Das Urheberrecht und der Beißreflex
Die ganze Krise ums Urheberrecht ist ein Symptom für die vielfachen Umbrüche im Kunstbetrieb. Es geht ums Ganze – um die Berufsidentität als Autor_in und wie sich diese bisher im Kontext der technischen Vertriebsmöglichkeiten der letzten paar hundert Jahre konstituiert hat.
Die ganze Krise ums Urheberrecht ist ein Symptom für die vielfachen Umbrüche im Kunstbetrieb. Es geht ums Ganze – um die Berufsidentität als Autor_in und wie sich diese bisher im Kontext der technischen Vertriebsmöglichkeiten der letzten paar hundert Jahre konstituiert hat. Die ersten Risse kamen bereits im Laufe des 20. Jahrhunderts, doch erst die Digitalisierung hat hier tiefe Erschütterungen verursacht. Dies erklärt auch die Emotionalität und die unglaubliche Aggressivität, mit der die Diskussion geführt wird, wobei es spannend anzusehen ist, wie sich manche Künstler_innen in einer Art Stockholm-Syndrom den Forderungen jener Verwerter_innen anschließen, die ihnen jahrelang angemessene Vergütung, den Respekt ihrer Werke und vielfach auch eine engagierte Verwertung ihrer Inhalte vorenthalten haben. Warum sonst ist wohl seit Jahren Rechtsberatung ein fixer Bestandteil des Angebots berufsfeldspezifischer Serviceeinrichtungen (wie zum Beispiel dem mica)? Und, nein, es ging dort nicht immer nur um Piraterie, sondern viel öfter um abenteuerliche Verträge, die Künstler_innen zugemutet werden, um nicht eingehaltene Leistungen und um Abrechnungsfragen mit den Verwertungsgesellschaften, deren Gebarung bei vielen Künstler_innen auch nicht nur Freude hervorruft. Darüber hinaus waren die Einkünfte aus den Tantiemen nie so berauschend hoch, dass die Urheber_innen davon in Saus und Braus leben konnten, sondern machten seit jeher einen nur geringen Teil des Einkommens aus – nicht zuletzt aufgrund der oben beschriebenen Probleme (Superstars natürlich ausgenommen). All das wurde von Wissenschaftler_innen öffentlicher Universitäten zuhauf empirisch belegt und kann jederzeit nachgelesen werden. Diese Studien stammen nicht von privaten Beratungsunternehmen, die weder ihre Quellen noch ihre Methoden nachvollziehbar machen und sich selbst auch nie einer öffentlichen Diskussion stellen. (Warum eigentlich nicht?)
Umso mehr erstaunt es nun, dass Künstler_innen hier mit denen, die ihnen nach wie vor eine gleichberechtigte Position (zum Beispiel durch die Schaffung eines Urheber_innenvertragsrechtes) verwehren, gemeinsame Sache machen und all jene, die die immer unhaltbarere Situation ändern wollen, des potenziellen Diebstahls bezichtigen. Warum prügeln Künstler_innen auf ihr potenzielles Publikum ein, das ohnehin zahlungsbereit ist, anstatt die Verwerter_innen dazu zu bringen, ihre Inhalte in einer zeitgemäßen Form anzubieten? Warum sind diejenigen die Bösen, die sich für die Inhalte interessieren und nicht die, die das Publikum aufgrund von realitätsfernen Regulierungen daran hindern? Es ist hinlänglich nachgewiesen, dass die Zahl der illegalen Downloads dort höher ist, wo kein legales Angebot vorhanden ist. Wenn wirklich die Einkommen aus dem Urheberrecht so relevant für Künstler_innen sind, warum wurden nicht schon längst die Verwerter_innen in die Pflicht genommen, hier zu reagieren? Und wenn den Verwerter_innen die Rechte der Urheber_innen so am Herzen liegen, warum einigen sie sich nicht schnell auf ein Urheber_innenvertragsrecht oder streichen die cessio legis, anstatt unverhältnismäßige Durchsetzungsmechanismen eines unzeitgemäßen Rechts zu fordern?
In dieser verfahrenen Situation eingespielter Beißreflexe und sachlicher Unpräzision sind die bislang wenigen Vorstöße von Künstler_innen und Interessenvertretungen wie der ADA, über Alternativen zum unbefriedigenden Status quo nachzudenken, besonders begrüßenswert. Hoffentlich werden es bald mehr.