Der Krieg ist vorbei.
Sarajevo. Muezzingesänge dringen von unten lauter auf die Hügel über der Stadt hinauf als der Autolärm. Ein Sieg der menschlichen Stimme über die Verbrennungsmotoren. Erfreulich, selbst wenn er nur mit Hilfe von Riesenverstärkern errungen wird und die Muezzinstimmen Konserven von der Kassette sein mögen.
Sarajevo. Muezzingesänge dringen von unten lauter auf die Hügel über der Stadt hinauf als der Autolärm. Ein Sieg der menschlichen Stimme über die Verbrennungsmotoren. Erfreulich, selbst wenn er nur mit Hilfe von Riesenverstärkern errungen wird und die Muezzinstimmen Konserven von der Kassette sein mögen. Von den ehemaligen Tschetnikstellungen aus schaut man hinunter auf die zerschossene Stadt, die augenlosen Hochhäuser. Den Blick von hier oben zu riskieren, ist immer noch etwas gefährlich. Einem Hirten, der seine Schafe und Ziegen zwischen verschimmelnden Sandsäcken und verbrannten Gemäuern weidet, sind schon fünf seiner Tiere von Minen zerfetzt worden. Aber die verminten Hügel seien nicht das Schlimmste, meint er. Das Schlimmste seien die vielen verminten Seelen.
Ein paar Hundert Kilometer nördlich kann man feststellen, dass die Entminung der Seelen Jahrzehnte dauern kann. In den Bergen über Bad Eisenkappel/ Zelezna Kapla an der kärntner-slowenischen Grenze befindet sich in einem einsam gelegenen Bergbauernhof das Pers`´manmuseum. Am 25. April 1945 wurden hier sieben Kinder und vier Erwachsene der Familie Sadovnik von einer SS-Einheit niedergemetzelt - als Vergeltungsaktion, weil die Sadovniks die PartisanInnen der Osvobodilna Fronta unterstützt hatten. Ein Verbrechen, das nie aufgeklärt und also auch nicht gesühnt wurde. Seit 1983 hat der Verband der Kärntner PartisanInnen (Zveza koroskih partizanov) hier ein Museum zum Gedenken an das Massaker und zur Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand in Österreich eingerichtet. Von deutschsprachigen MehrheitsösterreicherInnen wird es kaum besucht. BergsteigerInnen und TouristInnen laufen schwitzend am Museum vorbei, ohne auch nur das auffällige Denkmal zur Kenntnis zu nehmen.
Die Kupferplastik stellt zwei Partisanen und eine Partisanin in Manier des sozialistischen Realismus dar, mit Kalaschnikows, Axt und Handgranaten bewaffnet, eingefroren in einer pathetischer Bewegung, die gleichzeitig Flucht und Angriff ist. Das Denkmal stand ursprünglich nicht hier, sondern in St. Rupprecht bei Völkermarkt / Velikovec, wurde dort aber 1953 von Unbekannten weggesprengt. Die österreichischen Behörden errichteten an Stelle der mutig glänzenden KämpferInnen eine nichtssagende Gedenkschale. Die Erinnerung daran, dass es bewaffneten Widerstand - und zwar ziemlich erfolgreichen - gegen den Nationalsozialismus gab, wurde in die Abgeschiedenheit der fast ausschließlich von SlowenInnen bewohnten Bergregion verbannt. Tut sich ein viel zu großer Teil der Kärntner Bevölkerung bis heute schon schwer, die Verbrechen des Nationalsozialismus wahrzunehmen und die Verantwortung der eigenen Vorfahren dafür anzuerkennen, ist die Wahrnehmung, ja Anerkennung des PartisanInnenkampfes bis heute jenseits der slowenischen Minderheit ein absolutes Tabu.
Bei der Tranchierung des kakanischen Vielvölkerstaates in nationale Häppchen nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sich die Frage nach dem Verlauf der Grenzen, war doch ganz Südkärnten gemischtsprachiges Siedlungsgebiet. Während manche Slowenisch Sprechende nach Jugoslawien tendierten, fochten die deutschkärntner Abwehrkämpfer gegen jugoslawische Gebietsansprüche.
1920 wurde in einer Volksabstimmung über die Zukunft der mehrheitlich von Slowenisch Sprechenden besiedelten Gebiete südlich der Drau votiert. Auch viele Slowenisch Sprechende stimmten für einen Verbleib bei Österreich. Sie zogen dem nationalen Motiv das politische vor. Österreich war immerhin Republik, Slowenien hingegen Teil der SHS-Monarchie. Außerdem versprach ein Verbleib bei Österreich auch ökonomische Vorteile.
Eine Entscheidung, die die slowenischsprachigen Leute beim Anschluss 1938, spätestens aber nach der Kriegserklärung Nazideutschlands an Jugoslawien, bitter zu bereuen hatten. Das nationalsozialistische Regime verbot die slowenische Sprache, löste die slowenischen Verbände und Genossenschaften auf und begann mit der Eindeutschung Südkärntens durch die Verschleppung von hunderten slowenischen Familien in Zwangsarbeitslager in Deutschland, während auf ihren Höfen deutschsprachige SüdtirolerInnen aus dem Kanaltal angesiedelt wurden.
Im Gebiet von Zell Pfarre / Sele Fara, Bad Eisenkappel / Zelezna Kapla und Bleiburg / Pliberk gibt es kaum einen slowenischen Bauernhof, von dem nicht jemand ausgesiedelt, ins KZ verschleppt oder ermordet wurde. Slowenische Männer desertierten von der Wehrmacht und entschieden sich, ihr Leben lieber auf der Seite der PartisanInnen zu riskieren. Aber auch Frauen schlossen sich als Kämpferinnen und Kommissarinnen den Partisaneneinheiten an.
Waren es ursprünglich hauptsächlich Menschen slowenischer Muttersprache, gingen ab 1944 mehr und mehr österreichische Deserteure und AntifaschistInnen zu den PartisanInnen, so dass 1944 zwei eigene Bataillons nur mit Deutsch sprechenden ÖsterreicherInnen gegründet werden konnten. Auch geflüchtete oder von den PartisanInnen befreite Kriegsgefangene verschiedener Nationalitäten kämpften mit. Fast tausend Menschen fielen auf Seite der PartisanInnen, mehr als zweitausend Angehörige der Wehrmacht und von SS- sowie Gestapo-Einheiten verloren ihr Leben bei Gefechten mit und Überfällen der Osvobodilna Fronta.
Im österreichischen Staatsvertrag wurde der PartisanInnenkampf als eigenständiger Beitrag Österreichs zu seiner Befreiung vom Nationalsozialismus gewürdigt. Anerkennung, die opportun war, da sie als Argument diente, Österreich und die ÖsterreicherInnen als Opfer des Faschismus und nicht als MittäterInnen darzustellen. Dann allerdings wurden die PartisanInnen schnell vergessen und verdrängt, ja verfemt. (Wie ja auch die Befreiung vom Nationalsozialismus in Österreich für die Wenigsten ein Grund zum Feiern ist.) Erst mit dem EU-Beitritt Österreichs gab es endlich institutionelle Instanzen, zu deren Grundkonsens die Würdigung allen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gehört.
Zu den Jubiläen der Volksabstimmung - bei denen immer auch Nazis mitgefeiert werden, denn nicht wenige der AbwehrkämpferInnen von 1920 waren später mächtige RepräsentantInnen von "Kärntens brauner Elite" - erscheint Prominenz, die sich auf PartisanInnenfeiern nicht blicken läßt. Und nicht einmal bei den Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Nationalsozialismus wie etwa der nach fünfzigjährigem Totschweigen nun endlich jährlich stattfindenden Gedenkfeier am Loibl-KZ.
Im Schulunterricht ist weder von der Osvobodilna Fronta die Rede, noch von den österreichischen Bataillonen, den langen Wegen der jugendlichen KurierInnen durch die Berge, den Sabotageaktionen an kriegswichtigen Einrichtungen, noch von den Massakern auf dem Hojnikhof und auf dem Persmanhof. Die Kärntner PartisanInnen - zum großen Teil recht konservative, katholische Bauern und Bäuerinnen -, die pauschal als TitoistInnen und KommunistInnen abgetan und mit der Nachkriegspolitik der jugoslawischen KommunistInnen identifiziert werden, fanden bis heute keinen gebührenden Eingang in die österreichische Geschichtsschreibung. Die Menschen in Kärnten scheinen sich erstarrt wie ihre Denkmäler an den gleichen Fronten gegenüberzustehen wie 1945: "Deutsche" hier und "SlowenInnen" dort, die allerdings weder Deutsche noch Slowenen, sondern rechtlich völlig gleichgestellte ÖsterreicherInnen sind.
Die SiegerInnen von 1945 fanden sich bald als VerliererInnen wieder: viele "entnazifizierte" Nazis saßen bald wieder in Amt und Würden, Slowenisch zu sprechen galt als Makel, und um alle Minderheitenrechte wie zweisprachiges Schulwesen, zweisprachige Ortstafeln, zweisprachige Radios musste mühsam und jahrelang gekämpft werden.
Nicht wenige Slowenisch Sprechende haben sich im Laufe der Jahre auf die gemütlichere Seite geschlagen: Den Namen eingedeutscht, mit den Kindern Deutsch gesprochen, die Geschichte umgelesen.
Ein alter Mann, der Slowenisch spricht, sich aber nicht als Slowene bezeichnet, äußert die Meinung, die PartisanInnen seien an dem Massaker auf dem Persmanhof schuldig gewesen. Wenn sie dort nicht Unterschlupf gesucht und sich keine Gefechte mit den Nazis geliefert hätten, hätten die auch nicht die Familie Sadovnik ermordet. Auch eine Position der Gemütlichkeit: wer sich mit den Herrschenden nicht anlegt, hat es besser. Wer sich auf die Konfrontation einläßt, ist selber schuld, wenn er oder sie dann massakriert wird. Eine Position, die man unter verbrecherischen Herrschaftsverhältnissen als Mitläufertum und Sichmitschuldigmachen bezeichnet.
Sie erinnert mich an eine Sequenz aus dem sowjetischen Film "Der alltägliche Faschismus" von Michail Romm, einem Zusammenschnitt von Dokumentarmaterial aus dem Nationalsozialismus. Da gibt es eine Montage von Szenen mit gemütlich-schunkelnden feiernden Leuten daheim im Reich, unterbrochen durch Fotos aus den Brieftaschen von in sowjetische Kriegsgefangenschaft geratenen Wehrmachtsoldaten. Wohl als Trophäen hatten etliche deutsche Soldaten Bilder von Erschießungen, Hinrichtungen, Gehenkten und Massakern zwischen den Bildern von Braut und Eltern eingesteckt. Es ist eine Sequenz, die einem den Gebrauch des Wortes Gemütlichkeit gründlich verleidet, ja ein langanhaltendes Misstrauen gegen Zirbenstuben, Hüttenzauber, Volksmusik und allzu weiche Sitzkissen einflößt.
Unter den SlowenInnen war die Position des Sich-Gemütlich-Einrichtens im Schrecken allerdings eine Ausnahme: die meisten haben den Kampf der PartisanInnen unterstützt. Und es gab auch Übergriffe und Liquidationen von Seiten der Partisanen. "Haben wir vielleicht jemandem Unrecht zugefügt? Auch das ist vorgekommen. Der eifrige und arbeitssame Mäher beschädigt in der Hitze des Gefechtes ab und zu auch einen jungen schuldlosen Halm", schreibt PartisanInnenkommandant Karel Prusnik-Gasper. Was damit gemeint ist, wird bis heute nicht gerne erzählt. Die Defensive, in der sich die Minderheit befindet, erlaubt es nicht, auch die eigene Widerstandsgeschichte differenziert zu betrachten; einmal zu untersuchen, wo immer wieder nationales und politisches Selbstverständnis kollidierten; welche unterschiedlichen sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Verhältnisse da als Nationalitätenkonflikt codiert wurden; einen ehrlichen Blick auch auf die Geschichte der PartisanInnenkollegen in Jugoslawien zu werfen. Vielleicht auch im Austausch mit ex-jugoslawischen Menschen?
Der alte Slowene spricht weiter: Die Deutschen seien ordentliche Leute, die Jugoslawen würden nur feiern und sich ständig hauen. Damit enthüllt er vermutlich die Wurzeln der österreichischen Geschichtslücke in puncto Partisanen: einen tief verwurzelten Antislawismus. Der ist allerdings keine Spezialität von DeutschkärntnerInnen mit slowenischen Familiennamen. Er ist wohl in ganz Österreich ein wesentlicher Faktor von Xenophobie und rechtsextremen Anschauungen. Den abzubauen helfen künstlerische Aktionen wie die von Ines Doujak, die letztes Jahr auf der Ausstellung "Erlauf erinnert sich" in Niederösterreich die Situation der Kärntner SlowenInnen zum Thema machte und einen "Kärntner Heimatabend" veranstaltete. Auch im "Cafe Druzba" in Weitersfelden / Harrachstal beim heurigen Festival der Regionen gibt es von 23. bis 30. Juni die Chance zur Erprobung von Slawophilie. Und die Region Südkärnten lädt zur gleichen Zeit zum alljährlichen internationalen Treffen des österreichischen Widerstandes ein. Am Sonntag, den 24. Juni 2001 am Museum Persmanhof bei Bad Eisenkappel / Zelezna Kapla wird der Sieg über den Nationalsozialismus und das Ende des Zweiten Weltkrieges gefeiert, der nun auch in Kärnten bald einmal vorbei sein sollte.
Mir in prijateljstvo!
Tina Leisch ist Text- und Filmarbeiterin, lebt in Zelezna Kapla.