Briefe

Selbst Briefe, die bisher routinemäßig geschrieben und erwartet wurden, haben in schwarz-blauen Regierungszeiten eine wesentlich größere Bedeutung als in früheren Jahren.

Nicht der neue Medienkonzentrationsschub mit der Einstellung von täglich Alles und der wirtschaftlichen Fusion der drei führenden österreichischen Wochenmagazine profil, Format und News beunruhigt, nicht der parteipolitische Zugriff auf die elektronischen Medien und vor allem auf den ORF erhitzt die Gemüter, nicht die nationalistischen Entwicklungen in Europa entsetzen, nicht die Verflechtungen zwischen der FPÖ und der Justiz machen Sorgen, sondern Briefe.

Briefe spielen in der aktuellen politischen Auseinandersetzung in Österreich eine erstaunlich wichtige Rolle. Einerseits hat keine Regierung vor der schwarz-blauen Regierung mehr zur Belebung des e-mail-Verkehrs getan als die jetzige, andererseits können sich wahrscheinlich nur mehr die ältesten unter den österreichischen Künstlern daran erinnern, wann zum letzten Mal von Künstlerseite aus einem Bundeskanzler ein bestes Einvernehmen mit der Bestellung und der Arbeit eines Kunststaatssekretärs oder Kunstministers brieflich bescheinigt worden ist, und auf der dritten Seite wurde André Heller von der Führungsriege der FPÖ geklagt, weil er einen Brief mit ein paar Zeilen über die Regierungsbeteiligung der FPÖ an den Wiener Kulturstadtrat Marboe gerichtet hat, der im Kurier veröffentlicht wurde.

Selbst Briefe, die bisher routinemäßig geschrieben und erwartet wurden, haben in schwarz-blauen Regierungszeiten eine wesentlich größere Bedeutung als in früheren Jahren.

Subventionszusageschreiben, die mit Monaten Verspätung und größeren als angekündigten Subventionskürzungen ihre Adressaten erreichen, Subventionsabsageschreiben und Kündigungsschreiben an ganze Mitarbeiterstäbe in Kulturbetrieben beherrschen seit einem halben Jahr die kulturpolitische Diskussion, die zuerst heftiger, später spärlicher und zurückhaltender in den Medien zu finden war und inzwischen dort unauffindbar geworden ist.

Aus diesem Grund kommt Briefen, die sich nicht der strikt neutralen Berichtsordnung der von der Regierung erlassenen Ansichten unterordnen, aber auch Briefen, die sie noch übertreffen, ebenso für die Medien eine große Bedeutung zu. Einer der vielen untrüglichen Belege dafür ist die Berichterstattung über die zuletzt zwischen dem Kunststaatssekretariat und den Künstlerverbänden in Streit geratene Künstlersozialversicherung.

Den größten, kontroversiellsten und aktuellsten Bericht über dieses Thema publizierten nicht etwa die "unabhängigen" und "überparteilichen" Tageszeitungen, sondern die einzige Tageszeitung, die sich tatsächlich im Besitz der Republik Österreich befindet und deren Aufgabe ist, eher summarisch als aktuell zu berichten, die amtliche Wiener Zeitung.

Eher als eine Pressemitteilung zu versenden, empfiehlt sich daher, einen Brief an ein Regierungsmitglied zu richten und diesen Brief dann einem Medium zur Verfügung zu stellen. Genau das hat der Essayist, Roman- und Filmautor Michael Scharang zu Beginn des Sommers getan, kurz nachdem er bei der Vorstellung einer regierungskritischen Anthologie des Konkret-Verlages im Wiener Literaturhaus regierungskritisch in Erscheinung getreten ist.

Umso überraschender war daher, dass es sich um keinen Brief mit regierungskritischem Inhalt handelte, sondern um ein Schreiben voller Übereinstimmung mit dem Kunststaatssekretär und voll der Anerkennung für die auch ohne diese Anerkennung bestehende, aber eben nicht bestätigte und vor allem nicht von unten hinauf bestätigte, und zu diesem Zeitpunkt auch nicht auf internationaler Ebene bestätigte neue österreichische Bundesregierung, die sich - wie jede Regierung - erst dann als gebildet begreifen kann, wenn sie sich nicht nur gebildet hat, sondern auch akzeptiert und geliebt wird.

Kompetent, sei er, der Kunststaatssekretär, seiner Sache ergeben, wie man in den Verhandlungen mit ihm von Autorenseite aus festgestellt habe. Einiges Wissen hätte man schon von Autorenseite aus mitgebracht, das größere Wissen sei freilich auf der Seite des Staatssekretärs zu finden gewesen. Und so sei es auch gelungen, von Mal zu Mal klüger zu werden. Der Kunststaatssekretär natürlich weniger, weil er ja schon vieles wusste, die Autorenseite um vieles mehr, weil sie ja nur einiges einzubringen hatte, wovon der Kunststaatssekretär allerdings auch nichts wissen konnte, bis es ihm gesagt wurde. Während ihm also nur gesagt werden musste, was er nicht wissen konnte, hatte er etwas zur Bekämpfung der Ahnungslosigkeit unter den Autoren beizutragen.

Wie auch immer, wichtig daran war und ist: es geschah gemeinsam. So wie es auch - im Wortlaut des veröffentlichten Schreibens weiter - gemeinsam mit dem Bundeskanzler bei einer Begegnung in der Wiener Staatsoper am Rande der Aufführung der "Zauberflöte" geschah, dass man sich, entgegen den später anderslautenden Kritiken, über das Gelingen der Aufführung einig war, so dass es dieses Briefes eigentlich gar nicht mehr bedurft hätte, weil man sich ja schließlich direkt und ganz unter sich verständigen hätte können. Aber was hätte dann die Öffentlichkeit davon gehabt? Und was hätte sie schließlich davon, wenn dieser Brief nur den ohnehin erwarteten und hinlänglich bekannten Inhalt einer kritischen Auseinandersetzung mit beispielsweise den Sparplänen der Regierung für den Kunst- und Kulturbereich zum Gegenstand gehabt und der Bundeskanzler seinem Kunststaatssekretär unter vier Augen gesagt hätte: "Du, da lobt Dich wer, weißt Du warum?", und die wahrscheinlich einzige richtige Antwort des Kunststaatssekretärs darauf gewesen wäre: "Ich weiß es auch nicht, aber es wird schon seine Gründe haben."

Denn wie soll denn ein Kunststaatssekretär wissen, warum und wofür er von einem Künstler gelobt werden kann, wo doch noch nie ein Kunststaatssekretär von einem Künstler gelobt worden ist und auch der Kunststaatssekretär bei jeder Gelegenheit sagt, er habe, als er noch ein Künstler gewesen sei, auch nie eine Regierung oder einen Kunststaatssekretär gelobt und der Kunststaatssekretär natürlich weder überhört noch übersehen haben kann, dass ihm seine Mitwirkung in der blau-schwarzen Regierung ganz besonders übel genommen wurde und er außerdem der einzige staatliche Vertreter der Kunst seit dreißig Jahren ist, der ein gekürztes Kunstbudget zu vertreten hat.

Eigentlich genau zum erwarteten Zeitpunkt ist all das eingetreten, was nach dem ersten halben Jahr schwarz-blauer Regierungsarbeit und diplomatischer Scharmützel vorherzusehen war: Die FPÖ macht, was ihr durch die Regierungsbeteiligung ermöglicht worden ist, die ÖVP, die ihr dazu verholfen hat, ist um Schadensbegrenzung bemüht, die Europäische Union zieht sich auf pragmatische Standpunkte zurück und die kritische österreichische Öffentlichkeit richtet sich, so wie in den letzten zehn Jahren, ein nächstes Mal darauf ein, dass es schlimmer hätte kommen können.

Die FPÖ ist laut Weisenratsbericht zwar eine "rechtspopulistische", aber keine "rechtsextreme" Partei, ein schwarzer Kunststaatssekretär ist immer noch besser als ein blauer und ein Morak immer noch besser als ein Mölzer.

Das müsste auch gar nicht bestritten werden, wenn es nicht so notwendig gewesen wäre, es zu betonen und es vielleicht doch so ist, dass die schwarz-blauen Regierungsinteressen in der Kunst und Kultur besser durch einen Andreas Mölzer vertreten wären oder wenigstens durch einen Andreas Khol als durch einen Franz Morak, und Franz Morak eigentlich nur als Cover für die schwarz-blauen Regierungsinteressen dient.

Oder hat etwa Franz Morak seinen Unmut über die Sparpläne des FPÖ-Finanzministers erkennen lassen? Hat er wenigstens soviel politische Antrittsmoral bewiesen, dieses Amt zwar gegen seine mehrfach geäußerte politische Überzeugung anzutreten, nie mit einer FPÖ gemeinsame Sache zu machen, aber auch zur Verteidigung der Kunst und der Kunstförderung aufgerufen zu sein?

Nach einem halben Jahr rechtfertigender Erklärungen des neuen Kunststaatssekretärs ist klar: Er hat es nicht. Ob er nicht kann oder nicht will, ist nicht klar. Klar ist nur, Franz Morak weiß, wie man politisch überlebt, zumindest hat er das in den Jahren davor als Kultursprecher seiner Partei bewiesen. Geht es ihm also nur um das politische Überleben bei seinem gleichzeitigen politischen Aufstieg, wofür nach einem halben Jahr Finanzministerlob bei gleichzeitiger Mängelverwaltung einiges spricht, dann wird das nicht ohne Zustimmung aus Künstlerkreisen möglich sein. Nur worin sollten die den Kunststaatssekretär bestätigen? dass es ohnehin besser gewesen sei, ihre Budgets um zehn und mehr Prozent zu kürzen, um sich möglichst vieler Mitarbeiter und Projekte zu entledigen? dass es besser sei, die Künstler fast nicht sozial abzusichern, dafür aber eine Finanzierungsgarantie dafür abgeben zu können?

Wo die kollektive Akzeptanz entfallen muss, findet sich vielleicht doch eine individuelle und lässt sich möglicherweise die bereits bei der Regierungsbildung gelungene Übung der Legitimationskette - der Künstler garantiert für den Bundeskanzler, der Bundeskanzler garantiert für den Koalitionspartner, der Koalitionspartner garantiert für nichts - auch auf für die Kunst- und Kultureinrichtungen finanziell und politisch restriktive Regierungsarbeit übertragen: Der Schriftsteller lobt den Kunststaatssekretär, der Kunststaatssekretär lobt den Finanzminister, und schon gibt es keine Garantien mehr, nicht für das Kunstbudget und nicht für die bisher geförderten Kultureinrichtungen und Künstler.

In keinem anderen Bereich wird sich die Aufhebung der "EU-Sanktionen" so dramatisch auswirken wie im Bereich der gemeinnützigen Einrichtungen. Es ist der EU auch nicht vorzuwerfen, dass sie sich in einer anderen Rolle sieht als einen ständigen Ombudsmann in innerösterreichischen Angelegenheiten und die Klagemauer für die Auswirkungen einer ihr durchaus vertrauten und willkommenen Budgetpolitik abzugeben. Es ist allerdings niemand in Österreich zu entschuldigen, der das nicht als politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Auftrag begreift, einer solchen Politik den konkreten Widerstand der besseren politischen Ideen, der größeren politischen Glaubwürdigkeit und des überzeugenderen politischen Engagements entgegenzusetzen, denn selbstverständlich hat nicht nur eine Mitte-Rechts-Regierung eine Mitte-Mitte-Regierung, sondern haben auch die einen Yuppies die anderen Yuppies abgelöst, die vielleicht noch eine andere Schamgrenze aber keine andere Schmerzgrenze mehr erkennen haben lassen, solange, bis eben wesentliche Teile der österreichischen Bevölkerung davon überzeugt waren, von den einen nicht weniger als von den anderen erwarten zu können.

Wer sich bis jetzt jedenfalls höchst erfolgreich als verhindert darstellen konnte, darf sich ab sofort als unfähig herausstellen. Wer sich bis jetzt als Juniorpartner hinter der jahrzentelang für Kunst zuständigen und von Künstlerseite mit zunehmend mehr Kritik bedachten SPÖ verschanzen konnte, kann sich jetzt selbst profilieren, wie z.B. dadurch, dass - wie zuletzt der Fall - man als österreichischer Kunststaatssekretär seine Pressekonferenzen über den kulturellen Status quo und die kulturellen Perspektiven in Österreich am besten in der eigenen Parteizentrale abhält.

Es ist anzunehmen, dass - bis auf Pressekonferenzen von Regierungsmitgliedern beispielsweise in Nordkorea oder Afghanistan - Journalisten in anderen Ländern einer solchen Einladung nicht gefolgt wären oder wenigstens über einen solchen Arbeitsstil ein paar Zeilen verloren hätten. Nicht so in Österreich, denn es war ja nicht auszuschließen, dass gerade nichts anderes frei war oder sich die Regierung in ihrem Ausverkaufskurs der staatlichen Einrichtungen und Betriebe, ohne es zu merken, ihren Regierungssitz unter dem Hintern wegverkauft hat und bei ihrem Sparkurs auch kein Geld mehr vorhanden war, um es für einen anderen Austragungsort zur Präsentation ihrer kulturpolitischen Vorhaben auszugeben.

Der "Staatskünstler" ist tot, es lebe der Künstler mit der Staatsmacht hinter sich und, was sich in medial ausgetragenen "Briefaffären" nicht vermeiden läßt, der dem Künstler mit der Staatsmacht hinter sich hinterher kommentierende Künstler mit der Marktmacht hinter sich, der, wie Norbert Gstrein in seinem Gastkommentar in der FAZ vom 11.9.2000, diese Gelegenheit beim Schopf ergreift, um dem eigenen Lebewohl an die "engagierte Kunst", den "engagierten Kunstbetrieb" und die "engagierten Künstler" auch noch ihre Totsagung hinterherzuschicken.

Wen wundert es daher, dass in Österreich jede Politik machen kann, was sie will, wo sie sich doch nicht einmal der Mühe unterziehen muß, sich selbst etwas zu ihren Kritikern einfallen zu lassen, weil ihr die einen ohnehin zulaufen und die anderen ihre kritischen Einmischungen in das, was sich noch unter den Daheimgebliebenen tut, von der Ferne aus wahrnehmen.

Gerhard Ruiss ist Geschäftsführer der IG AutorInnen, zuletzt erschien von ihm das "Schwarz. Buch. Kulturpolitische Protokolle, Band 1", Edition Selene, Wien 1999