Antirassismus: links, emanzipatorisch, widerspruchsfrei?

Islamistische Ideologie wird mit „dem Islam“ in eins gesetzt, dieser mit Migrationspolitik, mit sozialen und alltäglichen Interessenkonflikten im städtischen Leben verknüpft. Lärmende Kinder nicht-deutscher Muttersprache mutieren da zur Bedrohung des Abendlandes und Frauen mit Kopftuch zum Symbol des bemitleideten, aber auch gefürchteten Fremden schlechthin.

Gerne und zu Recht grenzt sich der politische Antirassismus vom bloß moralischen ab. Während letzterer sich an der Unmenschlichkeit im Einzelfall und an behördlicher Willkür abarbeitet und deren stets unschuldige, unbescholtene und sympathische Opfer präsentiert, will ersterer Strukturen verändern und den institutionellen, in Gesetze gegossenen Rassismus angreifen. Dieser ist es ja, der täglich und systematisch neue „Einzel-“ oder „Härtefälle“ produziert, von denen nur die wenigsten den Weg in die Massenmedien finden. Politische Antirassist_innen beschränken Solidarität daher nicht auf sogenannte „gut Integrierte“. Wer gleiche Rechte (und daher zunächst: Bewegungsfreiheit und Bleiberecht) für alle Menschen fordert, wählt nicht aus, wem Solidarität zu gelten hat, sondern tritt an, die rassistischen Verhältnisse zu ändern … So oder so ähnlich könnte die Formel des politischen Antirassismus in höchst komprimierter Form lauten. Und sie stimmt. Zu einem politischen Ansatz, der Rassismus nicht als „Versagen“, als Fehler eines prinzipiell richtigen Systems, sondern als integralen Bestandteil der österreichischen bzw. europäischen Einwanderungs-, Bevölkerungs-, Arbeitsmarkt-, Sozial- und Bildungspolitik (die Liste ließe sich beliebig fortsetzen) interpretiert, gibt es keine Alternative. Ebenso wenig allerdings dazu, genauer hinzuschauen und sich komplexeren und widersprüchlicheren Diskussionen zu stellen, um auf gesellschaftliche Debatten überhaupt angemessen reagieren zu können.

Antirassistische Orientierungsprobleme

Eines der wichtigsten Themen rassistischer Diskurse – wenn nicht das wichtigste – ist aktuell „der Islam“. In der Figur des anti-westlichen, anti-modernen, integrationsunwilligen, patriarchalen und gewalttätigen Moslems und der unterdrückten, rück- und unselbstständigen, kopftuchtragenden Muslima mit zu vielen Kindern treffen unterschiedliche Stränge rassistischer und sexistischer Projektionen zusammen. Die Vermischung macht die „Stärke“ dieser rassistischen Figur aus: Islamistische Ideologie wird mit „dem Islam“ in eins gesetzt, dieser mit Migrationspolitik, mit sozialen und alltäglichen Interessenkonflikten im städtischen Leben verknüpft. Lärmende Kinder nicht-deutscher Muttersprache mutieren da zur Bedrohung des Abendlandes und Frauen mit Kopftuch zum Symbol des bemitleideten, aber auch gefürchteten Fremden schlechthin. Wer diese rhetorischen Figuren (die von Rechtsextremist_innen bis hin zu manchen liberalen Feministinnen bedient werden) kritisiert, sieht sich leicht mit dem Vorwurf konfrontiert, er_sie würde reale Probleme, Gewalt, Ungleichheit und reaktionäre Ideologien verharmlosen oder ignorieren. Auf den ersten Blick erscheint das plausibel – schließlich existieren ohne Zweifel patriarchale Geschlechterverhältnisse und Familienvorstellungen, religiöse und reaktionäre Gesellschaftsvisionen und offener Antisemitismus (auch) unter (moslemischen) Zuwanderer_innen und werden dort zum Teil mit Bezug auf essentialistisch gedachte kulturelle und religiöse Traditionen gerechtfertigt. Der – richtige – Hinweis, dass solche Einstellungen und Handlungen auch unter jenen, die als „echte“ Österreicher_innen verstanden werden, verbreitet sind, darf hier nicht zur Entschuldigung von Gewaltverhältnissen führen, sondern muss vielmehr in deren Analyse einfließen. Was aber bedeutet das für einen linken Antirassismus mit umfassendem emanzipatorischem Anspruch?

Bei antirassistischen Orientierungsschwierigkeiten empfiehlt sich ein Blick in die – verblüffend wenig bekannte – Geschichte der (selbstkritischen) feministischen Auseinandersetzung mit Rassismus, die spätestens seit den frühen 1990er Jahren auch im deutschsprachigen Raum stattfand. Nicht dass diese Debatten aus antirassistischer Perspektive vorbildlich abgelaufen wären (oft genug lässt sich das Gegenteil feststellen) oder hier fertige Lösungen zu finden wären, doch zumindest lassen die vielfältigen Analysen des rassistischen Gehalts scheinbar antisexistischer Argumente auch den heutigen Diskurs einfacher durchschauen. Vor allem aber bieten diese – fast immer den hartnäckigen Interventionen von Migrantinnen und Schwarzen Feministinnen geschuldeten – Diskussionen aus 20 Jahren Ansatzpunkte für den Umgang mit Widersprüchen. An ihren interessantesten Stellen lassen sie zudem die Bedeutung der Selbstverortung von Antirassist_innen aus der Dominanzgesellschaft klar hervortreten, die jedoch nicht als individuelle Frage, sondern als Eingebundenheit in und Verkörperung von gesellschaftlichen Strukturen verstanden wird.

Keine Antwort auf die falsche Frage

Beispielhaft lassen sich Stärken und Schwächen der feministischen Auseinandersetzung u. a. an den in unregelmäßigen Abständen aufflammenden „Kopftuch-Debatten“ zeigen, die längst auch die extreme Rechte für sich entdeckt hat. Wenn allerdings H.C. Strache von „freien Frauen“ statt „Kopftuchzwang“ spricht, braucht es nicht viel, um die rassistische Absicht zu erkennen – zumal der FPÖ-Chef im Interview bemerkt, er würde „seiner Frau“ sagen, dass der Minirock in Ankara „nicht erwünscht“ sei, und damit ganz offensichtlich macht, dass für ihn keineswegs der männliche Zugriff auf den weiblichen Körper das Problem darstellt (vgl. Der Standard, 1.9.2010). Nicht viel anders verhält es sich mit Diskussionen um ein sogenanntes „Burka-Verbot“, die offensichtlich nicht von realen gesellschaftlichen Problemen ausgehen, sondern nur vor dem Hintergrund einer immer restriktiveren Migrations- und repressiven Integrationspolitik interpretiert werden können, die die Kulturalisierung sozialer Fragen als Voraussetzung annimmt und in der Folge vorantreibt. Was aber jenen entgegnen, denen tatsächlich der Einsatz gegen Sexismus und für gleichberechtigte Geschlechterverhältnisse ein Anliegen ist und die aus einer solchen Position heraus im islamischen Kopftuch ein Symbol sexistischer Unterdrückung erkennen?

Zunächst vielleicht den Hinweis, dass patriarchale Unterdrückung und Gewalt nicht an einem Stück Stoff hängen, sondern strukturelle Ursachen haben, die politisch zu bekämpfen wären. Schlechte Chancen von Mädchen mit Migrationshintergrund auf eine Lehrstelle z. B. fördern ganz direkt spätere ökonomische Abhängigkeit. Die Sondergesetze gegen Nicht-StaatsbürgerInnen, die u. a. die Abhängigkeit „nachgezogener“ Familienangehöriger festschreiben, stellen weitere wichtige Faktoren dar. Andere sind die Ablehnung, der rassistische Hass oder das herablassende Mitleid, das Frauen mit Kopftuch entgegenschlägt, ebenso wie der Umstand, dass Kinder und Jugendliche in Österreich ganz generell als Eigentum ihrer Eltern betrachtet werden. Die Liste der Sexismus, ungleiche Geschlechterverhältnisse und patriarchale Gewalt fördernden Faktoren ist lang – manche davon sind spezifisch für (moslemische) Migrant_innen, die meisten jedoch betreffen die österreichische Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. Auf den falschen Gegensatz von „Kopftuch“ einerseits und „Emanzipation“ andererseits müssen sich Antirassist_innen daher nicht unbedingt einlassen. Noch wichtiger scheint freilich ein zweiter – vor allem postkolonialer feministischer Kritik geschuldeter – Hinweis an alle, die der Dominanzgesellschaft angehören: Stell dir zuerst die Fragen: „Und was hat das mit mir zu tun? Welches Bild meiner selbst und der Gesellschaft entwerfe ich im Sprechen über ,die Anderen‘?“ Kaum etwas eignet sich so gut, um patriarchale Strukturen innerhalb der Dominanzgesellschaft zu übertünchen und die Auseinandersetzung mit eigenen verinnerlichten Sexismen zu vermeiden, wie die Kritik am „fremden“ Patriarchat. Und auch das Selbstbild als westliche, emanzipierte, unabhängige Frau strahlt nie heller als im Kontrast zur vermeintlich unterdrückten, sprachlosen und abhängigen Muslima. Nur wer die eigene Position hinterfragt, sich eigene Werte, Wünsche und Vorstellungen bewusst macht, ist überhaupt in der Lage, einen gleichberechtigten Dialog mit jenen zu suchen, die in der rassistisch gespaltenen Gesellschaft auf der anderen Seite positioniert werden. Die feministische Theoretikerin Nira Yuval-Davis beschreibt die dadurch ermöglichte gleichberechtigte und respektvolle Diskussion als Zusammenspiel von rooting und shifting: Einerseits bringt jede_r Diskussionspartner_in sein_ihr spezifisches Wissen ein, das nicht zuletzt von der eigenen gesellschaftlichen Positionierung bestimmt ist, andererseits wird versucht, die jeweils anderen zu verstehen, die Welt auch „mit deren Augen zu sehen“. Mit Relativismus hat eine solche Herangehensweise nichts zu tun – ganz im Gegenteil: Gerade wer emanzipatorische, linke und linksradikale Überzeugungen weitertragen und durchsetzen will, muss sich darüber im Klaren sein, damit keine „Selbstverständlichkeiten“, sondern umstrittene politische Positionen zu vertreten und nur auf Überzeugung und nicht auf die Macht unhinterfragter gesellschaftlicher Dominanz und scheinbar „universeller“ Deutungsangebote setzen zu können. Nicht die Klarheit und Radikalität der eigenen Ansätze ist zu hinterfragen, sondern das Verhältnis zu und die eigene (privilegierte) Position gegenüber den Diskussionspartner_innen. Wer diese (selbst)kritische Reflexion verweigert, besorgt nur allzu schnell das Geschäft der rassistischen Demagog_innen. Umgekehrt erweisen freilich auch jene dem Antirassismus einen schlechten Dienst, die – aus Sorge, rassistische Diskurse zu bedienen – am liebsten jede Kritik an Menschen, die in Österreich (auch) rassistisch diskriminiert werden, unterbinden würden. Was auf den ersten Blick nach konsequentem Antirassismus aussieht, entpuppt sich auf den zweiten als äußerst problematisch: Nicht nur dass damit eine scheinbar homogene Gruppe von Opfern rassistischer Diskriminierung imaginiert wird (und nur allzu schnell andere Unterdrückungsverhältnisse aus dem Blick geraten), dahinter steckt auch ein – in letzter Konsequenz rassistisches – Nicht-Ernstnehmen von Personen und den politischen Positionen, die diese vertreten. Gerade wenn wir der rassistischen Spaltung unsere Vision von einer Gleichberechtigung aller entgegensetzen wollen, gehört dazu auch die politische Auseinandersetzung mit, die Kritik an und die Abgrenzung von problematischen politischen Positionen.

Notwendig widersprüchlich

Radikale antirassistische Arbeit bewegt sich notwendigerweise in einem Feld voller Widersprüche. Müssen linksradikale, antireligiöse Menschen für den Bau von Moscheen eintreten? Sollen Feministinnen männliche Jugendliche gegen den Vorwurf, sie würden durch ihr Verhalten den öffentlichen Raum besetzen und andere verdrängen, verteidigen? Vor allem muss es darum gehen, falsche Alternativen aufzubrechen. Rassismus in all seinen praktischen, institutionellen, sprachlichen, versteckten, offenen und anderen Erscheinungsformen ist immer zu bekämpfen – ganz unabhängig davon, ob uns jene Menschen, die zu seinem „Objekt“ gemacht werden, sympathisch sind oder wir auch gegen deren Verhalten politisch einiges vorzubringen hätten. Umgekehrt ist Kritik an reaktionären Denk- und Verhaltensweisen auch dann angebracht, wenn es sich bei den Kritisierten um Menschen handelt, die selbst rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind – allerdings, wie oben angeführt, nicht aus einer unreflektierten Position der Dominanz heraus, sondern in einer politischen Diskussion, die ein Bewusstsein der eigenen Position ebenso voraussetzt wie die Bereitschaft, sich auf andere einzulassen. Praktisch ist das ein Balanceakt, der nicht immer gelingen kann, sondern auf dauernde (Selbst-)Reflexion angewiesen ist. Schwer vermittelbar ist eine solche Position, die sich einfachen „Entweder-oder“-Logiken entzieht, obendrein – bislang erscheint sie mir dennoch alternativlos.

Stefanie Mayer lebt und arbeitet als Politikwissenschafterin und politische Aktivistin in Wien.