Arische Geburtstiroler, Säulenheilige und Musik

Zur Debatte um die Schönfärbung der unliebsamen Geschichte des Musiklebens während der NS-Zeit in Tirol

Das private Institut für Tiroler Musikforschung in Innsbruck veröffentlichte 2010 und 2011 elf CDs mit Musik der 1934 gegründeten Arbeitsgemeinschaft Tiroler Komponisten (ATK), der unter anderem Josef Eduard Ploner, eine Schlüsselfigur im NS-Musikleben in Tirol, angehörte. Diese Arbeitsgemeinschaft bezeichnete sich laut Protokoll vom 13.3.1937 in der Zusammenarbeit mit dem Bruder-Willram-Bund als „Zweckbündnis zur Bekämpfung des Semitismus“, Werke zur Förderung durch die aus der Arbeitsgemeinschaft initiierten Karl Senn-Stiftung durften nur von „arischen Geburtstirolern“ eingereicht werden. Die ATK erstellte 1937 eine Denkschrift über die „Vorherrschaft der Juden in der RAVAG“ (Radio-Verkehrs AG – erste österreichische Rundfunkgesellschaft) mit einer einschlägigen Statistik, die an verschiedene Stellen im austrofaschistischen Ständestaat, aber auch an solche im deutschen NS-Staat versandt wurde. Überhaupt pflegte man eifrig Beziehungen zu NS-Deutschland, wie aus dem im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum erhaltenen Protokoll hervorgeht, so etwa zum Referat für das Deutschtum in der Reichssendeleitung Berlin oder zum Propagandaministerium durch den Vermittler Waldemar Rosen, der in Innsbruck studiert hatte.

Das ATK-Mitglied Josef Eduard Ploner nahm nach dem „Anschluss“ 1938 eine Schlüsselposition in den vielfältigen Aktivitäten zur Nazifizierung des Musiklebens im Gau Tirol-Vorarlberg ein. In seinem Beruf als Lehrer befördert, aber für die Regierungsassistenz freigestellt, war er innerhalb der Gauselbstverwaltung für musikalische und musikideologische Belange zuständig. Schon 1933 war Ploner der NSDAP beigetreten. 1937 wurden die „völkisch“ eingestellten Mitglieder der ATK durch den späteren Gaukulturwalter Dr. Siegfried Ostheimer „auf den Führer“ vereidigt. In den Tagen des „Anschlusses“ sah Josef Eduard Ploner seine Stunde gekommen. Begeistert schrieb er an seinen Freund Josef Gasser in Neustift: „Wie Du dir ja vorstellen kannst, muß auch auf kulturellen Gebieten zuerst vollständig ausgemistet werden. Die ‚A. K. M.‘ (Urheberrechtsgesellschaft) z. B. steht nun nach der ersten Radikalsäuberung ebenfalls judenrein da u.s.w. u.s.w. … Am 11. ds. war mein schwerster u. auch mein glücklichster Tag. Hoffentlich bist Du von den geradezu dramatischen Ereignissen der letzten 14 Tage doch unterrichtet? Inzwischen mit einem kräftigen Heil Hitler … Dein sehr eingespannter Sepp.“

Im Vorwort des von ihm herausgegebenen Gauliederbuchs nimmt Ploner auf die aktuelle Kriegssituation Bezug und betont den Zusammenhang des gemeinschaftlichen Singens als Quelle für den Kampf. In Anlehnung an die Vorgaben der nationalsozialistischen Freizeitorganisation KdF (Kraft durch Freude) zur „Veredelung des deutschen Menschen“ betonte Ploner die Rolle des gemeinsamen Singens. „Kraft durch Freude“, die aus der Musik zu gewinnen sei, soll mithelfen, „den Endsieg“ zu erringen: „So soll nun dieses Buch viel Freude bereiten! Und Freude schafft wiederum Kraft. Diese seelische Kraft aber soll mithelfen, unserem kämpfenden Volke den Endsieg zu erringen … Innsbruck, Wintersonnenwende im Kriegsjahr 1941 … Jos. Eduard Ploner.“

Von all dem findet sich in den Booklets zur eingangs angesprochenen Tonträger-Reihe nichts: In der CD Klingende Kostbarkeiten aus Tirol 74/historics 5 wurde Josef Eduard Ploner als „idealtypischer Tiroler“ verherrlicht. Nach einer etwa einen Monat andauernden internen Diskussion, die leider nichts fruchtete, wandte sich eine Gruppe von Empörten in Tirol 2011 in einem Offenen Brief an die Öffentlichkeit: Der Offene Brief ging zwar durch die Presse, die Reaktionen blieben aber im nicht messbaren Bereich. Neuere Versionen der Booklets wurden zwar mit einigen Informationen zur NS-Zeit gespickt, jedoch gleichzeitig mit exkulpierenden Kommentaren als Einrahmung versehen. Dieses Vorgehen ist aus der Vergangenheit hinlänglich bekannt: scheibchenweise Zugeständnisse – angereichert mit wortreichen Relativierungen, um die unliebsame Geschichte weiter schönzufärben, biografische Fakten der mit Straßennamen und anderen Ehrungen Bedachten weiter umzulügen. Alles wie gehabt? Die ewige Wiederholung: Aufzeigen – Beschweigen als Weg – Weiter wie bisher?

Ein Blogger bringt die Politik in Zugzwang

2012 fanden ein Symposium in Innsbruck zum Thema musik und nazismus in tirol und die daran anschließende Präsentation von Objekten in digitalisierter Form Tiroler Musikleben in der NS-Zeit im Tiroler Landesmuseum erstaunlicherweise so großes Interesse, dass die ursprünglich für zwei Wochen geplante Ausstellung auf mehrere Wochen verlängert wurde. Veranstaltungen des Absamer Museumsleiters Matthias Breit (Auf einem Ohr blind – August 2011, Blasmusik auf Bestellung – September 2013) und vor allem die Initiativen der „Ein-Mann-Bürgerinitiative“ Markus Wilhelm (Die Zeit online 22.6.2006), der als Bauer und Blogger den entscheidenden Öffentlichkeitsschub auslöste, ließen eine neue Situation in der öffentlichen Debatte entstehen.

Reaktionen von offizieller Seite blieben nicht aus. Die 2008 nach dem ehemaligen Gaumusikleiter Sepp Tanzer benannte Kramsacher Musikschule wurde wieder in Landesmusikschule Kramsach umbenannt. In Lienz entdeckte man, dass die Josef Eduard Ploner Straße eigentlich ursprünglich nach dem Archäologen Innozenz Ploner benannt war. An einer Lösung für die Plonergasse in Innsbruck wird derzeit gearbeitet.

Die Geschichte meldet sich zurück: Hellau!

Schauplatz Wiener Rathaus, 26. Jänner 2013: Tirolerball. Unter den TeilnehmerInnen höchste Politprominenz: Landeshauptmann Platter, Vizelandeshauptmann Reheis etc. Am Höhepunkt des Ballgeschehens erklingt der Standschützenmarsch von Sepp Tanzer. Im Trio dieses Marsches steht das Lied Hellau, miar sein Tirolerbuam!, das unter reger Beteiligung des Publikums gesungen wird. Angeblich ein Schützenlied aus den 1860er-Jahren, wurde Hellau titelgebend für ein Gauliederbuch, das – wie bereits erwähnt – Josef Eduard Ploner 1942 im Auftrag Franz Hofers, des NSDAP-Gauleiters von Tirol-Vorarlberg, herausgegeben hatte. Dieses Gauliederbuch steht in seiner Zusammenstellung von antisemitischen Gesängen, NS- und Kriegsliedern aus dem „Altreich“ wie von Tiroler Komponisten, Scherzgesängen und Tirolertum singulär im NS-Staat.

Das Lied Hellau war in Tirol vor Erscheinen des Gauliederbuchs kaum bekannt. Sepp Tanzer, zu dieser Zeit bereits einer der ranghöchsten Musikfunktionäre im Gau, reagierte auf die Einsetzung dieses Liedes durch den Gauleiter als musikalisches „Tirol-Emblem“ unmittelbar und komponierte den Standschützenmarsch, den er 1942 auch dem Gauleiter Hofer „in Dankbarkeit“ widmete. In der NS-Feiergestaltung findet das Hellau-Lied nun vor allem als Abschlusslied bei HJ- und Schulveranstaltungen Verwendung. Nach 1945 verschwindet das Lied aus allen offiziellen Liederbüchern, im Trio des Standschützenmarsches bleibt es jedoch (stillschweigend?) erhalten. Eine Frage drängt sich hier auf: Wie konnten in der Nachkriegszeit die zeitgeschichtlichen Konnotationen seit 1942 kollektiv ignoriert werden?

Heldisch tönend

In seiner Funktion als Musikreferent des Standschützenverbands war Tanzer auch für die ideologische Untermauerung der nationalsozialistischen Variante des Standschützenverbandes zuständig. Immer wieder wird die Blasmusik als Ausdruck des „Wehrwillens“ und der „Wehrhaftigkeit“ im Einklang mit Franz Hofers Deutung der Tiroler Bevölkerung als „Wehrbauernstamm im Süden des Reiches“ genannt.

In der Broschüre Alpenheimat 1945 betont Tanzer die kriegswichtige Bedeutung der Blasmusik: „Der Wehrwillen und die Wehrhaftigkeit unserer Heimat drücken sich nicht nur in der Waffenbeherrschung … aus, sondern auch in der Pflege der Blasmusik. Seit dem Mittelalter hat sich die Blasmusik im Rahmen der Wehrhaftigkeit langsam zu jener heldisch tönenden Harmonie entwickelt, wie sie in den klangvollen Kapellen der heutigen Zeit Ausdruck findet …“

Nachklänge

Anlässlich der Umbenennung der Landesmusikschule Kramsach in Sepp Tanzer Musikschule 2008 kam es zu Protesten. Auf die Anfrage der Presse, ob die NS-Biografie Tanzers eine solche Widmung zuließe, antwortete der zuständige Landesrat Erwin Koler: „Ich höre das zum ersten Mal.“ Der Kurier fasste die Reaktion des Landesrats auf geäußerte Bedenken, ob man hier nicht ein falsches Zeichen setze, knapp zusammen: „Für ein bedenkliches Signal – gerade im Gedenkjahr 2008, das an 70 Jahre NS-Machtübernahme erinnert – hält Koler das dennoch nicht. Es sei kein politisches, sondern ein musikalisches Zeichen.“ (Kurier 29.02.2008, S. 14).

Bleibt zu hoffen, dass solche „Zeichensetzung“ in Zukunft nicht mehr möglich sein wird.

Links

http://derstandard.at/1376534683399/Ein-NS-Hetzer-in-Wort-und-Ton

http://www.erinnern.at/bundeslaender/tirol/bibliothek/dokumente/heroisierung-des-musikalischen-nazipropagandisten-josef-eduard-ploner-aus-tirol

Kurt Drexel lehrt am Institut für Musikwissenschaft der Universität Innsbruck. Er ist gemeinsam mit Monika Fink Herausgeber der Musikgeschichte Tirols (Universitätsverlag Wagner 2001-2008) und arbeitet derzeit an einer Monografie zum Thema Musik und Identität im Gau Tirol-Vorarlberg, 1938-1945, die Anfang 2014 erscheinen wird.