Existenzgefährdung durch AMS?

Drei Jahre Arbeitslosengeld zurückzahlen, obwohl du alles korrekt angegeben hast? – „Unmöglich“, ist in der Regel der erste Kommentar aus Politik und Verwaltung zu einer derartigen Geschichte. Wenn aber ein konkreter Fall in allen Details ausgefaltet wird, kommt das große Grübeln, und je vertrauter eine Person mit dem Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) ist, desto schneller kommt die Antwort: blöd gelaufen, aber korrekt...

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Drei Jahre Arbeitslosengeld zurückzahlen, obwohl du alles korrekt angegeben hast? – „Unmöglich“, ist in der Regel der erste Kommentar aus Politik und Verwaltung zu einer derartigen Geschichte. Wenn aber ein konkreter Fall in allen Details ausgefaltet wird, kommt das große Grübeln, und je vertrauter eine Person mit dem Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) ist, desto schneller kommt die Antwort: blöd gelaufen, aber korrekt … Damit sind schon zwei aktuelle Probleme im Kontext AMS/SVA angedeutet: die Komplexität der Materie und die Zuweisung der Verantwortung für die Informationsbeschaffung zu besagter Materie an die Erwerbslosen.

Der Fall Georg Mayrhofer

Setzen wir doch das imaginäre Gespräch mit Politik und Verwaltung fort. Georg Mayrhofer ist einer, der das Arbeitslosengeld (ALG) für sämtliche Phasen der Arbeitslosigkeit in den Jahren 2009 bis 2011 zurückzahlen muss. Öffentlich machte er seine Geschichte im Rahmen eines Pressegesprächs des Kulturrat Österreich im April 2013:

Im Herbst 2009 machte er sich – arbeitslos wie er gerade war – auf den Weg zum AMS. Zwar wusste er um seinen ALG-Anspruch aus unselbstständigen Beschäftigungen, war aber aufgrund von im Sommer 2009 erfolgten selbstständigen Einnahmen (rund 10.000 Euro) unsicher, ob ihm denn tatsächlich ALG zustünde. Am AMS wurden die Einnahmen und der Antrag begutachtet, und siehe da, er bekam ALG. In den Jahren 2010/11 wechselte er des Öfteren zwischen ALG-Bezug und unselbstständigen Jobs hin und her. Selbstständige Tätigkeiten kamen vor, waren aber in ihrem Ausmaß unter jeder problematischen Grenze, zudem im AMS-Alltag bewältig- und integrierbar (nach Maßgabe der Regeln für befristete Zuverdienste).

Im Frühjahr 2011 erledigte Georg Mayrhofer dann die Einkommenssteuererklärung für 2009 und meldete den Hinweisen aus der Steuerberatung entsprechend aufgrund einer Überschreitung der Versicherungsgrenze nachträglich seine Einbeziehung in die Pflichtversicherung in der SVA für dieses Jahr. Die Folge: Widerruf des ALG 2009 und Rückforderung, weil sich Pflichtversicherung in der SVA und Arbeitslosigkeit seit 1.1.2009 kategorisch ausschließen. Nur: Darauf hingewiesen hatte ihn 2009 niemand. Nicht nur das, das Vorgehen des AMS war auch noch korrekt: Da Georg Mayrhofer zwar zu hohe selbstständige Einnahmen hatte, aber sich noch nicht in der SVA als versicherungspflichtig einbeziehen hatte lassen, stand ihm das ALG formal (vorläufig) zu. Institutionenübergreifende Informationen oder Aufklärung über mögliche Folgen eines ALG-Antrags gehören aber leider auch heute noch nicht zu den Aufgaben oder Verpflichtungen des AMS …

Georg Mayrhofer nahm die Entscheidung nicht einfach hin, sondern begann, sich mittels Einspruch zur Wehr zu setzen. Schließlich hatte auch er gegenüber dem AMS nichts falsch gemacht.

Mit einigem guten Willen hätte zu diesem Zeitpunkt auch wirklich alles glimpflich ausgehen können. Das selbstständige Einkommen im Sommer 2009 war durchaus als befristetes Einkommen gemäß AlVG definierbar – ebenso ein/zwei Kleinstaufträge im selben Jahr vor dem ALG-Bezug. Als unüberwindbare Hürde stellte sich aber dann ein Fund aus den Tiefen des SVA-Archivs heraus: 2001 hatte er – wie viele andere zu diesem Zeitpunkt – der SVA eine Erklärung zukommen lassen, dass er selbstständig künstlerisch tätig ist, mangels ausreichendem Einkommen aus dieser Tätigkeit aber nicht in die Versicherung einzubeziehen sei. Diese Erklärung hatte er nie revidiert (wieso auch, war sie bis 2011 doch nie mehr Thema gewesen und auch inzwischen folgenlos), und dann führte eines zum anderen:

Gestützt auf einige höchstrichterliche Entscheidungen und eben diese Erklärung von 2001 wurde Georg Mayrhofer am AMS zum durchgehend Selbstständigen erklärt. Damit fielen sämtliche Sonderkonstruktionen flach, die mit Ach und Krach zwischen die strukturellen Widersprüche aus AlVG und GSVG (Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz) gespannt sind; und mit einem Mal standen auch die ALG-Ansprüche bis zur Gegenwart infrage: Nicht nur hatte er seine Versicherungserklärung von 2001 bis 2009 nicht widerrufen, sondern auch nachher nicht (wieso auch, siehe oben). Angesichts der nunmehrigen Zuschreibung des durchgehend (oder auch nachhaltig) Selbstständigen war er damit seit 2009 nie arbeitslos – zumindest nicht im Sinne des AlVG –, was aber eine Voraussetzung für den Anspruch auf ALG darstellt.

Arbeitslos? Moment, sagen da viele: Arbeitslos zu definieren kann ja wohl nicht so kompliziert sein. Das ist ja kein Begriff für juristische Spitzfindigkeit, sondern eine banale Zustandsbeschreibung, oder? – So einfach ist es leider nicht: Per Gesetz ist arbeitslos im Sinne der Anspruchsvoraussetzung für ALG nur, wer die Beschäftigung/Tätigkeit einstellt. Wer hingegen nur reduziert, und sei es auf ein Minimum, gilt nicht als arbeitslos – und bei wem mangelnde Arbeitslosigkeit im Nachhinein festgestellt wird, muss zurückzahlen. So auch Georg Mayrhofer, der aus dieser Falle erst Anfang 2012, und auch nur mittels extra konstruierter Lösung in der SVA, herauskam (Ruhendmeldung für künstlerische Tätigkeiten via Opting in der SVA).

Das Resultat waren 15.000 Euro Rückforderung ALG, ein Jahr rückwirkende Einbeziehung in die SVA (2009) und der nachträgliche Sozialversicherungs-Verlust für alle Monate mit ALG-Bezug in den Jahren 2010 und 2011. Bestätigt hat das in der Form auch der Verwaltungsgerichtshof (VwGH).

Akute Probleme im Kontext AMS/SVA

Der Fall Georg Mayrhofer illustriert nicht nur eindrucksvoll die existenzgefährdenden Faktoren in der aktuellen Durchführungsmatrix, sondern auch drei weitere zentrale Problemkreise, die im Zusammenspiel ersteres erst hervorbringen. Wie schon angedeutet, ist es zunächst die schiere Komplexität der Materie, die ein Problem darstellt. Einerseits ist klar, dass gerade „anormale“ individuelle Situationen (auch wenn sie strukturell noch so viele Personen betreffen), Ausnahmen und Sonderregelungen erfordern, um überhaupt zu funktionieren – umso mehr in einem Land wie Österreich, in der eine angenommene Normalität so lange „normal“ bleibt, bis auch die letzten Reste davon verschwunden sind (konkret: lang andauernde unselbstständige Beschäftigungen in der Regel der Männer, unterbrochen höchstens von möglichst kurzen Phasen der Arbeitssuche). Andererseits kann die Konstruktion von Ausnahmen und Sonderregelungen auch einfach zu weit gehen: Wenn selbst in den Institutionen der Sozialversicherung Diskussionen über die formal richtige Lösung ausbrechen, sobald es eine Spur komplizierter wird, ist dieser Punkt definitiv erreicht.

Das wäre noch nicht das ganz große Problem, wenn sich auch in diesem Kontext das aus der Justiz bekannte, leicht abgewandelte Diktum „Im Zweifel für die Betroffenen“ durchsetzen würde. Tut es aber nicht, jedenfalls nicht automatisch. Der zweite große Problemkreis betrifft ergo die Diskrepanz aus gesetzlichem Rahmen, sich schnell ändernden, zum Teil noch nicht einmal öffentlichen Durchführungsrichtlinien (die sich nur allzu oft aus höchstrichterlichen Entscheidungen zusammensetzen) und der Konstruktion der Ausnahmen und Sonderregelungen: Der gesetzliche Rahmen sowohl im AlVG als auch im GSVG ist ein relativ offener, vieles ist im Detail eine Aushandlungsfrage. Zugleich sind Ausnahmen wie Sonderregelungen, zum Beispiel für sogenannte vorübergehende selbstständige Tätigkeiten am AMS oder auch bezüglich der Ruhendmeldung so konstruiert, dass sie im Zweifelsfall vor Gericht keinen Bestand haben müssen. Im Kern liegt das an der strukturellen Unvereinbarkeit der beiden Gesetze: Selbstständigkeit an sich ist im AlVG zwar mittlerweile verankert, aber nicht mit der impliziten Vorstellung von Arbeitslosigkeit vereinbar …

Der klarste Ausdruck ist das Dilemma des Arbeitssuchens: JedeR ALG-BezieherIn ist dazu angehalten, alles zu unternehmen, um wieder eine Arbeit zu finden. Wer aber vor der Arbeitslosigkeit selbstständig war (insbesondere in der SVA bereits versichert war), darf nichts tun, was ihn oder sie in den Geruch bringt, die Tätigkeit fortzusetzen (weil sonst die nachhaltige Selbstständigkeit festgestellt werden kann/muss; siehe oben). In anderen Ländern ist das Problem recht einfach gelöst: Solange nichts verdient wird, ist jede auf Tätigkeiten gerichtete Handlung im ALG-Bezug Teil der Arbeitssuche und damit kein Problem. Alleine, wer solches in Österreich auszusprechen wagt, wird ins Reich der Träumenden verwiesen. Die ewige Litanei: Missbrauchsgefahr, da könnte ja jedeR kommen, Missbrauchsgefahr!

Dazu kommt das dritte große Problem: Informationsbeschaffung wird den Erwerbslosen aufgebürdet. Weder AMS noch SVA kennen Regelungen, denen zufolge die bei ihnen erhaltenen Informationen rechtsgültig wären. Institutionenübergreifende Informationen sind sowieso kaum zu bekommen: Wieso sollte sich einE AMS-BetreuerIn auch mit der SVA auskennen? Reicht ja wohl zu wissen, dass eine SVA-Pflichtversicherung ein ALG-Ausschlussgrund ist, nicht? Okay, jetzt wird es zynisch.

Klar ist jedenfalls, dass diese drei Probleme eine Existenzgefährdung der Betroffenen geradezu heraufbeschwören. Nicht weil es ein erklärtes Ziel wäre, dass möglichst viele Erwerbslose vom ALG ausgeschlossen werden (das ist zumindest eine andere Diskussion), sondern weil im Zweifel alles gegen die Betroffenen spricht. Entsprechend ist es in dem Kontext auch schon fast egal, ob das Gegenüber am AMS einen Bezug von ALG grundsätzlich als Zugeständnis versteht oder doch einen Rechtsanspruch gelten lässt. Wenn eine entscheidende Information erst auftaucht, nachdem schon alles passiert ist, bleibt auf einer rechtlichen Ebene oftmals schlicht nichts Brauchbares als Handhabe über.

Entsprechend wichtig ist so auch die Informationsarbeit. Es hilft nichts: Wer nicht einfach nur zwischen unselbstständigen Jobs und ALG pendelt (und sich ohnedies mit der AMS-Bürokratie herumschlagen muss), kommt derzeit nicht umhin, jeden noch so abwegig erscheinenden Informationsbrocken verstehen zu müssen. Umso mehr, als – wenn der Kulturrat Österreich wieder einmal versucht, eine kohärente Auslegung des gesetzlichen Rahmens bzgl. Arbeitslosengeld im Zusammenhang mit selbstständigen Zuverdiensten zusammenzutragen – ein immer wieder gehörter Rat aus AMS und bm:ask lautet: „ Betrachten Sie Arbeitslosengeld bei Selbstständigen doch als eine Art zinsloses Darlehen.“ Nein, so nicht.

Clemens Christl arbeitet für den Kulturrat Österreich.

Abkürzungen

ALG = Arbeitslosengeld
AlVG = Arbeitslosenversicherungsgesetz
AMS = Arbeitsmarktservice
bm:ask = Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
GSVG = Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz (Grundlage der SVA)

Info

Erste Hilfe Handbuch für Arbeitslose. Hg.in Aktive Arbeitslose, Wien 2011.

Infobroschüre: Selbstständig – Unselbstständig – Erwerbslos. Hg. Kulturrat Österreich, Wien, Februar 2012 (3. Ausgabe).

http://kulturrat.at/agenda/ams/infoAMS

Un-/Selbstständig und erwerbslos? Alte Probleme, neuer Anlauf (Frühling 2013; Überblicksseite Kulturrat Österreich).

http://kulturrat.at/agenda/ams/anspruch