Gewerkschaften und Rassismus
Migration und Rassismus sind innerhalb der österreichischen Gewerkschaftsbewegung ein heißes Eisen. Und wer dieses Eisen entschlossen angreift, verbrennt sich meistens die Finger.
Migration und Rassismus sind innerhalb der österreichischen Gewerkschaftsbewegung ein heißes Eisen. Und wer dieses Eisen entschlossen angreift, verbrennt sich meistens die Finger. Das schwierige Verhältnis zwischen organisierter „österreichischer“ ArbeiterInnenbewegung und MigrantInnen hat eine lange Tradition. Wir werden uns an dieser Stelle nicht näher mit der historischen Problematik befassen und gehen im Folgenden nur auf die jüngere Geschichte ein.
Die fatale Tradition des Rassismus
Die Ideen des Internationalismus der historischen ArbeiterInnenbewegung waren längst vergessen, und die Gewerkschaften in Österreich waren bereits über zahlreiche Kanäle in den österreichischen Staat integriert. Die staatstragende Rolle musste zwangsläufig zur Akzeptanz der kapitalistischen Notwendigkeiten des Standortes Österreich führen. Das Verfechten und Verteidigen des Wirtschaftsstandortes und die Regulierung des Arbeitsmarktes nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage bestimmten fortan auch die Migrationspolitik der österreichischen Gewerkschaften. Die sozialpartnerschaftliche Aufgabenteilung machte die Gewerkschaften selbst zum Verwalter und Regulator. „Mitgestalten“ hieß die Devise.
Mitverwalten und Mitgestalten waren auch wichtiger als die Einbindung und Integration der migrantischen KollegInnen in die eigenen gewerkschaftlichen Strukturen. Die Tatsache, dass alle ArbeitnehmerInnen in Österreich erst seit 2006 bei Betriebsrats- und Arbeiterkammerwahlen kandieren können, lässt berechtigterweise daran zweifeln, ob dieses Ziel jemals konsequent verfolgt wurde. Rassistische Sondergesetze gegen migrantische ArbeiternehmerInnen – allen voran das Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) – entstanden unter führender Mitwirkung der Gewerkschaften. Und die Folgen dieser Gesetze waren besonders schwerwiegend, weil sie die Konkurrenz unter den ArbeitnehmerInnen verschärften. Der Nachteil, der aus diesem Konkurrenzverhältnis für ArbeitnehmerInnen entsteht, hat wesentlich zur Bildung von Gewerkschaften beigetragen. Nun aber waren es die Gewerkschaften selbst, die zur Herausbildung eines unregulierten Arbeitsmarktes beitrugen und damit sozial- und arbeitsrechtliche Bestimmungen untergruben.
Vor diesem Hintergrund muss unter anderem auch der Aufstieg der FPÖ in den 1990er Jahren gesehen werden. Weder Gewerkschaften noch Sozialdemokratie waren in der Lage, in den eigenen Reihen einen antirassistischen Minimalkonsens herzustellen und verloren ihre „Kernschichten“ nach und nach an die FPÖ. Dass dies wiederum nicht zu einer grundsätzlichen Neupositionierung führte und sowohl die Gewerkschaften wie auch die Sozialdemokratie immer weiter nach rechts gingen, ist hinlänglich bekannt. Als Beispiel seien nur die letzten Asylgesetznovellen und das Tauziehen um die „Übergangsbestimmungen“ über den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt für StaatsbürgerInnen aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowenien, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien genannt.
Antirassistische Initiativen im Windschatten der Bleiberechtsbewegung
Vor diesem historisch und politisch schwierigen Hintergrund entschlossen sich 2007 einige KollegInnen in der GPA-djp Jugend (Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier) die Themen Migration und Rassismus aufzugreifen. Wir waren nicht die ersten und hatten es daher insofern leichter, da wir auf Erfahrungen und Erkenntnisse von KollegInnen zurückgreifen konnten. Denn trotz der schwerwiegenden Verfehlungen der österreichischen Gewerkschaften wird oft vergessen, dass es innerhalb der Gewerkschaftsbewegung auch andere Traditionen gibt. Zahlreiche Initiativen, Gruppen und Fraktionen zeigten die strukturell-rassistische Politik über Jahrzehnte hinweg auf und traten für eine andere Gewerkschaftspolitik ein. An diese Tradition wollten wir anknüpfen.
Der Stein des Anstoßes kam, wie so oft in den Gewerkschaften, von „außen“. Die „Bleiberechtsbewegung“, die sich 2007 gegen die drohende Abschiebung der Familie Zogaj formierte, brachte auch innerhalb der Gewerkschaften einiges durcheinander. Als langjährige AktivistInnen hatten wir uns an den Themenfeldern Migration und Rassismus schon mehrmals die Zähne ausgebissen. Es war mühsam, anstrengend und frustrierend. Die langen Diskussionen darüber endeten meist in Hilf- und Ratlosigkeit. Doch die gesellschaftliche Dynamik und die öffentlichen Diskussionen der Bleiberechtsbewegung ermöglichten es uns, erstmals seit langem die Probleme des Rassismus in den eigenen Reihen aus der Offensive heraus anzusprechen.
Problematisch daran war gewiss die Tatsache, dass im Fokus der Bleiberechtsbewegung „die Gut-Integrierten“ standen. Dies lieferte jedoch für viele vor allem junge GewerkschafterInnen einen Anknüpfungspunkt. Es ging plötzlich um Menschen aus ihrer nächsten Nähe, Menschen, die sie kannten, die ihre NachbarInnen waren, mit ihnen zur Schule gingen oder ArbeitskollegInnen waren und nun abgeschoben werden sollten. Hinzu kommt, dass damit auch aufgezeigt werden konnte, dass das ständig reproduzierte negative Bild von MigrantInnen nichts mit der Realität zu tun hatte. Und so gelang es ganz gut, im Windschatten der Bleiberechtsbewegung antirassistische Positionen in die Gewerkschaften zu tragen.
Bewegungen innerhalb gewerkschaftlicher Strukturen
Auf dem Kongress der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) brachten wir einen Antrag ein, der unter anderem die Abschaffung der Schubhaft und das Recht auf Arbeit für AsylwerberInnen forderte. In der anschließenden Diskussion waren wir nicht nur mit rassistischen Vorurteilen konfrontiert, sondern auch mit den konkreten Motiven und Ängsten vieler KollegInnen hinter diesen Vorurteilen. Zu unserer Überraschung wurde der Antrag nach kontroversiellen Diskussionen mehrheitlich angenommen. Ob dieser Antrag die konkrete Politik der Österreichischen Gewerkschaftsjugend tatsächlich verändern wird, sei dahin gestellt – doch alleine die Diskussion ist als politischer Erfolg zu werten.
In den Reihen der GPA-djp Jugend bemühten wir uns, dem Thema Migration und Rassismus einen zentralen Platz einzuräumen. Wir beteiligten uns an Demonstrationen und Aktionstagen, auf Kongressen wurden Workshops und Seminare zum Thema Migration und Rassismus angeboten[1]. 2009 wurde am Bundesjugendforum der GPA-djp schließlich ein Antrag beschlossen, der folgende Forderungspunkte enthielt: die aktive Beteiligung in der Bleiberechtsbewegung, das Recht auf Arbeit für AsylwerberInnen, freie Wahl des Asyllandes, die sofortige Abschaffung der Schubhaft, die Rücknahme der menschenrechtswidrigen Asylgesetznovellen, der Rücktritt von Innenministerin Maria Fekter und die Abschaffung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes. Das Credo des Antrages: „Wer hier lebt, soll hier arbeiten dürfen, wer hier arbeitet, soll hier leben dürfen … und auch wählen.“
Vor dem Konferenzteil fanden Workshops statt, und im Antirassismus-Workshop entstand eine Diskussion darüber, warum es in der GPA-djp Jugend keine eigene Struktur für KollegInnen mit Migrationshintergrund gibt. Dieser Missstand wurde am Kongress behoben und die Einrichtung eines „Arbeitskreises für KollegInnen mit Migrationshintergrund“ beschlossen. Während einer Diskussion am Kongress um die Forderung nach dem Recht auf Unterricht in der jeweiligen Muttersprache, meldete sich ein Kollege zu Wort und erklärte uns, dass in Österreich nun einmal Deutsch gesprochen wird und der Schulunterricht deshalb auch in Deutsch abgehalten werden müsse. Eine Kollegin mit türkischen Wurzeln stand auf und formulierte jenen Satz, der schon so lange überfällig war und bislang nicht ausgesprochen werden konnte, weil dafür bisher kein Platz war: „Ich bin eine von euch!“ Und: „Das was ihr hier diskutiert, macht es mir unmöglich, Deutsch zu lernen, das muss euch klar sein.“ Es folgte tosender Applaus.
Es lässt sich was bewegen, auch innerhalb gewerkschaftlicher Strukturen. Dennoch muss der Weg, den die GPA-djp Jugend eingeschlagen hat, konsequent weiterverfolgt werden. Das ist nicht immer einfach, denn die falsche Politik der letzten Jahrzehnte hat ihre Spuren hinterlassen. Und gerade deshalb ist es umso notwendiger, Wege zu finden, um dem vorherrschenden rassistischen Grundkonsens entgegenwirken zu können.
Strategien antirassistischen Agierens
Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigten aber auch viele Probleme auf. Ein zentrales Problem ist, dass Antirassismus innerhalb der Gewerkschaften meist als Teil von antifaschistischer Arbeit gesehen wird. Zweifelsohne ließe sich über eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, den Ursachen und der Entstehung von Rassismus und Antisemitismus einiges erreichen, und es muss auch der latente und offene Rassismus in Österreich vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus gesehen werden. Auf Wahlerfolge der FPÖ mit Antifaschismus-Kampagnen zu reagieren, verfehlt jedoch das Ziel. Die allererste Frage bei antirassistischer Arbeit, die es zu stellen gilt, ist: Was steht hinter rassistischen Vorurteilen? Die Angst vor sozialem Abstieg, Perspektivenlosigkeit und Ohnmacht sollten gerade für Gewerkschaften ausreichend Anknüpfungspunkte bieten. Die effektive Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und einer existenzsichernden Mindestsicherung wären nur einige der Möglichkeiten, mit denen Gewerkschaften der herrschenden Perspektivenlosigkeit unter Jugendlichen entgegentreten können.
Ohne vorherrschenden rassistischen Vorurteilen auch nur ansatzweise nachzugeben, muss Raum geschaffen werden, um Ängste zu thematisieren. Druck und Skandalisierung sind dabei schlechte RatgeberInnen. Nicht zuletzt deshalb, weil sie nicht die Ursachen sondern die Symptome bekämpfen. Das Aufzeigen von Handlungsoptionen wäre eine Möglichkeit, um Ohnmacht entgegenzuwirken. Das würde jedoch voraussetzen, dass auch die eigenen nach dem Stellvertreterprinzip funktionierenden, undemokratischen Strukturen durchbrochen werden.
Oftmals waren wir auch mit der Frage nach konkreten Antworten und Strategien gegen rassistische Parolen und Äußerungen konfrontiert. Und obwohl wir diese teilweise liefern konnten, war es auch wichtig aufzuzeigen, dass die besten Argumente oft nichts wert sind, da weder der klassisch-linke Appell an die Solidarität innerhalb der ArbeiterInnenklasse noch das Berufen auf humanistische Grundwerte oder die Menschenrechte kollektive Erfahrungen, die an die gelebten Traditionen der Solidarität und des Internationalismus der ArbeiterInnenbewegung anknüpfen, ersetzen können.
1 Unser Dank gilt Ljubomir Bratić, Michael Genner und Andreas Görg.
Kathrin Niedermoser ist langjährige Gewerkschaftsaktivistin und arbeitete zuletzt in der Jugendabteilung der GPA-djp.
Lukas Neißl ist Aktivist der GPA-djp Jugend.