Heimat. Eine Leerstelle
Heimat ist eine Landschaft, die mit da Geborenen bevölkert werden muß. Und ob es sich um die Kritik an der Spaßgeneration, die keine Kinder zur Welt bringt oder um die Ausländergesetze handelt. Immer wird um den Raum Heimat verhandelt und wer darin Familie haben darf.
Die Forderung des Kärntner FP-Obmanns, die Freigabe zur Adoption eines Kinds einer Österreicherin mit 15.000 Euro abzugelten. Das gab es auch schon. Ein langjähriges Mitglied der Ostmärkischen Sturmscharen schlug zur Verhinderung einer Gefährdung des „österreichischen Volkstums durch volksfremde und erblich belastete Elemente ... nicht ... ein Verbot einer Ehe zwischen Ariern und Juden, auch nicht ... Sterilisation erheblich Belasteter, sondern ... Verleihung eines Adelsprädikats an jene“ vor, „die sich daran halten, Ehen mit Volksfremden und Erbkranken zu vermeiden“. Demnach sollte jeder, der dies einhielt, „Anspruch auf das Adelsprädikat ‚Volksedler nach...‘ haben, wenn er österreichischer Bundesbürger, der bürgerliche Ehrenrechte und Freiheit teilhaftig und bis zur 7. Generation nachweislich nicht erblich belastet“ wäre, weiter sei „arisch-christliche Abstammung bis zur 5. Generation und christlich-deutsche Abstammung bis zur 3. Generation“ erforderlich.
Der Vorschlag, Babies von Österreicherinnen mit 15.000 Euro abzugelten. Und es geht ausdrücklich um die Kinder von Österreicherinnen. Dieser Vorschlag kommt 2 Tage nach der Meldung, daß die Anzahl der Unterstützungen für behinderte Kinder angestiegen ist. Gesunde Kinder, sagt dann so ein Vorschlag. Gesunde Kinder kommen eben nur von Österreicherinnen. Von Hier Geborenen. Und ohne es aussprechen zu müssen, kann den Kindern von Ausländern die Behinderung zugeschoben werden. Die, die solche Botschaften entschlüsseln wollen, die haben hier wieder die Gelegenheit dazu. Rasse. Das muß nicht gesagt werden. Gesundheit und Kultur. Das sind Begriffe, die den Rassebegriff beinhalten. Der Begriff Kultur ersetzt in der Auseinandersetzung um Migration weithin den Rassebegriff. Und Gesundheit in Zusammenhang mit einer Volkszugehörigkeit.
Da werden tiefe Schichten des Begriffs angerührt. Etwas tief selbstverständlich Gehorchendes könnte da angesprochen werden und es ist dann eine große Errungenschaft, daß die Existenz eines Kindes als Entscheidung der Frau angesehen wird und nicht mehr Erfüllung eines Volkslebens im Erhalt der überlegenen Rasse sein kann. Jedenfalls sprach sich keine Frau in den zu diesem Vorschlag auf ATV gesendeten Interviews für eine solche Lösung aus. Sie wiesen ein solches Ansinnen alle zurück. Aber natürlich konnten wir nur die Interviews sehen, die gesendet wurden. Diese Ablehnung ist ein Medienkonstrukt und sagt nichts über eine mehrheitliche Meinung aus.
Heimat ist eine Landschaft, die mit da Geborenen bevölkert werden muß. Und ob es sich um die Kritik an der Spaßgeneration, die keine Kinder zur Welt bringt oder um die Ausländergesetze handelt. Immer wird um den Raum Heimat verhandelt und wer darin Familie haben darf. In einer Verkehrung der Umstände geht es aber weiterhin um die Besetzung und Gewinnung von Boden und wer wie ein Leben in dieser Landschaft führen darf. In einer Verteidigungshaltung sollen nichtreinösterreichische familienwillige Paare davon abgehalten werden, diese Landschaft zu betreten. Wie das geht, das können Sie sich jeden Mittwoch vor dem Innenministerium von den binationalen Ehepaaren bei der wöchentlichen Demonstration erzählen lassen. In den Erzählungen von den Schikanen, Unsicherheiten. Den Deportationen und Trennungen. All diese Geschichten sind Nacherzählungen der „Tschechisierungsängste“ der 1930er Jahre. Der Leugnung der Existenz von Minderheiten. Und schon damals wurden normierte Deutschkenntnisse als Indikator eines Zugehörigkeitswillens eingeführt und gleichzeitig die Zugehörigkeit unmöglich gemacht. Zuerst im christlich deutschen Stamm der Österreicher und dann im Ausschluß durch die Rasse. Heimat findet niemand, aber die anderen haben sie noch weniger.
In „Mein Kampf“ von Adolf Hitler findet sich der Begriff Heimat nicht. Und doch mußte der Raum sein, der mit diesem Begriff umrissen wäre. Die Stätten der Kindheit und die Wohnorte der Familie. Diese Landschaften wurden von Adolf Hitler zerstört. Geschliffen. Die eigene Familie umgesiedelt. Diese Landschaften wurden zu einem Truppenübungsplatz eingeebnet und vernichtet. Was immer dahinter steht. Heimat scheint hier für einen höheren Wert aufgegeben worden zu sein. Ein Opfer, wie es der Ministrant Adolf Hitler in der Messe lernen konnte. Die Aufgabe von sich selbst als Kind in den Dienst im Ritus der Geheimnisse der mächtigen Männer. Die Wandlung in ein Mitglied der Wissenden von den letzten Geheimnissen und der Macht davon. Herrscher über den Zugang zum Ewigen Himmelreich. Völkisch umgedeutet machte dies die Zerstörung der kindlichen Heimat. Einer weltlichen Heimat also. Völkisch umgedeutet bedeutete diese Zerstörung das Opfer, das die Transzendenz der irdischen Heimat in eine Weltheimat ermöglicht. In die Berechtigung der arischen Rasse, die Welt zu beherrschen. Als Bauern. Die Waldviertelheimat der eigenen Familie wird auf die Ostgebiete übertragen und die Slawenverachtung der heimatlichen Gegend in den Slawenhaß des großen Entwurfs gewendet. Heimat kann eine Leerstelle sein, die mit Schicksal aufgefüllt werden muß.
In einer katholischen Sozialisation steht über allem die „ewige Heimat“ als Ziel aller Sehnsüchte. Das „ewige Himmelreich“. Heimat ist auch ein Danach. Eine ewige Ruhestätte in den Freuden des Paradieses. Angstabwehr. Todesangstberuhigung. Heimat ist immer ein Paradies und darin metaphysischer Entwurf. Unsere Heimaten. Ich glaube, Heimat ist ein sehr österreichischer Begriff darin, daß im Österreichischen die Begriffe in den kommunizierenden Gefäßen von Katholizismus und Herrschaft gleichzeitig verwendet wurden. Diese Gleichzeitigkeit ist Grundlage des Herrschens und Grundlage der Vieldeutigkeit und der charmanten Ungenauigkeit unseres Sprechens. Unsere Wörter sind so vollgestopft und können sich immer nur ein bißchen erinnern. Säkularisierung ist in einer Welt der Spracheinheit von Kirche und Macht kaum möglich. War nie möglich. War vielleicht auf französisch möglich. Und ist heute in der metaphysischen Sprache der Medien in Bild und Sprechhaltung und symphonisch allwissender Musik schon wieder nicht mehr machbar.
In unserer Heimat blitzt immer auch der Himmel durch. Die metaphysische Belastung unserer Wörter macht ja das Sprechen über sie so schwierig. Immer müssen gleich metaphysische Ängste abgewehrt werden, die die religiöse Verwendung in die Wörter gelegt hat. Immer macht sich gleich die Bedrohung der Verstoßung fühlbar, die die hinter den Wörtern angelegten Ordnungen in sich tragen. Könnten wir sagen, Heimat, das ist ein Lied von Hansi Hinterseer, dann wäre alles ganz einfach. Aber in einem Lied von Hansi Hinterseer wird gepredigt. Die in den Texten enthaltenen Bedeutungen entsprechen der Wortwahl einer durchschnittlichen Sonntagspredigt. Liebe. Treue. Besinnung. Innere Einkehr. Zuwendung. Ein solcher Text löst die gelöste Zufriedenheit religiöser Pflichterfüllung aus. Die Bilder. Ein fescher ewig junger Blonder. Ein Kaplan. Der Kaplan hat die Rolle der tätigen sexuellen Enthaltsamkeit in der katholischen Kirche über. Im Idealdorf des Heimatbegriffs muß der junge Kaplan vielen Anfechtungen der Sexualitäten standhalten. Das ist sehr sexy. Das bringt Publikum ins Haus. Oder Plattenverkauf. Wir wissen, daß die Wirklichkeit darin unendlich trostlos ist, aber so auf der Promotion DVD, da ist das punktgenau zielgruppengerecht. Und. Die Landschaft. Die Berge. Die Hänge. Die Matten. Das Bildsehen der Landschaft hat die Landschaft zur Heimat gemacht. Das Abbild der Landschaft ist die Heimat. Die Stauchung in die Zweidimensionalität ergibt erst dieses Sehen, das die Fassung in den Begriff ermöglicht. Der Reisebericht. Der versprachlichte Landschaftsbericht ist dreidimensional. Sie gehen mit dem Autor oder der Autorin durch. Sie stehen mit dem Autor oder der Autorin inmitten der Landschaft. Sie erfahren Landschaft. Als Bild. Heimat ist eine Sehnsucht nach Leben in der Erinnerung, wie es beginnen hätte sollen.
Heimat. Das ist ein Begriff, an dem muß man sozialisiert sein. Dann aber liegt er jederzeit als Mittel der Entschlüsselung von Wirklichkeit bereit. Diese Entschlüsselung ist dann aber keine Ergründung der Wirklichkeit und eine Deutung. Diese Entschlüsselung per geprägtem Begriff ist eine Umschreibung. Eine Fassung von Wirklichkeit in die Fiktion des Begriffs. In die persönliche Fiktion als Auswahl aus dem gesellschaftlichen Archiv des Begriffs. Gleichzeitig werden so vermittelte persönliche Gefühle in allgemeine Begriffe abstrahierende Worte gefaßt. Verständigungskürzel. Heimat als Begriff ist auch eine Übersetzungsmaschine, die ähnliche Gefühlsbündel erkennen läßt. In unserer arisierten Kultur ist ein analytischer Schritt immer noch eine Mühsal. Wenn aber Menschenrechte und Menschenwürde irgendeine Bedeutung erhalten sollen, dann müssen Begriffe wie Heimat untersucht werden. Sie sind die wirklich wirksamen Mauern und Zäune und verhindern insgesamt den Blick auf einen Vorgang wie Migration. Im Grund ist ja auch festzustellen, daß der Heimatbegriff eine Zensur gegen uns selber eingeführt hat und verhinderte, daß wir die Probleme der Globalisierung nach unserem Willen lösen hätten können. Der Heimatbegriff wird uns medial als unversehrt vermittelt, während die Umgebung unserer Leben unrettbar anonymisiert und gleichgeschalten wird. Aber natürlich bezieht so ein unbewußter Begriff wie Heimat genau aus dieser Beraubung neue Kraft. Gerade die Zerstörung der Lebensumgebungen durch neoliberale Globalisierungsfolgen erfrischt den Heimatbegriff und macht ihn erneut zum Transportmittel von Macht, weil dieser Begriff in seiner Unbewußtheit immer dem Zugriff von Manipulation offen steht. Schon aus diesem Grund würde ich vorschlagen, sich dieses Begriffs zu begeben. Auf jeden Fall in einem Schritt von sich selbst weg zu erforschen, was nun diesen Begriff zusammensetzt und in welche Schichten das reicht. Dann. Aber erst dann wird es möglich sein, sich dem Thema Migration zu nähern. Erst dann wird es überhaupt möglich, ohne persönliche Belastungen zu sprechen.
Ich selbst habe aus Projekten mit Migranten nur gelernt, daß ich noch nicht einmal begonnen habe, das Ausmaß meiner eigenen Belastungen zu begreifen und daß ich nur in einem je sich neu orientierenden Selbstgespräch das Gespräch mit Migranten aufnehmen muß. Daß nur diskursiv mit den anderen mit mir selber ein Verständnis der Situationen erstehen kann. Verstehen noch lange nicht. Und ich muß zugeben, daß eine solche Vorgangsweise nur auf persönliche Beziehungen anwendbar ist. Die Erkenntnis, daß Begriffe wie Heimat politischem Handeln zugrunde liegen, entlarvt Politik und macht sie unmöglich. Von allen Seiten. Um ein Leben zu gestalten ist dann nur möglich in der Unvollkommenheit der Möglichkeiten diese wenigstens präzise wahrzunehmen. Von Fall zu Fall. Von eigenem Erleben zu eigenen Erkenntnissen. Wovon ich nie abgekommen bin, ist die schwierige Tatsache, daß Menschenwürde und Menschenrechte nur über Denkakte herstellbar sind. Wenn diese Denkakte Begriffe wie Heimat oder Schicksal hinwegfegen, dann soll es mir recht sein. Aber. Mit dem, was ich von Heimat verstehe, kann ich verstehen, was andere damit meinen. Und vielleicht läßt sich aufgrund dieses Vorgangs eine Entheimatung erarbeiten, in der Kommunikation nicht ausschließlich über Aufladungen erfolgen muß. Jedenfalls ließe sich so einmal der Blick auf die eigene Heimatpolitik gegen sich selbst eröffnen. Freiheit nimmt so ihren Anfang. Manchmal.
Marlene Streeruwitz ist freiberufliche Schriftstellerin und Regisseurin, lebt in Wien und Berlin.