Debord als Antideutscher. Eine Tagung zur Situationistischen Internationale in Wien

Die SituationistInnen waren eine Gruppe von Radikalen, zunächst dem Künstlermilieu entsprungen und später auf die soziale Revolte konzentriert, die den Pariser Mai 1968 maßgeblich inspirierte und vier Jahre später ihre Organisation auflöste.

Die SituationistInnen waren eine Gruppe von Radikalen, zunächst dem Künstlermilieu entsprungen und später auf die soziale Revolte konzentriert, die den Pariser Mai 1968 maßgeblich inspirierte und vier Jahre später ihre Organisation auflöste. Die von 1957 bis 1972 in vielfach wechselnder Besetzung bestehende Situationistische Internationale (SI) gilt als letzte künstlerische Avantgarde. Die in den 1960er Jahren in ihrem Umkreis entwickelten Techniken der Aneignung, der Entwendung und des Umherschweifens sind in medienkritischen Diskursen der 1990er Jahre ebenso wieder aufgetaucht wie in stadtsoziologischen Debatten. Vor allem dem künstlerischen Feld aber haben die SituationistInnen in den letzten Jahren, nachdem sie durch ein vielbeachtetes Buch des US-amerikanischen Pop-Theoretikers Greil Marcus wiederentdeckt wurden, vielerlei Anknüpfungspunkte geboten. Auffällig dabei allerdings war von Anfang an das Wegkürzen der marxistischen Gesellschaftskritik, die den situationistischen Ideen zu Grunde liegt. Besonders herausgearbeitet finden sich diese Grundlagen im Werk eines der Mitbegründer der Internationale und ihres wohl bekanntesten Mitglieds: Guy Debord.

Am ersten Februar-Wochenende fand nun in Wien ein Symposium zum Thema "Spektakel – Kunst – Gesellschaft. Guy Debord und die Situationistische Internationale" statt. Bereits im Eröffnungsvortrag gab ein Vertreter des AutorInnenkollektivs "Biene Baumeister Zwi Negator" dem Treffen die Richtung vor: Den Marxismus Debords als kritische Theorie der Gesellschaft nutzbar zu machen. In seinem Hauptwerk "Die Gesellschaft des Spektakels" (1967) kritisiert Debord die Verwandlung aller Aspekte des Lebens in Waren. In den modernen Gesellschaften könnten die vereinzelten Individuen sich nur noch als KonsumentInnen und ZuschauerInnen begegnen. Und Erfahrung sei ohnehin nur mehr vermittelt über Bilder zu machen. Das Kollektiv hat erst kürzlich eine Einführung in die Situationistische Revolutionstheorie veröffentlicht, in der der Debord’sche Begriff des Spektakels als Weiterentwicklung des Marx’schen Fetischbegriffes interpretiert und ausgeführt wird. Was als Gegenpol zur besagten ästhetizistischen Adaption situationistischer Begriffe durchaus löblich ist, fällt im Buch allerdings etwas penetrant aus. Nicht nur, dass alle anderen Bücher über die SituationistInnen gleich im Vorwort als Anekdotensammlungen abgetan werden, auch die unterschiedlichen Praxen linker, alternativer und linksradikaler Bewegungen der letzten vierzig Jahre werden als "Pseudopraxis" disqualifiziert. Ähnlich selbstgerecht war auch das Auftreten bei der Veranstaltung: So etwa muss es in den 1970ern gewesen sein, als K-Gruppen-Mitglieder sich im Raum verteilt und sich gegenseitig applaudiert hatten. Die inhaltliche Vorgabe konnte so jedenfalls weitgehend eingehalten werden.

Die Vorträge von Alexander Schürmann-Emanuely und Eiko Grimberg, die sich vor allem den kunsttheoretischen Aspekten situationistischer Theorie und Praxis näherten, fanden so kaum angemessene Würdigung. Und dabei erschließt sich gerade der Aktivismus der SituationistInnen erst durch die Radikalisierung avantgardistischer Praktiken in der Kunst, die weder Unterhaltung bieten noch Sinnproduktion stiften wollten. Die ästhetische Dimension, ohne die laut Grimberg Gesellschaftskritik nicht auskomme, ging jedenfalls auf der Tagung ziemlich unter. (Das Wiener Ankündigungsplakat, aber das nur nebenbei, denn die SituationsitInnen hatten auch die Plakatkunst um 1968 revolutioniert, hätte dem Design nach zu urteilen auch zu einem Schützenfest mobilisieren können). Aber der Aktivismus schien den RevolutionstheoretikerInnen ohnehin der größte Feind. Ebenfalls auf der Grundlage der Spektakelkritik wandte sich auch der in Wien und Tel Aviv lebende Politologe Stephan Grigat ausdrücklich gegen die globalisierungskritischen Bewegungen. Den skurrilen Höhepunkt der Debord-Interpretation machte allerdings sicherlich Grigats Rechtfertigung eines möglichen Angriffes auf den Iran durch die USA aus. Aus der Kritik an der Ignoranz der SI gegenüber dem Antisemitismus leitete Grigat – als ginge es den USA in erster Linie darum – die Notwendigkeit der bedingungslosen Verteidigung Israels her. Wie andere so genannte "Antideutsche" auch, schreckte er dabei nicht davor zurück, durch den Vergleich des "faschistischen Baath-Regimes" im Irak und der islamistischen – und zweifelsohne antisemitischen – Regierung des Iran mit dem Nationalsozialismus, diesen zu einem von vielen Totalitarismen zu verkleinern. Grigats Indienstnahme Debords für US-Interventionspolitik und Kriegsbefürwortung führte nur zu wenig Verwunderung unter den 70 bis 100 Teilnehmenden.

Zwar teilte auch der Jungle World-Redakteur Bernd Beier weitgehend die Kritik an den No-Global-Bewegungen. Allerdings formulierte er sie in Zusammenhang mit deren Unfähigkeit, wirkliche Interessenkämpfe aufzugreifen und tatsächlich zu intervenieren. Die situationistische Kritik am Funktionärstum aktualisierte er am Beispiel der Bewegung der Kulturprekären ("Intermittents") in Frankreich 2003. Ausgehend von der Lektüre der SI-Schrift "Über das Elend im Studentenmilieu" (1966) betonte Beier einerseits die von den SituationistInnen herausgestellte Kompensationsfunktion der Kultur. Andererseits aber wies er auch auf die praktische Seite der situationistischen Kritik hin, die sich in einem Eintreten für eine basisdemokratische Rätestruktur innerhalb der Revolte von 68 geäußert hatte. Im Gegensatz etwa zur deutschen Kritischen Theorie war die subversive Praxis stets integraler Bestandteil situationistischer Konzepte. Dem libertären Esprit stand allerdings immer auch die autoritäre Geste des Ausschlusses gegenüber, dem die meisten Mitglieder der Organisation im Laufe der Zeit zum Opfer fielen. Das oben geschilderte Sektierertum des AutorInnenkollektiv stand also auch in guter Tradition. Der Konsum interessanter, sinnhafter Vorträge war dennoch möglich.

"Spektakel – Kunst – Gesellschaft. Guy Debord und die situationistische Internationale", Symposium im Rahmen der Ausstellung "bildet to-do-stapel! – 12 Jahre monochrom, 4./5.Februar 2005, Kunsthalle Exnergasse, Wien. Organisiert von Bureau für Philosophie, Café Critique und monochrom.


Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lebt als freier Autor in Wien.