Vorliebnehmen mit Pragmatismus? Kultur in der Debatte über die Zukunft Europas
<div class="ig-subtitle">Als pragmatisch wird im Allgemeinen angesehen, was im Gegensatz zu Theorie mit Handlung und Tun zu tun hat, sich an das Machbare oder Umsetzbare hält: Pragmatik als die Strategie, die Interessen und Ziele eines Vorgangs an seiner unmittelbaren Nützlichkeit und Bedeutung zu messen. In Bezug auf Kultur und Kulturpolitik in der EU heißt das derzeit offensichtlich, auf eine tiefer gehende Debatte über Visionen und langfristige Ziele, auf politische
Als pragmatisch wird im Allgemeinen angesehen, was im Gegensatz zu Theorie mit Handlung und Tun zu tun hat, sich an das Machbare oder Umsetzbare hält: Pragmatik als die Strategie, die Interessen und Ziele eines Vorgangs an seiner unmittelbaren Nützlichkeit und Bedeutung zu messen. In Bezug auf Kultur und Kulturpolitik in der EU heißt das derzeit offensichtlich, auf eine tiefer gehende Debatte über Visionen und langfristige Ziele, auf politische Forderungen und einen kontroversiellen Diskurs zu verzichten. Das mag für den Moment nützlich sein, eine grundlegende Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten, Bedingungen und Problematiken Europäischer Kulturpolitiken kann damit aber nur aufgeschoben werden.
Dies zeigte sich eindrücklich anlässlich eines von der Europäischen Kulturstiftung (ECF) und dem European Forum for the Arts and Heritage (EFAH) organisierten Policy Colloquiums, das Anfang Oktober in Brüssel stattfand. Ziel des Zusammentreffens von VertreterInnen von Kulturnetzwerken, Stiftungen und anderen Organisationen im kulturellen Feld, ExpertInnen für Kulturpolitik sowie VertreterInnen des EU-Konvents, des Europäischen Parlaments und der Kommission war es, das Thema Kultur im Kontext der Debatte über die Zukunft Europas im EU-Konvent zu stärken und eine gemeinsame Position zu entwickeln.
Der seit Februar diesen Jahres unter dem Vorsitz von Valéry Giscard d'Estaing und einem zwölfköpfigen Präsidium tagende Konvent besteht aus Abgeordneten der Parlamente und Regierungen aller Mitgliedstaaten und der Kandidatenländer sowie VertreterInnen der Kommission und des Europäischen Parlaments. Seine Aufgabe ist es, innerhalb eines Jahres, also bis März 2003, eine grundlegende Diskussion über die Zukunft Europas zu führen und einen Verfassungsvertrag zu erarbeiten, der dann beim Regierungsgipfel 2004 beschlossen werden soll. Kultur hat in diesem Prozess von Anfang an keine Rolle gespielt.
Einzige Ausnahme stellte im Rahmen des "Dialogs" zwischen dem Konvent und der so genannten "organisierten Zivilgesellschaft" die Einberufung einer Kontaktgruppe für Kultur unter der Leitung des ehemaligen slowenischen Premiers Lojze Peterle dar. Als eine von acht Kontaktgruppen sollte diese eine Anhörung der "Zivilgesellschaft" vor dem Konvent im Juni vorbereiten, ordnen und steuern. Die im Kulturbereich tätigen Organisationen hatten insgesamt eine Redezeit von ca. 25 Minuten. Aufgrund der "Vielfalt" der in der Kontaktgruppe vertretenen Organisationen (über 50) umfassten die Schwerpunktthemen nicht nur "Kunst und Kulturerbe", "kulturelle Zusammenarbeit", "Sprache und Minderheiten" und "Bildung", sondern auch "Kirchen und Religionsgemeinschaften", was deutlich auf die Fragwürdigkeit des Begriffs und des Verständnisses von der "Zivilgesellschaft" verweist. Ähnlich problematisch hatte sich etwa in der Vorbereitungsphase des Gipfels von Laeken im Dezember 2001, dessen Schlussdokument (die Laeken Declaration) die Einberufung des Konvents und die Parameter der zu führende Debatte über die Zukunft Europas festschrieb, das Europäische Wirtschafts- und Sozialforum einfach selbst zum Sprachrohr der "Civil Society" machen wollen.
EFAH bemüht sich seit Jahren darum, die Relevanz kulturpolitischer Themen für die europäische Ebene zu vermitteln - als Netzwerk und Interface zwischen den AkteurInnen im "kulturellen Feld" und der Ebene der Institutionen. Eine eigens gegründete Task Force setzt sich - unter anderem im direkten Kontakten zu einzelnen Konventsmitgliedern - für eine inhaltliche Positionierung kultureller Themen in der aktuellen Diskussion ein.
Vor allem geht es dabei darum, dass die einzige rechtliche Grundlage für kulturelle Aktion auf EU-Ebene, Artikel 151 , in den zukünftigen Verträgen der Union erhalten und weiterentwickelt wird: Der seit dem Vertrag von Maastricht - also seit ca. 10 Jahren - existierende "Kultur-Artikel" regelt kulturelle Kooperation und Austausch in Europa und ist beispielsweise die Basis für das Rahmenprogramm "Kultur 2000". In Hinblick auf die Diskussion über eine Revision der Verteilung der Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten in manchen Bereichen bestand die Befürchtung, der Artikel könnte aus den Verträgen gestrichen werden - eine Option, die durchaus von manchen befürwortet wurde.
Und hier liegt auch das grundlegende Problem in der Diskussion um Kultur(politik) in der EU - und möglicherweise auch die Ursache, warum der Konvent lieber nicht an das Thema rührt: Jetzt, da ein Verfassungsvertrag in greifbare Nähe gerückt ist, gehört Kultur zu den Themen, die mehr Graben aufreißen könnten, als eine gemeinsame Politik zu ermöglichen. In der Kultur geht es um eine ideologisch belastete Auseinandersetzung um Kompetenzverteilung. Artikel 151 besagt, dass die EU einen Beitrag zur "Herausbildung der Kulturen der Mitgliedstaaten" leisten solle, und zwar "unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie unter gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes". Er besagt weiters, dass es keine Harmonisierung geben dürfe und - unter Berufung auf das Prinzip der Subsidiarität -, dass die Funktion der EU hier immer nur eine ergänzende sein könne.
Nicht nur, dass das, was nicht als Teil der "Kulturen der Mitgliedstaaten" betrachtet werden kann, hier explizit ausgeschlossen wird von Förderung und Austausch. Der Artikel ebenso wie jede weitere gesetzliche Verankerung kulturpolitischer Maßnahmen muss im Kontext eines hoch ideologisierten Themenkomplexes auf mehreren Ebenen gesehen werden: Wird auf der einen Seite versucht, unter Beschwörung einer gemeinsamen europäischen Kultur und Geschichte ein Moment des Zusammenhalts zu produzieren, beharren manche Mitgliedstaaten andererseits - unter Verweis auf die "kulturelle Vielfalt" als konstitutives Moment der EU und unterstützt durch das Prinzip der Subsidiarität - darauf, Kultur als nationales Gut und zur Aufrechterhaltung einer angeblich konsistenten kulturellen Identität zu verteidigen.
Dass Lojze Peterle als offizieller Vertreter des Konvents bei besagtem Meeting in Brüssel Kultur als die ‚erste Säule' der EU bezeichnete und dafür eintrat, ein "kulturelles Europa" zum Thema zu machen, kann vielleicht als die übliche Leerformel zu solchen Anlässen abgetan werden. Oder aber wir sollten sehr genau nachfragen, was darunter zu verstehen sei: Die "Konstruktion eines ‚kulturellen' Begriffs des EuropäerInnentums" als Kitt für die "disconnectedness" der BürgerInnen in Europa? Und welche Konzepte und Perspektiven sollte ein solches "kulturelles Europa" einschließen: Diversität als Prinzip der immer neuen Erfindung kultureller Übereinstimmung innerhalb einer Region, eines Staats in Abschottung vom jeweiligen Anderen? Geht es um Demokratie, Partizipation, Öffnung und Grenzüberschreitung oder aber um eine "kulturalistische Grenzbestimmung"?
Auf so etwas ließ sich Nikolaus Van der Pas, Generaldirektor für Bildung und Kultur in der Kommission gar nicht erst ein. Er konzentrierte sich in seiner Rede - ganz pragmatisch - auf das, was derzeit existiert, was unmittelbar ansteht, was machbar ist: Die Weiterentwicklung des Rahmenprogramms "Kultur 2000", das bis 2006 verlängert wurde, die stärkere Berücksichtigung der Anregungen aus dem so genannten Ruffolo Report : Operative Aspekte, keine Ideologie, keine Kritik und schon gar keine Visionen. Selbst die Ankündigung, dass es zur Errichtung eines "European Cultural Observatory" kommen könnte, eine möglicherweise bedeutsame Entscheidung, was sowohl positive wie auch negative Auswirkungen anbelangt, war kein Anlass für Reflexion.
Außerdem nahm Van der Pas sehr detailliert zu den Ergebnissen aus den einzelnen Arbeitsgruppen des Policy Colloqiums Stellung, mit Ausnahme gerade jener zum Thema "Intercultural Dilemmas und Competences", in der sich die Diskussion - gemessen am Rahmen der Veranstaltungen - relativ weit entwickelt hatte. Begrifflichkeiten wie Identität oder Community waren in Frage gestellt worden, von Konzepten wie Transversalität, Permeabilität und Offenheit in Bezug auf die Grenzen der EU ebenso wie Disziplinen und Felder, von einem konstruktiven Umgang mit Differenz und Konflikt war die Rede gewesen. Er könne dazu in diesem Kontext nicht Stellung nehmen, da dies zu "politisch" sei, meinte der Generaldirektor.
Und man kann es ihm nicht einmal wirklich verübeln. Strategisch ist es derzeit wahrscheinlich sogar das Klügste, sich nicht auf das Komplexe, Kontroversielle und Prekäre einzulassen, eben pragmatisch zu sein, festzuhalten an dem, was in unmittelbarer Reichweite liegt. Er konnte bestätigen, dass der Artikel für Kultur in den neuen Verträgen aller Wahrscheinlichkeit nach gesichert sei. Sonst werde sich nichts ändern, es sei auch keine Weiterentwicklung oder Vertiefung zu erwarten. Damit solle man schon zufrieden sein. Einzig der Hinweis auf ein Festhalten an der von vielen im kulturellen Bereich Tätigen vertretenen Forderung nach "Qualified Majority Voting” anstelle von Einstimmigkeit in der Beschlussfassung in Bezug auf Kultur - gewissermaßen die Bestätigung, dass deren Erfüllung nicht ganz unmöglich sei -, ließ aufhorchen. Ein großes Hemmnis für jede weitere Entwicklung oder Dynamisierung würde damit fallen.
Es ist sicherlich richtig, dass der"Kulturartikel" immerhin, trotz aller Zulänglichkeiten, eine Grundlage für kulturelle Aktivitäten auf EU-Ebene darstellt, vor allem aber, dass er viel besser genützt und konsequenter umgesetzt werden müsste. Dies gilt vor allem für den Paragraphen 4 des Artikels, der die Berücksichtigung kultureller Belange in allen anderen Regelungen der EU vorsieht ("Kulturverträglichkeitsklausel"). Und es ist gut, dass es wahrscheinlich weiterhin eine Grundlage für kulturelle - nicht-kommerzielle - Kooperation in Europa geben wird. Aber muss die Diskussion hier enden?
Im Gegenteil, bei aller Pragmatik ist es notwendig, eine Debatte darüber zu führen, wie progressive Kulturpolitiken in der EU aussehen könnten und welche Funktionen das kulturelle Feld übernehmen sollte als demokratie- und gesellschaftspolitisch relevante Sphäre. Es ist besser als nichts, dass Kultur nicht als ausschließliche Kompetenz der einzelnen Mitgliedsstaaten zurückverbannt wird in die Kabinette nationalstaatlicher Identitätsstiftung, kulturelle Kooperation nicht ausschließlich den bilateralen Image- und Repräsentations-Transfers der jeweiligen Außenämter oder einem internationalen kulturindustriellen Markt überlassen werden soll.
Der aktuelle Pragmatismus wird aber langfristig nicht ausreichen. Konzepte für Kulturpolitiken für Europa, die Demokratie und Partizipation in den Vordergrund stellen, weit über die EU-Grenzen hinausreichen und auf längst stattfindende globale Entwicklungen antworten, die eine aktive und kritische Auseinandersetzung mit migrationspolitischen, sozial- und arbeitsrechtlichen, aber auch demokratipolitischen Fragen ermöglichen, und nicht nur ein "kreatives Europa" in Richtung Kreativwirtschaft, Sponsorship und Verbesserung des Marketings von Kulturwaren propagieren.
Seit Bestehen der EU und mit einer gewissen Dynamisierung seit den frühen 90ern gibt es eine kontinuierliche Entwicklung hin zu einer stärkeren Herausbildung Europäischer Kulturpolitiken. Es ist wichtig, Position zu beziehen in Bezug auf die Entscheidungsprozesse, die bestimmen, welche Richtung diese weitere Entwicklung nehmen wird.
Therese Kaufmann ist Co-Direktorin des Europäischen Instituts für progressive Kulturpolitik (eipcp). Das eipcp wird Ende des Jahres ein Grundsatzpapier veröffentlichen, das unter dem Titel "Anticipating European Cultural Policies" Konzepte für zukünftige europäische Kulturpolitik vorstellen wird: www.eipcp.net
Dies zeigte sich eindrücklich anlässlich eines von der Europäischen Kulturstiftung (ECF) und dem European Forum for the Arts and Heritage (EFAH) organisierten Policy Colloquiums, das Anfang Oktober in Brüssel stattfand. Ziel des Zusammentreffens von VertreterInnen von Kulturnetzwerken, Stiftungen und anderen Organisationen im kulturellen Feld, ExpertInnen für Kulturpolitik sowie VertreterInnen des EU-Konvents, des Europäischen Parlaments und der Kommission war es, das Thema Kultur im Kontext der Debatte über die Zukunft Europas im EU-Konvent zu stärken und eine gemeinsame Position zu entwickeln.
Der seit Februar diesen Jahres unter dem Vorsitz von Valéry Giscard d'Estaing und einem zwölfköpfigen Präsidium tagende Konvent besteht aus Abgeordneten der Parlamente und Regierungen aller Mitgliedstaaten und der Kandidatenländer sowie VertreterInnen der Kommission und des Europäischen Parlaments. Seine Aufgabe ist es, innerhalb eines Jahres, also bis März 2003, eine grundlegende Diskussion über die Zukunft Europas zu führen und einen Verfassungsvertrag zu erarbeiten, der dann beim Regierungsgipfel 2004 beschlossen werden soll. Kultur hat in diesem Prozess von Anfang an keine Rolle gespielt.
Einzige Ausnahme stellte im Rahmen des "Dialogs" zwischen dem Konvent und der so genannten "organisierten Zivilgesellschaft" die Einberufung einer Kontaktgruppe für Kultur unter der Leitung des ehemaligen slowenischen Premiers Lojze Peterle dar. Als eine von acht Kontaktgruppen sollte diese eine Anhörung der "Zivilgesellschaft" vor dem Konvent im Juni vorbereiten, ordnen und steuern. Die im Kulturbereich tätigen Organisationen hatten insgesamt eine Redezeit von ca. 25 Minuten. Aufgrund der "Vielfalt" der in der Kontaktgruppe vertretenen Organisationen (über 50) umfassten die Schwerpunktthemen nicht nur "Kunst und Kulturerbe", "kulturelle Zusammenarbeit", "Sprache und Minderheiten" und "Bildung", sondern auch "Kirchen und Religionsgemeinschaften", was deutlich auf die Fragwürdigkeit des Begriffs und des Verständnisses von der "Zivilgesellschaft" verweist. Ähnlich problematisch hatte sich etwa in der Vorbereitungsphase des Gipfels von Laeken im Dezember 2001, dessen Schlussdokument (die Laeken Declaration) die Einberufung des Konvents und die Parameter der zu führende Debatte über die Zukunft Europas festschrieb, das Europäische Wirtschafts- und Sozialforum einfach selbst zum Sprachrohr der "Civil Society" machen wollen.
EFAH bemüht sich seit Jahren darum, die Relevanz kulturpolitischer Themen für die europäische Ebene zu vermitteln - als Netzwerk und Interface zwischen den AkteurInnen im "kulturellen Feld" und der Ebene der Institutionen. Eine eigens gegründete Task Force setzt sich - unter anderem im direkten Kontakten zu einzelnen Konventsmitgliedern - für eine inhaltliche Positionierung kultureller Themen in der aktuellen Diskussion ein.
Vor allem geht es dabei darum, dass die einzige rechtliche Grundlage für kulturelle Aktion auf EU-Ebene, Artikel 151 , in den zukünftigen Verträgen der Union erhalten und weiterentwickelt wird: Der seit dem Vertrag von Maastricht - also seit ca. 10 Jahren - existierende "Kultur-Artikel" regelt kulturelle Kooperation und Austausch in Europa und ist beispielsweise die Basis für das Rahmenprogramm "Kultur 2000". In Hinblick auf die Diskussion über eine Revision der Verteilung der Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten in manchen Bereichen bestand die Befürchtung, der Artikel könnte aus den Verträgen gestrichen werden - eine Option, die durchaus von manchen befürwortet wurde.
Und hier liegt auch das grundlegende Problem in der Diskussion um Kultur(politik) in der EU - und möglicherweise auch die Ursache, warum der Konvent lieber nicht an das Thema rührt: Jetzt, da ein Verfassungsvertrag in greifbare Nähe gerückt ist, gehört Kultur zu den Themen, die mehr Graben aufreißen könnten, als eine gemeinsame Politik zu ermöglichen. In der Kultur geht es um eine ideologisch belastete Auseinandersetzung um Kompetenzverteilung. Artikel 151 besagt, dass die EU einen Beitrag zur "Herausbildung der Kulturen der Mitgliedstaaten" leisten solle, und zwar "unter Wahrung ihrer nationalen und regionalen Vielfalt sowie unter gleichzeitiger Hervorhebung des gemeinsamen kulturellen Erbes". Er besagt weiters, dass es keine Harmonisierung geben dürfe und - unter Berufung auf das Prinzip der Subsidiarität -, dass die Funktion der EU hier immer nur eine ergänzende sein könne.
Nicht nur, dass das, was nicht als Teil der "Kulturen der Mitgliedstaaten" betrachtet werden kann, hier explizit ausgeschlossen wird von Förderung und Austausch. Der Artikel ebenso wie jede weitere gesetzliche Verankerung kulturpolitischer Maßnahmen muss im Kontext eines hoch ideologisierten Themenkomplexes auf mehreren Ebenen gesehen werden: Wird auf der einen Seite versucht, unter Beschwörung einer gemeinsamen europäischen Kultur und Geschichte ein Moment des Zusammenhalts zu produzieren, beharren manche Mitgliedstaaten andererseits - unter Verweis auf die "kulturelle Vielfalt" als konstitutives Moment der EU und unterstützt durch das Prinzip der Subsidiarität - darauf, Kultur als nationales Gut und zur Aufrechterhaltung einer angeblich konsistenten kulturellen Identität zu verteidigen.
Dass Lojze Peterle als offizieller Vertreter des Konvents bei besagtem Meeting in Brüssel Kultur als die ‚erste Säule' der EU bezeichnete und dafür eintrat, ein "kulturelles Europa" zum Thema zu machen, kann vielleicht als die übliche Leerformel zu solchen Anlässen abgetan werden. Oder aber wir sollten sehr genau nachfragen, was darunter zu verstehen sei: Die "Konstruktion eines ‚kulturellen' Begriffs des EuropäerInnentums" als Kitt für die "disconnectedness" der BürgerInnen in Europa? Und welche Konzepte und Perspektiven sollte ein solches "kulturelles Europa" einschließen: Diversität als Prinzip der immer neuen Erfindung kultureller Übereinstimmung innerhalb einer Region, eines Staats in Abschottung vom jeweiligen Anderen? Geht es um Demokratie, Partizipation, Öffnung und Grenzüberschreitung oder aber um eine "kulturalistische Grenzbestimmung"?
Auf so etwas ließ sich Nikolaus Van der Pas, Generaldirektor für Bildung und Kultur in der Kommission gar nicht erst ein. Er konzentrierte sich in seiner Rede - ganz pragmatisch - auf das, was derzeit existiert, was unmittelbar ansteht, was machbar ist: Die Weiterentwicklung des Rahmenprogramms "Kultur 2000", das bis 2006 verlängert wurde, die stärkere Berücksichtigung der Anregungen aus dem so genannten Ruffolo Report : Operative Aspekte, keine Ideologie, keine Kritik und schon gar keine Visionen. Selbst die Ankündigung, dass es zur Errichtung eines "European Cultural Observatory" kommen könnte, eine möglicherweise bedeutsame Entscheidung, was sowohl positive wie auch negative Auswirkungen anbelangt, war kein Anlass für Reflexion.
Außerdem nahm Van der Pas sehr detailliert zu den Ergebnissen aus den einzelnen Arbeitsgruppen des Policy Colloqiums Stellung, mit Ausnahme gerade jener zum Thema "Intercultural Dilemmas und Competences", in der sich die Diskussion - gemessen am Rahmen der Veranstaltungen - relativ weit entwickelt hatte. Begrifflichkeiten wie Identität oder Community waren in Frage gestellt worden, von Konzepten wie Transversalität, Permeabilität und Offenheit in Bezug auf die Grenzen der EU ebenso wie Disziplinen und Felder, von einem konstruktiven Umgang mit Differenz und Konflikt war die Rede gewesen. Er könne dazu in diesem Kontext nicht Stellung nehmen, da dies zu "politisch" sei, meinte der Generaldirektor.
Und man kann es ihm nicht einmal wirklich verübeln. Strategisch ist es derzeit wahrscheinlich sogar das Klügste, sich nicht auf das Komplexe, Kontroversielle und Prekäre einzulassen, eben pragmatisch zu sein, festzuhalten an dem, was in unmittelbarer Reichweite liegt. Er konnte bestätigen, dass der Artikel für Kultur in den neuen Verträgen aller Wahrscheinlichkeit nach gesichert sei. Sonst werde sich nichts ändern, es sei auch keine Weiterentwicklung oder Vertiefung zu erwarten. Damit solle man schon zufrieden sein. Einzig der Hinweis auf ein Festhalten an der von vielen im kulturellen Bereich Tätigen vertretenen Forderung nach "Qualified Majority Voting” anstelle von Einstimmigkeit in der Beschlussfassung in Bezug auf Kultur - gewissermaßen die Bestätigung, dass deren Erfüllung nicht ganz unmöglich sei -, ließ aufhorchen. Ein großes Hemmnis für jede weitere Entwicklung oder Dynamisierung würde damit fallen.
Es ist sicherlich richtig, dass der"Kulturartikel" immerhin, trotz aller Zulänglichkeiten, eine Grundlage für kulturelle Aktivitäten auf EU-Ebene darstellt, vor allem aber, dass er viel besser genützt und konsequenter umgesetzt werden müsste. Dies gilt vor allem für den Paragraphen 4 des Artikels, der die Berücksichtigung kultureller Belange in allen anderen Regelungen der EU vorsieht ("Kulturverträglichkeitsklausel"). Und es ist gut, dass es wahrscheinlich weiterhin eine Grundlage für kulturelle - nicht-kommerzielle - Kooperation in Europa geben wird. Aber muss die Diskussion hier enden?
Im Gegenteil, bei aller Pragmatik ist es notwendig, eine Debatte darüber zu führen, wie progressive Kulturpolitiken in der EU aussehen könnten und welche Funktionen das kulturelle Feld übernehmen sollte als demokratie- und gesellschaftspolitisch relevante Sphäre. Es ist besser als nichts, dass Kultur nicht als ausschließliche Kompetenz der einzelnen Mitgliedsstaaten zurückverbannt wird in die Kabinette nationalstaatlicher Identitätsstiftung, kulturelle Kooperation nicht ausschließlich den bilateralen Image- und Repräsentations-Transfers der jeweiligen Außenämter oder einem internationalen kulturindustriellen Markt überlassen werden soll.
Der aktuelle Pragmatismus wird aber langfristig nicht ausreichen. Konzepte für Kulturpolitiken für Europa, die Demokratie und Partizipation in den Vordergrund stellen, weit über die EU-Grenzen hinausreichen und auf längst stattfindende globale Entwicklungen antworten, die eine aktive und kritische Auseinandersetzung mit migrationspolitischen, sozial- und arbeitsrechtlichen, aber auch demokratipolitischen Fragen ermöglichen, und nicht nur ein "kreatives Europa" in Richtung Kreativwirtschaft, Sponsorship und Verbesserung des Marketings von Kulturwaren propagieren.
Seit Bestehen der EU und mit einer gewissen Dynamisierung seit den frühen 90ern gibt es eine kontinuierliche Entwicklung hin zu einer stärkeren Herausbildung Europäischer Kulturpolitiken. Es ist wichtig, Position zu beziehen in Bezug auf die Entscheidungsprozesse, die bestimmen, welche Richtung diese weitere Entwicklung nehmen wird.
Therese Kaufmann ist Co-Direktorin des Europäischen Instituts für progressive Kulturpolitik (eipcp). Das eipcp wird Ende des Jahres ein Grundsatzpapier veröffentlichen, das unter dem Titel "Anticipating European Cultural Policies" Konzepte für zukünftige europäische Kulturpolitik vorstellen wird: www.eipcp.net