Blicke, Repräsentationsregime und Sichtbarkeitsverhältnisse

Wer sichtbar wird, hat Zugang zu politischer Macht. So oder ähnlich ließen sich die Grundsätze zusammenfassen, die antirassistische, anti(hetero)sexistische, sagen wir alle gegen Formen der Diskriminierung gerichteten Politiken lange Zeit ausgezeichnet haben und noch immer auszeichnen.

Wer sichtbar wird, hat Zugang zu politischer Macht. So oder ähnlich ließen sich die Grundsätze zusammenfassen, die antirassistische, anti(hetero)sexistische, sagen wir alle gegen Formen der Diskriminierung gerichteten Politiken lange Zeit ausgezeichnet haben und noch immer auszeichnen: Mehr Sichtbarkeit für die Anliegen von Migrant_innen! Sichtbarkeit für Schwarze Lesben! Sichtbarkeit als Mittel, um marginalisierte Lebensweisen und Wissen endlich abseits hegemonialer Repräsentationsweisen zu zeigen. Sichtbarkeit also als Garantie, andere Bilder zu erzeugen.

Sichtbarkeit als ambivalente Größe

Aufzuzeigen, dass Sichtbarkeit – als positiver Gegenpol zu Unsichtbarkeit gedacht – tatsächlich nur die Möglichkeit anderer Bilder, aber nicht unbedingt eine Garantie für die Überwindung hegemonialer Repräsentationsregime oder die Erlangung von politischer Macht bietet, ist einer der Ansatzpunkte in Johanna Schaffers Buch „Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung”, welches 2008 im transcript Verlag erschienen ist. Grund dafür ist, wie die Autorin nicht nur theoretisch ausführt, sondern auch durch Bildanalysen unterstreicht, dass „sich Fragen des Sehens und der Sichtbarkeit nicht trennen lassen von Fragen der Subjektivität und der gesellschaftlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse“ (Schaffer 2008: 35). Demnach ist es, der Autorin folgend, essentiell, die Diskussion um die Form der Bilder in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung um den Einsatz von Bildern in politischen Kämpfen zu stellen. Denn sonst besteht laut Schaffer die Gefahr, dass marginalisierte Gruppen lediglich hegemoniale Repräsentationsordnungen bejahen, eben jene Respräsentationsordnungen, die sie minorisieren (ebd.: 52). Ergebnis solch einer hegemoniale Repräsentationspraxen wiederholenden Herangehensweise wäre, wie Johanna Schaffer im Rückblick auf das deutschsprachige Migrant_innenkino oder die Kampagne Deutsche gegen rechte Gewalt aufzeigt, eine „Anerkennung im Konditional“, also eine Anerkennung, die gleichzeitig wieder marginalisiert (siehe bspw. ebd.: 92). Hier wird einmal mehr klar, dass es Johanna Schaffer nicht um die Einteilung und Beurteilung von Bildern in gut oder schlecht geht, sondern um die Darstellungsbedingungen – „als von Normen durchzogene Bedingungen der Sichtbarkeit und der Intelligibilität“ (ebd.: 19). Die komplexen Verhältnisse zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit sind es dann auch, die Sichtbarkeit zu einer ambivalenten Größe machen.

„Ambivalenzen der Sichtbarkeit” weiterdenken

Nach der Lektüre von „Ambivalenzen der Sichtbarkeit” grüble ich weiter über Bilder, denn eines ist klar, Johanna Schaffers Buch ist kein reines Handbuch à la „Wie gute Bilder (schnell) erzeugen“, auch wenn natürlich aus der Lektüre sehr wohl Anregungen und Inspirationen, aber auch Hinweise auf Stolpersteine zu gewinnen sind. Das vorliegende Buch ist vor allem eine theoretische Verortung, ein Aufzeigen der politischen Bedeutung von Bildproduktion und Visualität, ein Antrieb weiter zu blicken und über Bilder zu diskutieren.

Wie Anerkennung erreicht werden kann, ohne erstens hegemoniale Visualisierungen zu übernehmen und zweitens nicht die Verwobenheit der unterschiedlichen Unterdrückungsverhältnisse außer Acht zu lassen, steht nach wie vor als Frage im Raum. Die Negativbeispiele leuchten ein, doch stellt sich mir die Frage, wie die so prominent repräsentierte Andersheit (ersichtlich beispielsweise an einer schwarzen Hautfarbe oder dem Dauerbrenner „Kopftuch“, unterstrichen durch dementsprechende Bildtexte) anders repräsentiert hätte werden können? Wie den ewigen Bezug auf das normale weiße Andere durchbrechen, beziehungsweise wie die Bilder sichtbarer machen, die das schon längst tun? Vielleicht indem das Ziel nicht mehr die Mehrheitsgesellschaft, das quasi visuelle Überzeugen der Norm von der eigenen Normalität ist? ... die Übernahme von hegemonialen Repräsentationsweisen und gleichzeitige Sabotage derselben? Diesen und ähnlichen Fragen nähert sich Johanna Schaffer unter Bezugnahme auf die Arbeiten von De LaGrace Volcano und Catherine Opie. Hier zeigt die Autorin, dass die Ambivalenz der Sichtbarkeit aus einer marginalisierten Position sich auch produktiv nutzen lässt. Weiterzudenken und entsprechende Methoden für die praktische (Bild)Politik zu entwickeln, wäre nun die Aufgabe der Leser_innen.

Abseits der inhaltlichen Ebene möchte ich noch kurz andere Aspekte anführen, die „Ambivalenzen der Sichtbarkeit” auszeichnen: So fällt positiv auf, dass konsequente Anordnung und Aufbau der Kapitel es ermöglichen, die Leser_innen in die Denkbewegungen der Autorin miteinzubeziehen. Eine jedes Kapitel einführende Einleitung sowie ein abschließendes Resümee sind Beispiele für diese Vorgehensweise. Rückgriffe auf bekannte Theoretiker_innen wie Antke Engel, Judith Butler oder Teresa de Lauretis gehen Hand in Hand mit Zitaten und Bezügen zu antirassistischen und anti(hetero)sexistischen (Selbst)Organisationen wie maiz oder Next genderation Network. Ersichtlich wird hier, dass es Johanna Schaffer darum geht, verschiedenste Indentitäts- und Anti-Identitätspolitiken sowie Kontexte zusammen zu bringen, anzudenken, wie „sich unterschiedlich fokussierte Politiken gegenseitig stärken können und müssen“ (ebd.: 17). Last but not least ist zu erwähnen, dass wir es mit einer Autorin zu tun haben, die dank ihres kunsthistorischen Hintergrundes den Umgang mit Bildern gewohnt ist. Dies zum Vorteil der Leser_innen, denn auch wenn die Auseinandersetzung mit Bildern in den Cultural Studies und Postkolonialen Theorien prominent ist, enttäuscht die tatsächliche Arbeit mit Bildern oftmals. Im Gegensatz dazu macht hier, neben inhaltlicher Auseinandersetzung und deutlicher Verortung der Autorin, die technische Ausführung, der Umgang mit Text und Bild, einen großen Teil des Lesevergnügens aus.

Literatur

Schaffer, Johanna (2008): Ambivalenzen der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der Anerkennung. Bielefeld (transcript).

Belinda Kazeem ist in verschiedenen Kontexten unterwegs.