Die Plataforma de Afectados por la Hipoteca
Kämpfe um soziale Reproduktion und kollektive Für-/Sorge.
Die Plattform der Opfer von Hypotheken ist eine der stärksten sozialen Bewegungen im gegenwärtigen Spanien. Aufbauend auf Netzwerken gegenseitiger Unterstützung und überregionalen Kampagnen kämpft sie für fairen Zugang zu Wohnraum, für soziale Mieten und Gerechtigkeit im Wohngesetz.
Hintergrund
Die Plataforma de Afectados por la Hipoteca (PAH) entstand 2009 in Barcelona aus verschiedenen Wohnraum-bezogenen Kämpfen und Bewegungen wie zum Beispiel V de vivienda, einer Bewegung, die 2007 mit dem Slogan „Du wirst in deinem verdammten Leben kein Haus haben“ tausende Menschen auf die Straße brachte. Ein winziges Kontingent an Sozialbauwohnungen, stark steigende Mieten und intensive Werbung für Billighypotheken haben im letzten Jahrzehnt dazu geführt, dass 80 Prozent der spanischen Bevölkerung Immobilien gekauft haben. Zu einer wachsenden Immobilienblase, die auf intensiver Spekulation und Privatverschuldung aufbaute, kam 2008 die globale Finanzkrise, mit der die Blase platzte und das Land in eine Spirale der Austeritätspolitik und Arbeitslosigkeit zog. Viele können nun ihre Hypotheken nicht mehr zurückzahlen: Seit 2008 wurden 400.000 Menschen die Hypotheken gekündigt, täglich werden circa 115 Wohnungen zwangsgeräumt.
Der Hintergrund ist ein komplexer: Schlüsselfaktor der tragischen Situation rund um Häuser und Hypotheken in Spanien ist ein altes Gesetz, das klar die Banken und Eliten bevorzugt. Dieses verpflichtet insolvente HausbesitzerInnen nicht nur dazu, ihr Wohneigentum zu räumen, sondern auch den Rest ihrer Hypothek an die Bank weiterzuzahlen. So werden tausende von Familien in die Armut und Verzweiflung getrieben: Im Angesicht des Gerichtsvollzugs und der Zwangsräumung haben sich so seit 2008 mehr als 20 Menschen das Leben genommen.
Arbeitsfelder und -formen
Die PAH setzt also als basisdemokratische Bewegung an mehreren Punkten an. Einerseits hilft sie, Zwangsräumungen zu verhindern, gibt insolventen Menschen rechtliche sowie emotionale Unterstützung und organisiert seit einem Jahr auch Relogierungsprojekte für obdachlos gewordene Personen (davon sind momentan in Spanien mindestens 23.000 Menschen betroffen) (1).
Die PAH baut auf lokalen Versammlungen auf und wirkt stärkend auf den Zusammenhalt und die Solidarität in Städten, Stadtvierteln und Dörfern. Sie schafft Netzwerke gegenseitiger Unterstützung und betreibt intensive Community-Arbeit, in der selbstorganisierter Wissenstransfer zu rechtlichen Grundlagen und Möglichkeiten des Widerstands eine große Rolle spielt.
Andererseits führt die PAH überregionale Kampagnen rund um die Änderung des Immobiliengesetzes durch. Sie forderte von Beginn an eine sogenannte „Dación en Pago“, die insolvente SchuldnerInnen vor weiterer Ausbeutung durch Banken schützt, indem die Hypothek durch die Übereignung des Wohneigentums abgegolten wird. Seit 2009 versucht die PAH über verschiedene Wege, auf lokaler Ebene rechtlich zu intervenieren – Lobbying bei BürgermeisterInnen und Abgeordneten, Organisieren von Protesten und Petitionen etc. –, um das Gesetz zu ändern.
An Unterstützung aus der Gesellschaft fehlt es der Bewegung dabei nicht: Als die PAH 2012 über ein Volksbegehren eine Gesetzesinitiative in das Parlament einbrachte, konnte sie statt der nötigen 500.000 Unterschriften gleich eineinhalb Millionen sammeln. Nichtsdestotrotz wurde die Debatte im Parlament schnell und lieblos abgehandelt, die regierende konservative Partei reagierte im Frühjahr 2013 mit Ohrenzuhalten – zu einem Zeitpunkt, als gleichzeitig der Europäische Gerichtshof entschied, dass das spanische Hypothekengesetz dem EU-Recht widerspreche (2).
So geht es hier also um eine sehr breite und starke Bewegung, die auf gesetzlicher und medialer Ebene verschiedenste Etappen durchlaufen hat und sehr sichtbar ist (3). Die Hauptsprecherin der PAH, Ada Colau, ist täglich in den Medien sowie auch auf Demonstrationen präsent. 2013 nahm sie für die PAH den spanischen Preis für Menschenrechte entgegen, und inzwischen wagt es kein/e PolitikerIn mehr, ihrem Hauptargument zur Gesetzesänderung offen zu widersprechen. Es geht hart auf hart in Spanien, und die sozialen Kämpfe setzen sich zunehmend mit demokratischen Mechanismen auseinander, da sich diese im Zuge der Krise als stark verbesserungswürdig herausgestellt haben: Von rechtlichen Kämpfen bis hin zu alternativen Parteimodellen und dem Aufruf zur Änderung der Verfassung gibt es viele Initiativen.
Die PAH ist nicht nur interessant, weil sie die verschiedenen Ebenen von der grassroots-Selbstorganisierung bis hin zu Parlaments- und Mediendebatten im Griff hat und durch ihren Fokus auf Ermächtigung durch Wissen und kollektives Fordern in einem soliden Wachstum begriffen ist. Sie ist auch auf mikropolitischer Ebene innovativ, im Aktivieren verschiedener Formen gegenseitiger Unterstützung und gemeinsamen Kämpfens: Es geht hier dezidiert auch um emotionelle Unterstützung und zunehmend um die Prävention von Suiziden. Das PAH-Netzwerk besteht aus mehr als 170 lokalen autonomen Initiativen, die in Kommunikation mit der weiteren Bewegung je ihr eigenes Terrain, ihre Sprache und Aktionsformen entwickeln. Im Folgenden findet sich eine kurze Zusammenfassung von drei Kampagnen der PAH.
Kampagnen
Zwangsräumungen verhindern: Mit ihrer Stop-Desahucios-Kampagne hat die PAH bis dato ca. 730 Zwangsräumungen verhindert. Infolge von Aufrufen über soziale digitale und lokale Netzwerke sammeln sich Menschen vor einer Wohnung, die geräumt werden soll, und blockieren den VollzieherInnen den Zugang. Heiße Debatten entstehen mit der Polizei und Amtsbeauftragten, NachbarInnen und ArbeitskollegInnen setzen sich für eine Person oder Familie ein und verzögern so die Räumung.
Relogierung und Community Work: 2013 ist die Relogierungs- und Community-Work-Kampagne der PAH angelaufen. Die PAH hat bis dato um die 13 leerstehende Häuserblöcke kollektiv übernommen – was als legitime Wiederaneignung und nicht als illegale Besetzung zu verstehen sei – und so 712 Menschen wieder ein Heim verschafft. Am stärksten ist diese Kampagne in und um Barcelona, wo sie auch entstanden ist. Dort befinden sich auch die meisten neu eröffneten Sozialbauten der PAH. Bei 3,5 Millionen leerstehenden Wohnungen (4) (großteils im Besitz von Banken) und Unmengen wohnungsloser Menschen in Spanien hat diese Methode viel Potenzial zur Ausbreitung, als solche stellt sie auch eine starke Bedrohung des Status Quo dar: Denn am gefährlichsten sind solidarische Gemeinschaften mit starker lokaler Verwurzelung sowie translokaler Vernetzung. Die Produktion neoliberaler, wettbewerbsorientierter und staatsgläubiger
Subjektivität wackelt einigermaßen in Anbetracht von endlosen Korruptionsskandalen und 26,3 Prozent Arbeitslosigkeit (bzw. 56,1 Prozent bei Jugendlichen). Der Produktion von Angst und der Repression stellt sich die PAH klar entgegen. Letztere bleibt bei den Hauswiederaneignungen nicht aus, und die PAH begegnet ihr mit kollektiver Kraft und Verhandlungsmut.
Escraches: Im Zuge des Volksbegehrens brachte die PAH ein weiteres Instrument zum Einsatz, das offenlegen sollte, welche PolitikerInnen im Parlament gegen die Gesetzesänderung abstimmen würden. So adaptierte die Bewegung das Modell des Escrache, mit dem in Argentinien zum Beispiel auf unbehelligt von Strafverfolgung lebende TäterInnen des Genozids der letzten Militärdiktatur aufmerksam gemacht und eine rechtliche Anklage eingefordert wird. Ein Escrache ist eine kleine laute Kundgebung vor dem Arbeitsplatz oder Wohnsitz einer korrupt, antidemokratisch oder antisozial handelnden Person. Es gefiel den machthabenden PolitikerInnen natürlich nicht, von der PAH so herausgefordert zu werden: Anstatt anzugeben, ob sie mit „Ja“ oder „Nein“ bei der Gesetzesänderung stimmen würden, versuchten sie, die Escraches zu skandalisieren: „Schließlich haben Abgeordnete Kinder, die in so einer Situation Angst bekommen können.“ Von den abertausenden Kindern, die von PolizistInnen oder GerichtsvollzieherInnen aus ihrem Zuhause geschleppt werden, war natürlich keine Rede. Den Kampf um die Definition von „Gewalt“ haben die Regierenden aber höchstens gesetzlich gewonnen, nicht argumentativ.
Soziale Reproduktion als Kampffeld, gemeinsame Unterstützung als Methode
Wie auch zunehmend auch in anderen europäischen Städten geht es hier um eine Bewegung, die sich direkt Fragen und Situationen rund um den Erhalt des alltäglichen und gemeinschaftlichen Lebens widmet. Es geht nicht nur um soziale Reproduktion im Sinne von Wohnen, sondern auch um neue Formen von kollektivem „Care“, durch die starke soziale Zusammenhänge und -halte entstehen. Die PAH zeigt, wie auf einer lokalen Ebene kollektive Kraft und Handlungsfähigkeit geschaffen werden können. Hier ist wichtig, dass kollektives Anfechten und Verteidigen mit dem Schaffen neuer Infrastrukturen und Unterstützungsstrukturen einhergeht, die das Aufrechterhalten des täglichen Lebens (und Kämpfens) erleichtern. Dieser Ansatz des Sich-kollektiv-selbst-Reproduzierens ist ein Schlüssel im Kampf gegen den gegenwärtigen Impasse der Individualisierung und Verarmung. Und die gegenseitige Unterstützung ist Gegengift zu den scham- und schuldeinflößenden Subjektivierungsformen der privaten Verschuldung.
Die Dringlichkeit peripher-europäischer Situationen und Kämpfe mag in Österreich schwer vorstellbar sein, weil Themen des sozialen Überlebens und Zusammenlebens hier eher subkulturell-marginal oder sozialdemokratisch abgehandelt werden. Die Krise wird aber auch hierzulande in irgendeiner Form ankommen, nicht nur in Form billiger euro-migrantischer Arbeitskräfte. Dass auch ohne Schuldenkrise im Norden die Mieten steigen, Zwangsräumungen stattfinden und Prekarisierung fortschreitet, ist zunehmend sichtbar. Schließlich ist die „Krise“ weder ein naturgegebenes Ereignis noch ein kurzer Ausrutscher, der mit ein bisschen Sparen in den Griff zu bekommen ist. Sie ist eine Krise der Reproduktion des westlichen Kapitalismus, in der in Europa Löhne heruntergedrückt werden müssen, um neue Wettbewerbsfähigkeit mit den aufsteigenden Industrieländern zu schaffen. Das heißt, das tägliche Leben muss prekärer, die Menschen müssen zu mehr bereit und mit weniger zufrieden gemacht werden. Wenn man das nicht zynisch als eine Art Ausgleich sehen will, in dem es global allen (außer natürlich den Eliten und Managerklassen!) zunehmend schlecht gehen soll, muss man sich für neue transnationale soziale Rechte einsetzen. Dass der Sozialstaat da als solcher nicht wieder zurückzuholen ist, wird als Herausforderung gelten müssen, um neue Fragen aufzuwerfen und zeitgemäße kollektive Formen der sozialen Reproduktion anzugehen.
Manuela Zechner macht Kulturarbeit und forscht zu sozialen Bewegungen, kollektiven Prozessen und Care. Sie lebt in Wien und ist oft in London und Spanien.
Anmerkung
Eine detaillierte englische Version dieses Texts ist hier zu finden: http://radicalcollectivecare.blogspot.co.at/2013/08/the-plataforma-de-afectados-por-la.html#more
Fußnoten
(1) El Diario Zeitung, 26.05.2013: Más personas sin hogar http://www.eldiario.es/desalambre/blog/pobreza-mendicidad-crisis-voluntariado-ONG_6_135846424.html
(2) taz. Die tageszeitung, 14.03.2013: Zu Unrecht geräumt http://www.taz.de/!112842/
(3) Eine Meinungsumfrage zur legislativen Initiative zeigte 2013, dass 90 Prozent der Befragten für die Gesetzesänderung der PAH sind. http://politica.elpais.com/politica/2013/02/16/actualidad/1361053281_008924.html
(4) Publico Zeitung, 18.04.2013: España tiene 3,4 millones de viviendas vacías http://www.publico.es/dinero/453921/espana-tiene-3-4-millones-de-viviendas-vacias