Freie Musik? Netlabels und die Krise der Musikindustrie.
Netlabels schaffen neue, größere Öffentlichkeiten und können sich so als effektiver Weg erweisen, Künstler bekannt zu machen. Darüber hinaus sind die anfallenden Kosten sehr viel niedriger, weshalb sehr viel mehr Musik veröffentlicht werden kann. Dies führt aber nicht einfach zu einer Schwemme von schlechter Musik, sondern zu einer ungeheuren Befruchtung innerhalb der Szene, in der mehr Austausch denn je zwischen Musikern stattfinden kann.
Die Krise der Musikindustrie ist in aller Munde. Peer-to-peer (p2p) filesharing hat deutlich gemacht, dass Musik außerhalb der traditionellen Kanäle höchst effizient vertrieben werden kann. Die etablierte Industrie, allen voran die an Großkonzerne angeschlossenen Labels, reagieren mit Panik und fordern neue Gesetze und drastische Strafmaßnahmen, um ihre bisherige zentrale Rolle bewahren zu können und um neue, auf Digital Restrictions Management (DRM) basierende Vertriebskanäle aufzubauen. Um diesem Druck auszuweichen, entstehen immer neue semi-legale Netzwerke, die bewusst konstruiert sind, um die Strafverfolgung zu erschweren. Dieses Katz-und-Maus-Spiel findet großen Widerhall in den Medien. Im Schatten dieser großen Auseinandersetzung hat sich in den letzten Jahren eine sehr lebhafte Szene neuer Musikproduzenten entwickelt, die neue Wege erproben – die Netlabels. Dies sind Musiklabels, die aus der Entwicklung der Tonträger unter anderem den entscheidenden Schluss gezogen haben, dass Vinyl, insbesondere aber auch CD’s schon jetzt als Auslaufmodelle bzw. als anachronistische Speichermedien zu betrachten sind. Alle Industrieprognosen weisen darauf hin, dass neue Formen von Datenträgern die Kapazitäten von vielen hundert Langspielplatten fassen werden. Die Entwicklung der elektronischen Netze tut dabei ihr Übriges. Somit liegt vor allem in der Distribution über Download-Verfahren die eigentliche Zukunft (der gegenwärtige Hype um Apple’s i-Tunes ist bereits ein stichhaltiger Hinweis für diesen Trend). Demzufolge stellen Netzlabels ihre Werke in erster Linie als Dateien online zur Verfügung. Die überwiegende Mehrheit der auf diese Weise veröffentlichten Tracks steht unter einer CC Lizenz. Die meisten Netlabels bedienen relativ kleine, spezialisierte Nischen, etwa Techno, Drum’n’Bass, oder andere Genres der Elektronikmusik. Diese Schwerpunktsetzung erklärt sich vielfach aus dem soziokulturellen Hintergrund, insofern deren Szenen in den späten 80er und frühen 90er Jahre durchaus kulturelle Gegenentwürfe verfolgten, die auch tatsächlich sehr oft als rebellische Ausdrucksformen mit Politik und Mainstream- Medien in Konflikt geraten sind. Die Auflehnung dieser Genres wandte sich vor allem gegen das Einengen von Zugängen zu Distributionskanälen, das gleichsam als Sinnbild für eine allgemeine Beschränkung der freien Ausdrucksmöglichkeiten in der Gesellschaft gelesen wurde.
Vor- und Nachteile
In diesen Nischen, die bisher Tonträger in einer Auflage von wenigen tausend Stück produzierten, bieten die neuen Modelle, so der Netlabel Pionier Björn Hartmann (textone.org), drei Vorteile: Promotion, Community und Nachhaltigkeit. Die meisten Musiker außerhalb des Radiomainstreams beziehen ihr Einkommen nicht, oder nur zu einem kleinen Teil, vom Verkauf von Tonträgern, sondern von Gagen für Live-Auftritte in Clubs. Für elektronische Musik bedeutet das DJing. Die Veröffentlichungen dienen in erster Linie dazu, sich einen Namen in der relevanten Szene aufzubauen und damit an Auftritte zu kommen. Durch den freien Vertrieb ist es sehr viel einfacher, ein Publikum zu erreichen, weil die Vertriebsmöglichkeiten des Internets denen der spezialisierten Musikläden weit überlegen sind. Netlabels schaffen neue, größere Öffentlichkeiten und können sich so als effektiver Weg erweisen, Künstler bekannt zu machen. Darüber hinaus sind die anfallenden Kosten sehr viel niedriger, weshalb sehr viel mehr Musik veröffentlicht werden kann. Dies führt aber nicht einfach zu einer Schwemme von schlechter Musik, sondern zu einer ungeheuren Befruchtung innerhalb der Szene, in der mehr Austausch denn je zwischen Musikern stattfinden kann. Die Beschränkungen der so genannten Aufmerksamkeitsökonomie (es gibt von allem mehr, als man sich je anhören könnte) führen dazu, dass weniger gute Musik schnell vergessen wird. Die Musik, die den Nerv der Community trifft, kann sich dafür ungehindert ausbreiten. Wie genau der Austausch zwischen den Musikern gestaltet werden soll, ist innerhalb der Kulturszene, ebenso wie in der weiteren kulturellen Praxis, durchaus umstritten. Da die Reputation, die mittels Songs (oder eines anderen Kunstwerks) erarbeitet wird, der zentrale Baustein der künstlerischen Karriere ist, stehen viele Autoren der Weiterverwendung ihrer Werke mit sehr gemischten Gefühlen gegenüber. Den eigenen Song in einem schlechten Remix vertrieben zu sehen, ist nicht unbedingt im Interesse des Künstlers. Deshalb verwenden die meisten Netzlabels Lizenzen, die keine Weiterbearbeitung der Stücke erlauben. Kooperative Musik-Communities, etwa die Plattform opsound.org, sind noch in den Anfängen und werden es wohl schwerer haben, sich zu etablieren, als etwa die Wikipedia, deren Realisierung Zusammenarbeit unausweichlich macht. Es gibt aber auch prominente Bespiele offener Kollaboration. Rap-Superstar Jay’Z etwa gab die A-Capella-Version seines Black Album zur freien Bearbeitung frei. Einige der Bearbeitungen, allen voran das Grey Album von DJ Dangermouse, ein Remix mit dem White Album der Beatles, haben ihrerseits weltweiten Kultstatus erreicht. Aber auch wenn solche Experimente (noch) die Ausnahme sind, und in der Regel kein direktes Remixing der Songs erlaubt ist, die einfache Verfügbarkeit hochindividueller Musik stärkt dennoch die konnektive Kreativität und fördert die Community als Ganzes. Der dritte Punkt, in dem die neuen Modelle Vorteile bieten, ist die Möglichkeit, die Musik langfristig verfügbar zu halten. Die Verfügbarkeit von Musik (oder anderen Werken), die in Kleinstauflagen produziert werden, ist von Anfang an gering. Sie nimmt aber mit der Zeit noch weiter ab, nicht nur, weil die Auflagen vielleicht vergriffen sind und das Geld fehlt, sie nachpressen zu lassen, sondern weil die Labels, die sie veröffentlichen, oftmals selbst kurzlebig sind und verschwinden. Wenn nun die Rechte beim Label liegen (das es in ein paar Jahren vielleicht nicht mehr gibt), und es nicht möglich ist, herauszufinden, welcher Musiker hinter einem Pseudonym steckt (oder falls er gestorben ist, wer sein Rechtsnachfolger ist), so ist es faktisch unmöglich, das Werk in irgendeiner Weise wieder verfügbar zu machen. Es ist keine seltene Situation, dass ein Werk aufgrund der Unklärbarkeit des Rechtsanspruchs der Öffentlichkeit verloren geht, was allen zum Nachteil gereicht. Die Verwendung offener Lizenzen garantiert nun, dass Werke langfristig verfügbar bleiben, nicht zuletzt weil Organisationen wie das Internet Archiv (archive.org), dauerhaften Speicherplatz für freie Werke anbieten können. Somit entsteht ein stetig wachsender Fundus, aus dem zukünftige Produzenten Material, oder zumindest Inspiration beziehen können. Noch sind diese Modelle auf relativ kleine Nischen beschränkt, aber es bildet sich hier ein Erfahrungsschatz neuer, offener Wissens- und Kulturproduktion. Es hat sich bereits herauskristallisiert, dass für die Produzenten die Community-Orientierung ganz wesentlich ist, während auf der Seite der ökonomischen Verwertung nicht-kopierbare Leistungen (etwa Live- Performances) im Vordergrund stehen. Das Element, das beide Aspekte miteinander verbindet, ist die Reputation des Kulturschaffenden, die durch den freien Zugang zu den Werken nur gefördert werden kann.
Probleme und Potentiale
Netlabels sind heute noch auf Nischen beschränkt. Ob und wie diese Modelle auch den Mainstream erreichen können, ist noch völlig offen. Vielleicht nie. Möglich wäre es, dass sich zwei Sphären herausbilden: die eine wird durch DRM und die Marktmacht der großen Firmen bestimmt, die andere durch offene Modelle, Nischen und Spezialisierung. Eine solche Situation würde im Wesentlichen die heute bestehende Aufteilung zwischen massenmarkt-orientierten Majors und nischen- und experiment-orientierten Independents replizieren, allerdings mit wesentlich besserer Zugänglichkeit für die Indies. Inwieweit diese beiden Modelle auf derselben rechtlichen und infrastrukturellen Grundlage existieren können, ist aber noch völlig offen. Das ist aber nicht alles. Für Musiker, deren Werke sich nicht zur Live Performance eignen, bergen die offenen Modelle auch einige Risiken. Bisher hat ihnen der Verkauf der Werke eine gewisse Autonomie gegenüber Auftraggebern und Förderungskommissionen gesichert. Diese könnte nun wegfallen. Die Autonomie aufzugeben und neue Finanzierungsmodelle zu suchen, stellt aber die Position des Künstlers, paradoxerweise besonders auch im Hinblick auf künstlerische Freiheiten, grundsätzlich in Frage. Ein Versuch, das Problem der Vergütung kultureller Produzenten bei freiem Austausch kultureller Güter grundsätzlich anzugehen, ist die so genannte Kulturflatrate. Die wesentliche Idee ist, Urheber, deren Werke über das Internet verteilt werden, indirekt zu entschädigen. Anstatt auf DRM-gestützte pay-per-use Modelle durchzusetzen, sollte eine pauschale Abgabe etwa auf den Breitband- Internetzugang erhoben werden. Aus dem so entstehenden Topf könnten dann die Urheber gemäß der Benutzung ihrer Werke durch die Öffentlichkeit entschädigt werden. Ähnliche Systeme bestehen heute bereits. So wird auf so genannte Leermedien (Blank CD’s, Tapes etc.) eine Abgabe erhoben, die dann durch die Verwertungsgesellschaften (etwa Austro Mechana oder AKM) an die Urheber weitergereicht wird. Dieses indirekte System ist in der heutigen Praxis allerdings mit einigen Problemen behaftet (mangelnde Transparenz, Fragen der Verteilungsgerechtigkeit) und die Ausweitung eines verbesserten Systems auf das Internet könnte nur mit sehr starkem politischen Willen geschehen. Dieser besteht im Moment weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene.
Ausblicke
Während die gesellschaftspolitische Diskussion etwas an Schwung verloren hat, ist auf der kommerziellen Seite einiges in Bewegung geraten und erste offizielle, lizenzierte p2p Anbieter (etwa Snocap.com) sind hervorgetreten. Sie versprechen, die technische Effizienz des p2p Vertriebs mit einem legalen Geschäftsmodell zu verbinden. Die Majors haben darauf sehr positiv reagiert. Inwieweit diese Modelle auch für kleinere Anbieter interessant sind, ist aber noch offen. All diese Schwierigkeiten bergen aber auch kreatives Potential, solange sich die rechtlichen und technologischen Rahmenbedingungen nicht deutlich verschlechtern. Jetzt, da es trivial ist, perfekte Kopien herzustellen und diese weltweit zu vertreiben, gibt es keine normative Rechtfertigung mehr, Menschen den Zugang zu Wissen, Information und Kultur zu verwehren. Die Nachfrage besteht. Der Vertrieb stellt keine Hürde mehr dar. Was neu organisiert werden muss, ist die Produktion der, ersten Kopie. Für individuelle Kulturschaffende stellt die Möglichkeit, ein weltweites Publikum zu erreichen, ohne sich ins Anforderungskorsett globaler Verwerter zwängen zu müssen, eine Bereicherung dar, die weit größer ist als die Risiken und offenen Fragen, die sich aus den neuen Modellen ergeben.
Literatur
Felix Stalder: „Neue Formen der Öffentlichkeit und kulturellen Innovation zwischen Copyleft, Creative Commons und Public Domain.“ in: Jeanette Hofman (Hrsg.) „Wissen und Eigentum“. Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin 2006
Gemeinsam mit dem mica (music information center austria) startet Netbase am 15. Dezember 2005 eine vierteilige Diskussionsreihe zum Thema Netlabels.
Ausführliche Informationen unter: Netbase
Konrad Becker ist Leiter der Wiener Medienkultur- Institution Netbase.
Felix Stalder ist Soziologe, Medienwissenschafter und Mitbegründer des Open Source-Netzwerks Openflows.