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Copyright wars, encryption wars, right to access, digital gap, info wars, kill switches, flame wars, indymedia, Vorratsdatenspeicherung, print vs. online, Netzaktivismus, wikileaks, telecomix, anonymous, diaspora, Netzneutralität, NSA, ... benennen offensichtliche gesellschaftliche Kämpfe um Herrschaft und Aneignung versus Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe. Dennoch wird kaum explizit über den Klassenkampf im Internet geredet, und folglich fließt diese analytische Perspektive (nach meinem Dafürhalten viel zu) wenig in gängige Debatten ein.
Das Internet als Bühne und Objekt des Klassenkampfs.
Es scheint mir der heimliche Klassiker unter den MMOGs zu sein, den Massively Multiplayer Online Games: Klassenkampf im Internet. Klar, seitdem es „das Internet“ gibt, ist es so wie andere Schauplätze auch Bühne für das, was wir Klassenkampf nennen. So weit so banal, wieso auch sollte der grundsätzliche Antagonismus hier ausgesetzt sein. „In dieser SIM kämpfst du in einer von vielen möglichen Rollen um Macht im Internet. Übe Kritik an herrschenden Verhältnissen als Bürger, Menschenrechtsaktivist oder Feministin oder spiele eine der diversen Fraktionen der herrschenden Klasse. Bilde Netzwerke, beteilige dich am Kampf um Wissen, Rechte und Zugänge, beeinflusse das kommunikative Gedächtnis und arbeite dich zum Gate-Keeper des kulturellen Gedächtnisses hinauf. Versuche, möglichst weite Teile der Infrastruktur unter deine Kontrolle zu bringen, damit du die TOS zu deinen Gunsten verändern kannst.“ So könnte die Werbung zum d/l der Software für diese kommerziell erfolgreiche MMOG-SIM lauten. Nur gibt es die SIM, das Simulationsspiel nicht, welches Klassenkampf im Internet zum expliziten Thema machen würde.
Wir benennen die einzelnen Kämpfe und Phänomene, kaum die Folie der grundlegenden Struktur. Copyright wars, encryption wars, right to access, digital gap, info wars, kill switches, flame wars, indymedia, Vorratsdatenspeicherung, print vs. online, Netzaktivismus, wikileaks, telecomix, anonymous, diaspora, Netzneutralität, NSA, ... benennen offensichtliche gesellschaftliche Kämpfe um Herrschaft und Aneignung versus Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe. Dennoch wird kaum explizit über den Klassenkampf im Internet geredet, und folglich fließt diese analytische Perspektive (nach meinem Dafürhalten viel zu) wenig in gängige Debatten ein.
no opt-in, no opt-out throughout constant TOS change
Wir sind über die Fragestellung, ob „das Internet“ nun Fluch oder Segen sei, weitestgehend hinaus. Die Zweifel, ob sich das durchsetzen wird, sind seit einigen Jahren verstummt. Seither dominiert ein Blickwinkel, der Risiken und Potentiale einzuschätzen versucht. Die dichotome Entweder-oder-Option, mitmachen oder verweigern, wird immer mehr als Illusion erkannt. Mit oder ohne unser individuelles Zutun kommen zu unseren Identitäten weitere Schichten hinzu, die Dimension der digitalen Existenz. Mit ihnen müssen wir uns spätestens dann auseinandersetzen, wenn ihre Konstruktion und Anrufung – sei es durch Unternehmen, Krankenkassen, Dienstgeber, Sicherheitsapparate oder Mitmenschen – uns im Alltag zur Reaktion, Antwort oder Korrektur zwingt. Selbst ohne sichtbare Konfrontation mit unseren digitalen Existenzen, beeinflusst deren Konstruktion und Eigenleben in nur scheinbar virtuellen Welten unsere Leben. Was wir (noch) nicht mitbekommen, wird uns deswegen nicht nicht betreffen. Soviel haben wir mitbekommen und der Verdacht sickert Jahr für Jahr tiefer. Die Enthüllungen durch Edward Snowden sind weder die erste Evidenz, noch werden sie der letzte Anlass sein. Wir lernen kollektiv, dass wir die Dimensionen und Implikationen des strukturellen Wandels zur „digitalen Gesellschaft“ kaum begreifen können. Wir sind zwangsläufig überfordert. Der allgegenwärtig werdende Verweis auf Algorithmen ist der gegenwärtige Versuch, die unsichtbare Macht zu verorten und Macht zu benennen. Das sich darin äußernde Unbehagen erzählt vom Bedürfnis, nicht dermaßen regiert zu werden. So wie es etwa bei „Big Data“, nach Michel Foucault, wieder eigentlich um die Kunst des Regierens geht, geht es bei den widerständigen Kämpfen „um das Internet“ und in der Kritik darum, nicht dermaßen regiert zu werden. Stellvertretend für die Kritik sei hier auf Evgeny Morozov verwiesen, dessen Arbeit durch dieses Leitmotiv gekennzeichnet ist. Was es zu realisieren, zu begreifen, zu analysieren gilt: „Das Internet“ ist eine entscheidende Bedingung für die Möglichkeit und den Wandel des gegenwärtigen Kapitalismus, der gegenwärtigen Kulturindustrie, der gegenwärtigen Kontrollgesellschaft. Opt-out ist keine Option, vielmehr müssen diese Bedingungen, die Wechselwirkungen und Abhängigkeiten, die Folgen und Interventionsmöglichkeiten untersucht werden. War einmal die Eisenbahn die Metapher für Geschwindigkeit und Druck von Veränderungen, scheint mir heute die Datenübertragung im Glasfaserkabel das passende Bild zu liefern: globale Geldströme in Millisekunden transferiert, eine in die kollektive Realität ausgebrochene Simulation von Weltwirtschaft.
Soziologie des Internets anyone? #followerpower
Freilich ist „das Internet“ nicht die alleinige, von anderen Faktoren unabhängige Ursache für Veränderungsdruck. Mensch denke nur an den anhaltenden neoliberalen Umbau der Gesellschaft, an die kapitalismusimmanenten Wirtschaftskrisen, an die Rebellionen und Widerstandsbewegungen sowie den Ausbau der staatlichen Repressionsapparate. So wie wir nicht über „das Internet“ losgelöst von neoliberaler Gouvernementalität, kapitalistischer Logik oder dem strukturellen Wandel des Mediensystems reden können, können wir heute schlecht Gesellschaft allgemein oder auch nur einzelne soziale Funktionssysteme analysieren, ohne dabei „das Internet“ mitzudenken. Nun reihe ich hier freilich abstrakte Begriffe aneinander, für die es nicht im gleichen Maß elaborierte Theoriegebäude und etablierte Praxen der Kritik gibt. Zum Selbsttest: Wie funktioniert der Kapitalismus? Wie definieren wir Kontrollgesellschaft? Wie können wir Neoliberalismus analysieren? Wie erfassen wir „das Internet“? Für „das Internet“ ist mir noch kein Versuch eines Entwurfs einer „Soziologie des Internets" bekannt, wie Loïc Wacquant das in den letzten Jahren mit „dem Neoliberalismus“ angegangen ist. Das ist erstens nicht verwunderlich und zweitens ein bisschen ein Äpfel-und-Birnen-Vergleich. Er sollte aber deutlich machen, wie sehr es uns an analytischem Werkzeug mangelt, den Einfluss „des Internets“ auf soziale Systeme, auf Organisation, auf die Reproduktion der Produktionsbedingungen, auf Formen der Vergesellschaftungen zu benennen, zu bemessen, zu verstehen.
Dann ist „das Internet“ auch noch gleichzeitig Ursache, Mittel und Gegenstand von Veränderungsdruck. Und um meine Conclusio vorwegzunehmen: Es ist nicht allein Bühne, sondern auch Objekt des Klassenkampfs. So wie technologische Entwicklungen in der Menschheitsgeschichte immer wieder, evoziert und erzwingt es (1) Modifikationen sozialer Organisationsformen, (2) strukturellen Wandel in bestehenden sowie (3) die Emergenz neuer Organisationsformen und (4) gesamtgesellschaftlichen sozialen Wandel. Damit bekommt es zwingend die Aufmerksamkeit, die einer derart mächtigen Apparatur gebührt. Wer gesellschaftliche Verfügungsgewalt über „das Internet“ hat, hat die besseren Karten, Richtung und Ausmaß des Veränderungsdrucks beeinflussen oder günstigen Falls bestimmen zu können. Willkommen also im Kampf um möglichst viel Verfügungsgewalt über „das Internet“. Das heißt, um Zugang zum und um Teilhabe am „Internet“, vor allem heißt das aber, willkommen im Kampf darum, was „das Internet“ ist und sei, im Kampf um die Architektur, die Regulierung, die Eigenschaften, die Funktionen.
Worum wir kämpfen im Klassenkampf um das Internet
Gerungen wird auf vielen Ebenen. „Das Internet“ ist komplex, schwer zu er_fassen, und solange wir uns nicht auf eine Soziologie des Internets stützen können, die grundlegender Kritik standhält, am besten in Anführungszeichen zu schreiben. Es steht zu befürchten, dass die Aufzählung der Kämpfe und Ebenen uns nicht viel weiterhilft. Ich schlage daher an Stelle der allgemeinen Rede vom „Internet“ vor, vier konstitutive Aspekte, Eigenschaften und Funktionen zu unterscheiden. Das Internet ist das alles gleichzeitig: (1) Übertragungsmedium, (2) Ressource und Infrastruktur, (3) Kommunikationsmedium und (4) Speichermedium. Jeder dieser Aspekte ist umkämpft. Für die herrschende Klasse ist die Beherrschung aller vier Eigenschaften Bedingung für Machterhalt und -ausbau, und so können wir überall die Bestrebungen sehen, diese Funktionen regulieren, beschränken und ausbeuten zu können. Sogar den Austausch von Eliten, Machtverschiebungen und Kämpfe innerhalb der herrschenden Klasse können wir vor diesem Hintergrund einigermaßen logisch nachzeichnen sowie antizipieren. Dazu genügt der Blick darauf, wer sich die Kontrolle über diese Funktionen aneignen konnte. Allerdings ist Kontrolle nicht so einfach zu gewinnen und erhalten. Betrachten wir „das Internet“ mit der Metapher der Stadt, müssten wir eher an wild wuchernde Megacities wie Istanbul, Mexiko-City oder Mumbai in Phasen der Bevölkerungsexplosion denken als an eine gebändigte Stadt wie Wien. Geregelte und ungeregelte Verkehrsströme wird es hier wie da geben, ebenso wildes Bauen, Spekulation, Aneignung und Verdrängung, Gated Communities und Freiräume, verschiedene Nutzungsarten und Ökonomien, Sprachen und Milieus, Gruppen und Netzwerke. Das Verhältnis von durchgesetzter Zentralgewalt und strikt geregelten Bereichen gegenüber diversen heterogenen und umkämpften sowie selbstorganisierten Herrschaftsbereichen könnte freilich unterschiedlicher nicht sein.
So wie die explodierende Megacity von einer Zentralgewalt nicht einfach und schon gar nicht schnell bis in die Details der Nutzung von Wegen, Bebauung, Raumnutzung hinein regiert werden kann, so wenig kann „das Internet“ und die Nutzung desselben — heute schon — schnell, einfach und zentral regiert werden. Aber hier wie da gilt, dass sich die Architektur und Organisation der Stadt wie die des Internets wandelt. Das eine wie das andere ist ständigen, wenn auch nicht kontinuierlichen Transformationen unterworfen. Alle gesellschaftlichen Gruppen werden hier wie da versuchen, ihre Organisationsformen zu erhalten, ihren Begriff von Stadt bzw. von Internet durchzusetzen. Hier wie da wird die Form der Transformationen nicht durch gleichberechtigte Ausverhandlung der Interessen, sondern durch asymmetrische Machtverhältnisse bestimmt. „Das Internet“ hat in der kurzen Zeit seiner Entwicklung deutlich illustriert, dass es herrschenden Eliten gefährlich werden kann, wenn diese es nicht gemäß ihrer Interessen umformen können. Dementsprechend haben wir es mit mehr als nur mit einer fortschreitenden Integration „des Internets“ unter herrschende Strukturlogiken zu tun: des Kapitalismus, des Patriarchats. Wir erleben einen Backlash, den Versuch des Umbaus „des Internets“ zu etwas anderem. Das freilich ist ein langfristiger Prozess mit unbestimmtem Ausgang. Über die Strukturlogik sollte kein Zweifel bestehen. Es geht um die Kontrolle der Produktivkräfte und Produktionsbedingungen.
hc voigt ist Soziologe in Wien, Herausgeber von Soziale Bewegungen und Social Media.