Das grafische Konzept zur Kunst- und Kulturstrategie wirkt auf den ersten Blick angenehm: drei Stühle in Pastellfarben, gerahmt von großen Lettern in moderner Typographie. „Teil haben, teil nehmen, teil werden“ steht da. Es geht um die Strategie Kunst Kultur 22, einen Prozess, der erstmals stattfindet und vergangenes Jahr unter der Führung von Staatssekretärin Andrea Mayer startete.
Man möge sich seinen Platz suchen und nehmen, könnte der Subtext zur Grafik lauten und laut den Aussagen Andrea Mayers scheint er in der Kulturszene auch angekommen zu sein. 270 Personen seien der Einladung des Bundes gefolgt und hätten ihre Ideen eingereicht. Ein Projektteam fasste diese zusammen und destillierte daraus insgesamt acht Themenfelder, die aktuell bundesweit bearbeitet werden.
Revolution im Sitzen?
Das Ziel des nachhaltig angelegten Prozesses sei vor allem, ins Gespräch zu kommen und im Gespräch zu bleiben. Ein Vorgehen, das sich während der Covid-Krise über digital abgehaltene Treffen zwischen Kunst- und Kulturakteur*innen und Bundes-Beamt*innen bereits etabliert habe, so Andrea Mayer. Eine Plattform der mutigen Auseinandersetzung solle diese Strategieentwicklung sein, und auch eine der vielen kleinen Revolutionen im Denken. Bezogen auf die Auseinandersetzung macht die Symbolik der Stühle durchaus Sinn, aber welche Revolution vollzieht sich eigentlich im Sitzen? Der Begriff im Verständnis des spätlateinischen „revolutio“ erfordert doch vielmehr ein bewegtes Umwälzen. Wir sollten uns also rasch erheben vom Sitzmöbel, um visionäre Vorhaben mit Leben, und ja, auch mit Lust zu füllen.
Verwirrende Einladungspolitik
Es sind übrigens nicht drei, sondern inklusive der schwarz gestrichelten insgesamt neun Stühle auf der Grafik. Die Anzahl wird kaum Zufall sein, laut Regierungsprogramm 2020-2024, welchem der laufende Prozess Rechnung trägt, sollen bei der Erstellung einer Kunst- und Kulturstrategie alle Gebietskörperschaften einbezogen werden, neben dem Bund also auch die Kommunen und die neun Bundesländer.
Das Einbeziehen von Akteur*innen funktioniert meines Erachtens bisher ganz gut, wenngleich die Einladungspolitik nicht nachvollziehbar ist. Die `Dialoggruppe West´, der erste von vier Veranstaltungsteilen, die von März bis Juni unter Einbindung aller Bundesländer durch Österreich tourten, startete in Bregenz und band Vorarlberg und Tirol zum Themenfokus Klima und Kulturinstitutionen ein. Auf Eigeninitiative machte die IG Kultur Vorarlberg dem Staatssekretariat im Vorfeld einige Vorschläge zu Referent*innen mit Themenexpertise. Der Austausch war wertschätzend und fruchtete, soweit stimmt das Beteiligungs-Ansinnen mit der Umsetzung überein. Die Einbindung der Gebietskörperschaften allerdings scheiterte und einige Vorarlberger Persönlichkeiten waren zurecht verärgert, dass sie keine Einladung erhielten. Zwei von ihnen aus Kulturpolitik und Landeskulturverwaltung kamen trotzdem, was wichtig ist für diesen Prozess, der mit Fair Pay und dem Fairness-Codex noch zwei weitere und kulturpolitisch äußerst relevante Themen im Gepäck hat.
Methodischer Nachholbedarf
Die österreichische Kulturszene lechzt nach politischen Verbindlichkeiten, die sie besonders in den vergangenen zwei Krisenjahren vermissen musste. Vor diesem Hintergrund wirkt die Einhaltung des Regierungsversprechens zur Erstellung einer Kunst- und Kulturstrategie zunächst vertrauensbildend. Viel Luft nach oben gibt es allerdings noch bei der Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Methoden und bei der Auswahl geeigneter Prozessdesigns. Vorarlberg hat auch auf Regierungsebene langjährige Erfahrung mit partizipativen Modellen. Diese werden beispielsweise bei Bürger*innenräten oder bei der `Art of Hosting´-Methode, die auf Selbstorganisation und Ko-Intelligenz setzt, so permanent wie erfolgreich angewandt.
Werkzeuge wie diese kamen bei den Dialoggruppen kaum zum Einsatz. Neben einer beherzten Veranstaltungsleitung mit analoger Anwesenheit der Gastgeberin Andrea Mayer fehlte auch die Verbindung zwischen den erarbeiteten Themen in den Bundesländern. Zwar konnten die Impulsbeiträge via Live-Übertragung mitverfolgt werden, die anschließenden und sehr aufschlussreichen Diskussionstische waren für die Online-Teilnehmer*innen jedoch unzugänglich. Immerhin, die schriftlich festgehaltenen Ergebnisse sind nun auf der Website des Bundesministeriums nachzulesen. Darin unauffindbar ist jedoch die konstruktive Stimmung vor Ort, und auch die Gesprächsentwicklung an den Tischen und Informationen dazu, woher die Beiträge kamen, verschwinden in der Dokumentation und folglich im Prozess.
Mehr Nachvollziehbarkeit und mehr Präsenz
Trotz mehrfacher Auseinandersetzung mit der Strategie ist mir deren Zielsetzung noch immer nicht klar: Das Aufrechterhalten von Dialogen, das Staatssekretärin Mayer als Hauptziel des Prozesses sieht, ist wohl eher ein Werkzeug als eine Strategie. Zu einer solchen würde etwa die verbindliche und überprüfbare Aussage gehören, auf welche Weise Fair Pay nachhaltig in Fördersysteme implementiert werden kann. Wir sind aber auch noch nicht am Ende dieses Prozesses und die Hoffnung bleibt, dass er noch an Schärfe und Verbindlichkeit gewinnt. In Phase 3, die bis Ende des Jahres andauern wird, sollen laut Staatssekretariat sowohl die Ergebnisse der Diskussionen präsentiert, als auch Maßnahmen formuliert und Umsetzungen eingeleitet werden. Es wäre für alle an der Strategie mitarbeitenden Kunst- und Kulturakteur*innen wichtig zu wissen, wer an diesen nächsten Schritten beteiligt sein soll. Und zwischen all den Schritten und im Sinne der Prozess-Nachhaltigkeit setzen wir uns dann auch gern wieder auf besagte Stühle und an einen Tisch, um zu reflektieren und Bevorstehendes gemeinsam neu zu verhandeln.
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Ziele der Kunst- und Kulturstrategie, Infos zu den Dialoggruppen und zeitlicher Ablauf:
https://www.bmkoes.gv.at/Kunst-und-Kultur/Strategie-Kunst-Kultur.html
Zum Fair Pay-Prozess des Bundes:
https://www.bmkoes.gv.at/Kunst-und-Kultur/Pilotphase-Fair-Pay.html
Informationen zum Fairness-Codex des Bundes:
https://www.bmkoes.gv.at/Kunst-und-Kultur/Fairness/Codex.html
Bürger*innenräte in Vorarlberg:
https://vorarlberg.at/-/buergerraete-in-vorarlberg
Prozess-Design des Art of Hosting: