Karriere eines konstruierten Gegensatzes: zehn Jahre „Muslime versus Schwule“
Das Buch „Karriere eines konstruierten Gegensatzes“ fasst bisherige Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis von Rassismus und Homophobie zusammen und widmet sich schwerpunktmäßig der auch von Butler angesprochenen Kompliz_innenschaft von LGBT an der grassierenden Kulturalisierung und Religionisierung von sozialen Konflikten. Auf den Punkt gebracht geht es um das insbesondere von (mehrheitlich, weißen) Schwulen geprägte Bild, dass Übergriffe, Belästigungen, Hasssprache etc. fast ausschließlich von muslimischen Jugendlichen getätigt werden.
Als Judith Butler, die Doyen der Queer Theorie, 2010 den Zivilcourage-Preis des CSD Berlin ablehnte, fühlten sich so manche durchschnittsdeutsche Schwule und Lesben vor den Kopf gestoßen. Worum ging es in ihrer Rede von einer unheiligen Allianz der mehrheitsangehörigen Lesben und Schwulen (die so sehr Normalisierung Begehrenden) und dem allgemeinen Trend antimuslimischer Ressentiments? Das Buch „Karriere eines konstruierten Gegensatzes“ fasst bisherige Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis von Rassismus und Homophobie zusammen und widmet sich schwerpunktmäßig der auch von Butler angesprochenen Kompliz_innenschaft von LGBT an der grassierenden Kulturalisierung und Religionisierung von sozialen Konflikten. Auf den Punkt gebracht geht es um das insbesondere von (mehrheitlich, weißen) Schwulen geprägte Bild, dass Übergriffe, Belästigungen, Hasssprache etc. fast ausschließlich von muslimischen Jugendlichen getätigt werden. Das Buch ist eine Sammlung von großteils schon publizierten Texten zu diesem Thema und spannt einen formalen Bogen von diskursanalytischen Artikeln, zu Kommentaren und Aufruftexten. Weiters ist es von der Fotoserie „queğer“ von Aykan Safoğlu durchzogen, die eigens für das Buch produziert wurde. Sie zeigt queere Orte in Stadtvierteln Berlins, die auch migrantisch geprägt sind. In den Bildunterschriften (meist kurze Selbstbeschreibungen, Statements der Raumbetreiber_innen) wird das Verhältnis von Standort, lokaler Bevölkerung und anti-diskriminatorischen Ansprüchen diskutiert.
Die Frage, wie aber diese Konstruktionen des Gegensatzpaares Muslime vs. Schwule entstehen und welche Akteur_innen sich an ihrem Aufbau bzw. an ihrem Abbau beteiligen, beantwortet das Buch durch eine Kritik an mehrheitsdeutschen Lesben und Schwulen sowie durch konsequente Veröffentlichung von Perspektiven lesbisch-schwuler und transgender Migrant_innen. In einigen der Texte gibt es kritische Bezugnahmen auf das Anti-Gewaltprojekt MANEO, und Dirk Ruder beschreibt in seinem Text Opferlotto die oftmals obskure Statistikerstellung, deren „Ergebnis“ jährlich eine Steigerung von Angriffen muslimischer Jugendlicher gegenüber Schwulen diagnostiziert. Konsequent nehmen Autor_innen wie Jennifer Petzen, Jin Haritaworn oder Koray Yılmaz-Günay die Funktionsweisen dieser Konstruktion auseinander, indem sie darauf hinweisen, dass mehrheitsangehörige Lesben und Schwule sich durch die Entsolidarisierung mit muslimischen (teilweise auch nur mit als muslimisch erachteten) Mitbürger_innen gesellschaftliche Anerkennung erhoffen. Selbstorganisationen von Queers of Color kommen ebenso zu Wort wie mehrheitsangehörige Schwule, die sich mit dem Verhältnis anti-muslimischer Parteien und Homosexualität auseinandersetzen. In diese Machtverhältnisse eingestrickt sind immer auch Begehrensfragen, die besonders im Kommentar Sein ganzer Traum von Männlichkeit. Cem Yıldız sagt, wo es langgeht von Salih Alexander Wolter zutage treten. Wolter bespricht darin das Buch „Fucking Germany“ von Cem Yıldız, der seine Erfahrungen als türkischer Sexarbeiter in Berlin niedergeschrieben hat – Exotisierung, Orientalismus und Rassismus gehen dabei Hand in Hand. Jedenfalls eine Empfehlung, auch wenn sich die Inhalte teilweise stark wiederholen, können manche Argumente schließlich nicht oft genug gesagt werden.
Koray Yılmaz-Günay (Hg.): Karriere eines konstruierten Gegensatzes: zehn Jahre „Muslime versus Schwule“. Sexualpolitiken seit dem 11. September 2001. Berlin: Eigenverlag 2011