Ein Jahr schwarzblaue Kulturpolitik

Wir blicken zurück auf das erste Jahr schwarzblaue Kulturpolitik. Abgesehen von vagen Ankündigungen warten wir immer noch auf die ersten konkreten Maßnahmen. Es deutet sich jedoch eine zunehmende Ökonomisierung des Sektors an. Es ist eine Entwicklung, die nun schon fast zwei Jahrzehnte auch sozialdemokratischer Kulturpolitik andauert und auch noch das letzte politische Potential aus der Szene auszehren könnte. Und auch in anderen politischen Bereichen wurden bereits Umbrüche gestartet, die sich massiv auf den Kulturbereich auswirken werden. 

Ein Jahr Schwarzblau, Kulturpolitik, Cameron Mourot on Unsplash

Die neue Regierung brachte kulturpolitisch nicht viele Impulse. Die großen Ankündigungen im Regierungsprogramm betrafen einerseits einen regen Austausch, der aber bislang nicht stattgefunden hat. Im ersten Jahr fand man noch nicht einmal Zeit für einen Antrittstermin mit den wichtigsten Interessensvertretungen. 
Andererseits kündigt sich im Programm ein drastischer Umbau an: Kulturförderung wird dort als Anschubfinanzierung verstanden, als seien die meisten Kunst- und Kulturtätigen EPUs, die nach einer StartUp-Hilfe selbst am Markt überleben sollten. Das betrachtet Kultur nur mehr unter Standort-, Tourismus- und Unterhaltungsfragen und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten und verkennt, dass Kunst und Kultur von kommerziellem Druck weitgehend befreit sein sollte, um tatsächlich funktionieren zu können. Denn selbst wenn der Sektor Funktionen wie Unterhaltung und Freizeitangebot, Tourismus und regionale Aufwertung leistet, so muss der Umstand der ökonomischen Unabhängigkeit immer noch gewährleistet sein. Das ist der Sinn von Kulturförderung. Allerdings ist dieser düstere Ausblick mangels konkreter Maßnahmen noch immer nur im Status einer vagen Ankündigung verblieben. 

Sieht man sich die konkret Handlungen, so wurden nur Lücken gefüllt, die bereits zuvor angelaufen waren, wie Sanierungen, wie jene der Secession oder Brandherde, wie die Stiftung Essl. Der Rest war Repräsentation. Das ist angesichts einer EU-Ratspräsidentschaft auch wenig verwunderlich. Dass dennoch viel Handlungsbedarf bestand, der ignoriert wurde, ist es umso mehr. „Ein Jahr der vergebenen Chancen“, brachte Yvonne Gimpel, Geschäftsführerin der IG Kultur, ihr Fazit des ersten Regierungsjahres auf den Punkt. Zwar seien die Problemfelder nicht neu entstanden, man habe aber erneut verpasst, eine Trendwende in der Kulturpolitik einzuleiten. Die Vorgängerregierung habe zumindest den Austausch mittels Open Spaces wieder etwas gepflegt. Momentan scheine selbst dazu der Wille zu fehlen. Währenddessen feiert Kulturminister Gernot Blümel ein stagnierendes Budget als Erfolg. „Da klopft man sich selbst dafür auf die Schulter, dass man den miserablen Stand der Dinge auch weiterhin fortführt“ so Gimpel. Die freie Szene sehe davon nämlich nichts. Die minimale Erhöhung in absoluten Zahlen geht durch die Zweckwidmungen in der EU-Ratspräsidentschaft oder dem Gedenkjahr flöten. 

 


Die Lage verschärft sich


In anderen politischen Bereichen, die für die Kultur überaus relevant sind, gab es jedoch bereits massive Einschnitte: In der Arbeits- und Sozialpolitik und Gesellschafts- sowie Innenpolitik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft, Frauen- und Migrationspolitik, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sind nämlich für den Kultursektor relevant. In einem Sektor, in dem ein so großer Anteil von Menschen in prekären Verhältnissen arbeitet und lebt, ist die Abschaffung der Aktion 20.000, Kürzungen beim AMS und das geplante Arbeitslosengeld Neu eine weitere Verschärfung ihrer Lage. Damit steigt auch die persönliche Selbstaufgabe und das existenzielle Risiko, das damit einhergeht, sich im Kulturbereich zu engagieren. Auf dieses Engagement ist der Sektor aber aufgrund der desolaten finanziellen Lage mehr als angewiesen. 
Gleichzeitig steht dieses Engagement, dass an allen Ecken und Enden die Lücken füllt, bei der Regierung nicht gerade hoch im Kurs. Nicht nur findet kein Austausch mehr mit den Fachministerien statt, wie IGO-Geschäftsführer Franz Neunteufl unlängst kritisiert hat, die Zivilgesellschaft steht schon länger unter regelrechtem Beschuss durch wichtige Vertreter der Bundesregierung. Niemand geringerer als Bundeskanzler Kurz spricht eigentlich von NGOs nur noch in Begriffen wie „Schlepper-Wahnsinn“. Gleichzeitig werden die Spielräume für die Zivilgesellschaft realpolitisch eingeengt. Meinungs- und Pressefreiheit werden immer häufiger attackiert. Nach der Faltermail-Affäre und der Direktive des Innenministerium, kritischen Medien keine Informationen mehr zukommen zu lassen, sprach Rubina Möhring von Reporter ohne Grenzen sogar von einer möglichen Orbanisierung der österreichischen Öffentlichkeit. Doch auch kritischer Kunst wird immer aggressiver begegnet. Die FPÖ drohte den Nestroyspielen in Schwechat offen damit, Förderungen nicht mehr zuzustimmen, nachdem die Regierungsparteien durch den Kakao gezogen wurden. Solche Gebärden sind kein neues Phänomen. Neu ist allerdings, dass sie von Vertretern einer Regierungspartei oder sogar Regierungsmitgliedern kommen. Die Message: Wenn ihr zu kritisch seid, werden euch die Förderungen gestrichen. Yvonne Gimpel schlägt jedoch vor, sich nicht von den Drohgebärden von rechts einschüchtern zu lassen und weiter kritisch und lautstark in die Öffentlichkeit zu gehen. Der Ökonomisierungsdruck der letzten zwanzig Jahre hat das politische Potential des Sektors schon genug verblassen lassen. Wenn man sich nun selbst einen Beißkorb aufsetzt, dann hat man sich allerdings bereits selbst abgeschafft. 

 


Das Politische wird nicht mehr im Feld der Kultur verhandelt


Und tatsächlich kommt aus Kunst und Kultur ein weitaus geringerer Widerstand, als noch 2000 bei Schwarzblau I. Das mag zum einen daran liegen, dass viel aggressiver mit kritischen Stimmen umgegangen wird, die Drohungen durch verbale Attacken und aggressive Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die Existenz zu entziehen und das soziale Netz auszudünnen, ihre Wirkung zeigen. Andererseits wurde vor allem die freie Szene in den letzten 20 Jahren regelrecht ausgezehrt, die Kultur ökonomischen Prämissen unterstellt, Leistungs- und Evaluierungsdruck preisgegeben, Strukturen ausgedünnt. Bei der Regierungsbildung der ersten schwarzblauen Koalition trat mit Franz Morak ein Kulturminister mit dem dezidiert politischem Auftrag an, mit dem „linken G’sindel aufzuräumen“ wie es Andreas Kohl (ÖVP) flapsig formulierte. Jörg Haider brachte es damit auf den Punkt, dass dem Sektor klargemacht werden müsse, dass die Hand nicht gebissen wird, die einen füttert. Kulturpolitik sollte den Kurswechsel der neuen Politik unter Wolfgang Schüssel symbolisieren. 
Der Sektor wurde zwar nicht von heute auf morgen komplett umgekrempelt, aber der freien Szene wurde Zugang zu Förderungen massiv erschwert und die Kulturpolitik an einer Ökonomisierung des Sektors ausgerichtet, wie es Michael Wimmer, Direktor von Educult, zusammenfasst. Die Entwicklung wurde dann auch von den roten Ministerien in den Folgeregierungen fortgesetzt. Minister Ostermayer kappte dann gänzlich die Verbindung zur freien Kultur. Die Sozialdemokratie hatte nun vollends auf das politische Potential der Kultur vergessen. „In dem Maße, in dem sich der öffentliche Kulturbetrieb vermaktförmigt hat, so ist sein politisches Potential abhandengekommen“, so Michael Wimmer. Das merke man auch am Widerstand gegen die neue Regierung. Sei dieser 2000 noch zu großen Teilen vom Kunst- und Kulturbereich getragen worden, so sind es heute andere Gruppierungen. Die Symbolpolitik zeige sich heute in der Kulturalisierung der Sozial- und Migrationspolitik, wo nun kulturpolitische Schlachten geschlagen würden. Das merke man auch an den Gegenbewegungen, so Wimmer, die sich vermehrt aus Gruppen dieser Bereiche zusammensetzten. 

Vor allem im freien Bereich könnten durchaus ähnliche Kürzungen zu erwarten sein, wie bei Schwarzblau in Oberösterreich oder bei Frauenvereinen durch den Bund bereits vorgenommen wurden. Wenn sich Kunst und Kultur aber am Markt behaupten muss, um zu überleben, dann wird nicht viel davon überbleiben. Vor allem nicht von jener Kultur, die es vermag, den sogenannten Kitt der Gesellschaft zu bildet, Menschen zusammenzubringen und die Kluft, die durch das Land geht, zu verringern, Aushandlungsprozesse für das friedliche und demokratische Zusammenleben anzustoßen und innovative Gesellschaftsversuche zu starten. Doch vielleicht möchte man das gar nicht. Kulturpolitische Fragen werden gar nicht mehr im Rahmen von Kulturpolitik verhandelt, so Gimpel. Es läuft alles über Sicherheits- und Migrationsdiskurse. 

 


Die Repolitisierung der Kultur


Der Stellenwert des Kulturbetriebs ist in den letzten Jahrzehnten ebenso rapide gesunken, wie sein politisches Potential verloren gegangen ist. Er ist weder für nationalstaatliche Identifikationsbildung, noch als wesentlicher Faktor der persönlichen und kollektiven Emanzipation bedeutend, so Michael Wimmer. Eine mögliche Lösung könnte es sein, sich wieder verstärkt in diese Bereiche einzumischen. Dazu müssten Diskurse um Sicherheit, Migration und Flucht in das Zentrum kultureller und künstlerischer Aushandlung rücken. Andererseits gibt es ein weiteres brisantes Thema: Arbeit und Soziales. Genau da gäbe es eine gewisse Scheu, über die konkreten Verhältnisse zu reden. Yvonne Gimpel würde jedoch dafür plädieren, das viel massiver zu forcieren. Da sich das, was man im Kulturbereich schon viele Jahre spürt, nämlich prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse, mangelnde soziale Absicherung, Altersarmut, etc., nun gesamtgesellschaftlich dermaßen stark auswirkt, eröffnet sich ein neuer Handlungsrahmen. Die französische Rechtsextreme versucht bereits Kapital daraus zu schlagen, dass Bewegungen wie die Gelbwesten aus diesen Verhältnissen geformt wurden und eine neue politische Kraft bilden konnten. Auch hierzulande könnte einiges der aufgeheizten Stimmung auf den politischen Umschlag der sozialen Schieflage zurückzuführen sein. Das ist aber auch eine Chance für den Kulturbereich, so Gimpel. Denn wenn man stärker damit arbeitet, was genau die eigene Erfahrung betrifft, die nun auch die Erfahrungen von einem immer größer werdenden Segment der Bevölkerung wiederspiegelt, dann kann man auch kulturelle Dinge wieder näher an die Menschen bringen. 

 

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Foto: Cameron Mourot on Unsplash