Terror

Der 19. Februar 2013 wird der Avenue Kakatare noch lange in Erinnerung bleiben. An diesem Tag erreichte auch das Telegraphenamt aus dem nördlichen Grenzgebiet die Nachricht, dass unweit des Nationalparks Waza eine französische Familie mit ihren vier Kindern von bewaffneten Unbekannten überfallen und entführt worden sei. Ratlosigkeit und Entsetzen bestimmen seither das Stadtgespräch.

Telegraphenamt Avenue Kakatare IX

Der 19. Februar 2013 wird der Avenue Kakatare noch lange in Erinnerung bleiben. An diesem Tag erreichte auch das Telegraphenamt aus dem nördlichen Grenzgebiet die Nachricht, dass unweit des Nationalparks Waza eine französische Familie mit ihren vier Kindern von bewaffneten Unbekannten überfallen und entführt worden sei. Ratlosigkeit und Entsetzen bestimmen seither das Stadtgespräch. Wie konnte es dazu kommen, obwohl sich Kamerun der Allianz mit der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich beim Kriegseintritt in Mali so hartnäckig verweigerte?

Internationale Medien berichteten kurz darauf, ein Kommando der ansonsten im Norden Nigerias operierenden Boko Haram hätte sich zur Geiselnahme auf dem Territorium des Nachbarstaats bekannt. In diesen Stunden machte ein Mann vor der Tür des Telegraphenamts Halt, der sich im Kreise der „Nassara“, wie die „Weißen“ in der Region Extreme-Nord gerne und keineswegs verächtlich genannt werden, als intellektueller Gesprächspartner großer Bekanntheit erfreut. Diesmal aber war ihm der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Der wortgewandte Koranlehrer unterrichtet an muslimischen Schulen, lehrt die Kinder von klein auf in der Deutung der heiligen Schrift, gemahnt sie zum friedvollen Miteinander und verdient sich mit Kursen in seiner Muttersprache Fulfulde bei den Fremden ein kleines Zubrot. Seine Glaubensgemeinschaft, so klagte er in merklicher Verzweiflung, sei mit dem unglücklichen Vorfall nun endgültig zwischen die Mühlsteine der globalen Missverhältnisse geraten.

Dabei solle der asymmetrische Kreuzzug der großen Weltmächte gegen den Islam sehr wohl einem strengen Urteil seines Gottes entgegen sehen. Aber wenn unschuldige Kinder der Vergeltung zum Opfer fallen, werde Allahs Gnade ebenso wenig wirksam werden. Noch im gleichen Atemzug erzählte er, dass der Staat die nördlichsten Provinzen Kameruns über Jahrzehnte gefährlich vernachlässigt habe. Das räche sich nun, indem extremistische Gruppen einen immer größeren Zulauf von Jugendlichen verzeichnen, die ihre Zukunft längst verloren glauben. Während nur wenige Arbeit und Zugang zu Bildung finden, werden mit saudi-arabischem Geld immer mehr islamische Zentren aus dem Boden gestampft, die als sozio-kulturelle Anziehungspunkte die Frustrationen auf unheilvolle Weise politisch kanalisieren.

Abgesehen von Razzien und zum Teil willkürlichen Verhaftungen in den Städten verhalten sich Polizei und Militär seit einigen Monaten weitgehend teilnahmslos – vor allem entlang der Grenze zu Nigeria. Vom Terror der Boko Haram wisse man hier nicht erst seit der gewaltsamen Entführung der französischen Familie. Frauen fürchten immer öfter den Weg zur Wasserstelle, aber auch Kinder verschwinden auf ihrem Weg zur Feldarbeit mitunter spurlos. Dementsprechend mache sich in den Dörfern neben den schwierigen Lebensbedingungen auch noch eine Angst vor radikal-islamisch motivierten Übergriffen breit, mit der die Menschen sich selbst überlassen bleiben. Die Sicherheitskräfte haben unterdessen Besseres zu tun. Sie ziehen es vor, auf den befahrbaren Pisten durch Schikanen an den Vorbeireisenden das spärliche Gehalt ein bisschen aufzufetten.

Die Ratlosigkeit hat sich damit auch im Telegraphenamt auf unbestimmte Dauer eingerichtet. Vor wem soll man sich in dieser verzwickten Lage schützen? Wer trägt die Verantwortung für den alltäglichen Terror, dem es Einhalt zu gebieten gilt? Vorerst bleibt nur der Vermerk in den Akten, dass eine der ohnehin ärmsten Regionen der Welt noch einmal weiter zurückgefallen ist.