Zirkusschule im Ausland: Codarts - Rotterdam

Mein Traum ist es, wieder nach Österreich zurückzukommen und mit meinem KollegInnen ein Zentrum für Zirkus zu gründen, damit der "Cirque Nouveau" auch hier eine Heimat findet.

Michael Zandl

 

Es fühlt sich so an als wäre ich gerade erst nach Holland gezogen, jedoch bin ich schon in meinem letzten Jahr an der „Hogeschool voor de Kunsten – Codarts“ in Rotterdam. Vier Jahre dauert hier meine Ausbildung zum Artisten an der Universität für Zirkuskünste, die mit einer normalen universitären Ausbildung jedoch nicht so viel gemeinsam hat.

 

Schon als Kind hat es mich fasziniert, wozu der menschliche Körper, mit dem richtigen Training als Basis, fähig ist und ich habe wohl jeden Sport, der mir in den Sinn gekommen ist, ausprobiert. Als ich mit 14 Jahren in die Welt der Jonglage, oder wie man im Fachjargon sagt: „Objektmanipulation’“, eingetaucht bin hatte ich meine Disziplin gefunden. Die endlosen Herausforderungen des Jonglierens und die Möglichkeiten seinen eigenen Stil in dieser Kunstform zu finden fesselten mich. Nicht einmal das ewige Bücken nach Bällen, Keulen oder Hüten konnte mich vom Training abhalten. Was als Hobby begann wurde 10 Jahre später zum Beruf.

 

Während meines Studiums an der Universität für Bodenkultur in Wien habe ich mich entschlossen mehr aus meiner Leidenschaft zu machen und begonnen auf kleineren Bühnen aufzutreten. Meine größte Hilfe dafür war mein Bruder Bernhard, der zu dieser Zeit an einer Zirkusschule in Madrid studierte. Als ich ihn dort besuchte, um seine Abschlussvorstellung zu sehen war für mich klar: „Das will ich auch!“. Nachdem ich mein Studium in Wien abgeschlossen hatte, bewarb ich mich an der Zirkusschule „Codarts“ in Rotterdam.

Bei der 4-tägigen Aufnahmeprüfung wurden wir vielen physischen Tests unterzogen und mussten in verschiedenen Disziplinen wie Akrobatik, Tanz oder Theater unser Können unter Beweis stellen. Aufregender Höhepunkt war eine 5-minütige Solo-Performance aller TeilnehmerInnen, bei der es galt die Nerven zu bewahren und zu zeigen, wie gut man seine Disziplin beherrscht. Am Ende war ich einer von 18 Glücklichen, die in diesem Schuljahr aufgenommen wurden.

Michael Zandl

In den letzten drei Jahren habe ich hier vor allem eines kennengelernt: Meinen eigenen Körper. Im Vergleich zu meinem Studium in Wien, wo eine Exkursion in den Wienerwald die größte sportliche Herausforderung war, geht man hier jeden Tag an seine körperlichen Grenzen. „Physical Preparation“ heißt die Devise, denn wer einen gesunden und leistungsfähigen Körper hat verletzt sich nicht so schnell. Und verletzungsfrei zu bleiben ist bei dieser Arbeit oberstes Gebot. Diese „körperliche Vorbereitung“ besteht hauptsächlich aus Krafttraining und Dehnen. Ich kann mich noch sehr gut an meine ersten zwei Trainingswochen erinnern, wo ich kaum noch laufen konnte, da mein Körper dieses intensive Training nicht gewohnt war. Mir schmerzten einige Muskeln von denen ich nicht mal wusste, dass ich sie besitze. Mittlerweile kann ich gut mit dem intensiven und regelmäßigen Training umgehen.


 

Neben der „PP“ werden wir in Fächern wie Tanz, Boden- und Partnerakrobatik, Handstand, Trampolin, Jonglieren oder Theater unterrichtet. Mein Lieblingsfach heißt „Composition and Improvisation“. In diesem Fach geht es hauptsächlich darum, wie ich aus meinen Tricks eine Bühnenshow zusammenstellen kann. Dies sieht oft sehr einfach aus, ist aber eine große Herausforderung. Hier heißt es kreativ und vor allem auch spielerisch zu sein und nichts unversucht zu lassen.

Acht Stunden pro Woche nimmt der Unterricht in den Hauptdisziplinen ein, was für mich Jonglieren mit Hüten und Cyr-Wheel bedeutet. Letzteres ist eine vergleichsweise junge Disziplin in der man versucht sich in einem überdimensionalen Metallring, ähnlich dem Rhönrad, zu drehen.

Neben rein physischen Unterricht stehen auch Fächer wie Anatomie, Zirkusgeschichte, Musik, Marketing, Philosophie, Ernährung und Ton- und Lichttechnik am Stundenplan. Im vierten und letzten Jahr müssen wir, wie an einer normalen Universität auch, eine Bakkalaureatsarbeit schreiben, was neben dem ganzen Training nicht ganz so einfach ist. Ich schreibe über Sozialversicherung für ZirkusartistInnen, ein Thema, das mich wohl noch sehr lange beschäftigen wird.

 

In jedem Schuljahr erarbeiten wir eine Kreation mit der ganzen Klasse. Dies bedeutet, dass wir zwischen zwei und sechs Wochen mit einem/einer RegisseurIn an einer Gruppenshow arbeiten, die dann meist in einem Theater öffentlich aufgeführt wird. Im letzten Schuljahr hatten wir die Ehre mit Roberto Magro, einem Urgestein der europäischen Zirkusszene, zu arbeiten, was sehr inspirierend für uns alle war.

 

Ein Praktikum ist in unserem Studium nicht vorgesehen, jedoch versuchen viele Studierende während ihrer Schulzeit Berufserfahrung in einer Zirkus- oder Tanz-Compagnie zu sammeln. Dies kann die Chancen, nach der Schule auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, enorm erhöhen. Ich hatte in diesem Jahr das Glück mit 4 KollegInnen in einer Show von „Scapino Ballet“ mitzuwirken, eine Tanz-Compagnie, die ihr 70-jähriges Jubiläum feierte und ihre Show mit ZirkusartistInnen aufpeppen wollte. Es war ein faszinierendes Erlebnis in einer so großen Produktion mitzuarbeiten. Mehr als 21.000 Menschen kamen insgesamt nach Rotterdam, um sich die Show anzusehen.

 

Abschließen werde ich mein Studium mit einer 5 bis 10-minütigen Solo-Performance am Ende des Schuljahres. Hier gilt es zu zeigen, was man in den letzten vier Jahren gelernt hat. Im letzten Jahr wird der Fokus daher sehr stark auf diese Show gelegt, was eine sehr gute Vorbereitung darstellt. Alle Studierenden bekommen einen Coach ihrer Wahl, um an ihrem Solo-Stück zu arbeiten. Ich freue mich schon sehr auf meinen Abschluss, jedoch habe ich auch ein bisschen gemischte Gefühle. Die letzten Jahren durfte ich sehr intensiv mit vielen anderen ArtistInnen aus aller Welt zusammenarbeiten und habe viele enge Freundschaften geschlossen. Was nach der Schule mit mir passiert wird sich noch zeigen. Mein Traum ist es, wieder nach Österreich zurückzukommen und mit meinen KollegInnen ein Zentrum für Zirkus zu gründen, damit der „Cirque Nouveau“ auch hier eine Heimat findet. Mal sehen welche Abenteuer auf mich warten.


 

Ein Tag in der Zirkusschule:

Codarts

7:30 Der Wecker klingelt. „Raus aus dem Bett!“

8:00 Der Wecker klingelt erneut. Jetzt aber wirklich raus aus dem Bett und in die Dusche. Nach einem kleinen Frühstück geht’s aufs Rad und ab in die Schule.

9:00 20-minütiges warm-up, gefolgt von 40 Minuten Krafttraining. Spätestens jetzt bin ich wach.

10:00 Pause. Zeit für mein zweites Frühstück!

10.15 Spezialisierungsstunde: Objektmanipulation

Eine Stunde werden Sachen in die Luft geworfen

11.15 Spezialisierungsstunde: Cyr Wheel

Eine Stunde drehe ich mich im Kreis, danach brauche ich meistens eine Pause, um wieder geradeaus laufen zu können

12.15 Lunch Break: Jetzt heißt es schnell sein, denn wir haben nur 3 Mikrowellen, aber 50 Studierende, und ohne Zeit zum Verdauen liegt das Essen am Nachmittag ganz schön schwer im Magen.

13.15 Bodenakrobatik: eine Stunde lang wird gesprungen, gedreht und gerollt mit der ganzen Klasse. Eines meiner Lieblingsfächer!

14.15 Handstand: Noch ein bisschen verschwitzt vom Akrobatikunterricht, steht die Welt jetzt Kopf. Für Handstand ist viel Konzentration und vor allem Geduld gefragt.

15.15 Pause. Zeit zum Essen!

15.30 Tanz: Langsam spürt man, dass der Tag schon lang war, aber mit der richtigen Musik ist die Müdigkeit wieder weg.

17.00 Pause. Zeit zum Essen!

18.00 Circus Time! Einmal pro Woche haben alle Studierenden die Möglichkeit etwas vor Publikum zu zeigen. Sei es ein neu erlernter Trick, eine fertige Nummer oder ein Gedicht, alles ist willkommen! Feedback dafür gibt es direkt im Anschluss. Meist ist die halbe Schule versammelt und man kann sich immer auf etwas Neues freuen.

19.00 Wenn Kräfte übrig sind wird noch ein bisschen trainiert, ansonsten ist es Zeit für Cool-Down und Dehnen. Wer am Ende des Tages seinen Körper nicht gut behandelt, der wird es am nächsten Morgen spüren.

20.00 Wieder aufs Rad und ab nach Hause. Zuhause muss noch schnell gekocht werden, um am nächsten Tag nicht zu hungern.

21.00 Ein paar E-Mails müssen noch raus und vielleicht wird mal wieder Zuhause angerufen, wenn man nicht schon zu müde ist.

22.00 Bettruhe. Der schönste Moment des Tages.

 

Michael Zandl ist ein österreichischer Zirkus-Artist mit Spezialisierung auf Hut-Manipulation und Akrobatik. Er studiert an der Universität für Zirkuskünste in Rotterdam und schließt dort 2017 seine Ausbildung zum Artisten ab.

Fotos: © Kolja Huneck und Seppe Dankers