Animal laboris` Recht auf Faulheit
Zur Zeit meiner realsozialistischen Sozialisation wurde zumindest in der Schule in regelmäßigen Abständen die Rolle der Arbeit andiskutiert. Ob sie ein Recht oder eine Pflicht jedes einzelnen Bürgers sei, lautete stets die Frage, und ab da musste sich der/die Schüler/in den Weg bis zum Verfassungszitat „Das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit“ selbst freilegen.
Zur Zeit meiner realsozialistischen Sozialisation wurde zumindest in der Schule in regelmäßigen Abständen die Rolle der Arbeit andiskutiert. Ob sie ein Recht oder eine Pflicht jedes einzelnen Bürgers sei, lautete stets die Frage, und ab da musste sich der/die Schüler/in den Weg bis zum Verfassungszitat „Das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit bilden eine Einheit“ selbst freilegen. In informelleren Zusammenhängen wurde der Paragraph mit „so, aber eher umgekehrt“ absurdistisch auf den Punkt gebracht.
Die aussagekräftige Verknüpfung zwischen Privileg und Strafe, die dabei mitschwingt, und die damit erzeugte Dynamik sind freilich nicht nur dem Realsozialismus vorbehalten. Das Kreisen aktueller politischer Debatten um die Grundsicherung markiert ähnlich verdeckte Krämpfe. Zaghaft-defensiv versuchen linke Parteien nicht ganz über die massiv stattfindende Prekarisierung hinwegzuschauen. Statt aber im Sinne einer Solidarisierung oder visionären Umverteilungspolitik bedingungsloses Grundeinkommen für alle BewohnerInnen des Landes einzufordern, ist man um fragwürdige Kompetenzerweiterungen bemüht und scheut auch nicht den Preis der Akzeptanz neoliberaler Wirtschaftsthesen. Als ein Gradmesser für die flächendeckende Wirkung christlichen wie rassistischen Gedankenguts eignet sich die Debatte allemal.
Nur zu offensichtlich wird dabei, wie auch heutzutage Arbeit – unter dem Motto „Im Schweiße deines Angesichts...“ – auf einen postparadiesischen Zustand verweisen muss, um als solche anerkannt zu werden – und dass sie ohne calvinistischen Beigeschmack (Arbeit ist gleich Leistung) nicht auskommt. Zwar hat angeblich jede Arbeit einen Wert, doch welchen genau? Was schon im Protestantismus als Zeichen einer Gottesgnade galt – die gewinnbringende produktive rationalisierte Berufsarbeit –, hat auch nach 150 Jahren erfolgreichen Gottestods Hochkonjunktur in der Gesellschaft.
Was passiert aber mit einer Gesellschaft, wenn ihr die Tätigkeit, die eine ihrer zentralen Referenzbegriffe bildet, eine Drehscheibe ihrer Konnotationen darstellt und quasi ihr Fundament ausmacht, ausgeht? Wie ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit fehlt? Und auch: worauf versteht sich diese Arbeitsgesellschaft noch?
Zurück zu der Schulfrage also: Zwangsmaßnahme oder Sonderrecht? Wer darf heute und wer wird morgen in einer solchen Mangelgesellschaft Recht auf – und v.a. Recht auf welche! – Arbeit haben? Ist nicht viel mehr die Frage nach dem Recht auf Faulheit, wie Lafargue es spitz formulierte, an der Tagesordnung, denn erst wenn Recht auf Arbeit und auf Faulheit gemeinsam gedacht wird, kommen wir ein Stück weiter, ohne sofort in Almosendenken zu verfallen. Und wenn uns schon die Arbeit abhanden kommt, nützen wir doch die Chance!
Was die Ökonomie der Anerkennung betrifft: Als die Generation meiner Eltern ihr Studium machte und ihre ersten Jobs bekam, glaubte man daran, dass der Kommunismus vor der Tür stehe und dass all die Arbeitsplätze nur eine vorübergehende Beschäftigung seien, präparadiesisch gemeint. Die Arbeit war die Arbeit an der eigenen Aufhebung und nie wieder soll sie so viel Spaß gemacht haben, hieß es. Vielleicht liegt da der feine Unterschied zwischen Wegrationalisierung und gesellschaftlicher Transformation.
Daher, seien wir auf der Hut: Sobald die Arbeit an der eigenen Aufhebung gemeinsam und lustvoll ausfällt, haben wir uns für den gesellschaftlichen Umbruch entschieden.