Gefangen in Sicherheit. Darren Almond im Linzer Lentos
In der Anordnung der Installation wandert man von einem Gefängnisraum zum nächsten, und während die dunklen Gänge der Installation nur vom durch die projizierten Gefängnisfenster einfallenden Licht erhellt werden, wirkt gerade die Leere beklemmend.
Hier. Jetzt. Gerade in diesem Moment. An diesem Ort und gleichzeitig an einem anderen.
Die Installation von Darren Almond im Lentos Kunstmuseum Linz gewährt Einblick in die nahe gelegene Linzer Justizanstalt. Es ist jedoch kein voyeuristischer Blick, der hier geboten wird. Die Gefängnisräume, die bei der Eröffnung via Satellitenverbindung live ins Kunstmuseum übertragen wurden, sind leer. Diese Leere wird in der endlosen Wiederholung dieser Bilder während der Dauer der Ausstellung noch einmal verstärkt. In der Anordnung der Installation wandert man von einem Gefängnisraum zum nächsten, und während die dunklen Gänge der Installation nur vom durch die projizierten Gefängnisfenster einfallenden Licht erhellt werden, wirkt gerade die Leere beklemmend.
Am Anfang der Installation steht eine überdimensionale Digitaluhr, in der man erst die eigene Spiegelung erblickt, noch bevor die riesigen Ziffern erkennbar werden, bevor die Uhr überhaupt als solche erkannt wird. Deutlich vermittelt diese Uhr mit der Spiegelung der mittendrin klein wirkenden Figuren der BesucherInnen, es geht um das Jetzt, doch die Frage des Hier wird in den verwinkelten Gängen hinter der Uhr nur noch unklarer. Die Projektionen der Gefängnisbilder hängen gerade in der falschen Höhe, um sie wirklich bequem betrachten zu können, und sie zeigen menschenleere Räume, die erst nach und nach als die Räumlichkeiten der von den Museumsbesuchenden normalerweise nicht betretenen Justizanstalt identifizierbar werden.
Am Ende steht ein Ausblick, ein Blick in die Landschaft, ein historischer Rückblick: eine Fotografie einer historischen Fotografie einer Landschaft, Henry Fox Talbotts Blick aus einem Fenster von Laycock Abbey. Doch auch dieser Ausblick wirkt auf Grund der schweren Last der Geschichte beklemmend. Dazu schreibt Stella Rollig im Pressetext: “Die Erfindung der Fotografie verläuft parallel zur Industrialisierung, zur Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und damit des Selbstverständnisses, das der heutigen europäischen Verfasstheit im Wesentlichen zu Grunde liegt.”
Was macht ein Gefängnis in einem Museum moderner Kunst? Warum diese aufwändige Übertragung statt einfacher Videoaufnahmen oder Fotografien? Durch die Gleichzeitigkeit, die Gegenwärtigkeit der Gefängnisräume in den Räumlichkeiten des Museums wird die Konstruiertheit beider gesellschaftlichen Räume hervorgehoben. Museum und Gefängnis sind Orte einer Aufbewahrung, einer Abgeschiedenheit. Was aber in der Verschachtelung dieser gesellschaftlichen Räume vor allem deutlich wird, ist ihre Unterschiedlichkeit: Es geht hier um die Herstellung und Sichtbarmachung von Machtverhältnissen.
Wer das Lentos Kunstmuseum betritt, handelt freiwillig, das Bezahlen einer Eintrittskarte suggeriert sogar die Inanspruchnahme eines Privilegs: Nicht jede/r darf einfach so ins Museum gehen. Den umgekehrten Fall gibt es selbstverständlich nicht, auch wenn Vorstellungen einer Privilegiertheit unterschwellig mitschwingen: Nicht jede/r wird einfach so im Gefängnis eingesperrt.
Eine Gewissheit in Bezug auf eine bestehende Gesellschaftsordnung, in der Klarheit über die Zugehörigkeit herrscht, die bestimmt, wer ins Gefängnis, wer ins Kunstmuseum geht, scheint allgemein zu bestehen. Bestätigt wird sie nicht zuletzt durch ein Kunstverständnis, das auf “schöne” und “bedeutende” Werke setzt, für die ausgefallene Architekturen speziell entwickelt werden, vor allem um sie aufzubewahren und unter bestimmten Bedingungen auch zur Schau zu stellen. Eine solche Architektur ist das Lentos Kunstmuseum, und es beherbergt eine ansehnliche Sammlung “schöner” und “bedeutender” Kunstwerke. Nach Stella Rolligs Ernennung zur neuen künstlerischen Leiterin des Lentos wurden erstaunlich früh Befürchtungen geäußert, sie würde sich von der “gediegenen” Sammlung, die durch “intelligente wie sensible Sammlertätigkeit” aufgebaut wurde, “gebremst” sehen und wäre besser Kuratorin im O.K Centrum für Gegenwartskunst geblieben, das sich des “verschwindend geringen Interesses für aktuellste Kunst” bediene. 1)
Auf den ersten Blick scheint die Entscheidung Stella Rolligs, gerade Darren Almond für die erste Ausstellung unter ihrer Leitung auszuwählen, derartige Befürchtungen nicht zu bestätigen. Unter der Auflistung der bisherigen Ausstellungstätigkeit dieses “Young British Artist” finden sich so renommierten Namen wie die Royal Academy of Arts, London, das Museum Fridericianum Kassel, das San Francisco Museum of Modern Art, das Århus Kunstmuseum in Dänemark und viele andere. Das Lentos Kunstmuseum Linz befindet sich somit in bester Gesellschaft, und der Name Darren Almond braucht sich neben der Auflistung bekannter Künstler (und ein paar weniger Künstlerinnen) in der Lentos-Sammlung nicht zu verstecken.
Jenseits aller Fragen nach dem Bekanntheitsgrad geht es hier jedoch um Kunst, die auf ganz andere Art und Weise bedeutend sein kann: indem sie den Fokus unserer alltäglichen Wahrnehmung verschärfen oder verschieben kann, indem sie andere Möglichkeiten, wie wir denken und leben könnten, vorstellbar macht. Stella Rollig begründet ihre Entscheidung, gerade Darren Almonds Arbeiten am Beginn ihrer Tätigkeit als Museumsdirektorin auszustellen, folgendermaßen: “Seit Jahren interessiert mich seine Arbeit, weil sie in meinen Augen das Politische, das Persönliche und das Poetische zu vereinen schafft.” 2)
Politisch ist die Übertragung der Räume der Justizanstalt in die gefeierten Räume des Lentos auf mehreren Ebenen.
Zunächst stellt sie auf einer konkreten technischen Ebene die Bauweise, die Kunst mit “Tafelbildern” gleich setzt, grundsätzlich in Frage: Der Aufbau von Darren Almonds Installation wurde nicht unerheblich dadurch erschwert, dass die bauliche Konstruktion des Lentos das Aufhängen der Projektoren kaum zuließ. Wenn man bedenkt, wieviel Mittel aus dem Kulturbudget der Stadt Linz und des Landes Oberösterreich dieser Bau an sich gebunden hat, erscheint das Kunstverständnis der politischen EntscheidungsträgerInnen zumindest etwas eingeschränkt. So schön das glasumhüllte Gebäude von außen wirkt, so wohltuend die hellen, großen Räume sind, das Bild wird durch die Mängel der baulichen Konstruktion und der inneren Einrichtungen doch zumindest leicht getrübt, weil dadurch ein kreativerer Umgang mit den Inhalten des Museums eingeschränkt wird.
Politisch ist diese Arbeit aber auch ideell durch die Verschachtelung zweier Orte, die in der gesellschaftlichen Ordnung getrennte, doch in gewisser Weise komplementäre Rollen spielen. Es geht um Zuordnungen, darum, wer in welche Räume “gehört”. Eine derartig schöne Umgebung wie das Lentos, die zudem mit so wertvollen Gegenständen gefüllt ist, soll ein Gefühl der Sicherheit vermitteln, beruhigend wirken. Alle Unannehmlichkeiten des Lebens mögen draußen bleiben, und glücklich soll sich schätzen, wer hierher “gehört”.
Aber was ist die Kehrseite davon, wenn man sich an diesem “geschützten” Ort gleichzeitig von einem anderen Ort umgeben findet, und zwar von einem Ort, der auf ganz andere Art und Weise mit dem Begriff Schutz in Verbindung gebracht wird? Wie gestaltet sich die Zugehörigkeit der Menschen, die sich dort befinden und eben nicht gleichzeitig hier? “Gehören” sie alle ins Gefängnis? Die Frage, was es heißt, eine Strafe zu verdienen, wer eine Strafe “verdient”, beinhaltet in dieser Überlagerung unweigerlich die Frage, wer es denn “verdient”, die Sicherheit der beruhigenden Museumsräume genießen zu dürfen. Dies ist keine moralisierende Frage, gerade nicht im größeren Zusammenhang des Lentos mit seiner großen Kunstsammlung. Es ist die Frage, was “Schutz” impliziert. Was soll uns Schutz bieten, und vor wem und was? So beruhigend und erbaulich schöne und bedeutende und wertvolle Kunstwerke auch sein mögen, dass sie keinen Schutz bieten, wissen wir seit mindestens siebzig Jahren. Ein Kunstwerk mag schon eine sichere Wertanlage darstellen, aber Sicherheit kann es niemals garantieren. Und wenn uns “Law & Order”-ProponentInnen einreden wollen, dass wir erst in Sicherheit leben können, wenn immer mehr Menschen in Gefängnissen eingesperrt werden, muss man nicht lange über diese Logik nachdenken, um zu erkennen: Je mehr Menschen als “ordnungsgefährdend” identifiziert werden, desto größer ist die potenzielle Gefährdung der Ordnung, auf der unsere vermeintliche Sicherheit gründet. Der Schutz, den gesellschaftlich konstituierte Räume wie Museen und Gefängnisse bieten können, ist eine Illusion.
Ein Museum kann aber auch etwas Anderes zur Verfügung stellen, nämlich einen öffentlichen Raum, der verschiedenartige Versammlungen zulässt und Reflexion fördert. Wie etwa Jorge Ribalta vom Museum für zeitgenössische Kunst in Barcelona in einem reflexiven Text über seine Institution schreibt: “Was das Museum aber tun kann, ist, sich kritisch mit den Bedingungen von Kunst und Kultur heute zu beschäftigen und einen Diskussionsraum offen zu halten.” 3) Somit könnte ein Museum gerade die Art von Luxus bieten, den unsere Gesellschaft dringend benötigt.
Unter dem Motto “Luxus für Alle” veranstaltete die Linzer Freie Szene im Mai 2003 am Hauptplatz eine Kundgebung zur Solidarität mit der Streikbewegung gegen die von der Regierung geplante Pensionsreform. Wie Astrid Esslinger das Verständnis von Luxus im Vorfeld der Kundgebung formulierte: “Die Rede ist hier nicht vom materiellen Luxus der Warenwelt, der unsere Müllberge speist, sondern vom Luxus Lebensqualität, Freiraum, Wahl- und Gestaltungsmöglichkeit.” 4) Nach dem Verständnis der Freien Linzer Kulturszene gehören auch “lebendige Kunst und Kultur” zu dieser Lebensqualität: “Soziale Sicherheit, humane Arbeitsbedingungen und Bildung sind ebenso wie lebendige Kunst und Kultur Rechte, die es einzufordern gilt, wenn die Politik nicht für entsprechende Rahmenbedingungen sorgt. Wir demonstrieren unseren Protest im öffentlichen Raum, weil wir denken, dass die Welt allen gehören muss und von allen gestaltet werden kann.” 5) In diesem Sinne ist Kunst nicht mit bedeutenden Bildern gleichzusetzen und stellt statt Ausschluss und “Sicherheit” ein Recht auf Mitsprache und Mitgestaltung dar.
Wenn nun Darren Almond die Räume der Justizanstalt in das Kunstmuseum überträgt, kann diese Installation als eine Einladung gelesen werden, herkömmliche Vorstellungen von “Schutz” und “Sicherheit” in Frage zu stellen. Damit ensteht auch die berechtigte Hoffnung, dass das Lentos Kunstmuseum unter der Leitung von Stella Rollig mehr zu bieten haben wird als eine “gediegene” Sammlung, als “schöne” Bilder.
Anmerkungen
1) Almuth Spiegler: “Wenn die Macht ruft”, Die Presse, 22.11.2003.
2) E-Mail vom 04.06.2004
3) Jorge Ribalta: Mediation und Herstellung von Öffentlichkeiten. Die MACBA Erfahrung: http://republicart.net/disc/institution/ribalta01_de.htm
4) http://www.servus.at/esslinger/pages/text_frameset.html
5) http://www.servus.at/kundgebung/
Darren Almond: Live Sentence (Objekt “Mono/Chrono/Pneumatic Black”, 700x400x90, Aluminium, Glas, Lack, pneumatisches Kontrollsystem; 5 Videoprojektionen, Sound; Fotografie “@email”, Lambda-Print, 150x120); Installation im Lentos Kunstmuseum Linz
Aileen Derieg arbeitet als Übersetzerin und Autorin in Linz.