Ein Jahr Arbeitskampf: Initiative Abfallberatung vs. Stadt Wien

Prekäre Arbeitsverhältnisse in der öffentlichen Verwaltung und die Notwendigkeit, dagegen vorzugehen. Eine (un-)endliche Geschichte?

Die Wiener Abfallberater*innen befinden sich seit April 2012 in einem bis dato beispiellosen, selbstorganisierten Arbeitskampf gegen die Stadt Wien. Es ist an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Was ist die Abfallberatung, und wie kam es zum Arbeitskampf?

Abfallberater*innen beraten die Wiener Bevölkerung in Fragen der Mülltrennung und -vermeidung, Recycling und Umweltschutz, aber auch bezüglich der städtischen Straßenreinigung. Sie agieren als Hauptschnittstelle zwischen der Magistratsabteilung 48 – Abfallwirtschaft, Fuhrpark und Straßenreinigung und den Anliegen der Wiener*innen. Am Misttelefon mit ca. 67.000 Anrufen jährlich, per Mail und in vielen Zehntausenden persönlichen Kontakten waren die Abfallberater*innen aktiv mit Rat und Tat zur Stelle. Mit speziellen Programmen für diverse Zielgruppen ist es möglich, weite Bevölkerungsschichten gezielt und auch vor Ort zu erreichen und mit fundierten Informationen zu versorgen. Sogar (inter)nationale Fach- und Politiker*innen-Delegationen werden von Abfallberater*innen durch die Betriebsanlagen der MA 48 geführt.

Der prekäre Arbeitsalltag von Abfallberater*innen der Stadt Wien

So vielseitig die Zielgruppen und Anforderungen der Tätigkeit sind, so flexibel müssen auch die Abfallberater*innen sein – in der Nacht und am Wochenende, auch mehr als 12 Stunden pro Tag sind keine Seltenheit. Sicherlich liegt darin ein Grund, warum die MA 48 sich vor vielen Jahren dazu entschlossen hat, den Job auf Selbstständigkeitsbasis mittels Gewerbeschein zu installieren. In den Jobannoncen wurde nach Leuten mit Maturaniveau und einschlägigen oder pädagogischen Studien gesucht. Ebenso liegt die Vermutung nahe, dass sich die Stadt Wien durch die Vermeidung von Dienstverhältnissen einiges an Kosten für gut ausgebildete Mitarbeiter*innen erspart hat: Denn bezahlt wurde pro Stunde, egal zu welcher Zeit zum gleichen Tarif. Nach einem mehrtägigen Kurs mit abschließender Prüfung und dem Lösen des Gewerbescheines durften die Abfallberater*innen das Leben als Selbstständige mit allen Vor- und Nachteilen genießen. Dies bedeutete natürlich auch, selbst vom Honorar Sozialversicherungsbeiträge und Steuern abzuführen. Zu den Spitzenzeiten im Frühjahr und September haben viele aus Loyalität auf Ruhezeiten verzichtet und bis über 100 Stunden pro Woche und manche*r sogar mehr als fünf Wochen ohne freien Tag gearbeitet. Stressbedingte Erkrankungen waren zwangsläufig die Folge. Allerdings bekommen Selbstständige kein Krankengeld, deswegen wurde sehr oft trotzdem der Weg zur Arbeit angetreten. In den Wintermonaten mussten Einkommenseinbußen hingenommen werden, viele hätten gerne mehr gearbeitet, die „Auftragslage“ verbot es allerdings.

Natürlich müssen die Betroffenen sich die Frage gefallen lassen, warum sie sich auf so ein prekäres Arbeitsverhältnis überhaupt eingelassen haben. Da gibt es einerseits den Idealismus für Umweltbelange, die kleinen Erfolgserlebnisse im Umgang mit Kindern und Jugendlichen und ein Team an multitalentierten Kolleg*innen, die die Arbeit sehr angenehm gemacht haben. Andererseits bedingen manche Studienrichtungen der Abfallberater*innen, dass es sehr schwierig ist, in den entsprechenden Bereichen einen Job zu finden. Die immer mehr zur Realität werdende Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen führt auch dazu, dass „ich als gut ausgebildete 34-jährige Akademikerin es bis jetzt nicht geschafft habe, jemals einen regulären Job in einem Angestelltenverhältnis zu bekommen“, so eine der Betroffenen. Typische Abfallberater*innen haben entweder während des Studiums oder direkt danach (oft auch nach erfolgloser Jobsuche) mit der selbstständigen Tätigkeit bei der MA 48 angefangen. Die Stadt Wien als öffentliche Verwaltungsinstanz bot Arbeitsverträge in einer Form an, die zwar rechtlich nicht einwandfrei gewesen sein dürften, aber für viele eine situative Gegebenheit darstellte, an deren Richtigkeit aus Mangel an Arbeitswelt-Erfahrung nicht gezweifelt wurde.

Von der Arbeitsrealität zum Arbeitskampf: Selbstorganisierung

In den letzen Monaten des Jahres 2011 kündigten die Vorgesetzten an, dass die Werkverträge nicht mehr wie bisher üblich für ein Jahr geschlossen (das heißt verlängert) werden würden, sondern erstmals nur für drei und ab April 2012 letztlich nochmals für vier Monate. Die Begründung, es werde überlegt, die Verträge zu ändern, hat bei den Betroffenen natürlich Ängste um den Job ausgelöst. Nähere Auskünfte gab es nicht. Es hieß sogar, es werde an einer Verbesserung für die Abfallberater*innen gearbeitet. Tatsächlich geändert hat sich der Wortlaut des letzten Werkvertrages. Auf Nachfrage meinte der Vorgesetzte, dass die Verträge rechtlich nicht einwandfrei gewesen seien und die Tätigkeiten zum Teil keinem klassischen Werkvertrag entsprächen.

Zeitgleich wurde in Einzelgesprächen darüber informiert, dass die MA 48 zehn Personen ein Dienstverhältnis anbieten wolle. Das Angebot beinhaltete gemäß dem städtischen Dienstschema die Einstufung als „Betriebsassistent*in“ in der „handwerklichen Verwendung“. Vordienstzeiten blieben hierbei ebenso unberücksichtigt wie die Ausbildungen und Qualifikationen. Der daraus resultierende Lohn sei so schlecht, meinte eine Kollegin irritiert, „dass ich damit nicht mal meine monatlichen Fixkosten begleichen könnte“. Die Einstufung in eine handwerkliche Verwendung war dabei so weit weg von der Arbeitsrealität als Berater*in, dass diese in keinster Weise nachvollziehbar sein kann. Außerdem wurde angekündigt, dass die zehn in Zukunft angestellten Abfallberater*innen vor allem diejenigen Jobs erledigen sollten, die am wenigsten mit einem Werkvertrag vereinbar seien – also jene Tätigkeiten, die in den Räumlichkeiten der MA 48 zu erledigen sind. Die anderen Abfallberater*innen sollten weiterhin mit Werkverträgen und ca. 50 Stunden pro Monat abgespeist werden, um die Auftragsspitzen abzufedern. Diese Job- und Werkvertragsangebote waren nun für fast alle Abfallberater*innen inakzeptabel. In einem Treffen am 3.4.2012 wurde daher die Initiative Abfallberatung gegründet, um gemeinsam als Gruppe vorzugehen.

Wir sind Gewerkschaft!“ – Doch wessen Interessen vertritt die GdG-KMSfB?

Ein weiterer Meilenstein am 16.5.2012: Die selbstorganisierten Abfallberater*innen traten geschlossen der zuständigen Gewerkschaft GdG-KMSfB (Gemeindebedienstete – Kunst Medien Sport freie Berufe) bei. Ein Brief mit der Bitte um Unterstützung und einen Gesprächstermin wurde an relevante Personen in der Stadtregierung, Gewerkschaft und MA 48 geschickt. Die darin artikulierten Forderungen lauteten: faire Entlohnung, soziale Absicherung und legale Dienstverhältnisse für alle. Die Abfallberater*innen forderten demnach nicht mehr und nicht weniger als die ihnen zustehenden Rechte. Die Abteilungsleitung der MA 48 lud alle Abfallberater*innen zu einem offiziellen Gespräch am 31.5.2012 ein. Innerhalb einer Stunde haben beide Seiten ihre Anliegen vorgebracht, eine Konsenslösung gab es allerdings nicht, Verhandlungen mit der Initiative Abfallberatung als Gruppe wurden abgelehnt. Es folgte lediglich das Angebot, Einzelgespräche mit den zuständigen Vorgesetzten und dem Personalchef zu führen, um die Verhandlungsstärke als Gruppe zu brechen. Auch der Gewerkschaftsvorsitzende der GdG-KMSfB empfing eine Delegation der Initiative Abfallberatung. Er zeigte sich davon überzeugt, dass die Werkverträge nicht einwandfrei seien und versprach Unterstützung. Die Gewerkschaft stellte in der Folge eine anwaltliche Vertretung zur Verfügung. Die Wiener Grünen empfingen ebenfalls die Initiative Abfallberatung und sagten Unterstützung zu. Seitens der SPÖ gab es hingegen keine Reaktion auf das Schreiben.

Im Juni 2012 folgten erste Repressalien gegen die aufständischen Abfallberater*innen, die es wagten, ihre Rechte einzufordern: Die MA 48 strich einigen „auffälligen“ Kolleg*innen Arbeitstermine. Im Juli erhielt niemand der in der Initiative Abfallberatung organisierten Kolleg*innen mehr Arbeitsstunden, obwohl die Werkverträge erst Ende des Monats ausliefen. Die Initiative Abfallberatung begann daraufhin mit umfassender Medienarbeit und öffentlichen Aktionen wie zum Beispiel der Übergabe einer Petition mit 1744 Unterschriften an die zuständige Umweltstadträtin Ulli Sima. Die SPÖ-Politikerin verweigerte allerdings die Annahme und ließ über die Medien wiederholt ausrichten, dass die Abfallberater*innen nicht gesprächsbereit seien. Sie ignorierte die mehrmaligen Versuche der Kontaktaufnahme.

Im Herbst haben die Abfallberater*innen dem gewerkschaftlich gestellten Anwalt diverse Unterlagen für die Klagen übermittelt. Dieser schlug allerdings kurzfristig Verhandlungen mit der Stadt vor. Ohne Verhandlungsergebnis bzw. ohne konkretem schriftlichem Angebot verging die Zeit. Im Dezember schließlich betonte der GdG-KMSfB Vorsitzende überraschenderweise, dass die Gewerkschaft die Klagen der Abfallberater*innen nicht unterstützen werde. Im Jänner 2013 legte der von der Gewerkschaft beauftragte Anwalt schließlich das Verhandlungsmandat zurück, und die Abfallberater*innen standen ohne rechtliche Vertretung da.

Der steinige Weg zum Gericht

Zeitgleich flatterte allen Kolleg*innen, die 2010 (oder später) bei der Abfallberatung angefangen haben, eine sogenannte Eventualkündigung in den Briefkasten. Da sie keinen erhöhten Kündigungsschutz genießen, hat die Stadt Wien sie nun vorsorglich auch offiziell gekündigt. Auf eigene Faust haben die Betroffenen beim ASG die Kündigung angefochten und hoffen, dass sie doch noch eine Kostenübernahme für die anwaltliche Vertretung finden, bevor im April die ersten vorbereitenden Tagsatzungen anstehen.

Mit Nachdruck wird seit Jänner 2013 auf verschiedenen Wegen versucht, Prozessfinanzierungen zu finden. Inhaltlich richten wir uns zum einen gegen unsere jahrelange Scheinselbstständigkeit – Stichwort „Feststellungsklage“, das heißt das Gericht möge feststellen, dass es sich um Umgehungsverträge gehandelt hat. Zum anderen steht eine Menge Geld auf dem Spiel, das die Stadt Wien uns, der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) und dem Finanzamt vorenthalten hat („Leistungsklage“). Die WGKK hat daher in der Causa „Umgehung eines Dienstverhältnisses“ im August 2012 eine Untersuchung gegen die MA 48 begonnen.

Eine Kolleg*in wird mit privaten Mitteln von einem Anwalt unterstützt, ihr erster Verhandlungstag am Arbeits- und Sozialgericht (ASG) fand Mitte Februar statt, im April folgt der nächste Termin. Zwei weitere Abfallberater*innen werden von der Arbeiterkammer vertreten. Die AK fühlt sich zwar nicht zuständig, stellt aber aus öffentlichem Interesse eine Anwält*in. Eine weitere Kolleg*in hat eine Zusage des BIV (Grün-Alternativer Verein zur Unterstützung von BürgerInnen-Initiativen) erhalten. Einige wenige können ihre Rechtsschutzversicherung in Anspruch nehmen.

Vorläufiges Fazit: Es bleibt spannend. Die Abfallberater*innen fühlen sich wie auf einer Odyssee im Dschungel der Stadtregierung, kämpfen gegen Titanen, und irgendwie geht es trotzdem immer weiter. Positiv ist, dass die Betroffenen sehr viel gelernt haben in dieser aufregenden Zeit – nicht nur, dass sie nun Expert*innen in Medienarbeit und des Arbeitsrechtes geworden sind, sondern auch: Traue keinen Politiker*innen! Und nach wie vor gilt der Satz der ersten Stunde der Initiative Abfallberatung „Wir bleiben lieber stehen“, denn die Betroffenen sehen es als Mission, mit ihrem Beispiel gegen prekäre Arbeitsverhältnisse vorzugehen.

Weitere Informationen unter:

http://abfallberatung.prekaer.at
www.facebook.com/AbfallberatungWien

 

Die Wienerin Ulli Müller war über neun Jahre Abfallberaterin und ist nun arbeitslos. Da sie wie die meisten anderen Betroffenen kein Arbeitslosengeld bekommt, lebt sie von ihren Ersparnissen und schlägt sich mit viel Sparsamkeit irgendwie durch.