Macht
Dieser Tag gehörte einzig und alleine dem Auftritt des Präsidenten. Wer in die Knie gezwungen wird, muss nach oben aufschauen. Das bekamen auch jene Schülerinnen und Schüler mit allem Nachdruck zu spüren, die entlang der Einfahrtsstraßen zur Begrüßung in Reih und Glied zu stehen verpflichtet waren. Kaum jemand interessierte sich jedoch dafür, dass die Sicherheitsorgane so manche Abweichung von den strengen Verhaltensvorschriften auch mit dem Gewehrkolben quittierten.
Phänomen est omen. Ausgerechnet am späten Vorabend der Präsidentschaftswahlen hielt der seit Jahrzehnten vom Harmattan geplagte Baobab dem Unwetter nicht mehr stand. Am darauf folgenden Morgen bot sich den Schaulustigen ein Bild, das dank der vielen Verzweigungen der Avenue Kakatare sehr schnell die Runde machte und das schillernde Mosaik urbaner Erzählungen um eine Aufregung mehr bereicherte. Furiose Kräfte mussten neben der roten Brücke zu Werke gegangen sein, um den mächtigen Stamm aus seiner tiefen Verwurzelung zu heben. Vor allem aber blieb wenige Meter daneben ausgerechnet jene Plakattafel völlig unbeschadet, auf der Präsident Paul Biya, seit nunmehr 30 Jahren an der Spitze des Staates Kameruns, um das Vertrauen des Volkes für eine weitere Amtszeit warb – so als hätte er diese Geste nötig.
Der Fall des mächtigen Affenbrotbaumes spiegelte jedenfalls auf tragikomische Weise wider, wie eine ganze Stadt dem semiotischen Zugriff der politischen Macht unterworfen wird. Was am Rande des Mayo-Flusses noch als übernatürliches Ergebnis des nächtlichen Sturmes zu deuten war, trug andernorts die allgegenwärtige Handschrift eines De-facto-Einparteiensystems. Wenige Tage vor dem Wahltermin hatte das Staatsoberhaupt Maroua einen seiner seltenen Besuche abgestattet. Noch Wochen später schmückte sich die Stadt damit, wie sehr sie dem Herrscher zu Füßen liegt. „Die gesamte Jugend hinter Paul Biya“ – wenn politische Banderolen über den Straßen zum Zusammenhalt rufen, nehmen selbst wackelige Strommasten stramme Haltung an.
Auch die Avenue Kakatare wirkte wie ausgewechselt. Schlaglöcher, die vielleicht merklichsten Schnittstellen zwischen Verkehrsweg und Mensch, waren plötzlich ebenso verschwunden wie die vielen Eselsrücken (anderswo auch als „schlafende Polizisten“ bekannt), deren Beseitigung seither auch die Anfahrt zum Stade Municipal Yaya Daïrou beschleunigt. Der monumentale Bau, der ansonsten sportlichen Wettkämpfen als beliebter Austragungsort dient, dokumentierte jahrelang ein Stück subversiver Stadtgeschichte. Doch mit dem Eintreffen der politischen Eliten, das zum Morgengrauen durch die Omnipräsenz des Militärs angekündigt wurde, waren die ornamentartigen Graffitis an den festungsähnlichen Mauern des Stadions schlagartig verschwunden. Umrahmt vom Glanz der mit weißer Dispersionsfarbe wiederhergestellten Ordnung bekennt bereits das Eingangstor: „Die Region Extreme Nord ist seiner Exzellenz Paul Biya für immer treu.“
Dieser Tag gehörte einzig und alleine dem Auftritt des Präsidenten. Wer in die Knie gezwungen wird, muss nach oben aufschauen. Das bekamen auch jene Schülerinnen und Schüler mit allem Nachdruck zu spüren, die entlang der Einfahrtsstraßen zur Begrüßung in Reih und Glied zu stehen verpflichtet waren. Kaum jemand interessierte sich jedoch dafür, dass die Sicherheitsorgane so manche Abweichung von den strengen Verhaltensvorschriften auch mit dem Gewehrkolben quittierten. Politische Macht und Propaganda schreiben sich eben nicht nur in urbanen Physiognomien ein, sondern auch in gebrochenen Kiefern junger Menschen in Schuluniform. Sie fanden jedoch kein Gehör. Und auch vom Baobab am südwestlichen Ausläufer der Avenue Kakatare war sehr schnell nichts mehr zu sehen. Brennholz ist ein rares Gut, seine oft unerbittliche Aneignung der verzweifelte Ausdruck sozioökonomischer Mängel. Doch alle wissen: An der Macht zu sägen, bleibt gefährlich. Vorerst noch.