die einen gewissen Höhepunkt der Debatte markiert hat, die wir bezüglich Kreativwirtschaft und dem Argument Kultur müsse sich selbst tragen können, kennen. Es gab nicht viel Raum dafür, was wir freie Kultur oder Kulturarbeit nennen. Kultur war entweder Repräsentation und diente dazu, international das Image von Österreich aufzupolieren, oder es ging um Wirtschaft und darum, den Sprung in die wirtschaftliche Unabhängigkeit zu fördern. Dazwischen wurde nichts bedacht.
Kwasi: Welche Strategie ist die IG Kultur gefahren, gegenüber der türkis-blauen Regierung?
Gimpel: Gerade in solchen Zeiten muss man nach außen hin viel stärker eine Rohrstockfunktion übernehmen und nicht nur Klientelpolitik betreiben, also gesellschaftlich größer denken, bezüglich Migration, Frauenpolitik, den NGO-Sektor insgesamt und wachsam sein, welche Verschiebungen da jetzt stattfinden und sie sichtbar machen, damit klar wird, dass es nicht nur kleine, einzelne Brüche sind, weil es System hat und in eine Richtung geht, wo kein Raum mehr für gemeinwohlorientiertes kritisches gesellschaftliches Engagement bleibt.
Man kann solche Phasen aber auch dafür nutzen, stärker nach innen zu blicken, wenn auf der politischen Ebene der Erhalt des Status Quo bereits eine Errungenschaft ist, und Themen aufgreifen und bearbeiten, für die sonst kein Raum da ist, wie Fair Pay oder Schnittstellen von Kulturarbeit und anderen gesellschaftlichen Bereichen.
Beitrag als Video:
Kwasi: Wie hat die Szene auf die türkis-blaue Machtübernahme reagiert?
Gimpel: Mein Eindruck ist, dass der Widerstand sehr wohl da war, aber nicht mehr den Organisationsgrad und die öffentliche Breitenwirksamkeit hatte, wie es bei der ersten schwarz-blauen Ära war. Das ist auch ein Zeichen für eine Entwicklung, die nicht nur in Österreich stattgefunden hat und steht dafür, dass der Diskurs sich insgesamt verschoben hat. Dinge, die ein paar Jahre davor noch unsagbar waren, sind im Mainstream als vermeintlich selbstverständlich interpretiert worden. Entsprechend war die Mobilisierung wesentlich schwieriger, als bei den ersten Tabubrüchen, da diese bereits zur Normalität geworden waren.
Kwasi: Wie hat sich der Umgang mit der Kultur unter türkis-grün verändert?
Gimpel: Es gab einen radikalen Bruch. Von einem Setting, in dem es keine Gesprächsbereitschaft gab und man Kontra geben musste, gegen den schleichenden Abbau, kam es zu einer Situation, in der auch das Gespräch gesucht wurde und man im Vorfeld darüber reden konnte, wo wir Handlungsbedarf sehen, was mittelfristig Ziele sein müssten und auch wie man die Kommunikation verbessern kann. Es war ein Wandel, der allerdings nur von kurzer Dauer war, weil unmittelbar nach der Angelobung der türkis-grünen Bundesregierung Corona auf uns zukam.
Kwasi: Du musstest ja dann die IG gleich durch eine große Krise führen, als Corona kam. Wie hat die Pandemie die Arbeit bei der IG Kultur verändert?
Gimpel: Zum einen war es ein radikaler Stopp dessen, wie man arbeiten kann. Eine Rückkehr zur Normalität ist ja noch weit entfernt. Es war aber auch ein Schlag ins Gesicht, dass alles, was man in den Sonntagsreden hört und womit man sich im Ausland rühmt, was den Stellenwert der Kultur betrifft, der politischen Realität nicht standhält.
Kwasi: Pandemie mal beiseite, was sind aus deiner Sicht die nächsten Schritte bei der IG Kultur?
Gimpel: Die Taktung ist viel enger geworden, es sind keine Ressourcen mehr da an längerfristigen Projekten zu arbeiten und der Fokus war wirklich von Tag zu Tag gehen, sich Fragen zu stellen, wie die aktuelle Rechtsgrundlage aussieht, unter welchen Bedingungen und überhaupt gearbeitet werden kann und vor allem auch, ob es Entschädigungen gibt und ob sie dazu geeignet sind, gemeinnützigen Kulturvereinen zu helfen, ob sie deren Realitäten überhaupt widerspiegeln. Es gab zwar viel guten Willen der Politik, aber der allein hilft nicht, wenn man das nicht auf Praxistauglichkeit prüft und das Feedback dazu kriegt, dass es auch treffsicher ist und jene unterstützt, die betroffen sind.
Wir haben auch nach wie vor ein kleines Möglichkeitsfenster in Puncto Fair Pay etwas weiterzubringen. Das ist nun durch die Corona-Krise in den Hintergrund geraten. Es hat auch gezeigt, dass das Bild, wie Kunst und Kultur funktionieren, weit von der Realität entfernt ist. Tatsächlich ist die Möglichkeit ein Auskommen mit Kulturarbeit zu finden eher die Ausnahme, denn die Regel. Fair Pay sieht vor, dass angemessene Löhne und Honorare für die Arbeit gezahlt werden muss, die eben nicht nur Luxus oder Freizeitvergnügen ist, sondern professionelles Knowhow erfordert. Da muss es das Ziel sein, einen Schritt nach vorne zu machen.
Kwasi: Jetzt mal abgesehen von der Pandemie - Was glaubst du werden die drängendsten Themen der nächsten Jahre?
Gimpel: Ich sehe da die soziale Lage als drängendes Thema.
Kwasi: Wie siehst du die Zukunft der freien Kulturarbeit?
Gimpel: Eine Krise kann auch ein produktives Element entfalten und jetzt ist allen auch sehr bewusst, wie sehr es Kulturräume braucht, weil es darin möglich ist, sich mit Veränderungen, die es in einer Gesellschaft gibt, auseinanderzusetzen und solche Themen konfliktbehaftet aber auch produktiv gemeinsam zu bearbeiten – genau das ist ja im letzten Jahr weggebrochen, nämlich Themen auch mit sozialem Austausch zu bearbeiten. Wenn das Potantial genützt wird, sehe ich hier auch eine Chance.
Ich sehe die Situation aber ambivalent, weil gleichzeitig genau dieses Bewusstsein in den letzten Monaten nicht spürbar war und die Zeiten schwieriger werden. So sehe ich eine akute Gefahr, dass in den nächsten paar Jahren sehr viel wegrationalisiert und weggespart wird und damit auch die Räume immer enger werden.
Kwasi: Die IG Kultur ist gerade 30 geworden, in der intensiven und schwierigen Lage der Pandemie hatten wir keine Zeit, aber auch wenig Grund zum Feiern. Wie glaubst du sieht die Zukunft der IG Kultur aus?
Gimpel: Ich glaube eine der Hausaufgaben, die nie alt werden, ist sich gut dafür zu wappnen, warum freie Kulturarbeit wichtig ist, und zwar nicht nur für jene, die ganz unmittelbar engagiert sind, sondern auch in der Gemeinschaft, in der das stattfindet, in der Gemeinde, in der Stadt, etc., damit auch ein Mehrwert für die Gesellschaft entsteht, der sich nicht in reinen Zahlen bemessen lässt – auch wenn es selbst so betrachtet viel gibt, worauf wir stolz sein können, aber das ist nicht das Ziel, worum es in Kulturarbeit geht. Es geht nicht nur um Arbeitsplätze und darum, Wertschöpfung zu generieren, sondern einen Mehrwert für die Gesellschaft herzustellen, damit wir dem guten Leben für alle einen Schritt näher kommen.
Kwasi: Liebe Yvonne, danke für das Gespräch, wir können’s kaum erwarten, wenn du wieder da bist!
Yvonne Gimpel war früher bei der Österreichischen UNESCO-Kommission, European Coalition for Cultural Diversity, Arts Rights Justice Network, Kultursektion des BMUKK, EU XXL film forum and festival of european film und ist seit 2018 Geschäftsführerin der IG Kultur. Derzeit ist sie karenziert.
Beitrag als Podcast: