Im Bereich Rechtsextremismus ist die Lage stabil …
Vor kurzem konnte in den Medien nachgelesen werden, wie der Dritte Nationalratspräsident Martin Graf seine freie Meinung äußerte und meinte, er „halte nichts vom so genannten antifaschistischen Grundkonsens“.
Das Medienecho auf den aktuellen, vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) herausgegebenen Verfassungsschutzbericht, der im April erschien, ließ nicht lange auf sich warten: Wie es sich für eifrigen Echtzeit- Journalismus gehört, zierten schon am nächsten Tag Überschriften wie „Gewaltige Zunahme“ (Zitat von Innenministerin Maria Fekter) „linksextremer Delikte“ diverse Online-Medien. Anlass für die besorgte Alarmierung war die Zahl der Anzeigen, die laut Bericht von 64 auf 90 stieg, wobei die vermehrten Anzeigen hauptsächlich „Schmieraktionen“ beinhalten. Welchen Zweck aber verfolgt diese Fokussierung auf bzw. die gezielte Hervorhebung von „linksextreme(n) Gewalttaten“, und welche Motivation liegt dem zugrunde? Wer eine Bagatellisierung rechtsradikaler Straftaten vermutet, liegt nicht falsch, wie die weitere Lektüre des Berichts verdeutlicht.
Im Bereich Rechtsextremismus ist die Lage stabil
Im Bereich Rechtsextremismus ist die Lage stabil, konnte Ende April auf derstandard.at nachgelesen werden, denn die Anzeigen in diesem Bereich gingen von 835 vor zwei Jahren auf 791 im Jahr 2009 zurück. Hierbei kann es sich nur um eine Stabilität im österreichischen Sinne handeln, oder wo sonst lesen wir solch bagatellisierende – handelt es sich um rechte Straftaten – oder dramatisierende – ging die vermeintliche Gewalt von der anderen Seite aus – Meldungen? Scheinbar bringen diese Zahlen keinen Menschen, geschweige denn eine_n Politiker_in zum Grübeln oder gar zur Empörung. Nein, ganz im Gegenteil: Die Lage ist doch „stabil“!
Es kommen noch mehr Zahlen, und auch diese sprechen eine deutliche Sprache: Die Anzeigen nach dem Verbotsgesetz stiegen von 360 auf 396. Wir gehen kurz in uns und erinnern uns: Das Verbotsgesetz verbietet bei Strafe jegliche Wiederbetätigung im Sinne des Nationalsozialismus. Jenes Gesetz, das 1947 die Entnazifizierung in Österreich regelte und seither die öffentliche Leugnung, Verharmlosung, Gutheißung und Rechtfertigung nationalsozialistischer Verbrechen verbietet. Dasselbe Gesetz, dessen Abschaffung seit den 1990er Jahren (auch die „Ära Haider“ genannt) pausenlos von unterschiedlichsten rechtsextremen Gruppen (und anderen) angestrebt wird. So zum Beispiel von der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Barbara Rosenkranz, vom dritten österreichischen Nationalratspräsidenten Martin Graf, von Heinz Christian Strache uvm.
Warum diese Aufzählung? Wir lesen und hören doch täglich in verschiedensten Medien, dass wir von Rechts in jeder Facette, von rechtsliberal bis rechtsextrem, umgeben sind – und das nicht nur in Österreich. Dazu noch ein Zitat aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht: „Im internationalen Vergleich bewegte sich im Jahr 2009 der Rechtsextremismus in Österreich weiterhin auf niedrigem Niveau. Vom rechtsextremistischen Milieu ging somit keine akute Gefahr für die demokratische Grundordnung Österreichs aus … Der größte Teil der österreichischen Bevölkerung lehnt rechtsextremes Gedankengut ab und bietet dem Rechtsextremismus weiterhin kaum Entfaltungsraum.“ Wenn dem so ist, dann liegt die Frage nahe, wie es zu dieser großen Vielfalt rechtsextremer Gruppierungen kommt und wieso anstelle ihrer aktiven Bekämpfung doch breite Akzeptanz diesen Gruppierungen gegenüber vorherrscht? Wo beginnt nach Definition des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung der Rechtsextremismus?
Antifaschistischer Grundkonsens?
Eine Zeit lang konnte in Österreich auf einen antifaschistischen Grundkonsens vertraut werden. Die Zeiten haben sich aber längst geändert. Immer mehr wird dieser Konsens zum umstrittenen und umkämpften Bereich. Vor kurzem konnte in den Medien nachgelesen werden, wie der Dritte Nationalratspräsident Martin Graf seine freie Meinung äußerte und meinte, er „halte nichts vom so genannten antifaschistischen Grundkonsens“. Und: „Wir (die FPÖ, Anm. des/r Autor_in) sehen das nicht so, dass der antifaschistische Grundkonsens die Grundlage unserer Demokratie ist.“ Ein „kleiner, unbedeutender Teil dieser Gesellschaft“ hält nichts von Antifaschismus und inszeniert dies breit und medienwirksam. Ein anderer „unbedeutender Teil der Gesellschaft“ etabliert den Begriff „Antifaschist_in“ gar als Schimpfwort, als Beleidigung. Eine Bezeichnung, die jede_n stolz machen sollte, wird zum „Schimpfwort“ umgedeutet – nicht nur etwa von strammen Rechtsextremen, sondern von Passant_innen auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln, im Nachbarhaus. Die Menschen aber, die sich die Frage nach den aktuellen Ausformungen des antifaschistischen Konsens stellen, die nicht bereit sind, diese „Entfaltungsräume“ (Heterotopien) und andere Räume herzugeben, nennen sich gerne und überzeugt Antifaschist_innen und werden sich diese (Selbst)Bezeichnung bestimmt nicht nehmen oder gar zweckentfremden lassen.
Oberösterreich: Widerstand statt Naziland
Unter diesem und ähnlichen Mottos kam es in Oberösterreich heuer und im vergangenen Jahr zu zahlreichen antifaschistischen und antirassistischen Veranstaltungen, Kundgebungen, Demonstrationen, veranstaltet von Antifaschist_innen der Autonomen Szene als auch von Parteien und/oder ihren Vorfeldorganisationen. In Oberösterreich rief speziell der Versuch der Nationalen Volkspartei (NVP) am 1. Mai 2009 in Linz eine Demonstration unter dem Motto „frei-sozial-national: gegen Globalisierung und Kapital“ anzumelden, heftigen Widerstand hervor. Innerhalb kurzer Zeit gründete sich die „Linzer Plattform gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai“, die von rund 50 Gruppen aus unterschiedlichsten Bereichen von Kultur bis Politik breit unterstützt wurde. Zur gleichen Zeit versuchten andere Faschist_innen, Nazigruppen und Parteien in Braunau, Hannover und München, die Straßen zu erobern, was allerorts auf heftigen Widerstand stieß. Größtenteils so heftig, dass diese Gruppen ihre geplanten Aktivitäten nicht durchführen konnten: Die NVP-Aufmärsche in Braunau und Linz wurden jeweils untersagt, allerdings ohne dass die Zuständigen diese demokratiepolitische Chance nutzten, sich auf Gemeindeebene antifaschistisch zu positionieren. Infolge dieser Auseinandersetzungen wurde im Linzer Gemeinderat ein Antrag bzw. eine Erklärung eingebracht, in der sich der Gemeinderat zu Pluralität, Demokratie und Weltoffenheit (!) bekennen sollte. Die FPÖ stimmte diesem Antrag nicht zu, was wohl nicht weiter kommentiert werden muss.
Bündnisse als antifaschistische Strategie
Ähnlich wie die erwähnte Plattform gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai gründeten und gründen sich im gemeinsamen Kampf gegen Rechts in ganz Oberösterreich Plattformen, Bündnisse und strategische Partner_innenschaften, um den faschistischen, fremdenfeindlichen und rassistischen gesellschaftlichen und politischen Tendenzen entgegenzutreten. So gründete sich im Herbst 2009 das „Welser Bündnis gegen Rechtsruck“, das aus über 20 Vereinen und Gruppen besteht. Ebenfalls in Wels agiert das „Welser Bündnis junger AntifaschistInnen – YEAH – Young Encouraged Antifascist Humans“, das speziell den rechtsextremen Tendenzen bei der Jugend und bei jungen Erwachsenen entgegentreten will. Auch in Schärding mobilisieren immer mehr junge Menschen gegen die dortige Neonazi Szene, die schon länger im Innviertel präsent ist.
Die traditionelle antifaschistische Demonstration in Braunau am Inn rund um den Geburtstag Adolf Hitlers wird ebenfalls seit Jahren erfolgreich von einem breiten Bündnis aus verschiedensten demokratischen Organisationen und Parteien organisiert. Jedes Jahr wird von Rechtsradikalen in ihren einschlägigen Foren dazu aufgerufen, diese Demonstration gewaltsam zu attackieren, zu Provokationen von Rechts kam es bisher meistens. Heuer nahmen rund 450 Personen an der traditionellen Demonstration teil. Folglich scheint sie nicht schlecht zu funktionieren – die Strategie, über breite Zusammenschlüsse gegen Rechtsextremismus und Faschismus in welcher Form auch immer – ob getarnt als Parteien oder verankert in einer Subkultur – vorzugehen.
„Heftig umkämpft“ in Oberösterreich sind die öffentlichen Plätze. Seit Jahren tobt eine regelrechte Schlacht um öffentliche Laternenmasten, Schaufenster, Unterführungen …, und die politischen Sticker und Plakate der jeweils anderen werden überklebt. Seit 2009 ist z. B. der hetzerische RFJ-Aufkleber „Gemischte Sorte. Zuwanderung kann tödlich sein“ an vielen Orten zu finden. Symptomatisch für Österreich ist der Umgang mit solchen menschenverachtenden Materialien. So meinte der ehemalige RFJ-Landesobmann und jetzige Linzer FPÖ-Stadtrat Detlef Wimmer, der übrigens auch die Linzer Stadtwache verbrochen hat, zu diesen Aufklebern: „Wenn unsere Geburtenrate immer weiter sinkt und die Zuwanderung ständig zunimmt, dann stirbt unser Volk aus“. Eine Anzeige, die gegen diese Sticker getätigt wurde, wurde ohne großes Aufsehen von der Exekutive eingestellt. Auch dies klingt nach „stabil österreichisch“.
Antifaschismus = Extremismus?
Apropos stabil: Auch hier ist ein Zitat aus dem aktuellen Verfassungsschutzbericht angebracht:
„Ungeachtet der unüberbrückbaren ideologischen Kluft zwischen kommunistischen und autonomen Gruppen sind anlassbezogen temporäre Kooperationen evident. Primär ist dies bei Aktionen gegen ,Rechts‘ der Fall. Sowohl Veranstaltungen als auch Objekte mit erwiesenen oder vermuteten Bezügen zum Rechtsextremismus wurden im Jahr 2009 zum Ziel von Protest- und Gegenaktionen, die zum Teil gewalttätige Handlungen beinhalteten.“
Die gewalttätigen Handlungen waren vermutlich die eingangs schon erwähnten „Schmieraktionen“ der so genannten Linksextremen. So werden nämlich Antifaschist_innen, sowie alle Menschen, die sich gegen die bestehenden kapitalistischen und tendenziell rechten Strukturen auflehnen – selbst wenn friedliche, demokratische Mittel gewählt werden –, in Österreich bezeichnet. Dass ein antifaschistischer Widerstand in Österreich nicht salonfähig ist und, wie wir aus der Geschichte wissen, nie war, müssen Antifaschist_innen immer wieder am eigenen Leibe erfahren. Bestimmt ist allen noch der 1. Mai 2009 in Linz im Gedächtnis: Damals wurde das erste Mal seit 1934 eine antifaschistische Demonstration von der Polizei unter massiver Gewaltanwendung verhindert. Zuvor wurde für genau diesen Tag in dieser Stadt von einer Plattform der NVP Aufmarsch verhindert, und während wenige Kilometer weiter H.C. Strache seine menschenverachtenden, fremdenfeindlichen Parolen schwang, wurden friedlich demonstrierende Antifaschist_innen von der Polizei verprügelt und verhaftet.
Dass die Demonstration friedlich war, ist mittlerweile auch juristisch bewiesen: Im Laufe des letzten Jahres wurden alle fünf Demonstrationsteilnehmer_innen freigesprochen. Dies ist ein Erfolg, der nicht ohne ein breites Bündnis – mit rund 250 unterstützenden Organisationen und ca. 1000 Einzelpersonen wohl das breiteste, das wir je in Oberösterreich hatten – möglich gewesen wäre. Wenn wir uns aber weiter fragen, wie so ein breites Bündnis möglich war, dann lautet die Antwort vermutlich nicht, dass die Öffentlichkeit über das Verwehren demokratischer Grundrechte wie der Demonstrationsfreiheit und das Verhindern einer antifaschistischen Demonstration so empört war, sondern weil es einen prominenten Verhafteten gab. Was wäre wohl ohne diesen Verhafteten am nächsten Tag, in den nächsten Wochen in den Medien gestanden? Was hätte dann der ORF berichtet? Was hätten Sie dann wohl darüber gedacht, auf welcher Seite wären Sie gestanden?
Anmerkung
Mehr Informationen finden sich unter:
antifa.servus.at
welsgegenrechts.at
braunau-gegen-rechts.info
Das DÖW zur NVP
Assata Kangjuist Antifaschist_in