Alles frei, alles offen – alles unter Kontrolle.
Etwas nebulös skizziert werden diese Bürgerinnen und Bürger der Stadt Linz als eine mehr oder weniger homogene Masse, die lediglich über bestehende Möglichkeiten aufgeklärt werden muss, um sich frei an demokratisierenden Partizipations- und Mitgestaltungsangeboten im Netz ausnahmslos und vorbildlich zu beteiligen.
Wenn Martin Heller, Intendant der Kulturhauptstadt Linz 2009, dessen Faszination für Medientechnologie „sich in überschaubaren Grenzen“ (S. 6) hält, im Vorwort seine Hoffnung für das Kulturhauptstadtjahr 2009 in „Bündnispartner“ setzt, die aus jener jüngeren bis jungen Generation stammen, die sich mit „Freie Netze. Freies Wissen“ zu Wort meldet – „getragen von einer medialen und medienpolitischen Sozialisation, die sie von ihren Müttern und Vätern unterscheidet, und getrieben von der Lust, sich einzumischen“ (S. 7) –, dann übersieht er vor allem eins: Gerade diese Generation ist nicht nur mit medientechnischen Möglichkeiten aufgewachsen, sondern auch mit dem zunehmenden Druck, immer leistungsorientiert, selbständig (d.h. auf sich allein gestellt), „flexibel“ (d.h. jeder Zeit abrufbar und arbeitsfähig), kreativ (vor allem in Bezug auf Verdienstmöglichkeiten) und produktiv zu denken und zu handeln. Nachdenken, sich Zeit für kritische Reflexionen zu lassen, ist weniger gefragt. In diesem Buch ist dieser Umstand fast schmerzhaft leicht ablesbar.
Das heißt nicht, dass das Buch grundsätzlich schlecht ist. Allein als Interview-sammlung wäre es eine durchaus lesenswerte Publikation, auch wenn manche gestellten Fragen etwas an Tiefgang zu wünschen übrig lassen. Die neun Einführungsbeiträge ergäben einen leicht verständlichen Einstieg in die jeweilige Thematik. Doch dem Anspruch, das gesamte Feld mit Einführung – Interview – Projektvorschläge abzustecken, wird diese Publikation auf keinen Fall gerecht. Durchaus problematisch und bedenklich ist dabei der Anspruch: „Die Darstellung der teilweise sehr abstrakten Themen an Hand eines konkret-kommunalen Beispiels soll sie dabei auch technischen Laien zugänglich machen und dabei helfen, die europäische Kulturhauptstadt Linz zu einem kommunalen ,Role Model’ digitaler Freiheiten zu machen.“ (S. 9) Mit dem Untertitel „Ein Beitrag zum Kulturhauptstadtjahr Linz 2009“ und den 24 Projektvorschlägen liest sich das Buch wie das „Digitale Medien-Programm für Linz 2009“, doch die Linz09-Webseite scheint nichts davon zu wissen, was bedauerlich viel Raum für Spekulationen, Verdachtsmomente und Vermutungen offen lässt. Die vorgeschlagenen Träger für die hier ausgearbeiteten Projekte beschränken sich weitgehend auf die Stadt Linz und das Ars Electronica Center. Die genannten Zielgruppen der Projekte sind vorwiegend „Bürger und Bürgerinnen der Stadt Linz“.
Verkürzungen und Leerstellen
Etwas nebulös skizziert werden diese Bürgerinnen und Bürger der Stadt Linz als eine mehr oder weniger homogene Masse, die lediglich über bestehende Möglichkeiten aufgeklärt werden muss, um sich frei an demokratisierenden Partizipations- und Mitgestaltungsangeboten im Netz ausnahmslos und vorbildlich zu beteiligen. Die mehrfach angesprochene Sorge um die „digitale Spaltung“ ist sicherlich nicht bloß eine Frage der „politischen Korrektheit“ seitens der 17 jungen AutorInnen (im Alter von 22 – 30), sondern doch ernst gemeint, ruft allerdings leider am ehesten die alte Aufforderung in Erinnerung, dass kleine Kinder alles aufessen müssen, „weil die Kinder in Afrika nichts zu essen haben“. Bei allen Sorgen um ältere Menschen wie auch um die Kinder einkommensschwächerer Eltern, die auch Zugang zum freien Wissen im Netz brauchen, wird niemals in Frage gestellt, wie jeder einzelne mit Zugang ausgestattete Mensch mit der ganzen Fülle an verfügbaren Informationen und Wissen zurecht kommen könnte. Genauso wenig wird nach Verantwortlichkeiten gefragt: Genügt es, wenn alles an benötigter Information ins Netz gestellt wird, um jede Bürgerin und jeden Bürger in die Freiheit der völligen Selbstverantwortung zu entlassen? Alles, was man wissen kann, weil es im Netz frei zugänglich ist, muss man folglich auch wissen?
Auch diesem Anspruch werden selbst die an dieser Publikation Mitwirkenden nicht gerecht. Ansonsten müsste weit mehr im Buch über bestehende lokale Initiativen stehen. Zum Beispiel: Radio FRO und dessen Beteiligung sowohl am digitalen „Cultural Broadcasting Archive“ wie auch an internationalen und lokalen Arbeitsgruppen, die sich mit den Möglichkeiten mehrsprachiger Zusammenarbeit befassen. Zum Beispiel: servus, der Linzer Art-Server, der auf der Grundlage langjähriger Erfahrung eine breite Palette an Workshops, Hacklabs, Präsentationen, Veranstaltungen und mehr bietet. Zum Beispiel: KUPF, die Kulturplattform Oberösterreich, die schon längst auf freie Software umgestiegen ist, wie auch zumindest einige ihrer 106 Mitgliedsvereine. Weitere Information zu diesen und anderen Beispielen lässt sich doch ohne Einschränkungen online finden. Somit drängt sich die Frage auf: Warum haben diese AutorInnen sie nicht gefunden?
Verordnete Freiheit. Ein Resümee
So begrüßenswert das Anliegen ist, öffentliche Einrichtungen sollten nicht von einem multinationalen Konzern abhängig sein, eine quasi von Oben herab verordnete Freiheit, die von der Stadt Linz beschlossen und von der Ars Electronica durchgeführt werden soll, kann doch nicht die Lösung sein. Wenn man schon die Prinzipien der Freien Software auf Kultur im breitesten Sinne übertragen will, muss man auch berücksichtigen, dass es gerade die vielen verschiedenen Sichtweisen und Zugänge sind, welche die Stärke der Freien Software ausmachen.
Es bleibt zu hoffen, dass die jungen AutorInnen dieses Buches mit ihren je eigenen Sichtweisen und Zugängen zur Vielfalt in dieser Stadt beitragen wollen, auch wenn das Buch leider den Eindruck vermittelt, sie wollten bestimmen.
Literatur
Dobusch, Leonhard / Christian Forsterleitner (Hg.) (2007): Freie Netze. Freies Wissen. Ein Beitrag zum Kulturhauptstadtjahr Linz 2009. Wien
freie Netze
Aileen Derieg arbeitet als Übersetzerin und Autorin in Linz.