Zwitschern gegen das Ungemach
Plötzlich hatte es sich ausgetwittert. Aus Sicherheitsgründen, mehr war dazu nicht zu erfahren. Doch für Zweifel an den demokratischen Grundfesten des Staates Kamerun genügen bereits die Indizien.
Preistreiberei, Korruption, Zukunftslosigkeit
Plötzlich hatte es sich ausgetwittert. Aus Sicherheitsgründen, mehr war dazu nicht zu erfahren. Doch für Zweifel an den demokratischen Grundfesten des Staates Kamerun genügen bereits die Indizien. Rund um den dritten Jahrestag der sozialen Unruhen von 2008 rief die Opposition zum öffentlichen Gedenken an die Opfer auf. Damals hatten sich vor allem Jugendliche in den großen Städten aufgelehnt – gegen Preistreiberei, Korruption und eine Zukunftslosigkeit, die dann mit hunderten Toten auf den Straßen nur noch deutlicher geworden war.
Drei Jahre nach dem militärischen Ausnahmezustand wird auch auf Seiten der Autoritäten die Nervosität zunehmend spürbar. Anfang März 2011, also Tage nach den ersten Kundgebungen in Yaoundé und Douala, wurde dem Mobiltelefonie-Riesen MTN per ministerielle Weisung angeordnet, den SMS-Dienst von Twitter landesweit abzuschalten. Die ganze Welt stand in diesen Tagen noch unter dem Eindruck der Umwälzungen im nördlichen Afrika. Da machte auch in Subsahara die Angst unter den Regierenden sehr schnell die Runde, Protestwellen könnten über unkontrollierte Kurzmitteilungen die Herrschaftspaläste zum Einsturz bringen. Die Suspendierung des Twitter-Features dauerte nicht lange an. Ebenso wenig hat sie in der medialen Öffentlichkeit eine Beachtung gefunden, die bei staatlichen Zensurmaßnahmen eigentlich zu erwarten ist. Aber gerade deshalb gibt dieses Beispiel sehr anschaulich Auskunft über aktuelle Entwicklungen der Informationspolitik in Kamerun, über die Unkenntnis der Staatsspitzen von sozialen Netzwerken und deren Folgewirkungen auf das politische Geschehen.
Denn tatsächlich findet sich Twitter Mobile durchschnittlich auf nur einem von 50 MTN-Handys, was bei einer Bevölkerung von 20 Millionen eine Durchdringung von weniger als einem Prozent bedeutet. Ähnlich verhält es sich bei der Nutzung von Facebook. Offiziellen Angaben zufolge sind in Kamerun 380.000 Userinnen und User registriert. Die 1,9 Prozent werden keine Revolution in Gang setzen, wie der hartnäckige Mythos des arabischen Frühlings noch immer viele träumen lässt. Schon eher tritt durch den Durchgriff der Sicherheitsbehörden auf ein privates Unternehmen die totalitäre Neigung zutage, das Recht auf freie Meinungsäußerung unter staatliche Kontrolle zu bringen – auch oder ganz besonders bei der Ausgestaltung von digitalen Informationslandschaften.
Digitale Landnahme
Die großen Player setzen sich gegen diese Trends nicht zur Wehr. In Ägypten ging Vodafone vom Netz, weil Präsident Mubarak in den letzten Tagen seiner Amtszeit auf diese Weise seinen Kopf aus der Schlinge zu holen hoffte. Und auch in Kamerun baut die Telekom-Industrie lieber auf das Wohlwollen eines Regimes, das – von der internationalen Gemeinschaft meist geduldet – Menschenrechte und politische Freiheiten mit Füßen tritt, als auf Gewerkschaften, oppositionelle Gruppen und NGOs, die ihre Forderungen nach mehr Demokratie, sozialer Gerechtigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben auch bei der Nutzung von Kommunikationstechnologien verwirklicht sehen wollen.
Neben dem südafrikanischen MTN hat sich in Kamerun vor allem das in Besitz der France Telecom stehende Orange auf diese Weise eine mächtige Position gesichert. Zumal nach der Logik globaler Profite von zentralafrikanischen Zivilgesellschaften nicht viel zu holen ist, kooperiert Kameruns zweiter Marktführer vorzugsweise mit Google. Damit vollzieht die auf einen Wert von 45 Milliarden Dollar geschätzte Suchmaschine einen weiteren Schritt auf den afrikanischen Kontinent. Schon zuvor wurde mit Ory Okolloh ein signifikantes Aushängeschild zur obersten Strategin der Policy Abteilung für Afrika ernannt. Die Kenianerin ist Mitbegründerin von Ushahidi, einer Open-Source-Plattform, die sich schon vor Jahren mit kartografischen Online-Tools zur Bekämpfung von Gewalt und Krisen einen Namen machen konnte und nunmehr in vielen afrikanischen Staaten offen zugängliche Informationskanäle und technische Dienste zur Verfügung stellt.
Doch vor dem Hintergrund der zunehmenden Repressionen gegenüber einer kritischen Mediennutzung müssen auch Googles Afrika-Ambitionen einer skeptischen Bewertung unterzogen werden. Denn was nützt es dem Weg in das Informationszeitalter, wenn die Suchmaschine in nunmehr 31 afrikanischen Sprachen zur Verfügung steht, staatliche Zensur aber die ohnehin kärglichen Zugangsmöglichkeiten noch mehr als zuvor beschneidet? Der Universalanspruch Googles auf das Internet bringt auch Kamerun keine neuen Freiheiten, sondern erweitert das Spektrum der Abhängigkeiten. Schon jetzt kommunizieren Chefredaktionen, Spitäler und Bildungseinrichtungen fast ausschließlich über Yahoo.fr. Für die kostenlose Nutzung der e-Mail-Dienste ist ein Preis zu bezahlen, der sich im öffentlichen Bewusstsein noch gar nicht ausreichend verankert hat.
Die digitale Landnahme erinnert zwangsläufig an die brutale Ausbeutung der kolonialen Jahre und wird durch Googles Hunger auf den afrikanischen Content noch zusätzlich verschärft. Wer stellt in Zukunft sicher, dass der Produktionsreichtum der kulturellen Vielfalt Afrikas nicht alleine der Verwertung durch Google überlassen bleibt? Werden Mail- und andere Online-Dienste von Google auch zur Verfügung stehen, wenn Afrikas Despotien die letzten Freiräume usurpieren? Auch Kamerun sieht sich bei seiner IKT-Entwicklung mit einem Anwachsen der Gefahren konfrontiert. Mit Zwitschern alleine wird diesem Ungemach nicht beizukommen sein.
Martin Wassermair ist am World-Information Institute tätig und lebt zurzeit in Nordkamerun. Der Beitrag ist Teil der Vorbereitungen für das Projekt Africa World-Information Cameroon.
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