„Arts cuts across Europe“
Die Auswirkungen dieser Kürzungen im Kunstbetrieb werden gerade quer durch Europa sichtbar – Festivals mit eingeschränktem Programm, abgesagte Vorstellungen, gekürzte Tourneen, viele freie KunstproduzentInnen, die ihre Aktivitäten einstellen müssen, verunsicherte KünstlerInnen, die dennoch mit grimmiger Entschlossenheit weitermachen.
Eine politische Perspektive.
Das Jahr 2012 schreitet voran, die Verhandlungen für das kommende Budget der Europäischen Union befinden sich im Endstadium. Ein mikroskopisch kleiner Teil dieses Budgets setzt sich aus den Geldern zusammen, die der nächsten Auflage des Europäischen Kulturprogramms gewidmet sind – das von nun an in Kombination mit dem Programm MEDIA unter der Überbezeichnung Creative Europe laufen wird. Die aktuellen Verhandlungen liefern eine Momentaufnahme der politischen und öffentlichen Stimmung über die Europäische Union und nehmen oft – mit einem gewissen zeitlichen Vorsprung – Entscheidungen auf nationaler Ebene vorweg.
All das würde nur wenig Anlass für Optimismus geben, besonders im Hinblick auf mögliche Resultate des Abstimmungsprozesses über das Budget der Europäischen Union. Denn in der Tat ist es angesichts der Antworten, die viele Mitgliedstaaten der EU auf die anhaltende Finanzkrise gefunden haben, und angesichts der daraus resultierenden „Sparmaßnahmen“ denkbar, dass in einem Worst-Case-Szenario das Europäische Kulturbudget gänzlich aus dem vorgeschlagenen Ausgabenbudget gestrichen werden könnte.
Kunst und Kultur als leichte Opfer von Kürzungen
Die nationalen Regierungen brauchten nicht lange, um auf diese Krise zu reagieren und eine Reihe von Kürzungen an lange Zeit zuvor festgelegten Budgets vorzunehmen. Die AkteurInnen des Kunstbetriebs machen sich schon auf einiges gefasst, denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass das Kunstbudget immer ganz vorne in der Schusslinie stand, wenn Regierungen sparen wollten oder Budgets gekürzt haben. Dabei ging es nicht unbedingt um spezielle „Bestrafungsaktionen“, sondern traurigerweise um den Ruf, ein leichtes Opfer zu sein. Und so geschah es auch in Großbritannien, in den Niederlanden, in Portugal, Spanien und Slowenien – um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Breiter Widerstand von KünstlerInnen und Intellektuellen hatte so gut wie keinen Effekt. Es wurde auch deutlich, dass Kürzungen der Kunstbudgets für die meisten Regierungen viele Vorteile hatten: Die Finanzkrise bot die Chance und einen günstigen Vorwand für Regierungen, dort Kürzungen vorzunehmen, wo es ihnen politisch entgegenkam. Denn es ist hinlänglich bekannt, dass die Einsparungen, die durch Kürzungen im Kunstbereich erzielt werden können, vom Finanzvolumen her relativ vernachlässigbar sind.
So war es der Fall in den Niederlanden, einem besonders auffälligen Beispiel für tief greifende Einschnitte (bis zu 40 Prozent der vorhandenen Verpflichtungen) und gleichzeitig für ein katastrophales Scheitern der GegnerInnen, die die Umsetzung dieser Kürzungen verhindern wollten. Die jahrelange populistische Politik und die anhaltenden medialen Kampagnen haben vorgearbeitet, um zeitgenössisches Kunstschaffen als elitär und marginal zu denunzieren. Nun führt der eklatante Mangel an öffentlicher Unterstützung für die Erhaltung des Kunstbudgets dazu, die politische Position der niederländischen Regierung zu stärken – trotz heftiger Proteste, die von allen – auch den arriviertesten – VertreterInnen des Kunstbetriebes getragen wurden.
Mehr als Umwegrentabilität
Auch Frankreich – das bon enfant Europas – ist nicht davon gekommen. Trotz eindeutiger Absichtserklärungen des französischen Kulturministers Frédéric Mitterand im Oktober 2011, das Kunst- und Kulturbudget zu erhalten, wurden bereits Ende Februar 2012 gravierende Budgetkürzungen für den Kunstbereich angekündigt. Noch Monate zuvor schien ein solches Szenario undenkbar.
Solche reflexartigen Reaktionen auf die Finanzkrise sind zwar nichts Neues, lassen aber ein politisch kurzfristiges Denken vermuten und ein Anbiedern der Politiken der Mitgliedstaaten an das „Volksempfinden“. Gestützt wird derlei durch die jahrelange Erosion der politischen Unterstützung und des Engagements für Kunst und Kultur. Das Aufkommen des Paradigmas der Creative Industries und die Entstehung neuer künstlerischer Medien haben zu falschen Annahmen geführt, wie der, dass die Demokratisierung des Zugangs zu Kultur nur über die Logik des freien Marktes gelingen könnte. Der Wert einer öffentlichen Investition in Kunst wird in politischen Diskussionen (die weit öfter in den Finanz- als in den Kulturministerien geführt werden) von ihrer Fähigkeit bestimmt, sich auf einer kommerziellen Basis selbst erhalten zu können. Mit anderen Worten: Kunst und Kultur haben erst dann das Recht zu überleben (und, implizit, überhaupt zu existieren), solange es ein zahlendes Publikum gibt. Aus dieser Perspektive sind Budgetkürzungen als Teil einer allgemeinen Kosteneinsparungsstrategie vollkommen gerechtfertigt und von einer Regierung, die ohnehin schon unter dem Zwang steht, Sparmaßnahmen zu setzen, leicht durchzusetzen.
Die Auswirkungen dieser Kürzungen im Kunstbetrieb werden gerade quer durch Europa sichtbar – Festivals mit eingeschränktem Programm, abgesagte Vorstellungen, gekürzte Tourneen, viele freie KunstproduzentInnen, die ihre Aktivitäten einstellen müssen, verunsicherte KünstlerInnen, die dennoch mit grimmiger Entschlossenheit weitermachen. Was dabei noch oft übersehen wird, sind die Auswirkungen auf zeitgenössische Produktionen. Dies schlägt sich auf EU-Ebene in dem Eindruck nieder, dass die künstlerischen Communitys trotz der massiven Einsparungen weiter produzieren: In einem Artikel, der vor Kurzem im britischen Guardian erschienen ist, schreibt Androulla Vassiliou, die EU Kommissarin für Kultur, gemeinsam mit Uffe Elbæk, dem dänischen Kulturminister: „Wir alle müssen Fähigkeiten ausbauen, über die Kunstschaffende bereits verfügen – aus weniger mehr zu machen und frische neue Perspektiven sowie aufregende innovative Verbindungen zu erkunden.“ (1) Mehr aus weniger machen – das ist nicht gerade das leidenschaftliche Bekenntnis, das von PolitikerInnen zurzeit erwartet wird.
Diejenigen, die noch in der Lage sind, neue Werke zu schaffen, sind schon zögerlicher, sind sich des Drucks stärker bewusst, etwas „Marktfähiges“ für ein zahlendes Publikum zu produzieren. Die Auswirkungen dieser Einstellung auf das kreative Potenzial der nächsten Generationen werden verheerend sein.
Eine systematische Studie über die Kürzungen der Kunstbudgets sowohl auf lokaler wie auch auf nationaler Ebene in der gesamten Europäischen Union ist dringend notwendig, um die anekdotischen und teilweise auf Gerüchten basierenden Daten zu ersetzen, die zur Zeit kursieren. Auch müssen die Folgen dieser Kürzungen in der institutionellen Landschaft abgebildet und die möglichen Auswirkungen auf die aktuelle und zukünftige Produktion beschrieben werden.
Angesichts der derzeitigen Lage auf nationaler Ebene und der Unfähigkeit der meisten KulturministerInnen, die hart erkämpften Budgets, die die Kunst und ihr Publikum unterstützen, zu erhalten, sinken die Hoffnungen, das Budget für „Creative Europe“ zu erhöhen. Denn dieselben KulturministerInnen, die auf nationaler Ebene einsparen, sind nicht nur dazu aufgerufen, das Programm zu erhalten, sondern auch der vorgeschlagenen Budgeterhöhung zuzustimmen. Der Großteil der nationalen Regierungen hat aber erklärt, die EU Budgets einzufrieren. Darüber hinaus ist eine Erhöhung des Kulturbudgets allein angesichts der Gesamtkürzungen auf nationaler Ebene politisch nicht umsetzbar – völlig ungeachtet wie gering die Summen auch sein mögen, um die es dabei geht.
Nun liegt es an den Europäischen Kunst-Communitys, aus den Erfahrungen der letzten Jahre zu lernen. Zu lernen, dass es aussichtslos ist, die Werte von Kunst und Kultur auf einer Basis, die von anderen vorgegeben wird, zu verteidigen. Das gilt beispielsweise für die Annahme, dass Kunst und Kultur rein auf der Basis ihres wirtschaftlichen Beitrags verteidigt werden sollten. Dabei wurde die wirkliche Rolle und der Wert, den die freie, zeitgenössische Kunstproduktion haben kann, grundlegend geschmälert: die Risikobereitschaft, die Vorstellungskraft und der experimentelle Mut, mit dem Kunst dazu beiträgt, unsere menschlichen Erfahrungswelten zu transformieren.
Ilona Kish war von 2003-2012 Generalsekretärin von Culture Action Europe, einer politischen Plattform für Kultur in Europa.
Fußnote
(1) www.euractiv.de/soziales-europa/artikel/kultur-und-krise-006015
Anmerkung
Unterstützung für die Kampagne we are more für ein höheres EU-Kulturbudget und eine andere EU-Kulturpolitik: www.wearemore.eu