„Lost in Translation“
Lost in Translation, so könnten wir dieses Gespräch betiteln. Es zeigt die Unmöglichkeit des Übersetzens von Lebenslagen, obwohl sie zugleich in Beziehung zueinander stehen. Denn allein in unserer Begegnung zeigen sich unterschiedliche Akzente und Formen des Spanischen, die nicht auf eine einzige Formation des Spanischen eingeebnet werden können.
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der Artikulation von Gemeinsamkeiten in transkulturellen Begegnungen. Ich setze den Fokus auf die Begegnung zwischen mir als Forscherin und den Forschungsteilnehmerinnen in meinem Forschungsprojekt zur affektiven Beziehung zwischen Hausarbeiterinnen und ihre ArbeitgeberInnen. Ich beginne mit einem Ausschnitt eines Gespräches, das 2004 mit Teilnehmerinnen der politischen Unterstützerinnen- und Hausarbeiterinnen-Gruppe Respekt in Berlin stattfand. Meine Gesprächspartnerinnen sind Paty aus Santiago de Chile, die 2005 nach Chile zurückkehrte, und Carla aus Otavalo in Ecuador. Beide arbeiteten zu diesem Zeitpunkt als Hausarbeiterinnen und lebten ohne Aufenthaltsberechtigung in der Bundesrepublik. Ich arbeitete zu diesem Zeitpunkt an der Universität Hamburg als wissenschaftliche Assistentin. Zu Beginn des Gesprächs führe ich meine eigene Lebensgeschichte ein, um meinen eigenen biographischen Zugang zu dem Thema zu vermitteln.
Encarnación: Schon seit den 1990er Jahren, die Spanier, die heute hier leben, erfahren diesen Rassismus nicht mehr, aber damals [ich meine die 1970er Jahre]: Ah, du bist ein Ausländerkind, stinkst, stinkst nach Knoblauch und immer beschimpften sie dich, du trafst Lehrer, die dich ablehnten, weil du kein Deutsch konntest, dann gab es so eine Form von Rassismus … und das prägt dich bis zum Erwachsenenalter. Denn du bist in einem Land und du möchtest nicht hier sein, du bist mit deinen Eltern, und das ist anders, weil du nicht Teil der Gesellschaft bist, und vorher (in Spanien) warst du es.
Carla: Entschuldigen Sie, das geschieht auch in deinem eigenen Land, wenn wir aus verschiedenen Kulturen sind, denn dies ist auch mir passiert. Ich bin aus einer anderen Kultur und ich sprach früher eine andere Sprache. Meine Mutter sprach eine andere Sprache und ich sprach früher ihre Sprache. Ich fing an, in die Schule zu gehen, als ich noch die Sprache meiner Mutter sprach, und lernte dann in der Schule Spanisch, als ich sechs war, ich konnte kein Spanisch. Es passiert nicht nur, wenn jemand aus einem anderen Land ist, es passiert auch in demselben Land.
Paty: In Lateinamerika im Allgemeinen passiert dies, der Rassismus ist stark gegen die indigene und die schwarze Bevölkerung.
Encarnación: Ja, und in Spanien auch, wenn du Baskin oder Katalanin bist, konntest du in der Zeit des Frankismus, konntest du die Sprachen nicht sprechen, und du musstest Spanisch lernen.
Carla: Und wie sagte man in unserem Land: sie sind weiß. Wenn du ein Indio bist: dann bist du eine India, die stinkt, all dies, und wenn du ein Mädchen bist, dann prägt dich das, und das prägt mich noch bis heute hin.
Lost in Translation, so könnten wir dieses Gespräch betiteln. Es zeigt die Unmöglichkeit des Übersetzens von Lebenslagen, obwohl sie zugleich in Beziehung zueinander stehen. Denn allein in unserer Begegnung zeigen sich unterschiedliche Akzente und Formen des Spanischen, die nicht auf eine einzige Formation des Spanischen eingeebnet werden können. Sie reflektieren die unterschiedlichen Standorte unseres Sprechens. So kann die hier geschilderte Situation entstehen, dass unterschiedliche Biographien in Berlin aufeinander treffen und über gemeinsame Nenner wie „Sprache“, „Migrationserfahrung“, „Frau“ ins Gespräch kommen. Gemeinsamkeiten werden ausgemacht, die jedoch bei genauem Hinsehen auf soziale Ungleichheiten und somit Differenzen verweisen.
Wenn wir von einer Gemeinsamkeit wie z.B. der spanischen Sprache ausgehen, so impliziert dies zwar eine mögliche Verständigung, doch ist die Wahrnehmung unserer Differenzen in dieser Verständigung nicht gegeben. Die Vermittlung oder der Versuch, sich verständlich zu machen, wenn man sich diese Positionalitäten vergegenwärtigt, erfordert keine linguistische oder wörtliche Übersetzung, sondern eine, die die politisch-kulturelle Dimension des Übersetzens selbst als Werkzeug der Verständigung und zugleich als Unmöglichkeit der Verständigung anerkennt. Denn die Frage, die sich in der Begegnung zwischen mir und Carla sowie Paty stellt, ist: Wie ist mein Hintergrund bzw. der meiner Eltern in denjenigen von Carla und Paty übersetzbar? Wie lassen sich die Erfahrungen meiner Eltern als „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik und jene von Carla und Paty, die ohne Papiere in Berlin leben und unter vollkommen entrechteten Arbeitsbedingungen als Hausarbeiterinnen arbeiten, ineinander übersetzen?
Paty und Carla sind nicht angeworben worden, sondern sie mussten einen klandestinen Weg nach Deutschland finden, da die offiziellen Tore für sie geschlossen sind, während die privaten Wohnungstüren von Haushalten, die ihre Hilfe und Sorge für ihren Haushalt benötigen, weit offen stehen. Paty und Carla haben mir von der sexistischen und rassistischen Alltagsgewalt und der Polizeigewalt erzählt, die ihren Alltag in der Bundesrepublik ausmachen. Wie also ihre Erfahrung in die meiner Eltern übersetzen? Meiner Eltern, die in Baracken untergebracht waren, die mit den unmenschlichen Bedingungen der Fabrikarbeit kämpfen mussten, die mit den Schwierigkeiten, ihre Familien nachzuholen, leben mussten. Immerhin, sie sind noch in Deutschland, und Spanien ist wieder ein „globaler Player“ im Rahmenwerk der internationalen Wirtschaft und des globalen Regierens. Paty musste nach Chile zurückkehren. Das Leben in der Bundesrepublik war anstrengend und den Kampf um Arbeitsrechte für Hausarbeiterinnen und einen legalen Aufenthaltsstatus, den sie mit geleitet hatte, wollte sie in Chile weiter führen. Andere sind krank geworden von einem körperlich und seelisch zermürbenden Alltag.
Der Überschuss, der in der Verfehlung einer Übersetzung, in der Unübersetzbarkeit von Gegensätzen liegt, könnte im Sinne einer von dem lateinamerikanischen Kulturtheoretiker Alberto Moreiras vorgeschlagenen Bezeichnung als „kompromisslose Transkulturalität“ begriffen werden. In der „kompromisslosen Transkulturalität“ verlässt das Projekt des Übersetzens die binäre Logik von Original und Kopie. Die Tätigkeit des Übersetzers fängt also, wie Gayatri Chakravorty Spivak meint, dort an, wo die Grenzen der Verständlichkeit offenbar werden.
Fernando Ortiz schuf den Neologismus transculturación (Transkulturation) in den 1940er Jahren im kubanischen Kontext. Er formulierte hiermit eine Kritik an einem bestimmten Strang der US-amerikanischen Anthropologie und deren Konzepten des „kulturellen Kontakts“ und der „Akkulturation“. Ortiz kritisierte an diesen Konzepten die Annahme von verschiedenen kulturellen Einheiten, deren Begegnung für die als minoritär erachteten kulturellen Artikulationen in einer Einverleibung in das dominante Kulturverständnis resultieren sollte. Die Vorstellung der Akkulturation entsprach auf diese Weise jener der Assimilation. Ortiz trat diesem Verständnis entgegen, indem er am Beispiel seiner minutiösen Untersuchung der Tabak- und Zuckerindustrie in Kuba aufzeigte, dass Kultur im Rahmen von Produktionsverhältnissen sowie in der Begegnung sowie Überlappung unterschiedlicher gesellschaftlicher Verhältnisse und historischer Genealogien entsteht. Im Falle Kubas war dies durch das Zusammenkommen der ehemals versklavten Bevölkerung, der asiatischen VertragsarbeiterInnen und der spanischen Tagelöhner in den Zuckerplantagen gegeben. In der Begegnung dieser drei Gruppen entstanden neue Formen der Kommunikation und Kreativität, die nicht aus einem harmonischen Miteinandersein erwuchsen, sondern eher Überlebensstrategien bildeten, denen affektive Bindungen in der Verschränkung mit Hierarchien und Differenzen entsprangen.
Alberto Moreiras knüpft an Ortiz’ Projekt an, distanziert sich jedoch von den rhetorischen Implikationen eines Modernisierungsdiskurses, das er in Ortiz’ Verständnis der Transkulturalität vermutet. Stattdessen möchte Moreiras den ideologiekritischen Aussagewert der Transkulturalität unterstreichen. Er nutzt dieses Konzept, um die komplexen kulturellen Machtdynamiken der rapiden Urbanisierung, Migration, kulturellen Entortung und Transformation von Gesellschaften in Lateinamerika zu begreifen, die durch das transnationale Kapital hervorgerufen werden. Transkulturalität bezeichnet für ihn die Begegnung zwischen transnationalem Kapital und nationalen Logiken des Regierens, Alltagspraktiken und Wissenstechnologien, eine Begegnung, in der eine ambivalente Beziehung geschaffen wird, die einerseits den Anschein einer „kulturellen Verschmelzung“ produziert, andererseits aber durch die Sedimentierung und Verstärkung sozialer Unterschiede gekennzeichnet ist. Der Prozess einer angenommenen „Interkulturalität“ geht einher mit einer kulturellen Abschottung, die sich in rassistischen Segregationsprogrammen und Workfare-Regimen äußert. Das Politische transzendiert das Kulturelle, in dem es uns die Fratze der Ausbeutung und Diskriminierung als kulturelle Plattform der Begegnungen offenbart.
In der Begegnung zwischen transnationalem Kapital und einem nationalen bzw. lokalen Netzwerk von staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen findet ein Prozess der Kommunikation statt, in dem nicht das Erzeugen eines kohärenten Sinns im Vordergrund steht, sondern eher die Implosion von Sinn – die Verfehlung der Schaffung einer Rationalität. Es kommt zu einer Verfehlung des Verstehensprozesses, die Moreira als „kompromisslose Transkulturation“ (uncompromising transculturation) versteht.
In den europäischen Kontext übersetzt könnten wir das Projekt der „kompromisslosen Transkulturalität“ als einen Versuch der Provinzialisierung Europas verstehen. Es ist ein Projekt, das an das hier geschilderte paradoxe Übersetzungsprojekt anknüpft. Zwar müssen wir die historischen, semantischen und regionalen Unterschiede, in denen Begriffe verortet sind (wie zum Beispiel jener der Transkulturation im lateinamerikanischen Kontext), beachten, doch ist die analytische Aussagekraft solcher Begriffe für das Verstehen von Machtbeziehungen und ihrer kulturellen Wirkmächtigkeit für die Diagnose europäischer Gesellschaften brauchbar. Ein Projekt des „transkulturellen Übersetzens“ ist an der Analyse von Hegemonie interessiert. Es knüpft an eine (post)marxistische Tradition der Kulturtheorie an, in der Kultur als Ausdruck von Produktionsbedingungen verstanden wird. Zugleich jedoch reduziert es Kultur nicht auf die Logik der Ökonomie, sondern spürt den transzendierenden und transformierenden Charakter von Kultur auf. Folglich lädt uns Transkulturation ein, die Stofflichkeit der Kultur, die Ausgestaltung der Produktionsweisen und ihre differenzielle Vermittlung als Übersetzungsprozess zu denken.
Übersetzen, in den Kontext der „kompromisslosen Transkulturalität“ gestellt, bezieht sich auf die Vermittlung zwischen der Originalität eines sozialen Kampfes und deren Übersetzung in die Institution. Den Prozessen der Vereinnahmung, der Relativierung und der Einebnung eines politischen Projekts begegnen zu können ist somit das Ziel eines dekolonialisierenden Entwurfs des transkulturellen Übersetzens. In diesem Sinne möchte ich „transkulturelles Übersetzen“ als eine neue Interventionsstrategie begreifen, um von hier aus zu intervenieren und zu einer Transformation von Wissen beizutragen.
Encarnación Gutiérrez Rodríguez ist Senior-Lektorin für transkulturelle Studien an der University of Manchester sowie Kodirektorin des „Migration and Diaspora Cultural Studies“-Netzwerks (www.llc.manchester.ac.uk/research/centres/mdcsn/).