... denn die Häuser gehören uns! Freie Zeit & besetzter Raum.

Besetzen ist in. Nicht nur der Bestand des Ernst-Kirchweger-Hauses im zehnten Wiener Gemeindebezirk ist vorläufig gesichert, auch in Salzburg konnte die Besetzung der ehemaligen ARGE Nonntal seit mittlerweile über zwei Monaten gehalten werden.

Besetzen ist in. Nicht nur der Bestand des Ernst-Kirchweger-Hauses im zehnten Wiener Gemeindebezirk ist vorläufig gesichert, auch in Salzburg konnte die Besetzung der ehemaligen ARGE Nonntal seit mittlerweile über zwei Monaten gehalten werden. Das ist aber längst nicht alles: In den vergangenen Jahren okkupierte die Gruppe Freiraum dreimal Areal und Gebäude am Campus der Wiener Universität – und wurde jedes Mal prompt geräumt. Kurzfristige Besetzungen gab es sowohl nach der Schließung des Männerwohnheims in der Wiener Meldemannstraße als auch in Innsbruck (Minattihalle, Villa Kunterbunt, Adolf Pichler- Platz usw.) und Graz, wo vor allem Punks ein leer stehendes Haus bezogen, jedoch alsbald von den FreundInnen und HelferInnen wieder zum Aufbruch genötigt wurden. Im Rahmen der Proteste an den Universitäten wurde 2003 das Rektorat der Universität Wien besetzt, im Bacherpark im fünften Wiener Gemeindebezirk „wohnen“ seit mittlerweile einem halben Jahr Menschen aus Widerstand gegen eine dort geplante Tiefgarage, Punks fordern in Wien von der Stadt eine selbstverwaltete „Pankahyttn“...

Im Gegensatz etwa zu den Wohnraumbesetzungen in Neapel, wo es primär um die Beschaffung von Wohnraum geht, überschneiden sich in den Besetzungen hierzulande grob gesprochen drei Motivationsstränge: Kunst, Politik und Wohnen. Im Folgenden soll hinsichtlich der politischen Bedeutung von „frei“ und „besetzt“ sowie der Kategorien Raum und Zeit ein „theoretischer Blick“ auf die Möglichkeiten und Grenzen des (Haus)Besetzens geworfen werden.

Das Spannungsfeld von Verhinderung und Ermöglichung

Einen ersten Hinweis bietet das Spannungsfeld von Verhinderung und Ermöglichung. Dabei ist grundsätzlich zu unterscheiden, ob in Nutzung stehende Räume besetzt werden, um ebendiese Nutzung zu verhindern, oder ob ungenutzte Flächen angeeignet werden. Im ersteren Fall handelt es sich meist – wie z.B. bei der Rektoratsbesetzung an der Uni Wien 2004 – um ein temporäres Projekt, das Forderungen Nachdruck verleihen bzw. missliebige Entscheidungen verzögern oder gar blockieren soll. Hier soll es jedoch vorrangig um die zweite, „dauerhaftere“ Art von Besetzungen gehen. An dieser Stelle fällt eine (vermeintliche?) Paradoxie auf: Ungenutzte, d.h. freie Räume oder Flächen werden besetzt, um sich Freiraum zu verschaffen. Hier stehen zwei Begriffe von Freiheit diametral gegeneinander. Etwas pathetisch ausgedrückt: jener des freien Marktes und jener der Freiheit vom Markt als Bedingung der Möglichkeit von Freiheit überhaupt. Als politischer Akt der extralegalen Aneignung gesellschaftlichen Reichtums bzw. Raumes ist die Besetzung sogleich einer weiteren Problematik ausgesetzt, näm- lich den angeeigneten Raum zu „halten“, d.h. gegen die Bestrebungen der EigentümerInnen und des dieses Eigentum garantierenden Staates zu verteidigen. Genau diese Notwendigkeit führt aber in eine Zwickmühle, die sich exemplarisch sehr schön an den Freiraum-Besetzungen am Campus der Universität Wien darstellen lässt:

Dort wurde das Areal besetzt, um ein offenes und allen zugängliches soziales Zentrum zu installieren, gleichzeitig war eine eigene Gruppe mit der möglichst wirkungsvollen Verbarrikadierung des einzigen hindernisfreien Zuganges zum Gelände beschäftigt, um eine rasche polizeiliche Räumung zu verhindern. Der Zugang zum Gelände war fortan nur noch über eine wackelige Leiter inkl. anschließendem Sprung von der Umgrenzungsmauer möglich. Sinnbildlich mag dafür ein solidarischer Hermes Phettberg stehen, der ob seiner Physiognomie diese Hürde nicht nehmen konnte und somit auf der selben Seite der Barrikade wie die Polizei seinen Widerstand manifestieren musste. Fazit: Durch die Überschreitung des legalen Rahmens ist jede Besetzung tendenziell dazu gezwungen, gegen ihre Intention der Öffnung gesellschaftlichen Raumes zu handeln. Durch die offensichtlich kaum vorhandene Verhandlungsbereitschaft seitens der EigentümerInnen und der Polizei ist der Spielraum für dauerhafte Besetzungen äußerst gering. Diese Veränderung geht Hand in Hand mit der neoliberalen Enteignung und Überwachung vormals öffentlicher Räume in den Metropolen und führt zu einer zunehmenden Entpolitisierung sozialer Kräfte als einfache GesetzesbrecherInnen. Den AkteurInnen soll so das Politisch-Sein abgesprochen und sie somit der polizeilichen Behandlung überantwortet werden.

Freiräume als Voraussetzungen eines vielfältigen sozialen Widerstandes

Bei all diesen grundsätzlichen Schwierigkeiten sind gerade wegen der zunehmenden Enteignung gesellschaftlichen Reichtums durch Privatisierung Aneignungsbewegungen wichtige Voraussetzungen eines gut vernetzten, vielfältigen sozialen Widerstandes. Im Rahmen dieser Vernetzung spielen besetzte Räume traditionell eine wichtige Rolle. Exemplarisch sei an die wichtige Funktion der besetzten Centri Sociale in Italien erinnert, die aus der Defensive der radikalen Linken in den 1980er Jahren entstanden sind, letztlich aber aus der Gemengelage von subkulturellen, antirassistischen und sozial-ökonomischen Zugängen aber gerade ihre Stärke gewonnen haben, die sie zu wichtigen Generatoren der globalen Protestbewegung werden ließ. Aktuelle Organisations- und Widerstandsformen wie z.B. die Disobbedienti, aber auch neue Formen politischer Vernetzung wie im Rahmen des Euromayday-Prozesses wären ohne Centri Sociale nur schwer denkbar.

Wie sich aber besetzte Räume und Häuser zu offenen Orten der Begegnung verschiedenartiger Szenen, Gruppen und Initiativen entwickeln können, dafür gibt es keine Patentlösung; mit dem Widerspruch zwischen notwendiger Absicherung gegenüber Angriffen von „Draußen“ und dem Anspruch, eben FREIraum zu sein, müssen BesetzerInnen wohl noch eine ganze Weile umgehen. Und dieser schwierige Prozess ist mit dem „Erfolg“ einer Besetzung noch nicht zu Ende. BewohnerInnen des und AktivistInnen rund um das Wiener EKH können ein Lied davon singen: Mit der rechtlichen Absicherung der Besetzung oder gar der Übertragung des Hauses in Selbstverwaltung entfallen zwar die legalen bzw. polizeilichen Pressionen, im Austausch werden jedoch unvermeidlicher Weise „interne“ Debatten über Anspruch und Realität basisdemokratischer Entscheidungsweisen verstärkt Einzug halten – vom stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse (Sanierungsarbeiten!) ganz zu schweigen.

„Revolution jetzt!“ oder die Frage des „Erfolgs“

Aber zurück zum „Erfolg“. Wie kann er aussehen, wie darf er auf keinen Fall aussehen? Welche Reichweite können Besetzungen in der Kommunikation zwischen verschiedenen sozialen Kämpfen erreichen? Praktisch ist diese Frage wohl nur bezogen auf reale Bewegungen und reale Besetzungen zu beantworten, theoretisch lassen sich jedoch zumindest Spuren verfolgen, die selbst wiederum auf die Berührung der eingangs postulierten Kategorie Zeit mit den bereits behandelten Aspekten räumlicher Aneignung hinauslaufen.

Der Theoretiker John Holloway plädiert für einen gegenüber der traditionellen Linken veränderten Zeitbegriff. Er wendet sich gegen das Konzept des Vorher – Nachher, das notwendigerweise zu disziplinierenden Formen politischer Organisation führt: vorher möglichst effektiv, d.h. zentralistisch die Partei aufbauen um nachher, will heißen: nach dem Sturm auf das jeweilige Winterpalais, planmäßig den Kommunismus aufzubauen1. Dagegen präsentiert Holloway einen aus den Theorien Ernst Blochs und Walter Benjamins sowie den Zapatist@s inspirierten Zeitbegriff (vgl. Holloway 2004, 8). Politisch gesprochen: Revolution jetzt! Dieser Zeit der unmittelbaren Notwendigkeit der Revolution stellt er jedoch eine zweite, den Zapatist@s entlehnte Zeit zur Seite, jene des geduldigen Aufbaus, der Konstitution einer neuen Gesellschaft:

„We too have two temporalities: the temporality of the impatient ¡Ya basta!, revolution here and now! and the temporality of the patient construction of another world. But in the traditional concept impatience is subordinated to patience, and in our concept it should surely be the other way around: patience is there to give force to the impatience of refusal, not to subordinate it.“ (Holloway 2005)

Die notwendige „Gegen-Alltäglichkeit“ in besetzten Räumen

Was aber hat eine derartige Verschiebung des Zeitbegriffs mit Hausbesetzungen zu tun? Nicht gerade wenig: Zum einen lassen sich bereits „die Zeiten“ einer Hausbesetzung selbst viel eher in der oben beschriebenen Weise begreifen als über die Achse „Vorher – Nachher“, zum anderen ist es nicht nur die Aneignung von Raum, welche eine Besetzung politisch macht, sondern vielleicht noch mehr genau jene Veränderung der Zeitlichkeit, jene grundlegende Veränderung von Alltäglichkeit, die in der gelebten Erfahrung der Überschneidung von Kunst, Politik und Wohnen ins Werk gesetzt wird. Diese grundlegende Veränderung der Zeitstruktur von „Alltäglichkeit“ scheint mir die Voraussetzung dafür zu sein, dass besetzte Räume als Freiräume (frei nicht zuletzt von kapitalistischer Zeit) existieren können, dass aus Räumen der „Anti-Macht“ solche der kreativen Macht (Holloway) werden, fähig, sich mit anderen Kämpfen produktiv zu verbinden.

Der Vorschlag Holloways wäre also dahingehend ernst zu nehmen, die „Gegen- Alltäglichkeit“ in besetzten Räumen nicht zu einem Zerrbild des kapitalistischen Alltags werden zu lassen. Wie schwer dies in der Praxis einzulösen ist, davon kann wohl jede Marathon-Plenumsbesucherin ein Lied singen. So wenig aber theoretische Konzepte das praktische Experimentieren ersetzen können, so notwendig erscheint mir der Austausch mit und die Öffnung zu anderen politischen Konzepten und Projekten zu sein, um die ohnedies schwachen Kräfte der sozialen Bewegung sichtbar zu machen.

Vorerst aber wurde in der besetzten ARGE in Salzburg der Strom abgestellt. Revolution jetzt!

1 Die Vorher-Nachher-Sicht auf politische Prozesse ist durchaus nicht auf rest-leninistische Organisationen beschränkt, sondern drängt sich auch alternativen, undogmatisch-linken Zusammenhängen „wie von selbst“ auf.

Literatur
Holloway, John (2004): „Aufhören, den Kapitalismus zu machen!“, In: grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte, Nr. 11, S. 6- 12
Holloway, John (2005): „The Two Temporalities of Counter-Power and Anti- Power“, Unter: http://info.interactivist.net/article. pl?sid=05/03/25/1319243& mode=nested&tid;=9, abgefragt am 5. Mai 2006

Martin Birkner ist prekär tätig als Aktivist, Theoretiker, ITArbeiter und Mitherausgeber der grundrisse. zeitschrift für linke theorie & debatte und lebt in Wien.
Das von ihm gemeinsam mit Robert Foltin verfasste Buch (Post)Operaismus. Von der Arbeiterautonomie zur Multitude erscheint demnächst beim Schmetterling Verlag in Stuttgart.