Gerechtigkeit als Kampf um die Gleichberechtigtheit aller
„Konsens ist das, was den Dissens unterdrückt. Die Mehrheit der ,Bevölkerung‘ legitimiert heutzutage mittels ihrer Handlungs- und Denkreduktion einen, unserer gesellschaftlichen Situation angepassten, spezifischen Konsens. Statt Dissens existiert heute nur ein Zustand, in dem der Konflikt unsichtbar ist. Es scheint jeweils keine andere Lösung zu geben außer derjenigen, die gerade präsentiert wird.“
A wie Allianz. E wie Empowerment. K wie Konflikt. Seit vielen Jahren betreibt Ljubomir Bratić politische Analyse mit hohem Vermittlungsanspruch. Anders gesagt unternimmt er antirassistische Alphabetisierungsarbeit in einem Land, das zwar klein, dessen weiße Amts- und Passinhaber_innen aber bekannt fleißig und erfinderisch darin sind und waren, Rassismus gründlich als primäre gesellschaftliche Ordnungsstruktur zu zementieren. Jetzt ist ein Buch von Bratić im Löcker Verlag erschienen, das zahlreiche Texte versammelt, die der Philosoph, Aktivist, Sozialwissenschafter, Sozialarbeiter, Autor und Kulturrisse-Redakteur in den letzten zehn Jahren publizierte. Sie alle „signalisieren Durchgangsmöglichkeiten“. Das ist eines von vielen Bildern in seinen furchtlos mit Metaphern umgehenden Texten – ein Bild, das ein Anderswo vorschlägt, zu dem hindurchgegangen werden kann, das sich also wie das Buch generell entschieden utopisch orientiert.
Dieses Ausrichten der Texte auf Durchgangsmöglichkeiten hin zu anderen Orten ist eine spezielle Qualität eines Schreibens, das die Strukturen systematischer Unterdrückung und Ausbeutung analysiert. Und dabei immer wieder Mittel der Veränderung anbietet, ganz simpel: G wie Gleichheit und Gleichberechtigung. K wie Konflikt. Was ist Antirassismuspolitik? Ganz einfach, schreibt Ljubomir Bratić: die Wahrung und Förderung der Interessen diskriminierter Gruppen innerhalb rassistischer Machtgefälle.
Arbeiten am Vokabular
Bratićs Texte beginnen immer wieder damit, dass soziale Gerechtigkeit zuallererst ein Kampf um die Gleichberechtigtheit aller Anwesenden ist. Sie verdeutlichen zudem, wie dieser Kampf grundlegend eingelassen ist in ein Arbeiten an und Durchsetzen von Vokabular. Denn Begriffe und Formulierungen zeigen Herrschaftsstrukturen an, stellen sie her, wirken ent- oder ermächtigend. Als Arena gesellschaftlicher Realität sind sie zentral, und damit ist dies auch die Auseinandersetzung mit ihnen. Und hier lässt sich auch ablesen, wie erfolgreich die Arbeit war, die die Texte von Ljubomir Bratić (und die seiner politischen Gefährt_innen – zwei, Araba Johnston-Arthur und Andreas Görg, waren als Co-Autor_innen an einem zentralen Text des Buches beteiligt) die letzten zehn Jahre verrichteten: Da ist zum einen die Unterscheidung zwischen „politischem Antirassismus“ im Gegensatz zu „moralischem Antirassismus“ (ersterer attackiert Strukturen und zielt auf die Ausdehnung migrantischer Handlungsmacht, letzterer individualisiert und lässt Herrschaftsverhältnisse unangetastet), die heute zum Standardrepertoire einer antirassistischen Szene gehört. An diese antirassistische Szene und speziell an die weißen Mehrheitsangehörigen darin gerichtet lese ich, selbst weiße Mehrheitsangehörige, zahlreiche Argumente des Buches (Alphabetisierungsarbeit). Dazu gehört auch die kontinuierliche Kritik an den Konzepten der Integration und des Dialoges. Und dazu gehört zu aller erst der Slogan: „Gleiche Rechte für Alle!“.
Ein weiteres grundlegendes Konzept, das „Politischer Antirassismus“ als zentrales politisches Werkzeug anzubieten hat, liegt im Konflikt bzw. der Konfliktinszenierung. Der erste Text des Buches beginnt mit folgenden Sätzen:
„Konsens ist das, was den Dissens unterdrückt. Die Mehrheit der ,Bevölkerung‘ legitimiert heutzutage mittels ihrer Handlungs- und Denkreduktion einen, unserer gesellschaftlichen Situation angepassten, spezifischen Konsens. [...] Statt Dissens existiert heute nur ein Zustand, in dem der Konflikt unsichtbar ist. Es scheint jeweils keine andere Lösung zu geben außer derjenigen, die gerade präsentiert wird.“ (S. 17)
Wenn Demokratie mit einer Überlegung Chantal Mouffes nicht nur das Recht auf Pluralismus, sondern auch das Recht auf Anfechtung bedeutet, also das Recht auf Konflikt, dann ist diese hier angesprochene Unterdrückung des Konfliktes profund antidemokratisch – Antipolitik, sagt Bratić, hat die Politik ersetzt. Die primäre Aufgabe politischen Handelns besteht somit darin, die Normalität dieser herrschenden Konsensproduktion anzugreifen. Für antirassistisches politisches Handeln gilt das doppelt, denn hier liegt eine der zentralen Strategien mit Bratić genau darin, Konfrontationen und Konflikte als „lohnende Auseinandersetzungen mit hohem Verbreitungsgrad [zu] suchen“ (S. 111).
Die Figur der Allianzenbildung
Über eine Figur des politischen Alphabets, das das Buch „Politischer Antirassismus“ anbietet, würde ich besonders gerne weiter diskutieren: die Figur der Allianzenbildung. Allianzenbildungen sind laut dem Autor „Interaktionen im politischen Feld, bei denen versucht wird, bestimmte Gruppen im Rahmen einer Konfrontationsstellung zu einem zu bekämpfenden Gegenüber auf eine Seite zu ziehen und damit diese Position zu verstärken“ (S. 116). So, wie sie in Bratićs Buch konzeptuell funktioniert, ist diese Figur vor allem identitätsbasiert: Es gibt die Gruppe der MigrantInnen, die der feministischen Frauen und die der antirassistischen Weißen, und zwischen diesen eindeutig identifizierbaren und identifizierten Gruppen werden Allianzen gebildet. Das Dilemma hierbei ist, dass eine identitätsbasierte politische Figur all jene Mechanismen der Identifikation (und damit zusammenhängend, alle Technologien des Sich-Ausweisens, Disziplinierens, Aufteilens, Aufspaltens, plus des subjektiven Abspaltens über den Zwang, eine, und auch nur eine, eindeutige Identität anzunehmen), gegen die antirassistische Politik ja grundlegend antritt, gleichzeitig bestätigt und auch in sich aufnimmt. Was geschähe mit dieser Figur, wenn es uns gelänge, sie queer zu denken? Was wäre überhaupt ein identitätskritisches, ein queeres Vokabular, um antirassistische politische Verbindungen und Verbundenheiten zu bezeichnen?
Johanna Schaffer lehrt, forscht und schreibt zu queer-feministischen, antirassistischen Formen und Ästhetiken. An der Akademie der bildenden Künste Wien ist sie gegenwärtig an der Etablierung eines künstlerischen Doktorats beteiligt.
Literatur
Bratić, Ljubomir (2010): Politischer Antirassismus. Selbstorganisation, Historisierung als Strategie und diskursive Interventionen. Wien: Löcker Verlag.