EU-Kulturpolitik reloaded
Seit 27. November 2012 gibt es eine „partielle allgemeine Ausrichtung“ (sic!) seitens des Rates zum EU-Kulturförderprogramm Creative Europe. Endgültig beschlossen kann es aber nur werden, wenn eine Einigung über die EU-Rahmenausgaben ab 2014 erzielt wird. Zudem hat das Europäische Parlament einen Bericht vorgelegt, der zahlreiche Änderungen im Text vorschlägt.
Seit 27. November 2012 gibt es eine „partielle allgemeine Ausrichtung“ (sic!) seitens des Rates zum EU-Kulturförderprogramm Creative Europe. Endgültig beschlossen kann es aber nur werden, wenn eine Einigung über die EU-Rahmenausgaben ab 2014 erzielt wird. Zudem hat das Europäische Parlament einen Bericht vorgelegt, der zahlreiche Änderungen im Text vorschlägt. Hier wird abzuwarten sein, was davon übernommen wird. Bei diesen Kritikpunkten handelt es sich aber nicht um Kleinigkeiten, denn sollte der Text so stehen bleiben, wie er ist, etabliert sich ein eindeutig ökonomisch-kulturpolitischer Diskurs innerhalb der EU-Kulturpolitik.
Zunächst soll der Entwurf eine strukturelle Vereinfachung in den Antragsrichtlinien und Verfahren bringen und dem Kultur- und Kreativsektor den Zugang zu Krediten über einen von der EU gewährten Schuldtitel erleichtern. Dies klingt erst mal positiv. Es riecht aber auch nach privatwirtschaftlicher Finanzierung und dem Entzug der öffentlichen Hand. Der gesamte Programmentwurf ist durchzogen von marktorientierter Logik und Wirtschaftsvokabular. So wurde in der deutschen Fassung der „Kultur- und Kreativsektor“ umbenannt in die „Kultur- und Kreativbranche“ oder „-wirtschaft“; das neue Programm fühlt sich dem „intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstum“ verpflichtet; Waren und Dienstleistungen, „Kapazität(en)-aufbau oder -stärkung“ und „Effizienz“ stehen im Vordergrund.
Auch wenn es keinen „reinen“ Kulturbegriff gibt, lässt sich dennoch von einer Ökonomisierung der EU-Kulturpolitik sprechen (ein Trend seit Ende der 1990er-Jahre). Genauer zeichnen sich vier Diskurse auf EU-Ebene ab: (1) Die Kommission verbeißt sich in Trends, wie die Publikumsentwicklung (audience development). Dieser Begriff suggeriert, dass ein besonderes und für das Publikum emanzipatives Verhältnis zu den Kulturschaffenden etabliert werden kann. Dabei wird das Publikum als formbare Masse betrachtet, steuerbar, je nach Belieben. Natürlich nur zu ihrem eigenen Wohl, Stichwort empowerment. (2) Das Europäische Parlament etabliert einen Diskurs gegen die Kommission und tritt für den Doppelcharakter von Kultur ein: Verkaufszahlen versus l‘art pour l‘art und intrinsic values. (3) Auch der Rat der Kultur- und Bildungsminister_innen vertritt einen dichotomen Kulturbegriff, allerdings scheint es hier, als ob die zahlreichen Einflussnahmen zivilgesellschaftlicher Akteur_innen Früchte getragen haben. Er empfiehlt nämlich, einen holistischen Zugang zur Kultur-Governance zu finden, indem gerade auf die Dynamiken an den Schnittstellen von Kultur- und Kreativsektor fokussiert werden soll und Kulturpolitik stärker mit andern Politikfeldern verbunden werden muss. (4) Und die Kulturschaffenden selbst? Hier wird zwar an dem ökonomischen Vokabular Kritik geübt, allerdings soll auch das Verhältnis von Ökonomie und Kunst/Kultur generell überdacht werden. Ein dichotomer Kulturbegriff wird als veraltet empfunden. Demokratie- und gesellschaftspolitische Aspekte müssten mit einem Kulturbegriff und damit auch der Kulturförderung in Verbindung gebracht werden. Dazu muss auf den Quantifizierungswahnsinn größtenteils verzichtet werden, qualitative und sehr spezifische Kriterien sollten in der Förderlogik eine viel größere Rolle spielen.
Es gilt also, alternative und innovative Denkmodelle zu entwickeln. Die Gefahr ist aber, dass dabei die Bedeutung von Kultur ohne kommerziellen Nutzen unter die Räder kommt. Über Differenzierung lässt sich schlecht Politik machen. Ein emphatischer Kulturbegriff ist vielleicht simpel, aber ohne Simplifizierungen, keine Repräsentation und kein politischer Streit.