Kontinuitäten und (Auf-)Brüche. Traditionslinien des Antiziganismus in der jüngeren Geschichte Österreichs.

Auch die österreichische Bundesregierung erweist den Roma ab und an besondere Reverenz, lädt ihre VertreterInnen ins Parlament. Sie demonstriert damit, dass hierzulande die Integration gelungen und das „Roma-Problem“ kein österreichisches ist.

Österreichische Roma-Vereine sind aus der sozio-kulturellen und politischen Landschaft nicht mehr wegzudenken. (1) Für Roma-VertreterInnen und ihre Organisationen ist es heute kein Problem, in die Öffentlichkeit zu gehen. Prominente Roma-AktivistInnen  sind immer öfter Gäste auf nationalem und internationalem Parkett: bei Holocaust- und KZ-Gedenkfeiern im Ausland, bei nationalen Jubiläen, bei Informationsveranstaltungen, bei Unterhaltungs-Events.

Auch die österreichische Bundesregierung erweist den Roma ab und an besondere Reverenz, lädt ihre VertreterInnen ins Parlament. Sie demonstriert damit, dass hierzulande die Integration gelungen und das „Roma-Problem“ kein österreichisches ist. Schon deshalb funktioniert auch der Kontakt zu den Medien. JournalistInnen kennen ihre AnsprechpartnerInnen in der Roma-Community, und es ist ihnen ein Leichtes, Interviews und Stellungnahmen zu aktuellen und historischen Ereignissen zu bekommen.

Kontinuitäten der Ausgrenzung, Existenzbehinderung

Dies lässt beinahe vergessen, dass vor nur einer Generation, einem Dritteljahrhundert – aber auch noch 1995, rund um das Attentat von Oberwart (2) – alles ganz anders war. Da dominierten in Politik und Mehrheitsgesellschaft Ignoranz, Ablehnung und Desinteresse gegenüber dieser durch Jahrhunderte verfolgten und durch den NS-Holocaust nahezu ausgerotteten Gruppe. (3) Da bestimmten Angst, Ausgrenzung und Alltagsschikanen das Leben der wenigen Holocaust-Überlebenden und  deren Nachkommen. Das Bemühen der österreichischen Behörden in der Nachkriegszeit – konkret ab 1948 –, möglichst viele als „ausländische Zigeuner“ aus dem Land zu vertreiben und generell als „KZ-Schwindler“ zu brandmarken und mundtot zu machen, war sehr erfolgreich. Und die Nachkriegsbürokratie verweigerte ihnen nicht nur erste Unterstützung, sondern jahrzehntelang auch ihre KZ-Entschädigungen.

Parallel dazu wurden Lebensäußerungen und Existenzgründungsversuche von Roma und Sinti  behindert, und legale Gewerbeausübungen blieben ihnen weitgehend verschlossen. Nicht nur das Faktum der Staatenlosigkeit, mit der einige Roma konfrontiert waren, bildete dabei den Ausschließungsgrund. Hier lassen sich klare Kontinuitäten und Traditionslinien erkennen. Der gewerbetreibende Mittelstand hatte sich auch in der Zwischenkriegszeit erfolgreich gegen die „Zigeunerkonkurrenz“ gewehrt. Mit Hilfe von Gewerbeordnung und Untersagungsgesetz wurden damals viele HandwerkerInnen- und HändlerInnenexistenzen vernichtet. Diese restriktiven Verordnungen aus Ständestaat- und NS-Zeit bildeten bis 1952 ein wirksames Instrument, um legales Wirtschaften von Sinti und Roma zu vereiteln.

Die als „Zigeuner und Fahrende“ etikettierten Menschen blieben stigmatisiert, gettoisiert, an die gesellschaftlichen Ränder verbannt. Unauffälliges Verhalten und Identitätsverheimlichung wurden perfektioniert. In vielen Familien blieb die Vergangenheit wie abgeschnitten, diente das Schweigen als Selbstschutz, bei anderen verschafften sich KZ und Verfolgung durch Erzählungen und Angstträume immer wieder Raum, überschatteten auch das Leben der Kinder. Entsprechend schwer war es, ZeitzeugInnen zu finden und sie zum Sprechen zu bringen. Es erforderte Behutsamkeit und viel Empathie und bis weit in die 1980er Jahre war es keineswegs ratsam, die Betroffenen zur Aufgabe ihres „Lebens im Verborgenen“ zu ermuntern. Zu präsent waren alte und erneuerte Vorurteile. In Behörden und Politik war der Mief der NS-Zeit noch nicht verraucht, und die nach 1945 praktizierte Haltung, die Glaubwürdigkeit von Roma von vornherein anzuzweifeln, war tief eingeprägt.

Erinnerungsspuren – gesichertes Wissen

Erst Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980er Jahre konnten nach und nach, bedingt auch durch einen Generationenwechsel, Verhaltenskorrekturen festgestellt werden. Grundvoraussetzung für einen anderen Umgang mit dieser sehr heterogenen österreichischen Minderheit war die historische Aufarbeitung. Die Geschichtswissenschaft ließ sich Zeit, interessierte sich erst spät und nur marginal für diesen Holocaust. Im Schatten des millionenfachen Judenmordes, der in Planung und Durchführung Priorität besaß, haben die Maßnahmen gegen die „Zigeuner“ in den Akten der Verfolger schwächere Spuren hinterlassen. Ihre niedrigere Zahl sowie ihre geringere gesellschaftliche (ökonomische!) Bedeutung machten die Roma zu einem minder bewerteten Randthema. Die schlechte Quellenlage und der prekäre Sozialstatus von Roma und Sinti wirkten zusammen – blockierten lange Zeit die wissenschaftliche Forschung.

Tatsächlich begann die kritische Auseinandersetzung in Österreich früher als in Deutschland. Im Gegensatz zu den dort noch dominanten vorurteilstradierenden und kriminalisierenden Arbeiten wurde die NS-Verfolgung an den „Zigeunern“ ab den frühen 1980er Jahren als rassistischer Genozid gewertet. Allerdings handelte es sich nicht um die etablierte Geschichtswissenschaft, die das Thema zentral setzte, sondern es waren außeruniversitäre Zirkel und studentische Abschluss-Arbeiten – und die Bearbeiterinnen mussten teilweise unübliche Pfade beschreiten.

Selma Steinmetz, Historikerin im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes in Wien, legte mit ihrer Monographie „Österreichs Zigeuner im NS-Staat“ die Basis. Die Widerstandskämpferin – verfolgt vom NS-Regime als Kommunistin und Jüdin – bezweckte mit ihren Recherchen nicht nur historische Aufklärung, sondern Steinmetz ging es darum, Roma und Sinti in die KZ-Gemeinschaften einzubinden und sie bei Opferfürsorge-Anträgen zu unterstützen. Für ihre bereits 1966 veröffentlichte Studie (vgl. Steinmetz 1966) bildeten Gespräche mit Betroffenen ein ganz wesentliches Element. 1983 folgte „Nationalsozialismus und Zigeuner in Österreich“ (vgl. Thurner 1983). In dieser Dissertation konnte der NS-Holocaust an Roma und Sinti und anderen als „Zigeuner“ verfolgten Menschen (z. B. den Jenischen (4)) in den wesentlichen Strukturen analysiert und nachgezeichnet werden. Den Mittelpunkt bildeten die Lebensverhältnisse in den beiden wichtigsten „Zigeuner-Lagern“  Salzburg-Maxglan und Lackenbach im Burgenland. Mit der Bezeichnung „Anhalte- oder Arbeitslager“ wurde gleichzeitig deren Funktion verschleiert. Diese Lager waren KZ-ähnlich strukturiert, die Häftlinge starben auch dort – vor allem in Lackenbach aufgrund der katastrophalen Bedingungen –, und es waren Durchgangsstationen in die Vernichtungsstätten.

Verhöhnung der Opfer

Für die Verfasserin war es klar, dass sie den von Steinmetz eingeschlagenen Weg fortsetzen musste. Das bedeutete – neben der wissenschaftlichen Arbeit – gesellschaftspolitisches Engagement zugunsten dieser Verfolgtengruppe. 1983/1984 formierte sich eine kleine Schar von SympathisantInnen, die um die Anerkennung der Roma und Sinti als Opfer des Nationalsozialismus kämpfte. Ein mühsamer, von wiederholten Rückschlägen begleiteter Prozess. Zahlreiche KZ-geschädigte Roma und Sinti starben lange bevor ihre Anträge akzeptiert und Opferrenten zur Auszahlung gelangten. Andere wollten – auch bei angebotener Unterstützung – keinen Neu-Versuch wagen. Die in der Nachkriegszeit erlebten Zurückweisungen wirkten nachhaltig.

Generell zeigte sich der österreichische Staat gegenüber allen Verfolgtengruppen kleinlich, wollte seine Position „als erstes Opfer der Hitlerbarbarei, als besetztes Land“ absolut setzen. Erst nach und nach wurden bescheidene Fürsorge-Gelder ausbezahlt – zunächst an die WiderstandskämpferInnen, ab 1949 auch an „rassisch Verfolgte“. Dies ging schleppend vor sich – die Betroffenen mussten sich mit Ratenzahlungen begnügen –, und es passierte nur unter viel Druck von außen.

Gegenüber Roma gab es vielschichtige Vorbehalte und Zurückweisungen. Als „Asoziale“ und Kriminelle stigmatisiert wurden ihre Anträge mehrfach abgeschmettert. Das besorgten Beamte in Bundes- und Landesbehörden; hier spielten aber vor allem auch medizinische Gutachter(innen) ein unwürdiges Spiel. ÄrztInnen und PsychiaterInnen – z. T. mit NS-Vergangenheit und rasch entnazifiziert – traten den gedemütigten Opfern entgegen und fällten skandalöse Urteile. Die Opferfürsorge-Akten enthalten unfassbare Schicksale, jahrzehntelange Martyrien, verursacht durch „Akte der Unmoral von Akademikern in höchsten Stellungen“. (5) Die Kurzdarstellung zweier Fälle soll zumindest eine Ahnung von diesem unrühmlichen Szenarium vermitteln:

Beispiel 1: Ein schwer geschädigter burgenländischer Rom, der die Konzentrationslager Auschwitz, Ravensbrück und Sachsenhausen überlebt hatte, suchte 1949 um eine Opferfürsorge-Unterstützung oder -Rente an. Drei Jahre lang wurde ihm dies verweigert. Statt dem Schwerkranken zu helfen und das (Über-)Leben zu erleichtern, wurde ihm die Gendarmerie auf den Leib gehetzt. Sie hatte die Erwerbs-, Familien-, Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Antragstellers zu überprüfen. Als sich 1952 sein Herz- und Asthma-Leiden so zuspitzte, dass schwere Gesundheitsbeeinträchtigungen durch die KZ-Aufenthalte kaum mehr zu leugnen waren – im Befund sogar das bald zu erwartende Ableben thematisiert wurde –, wäre ihm die Rente zuerkannt worden. Fünf Tage nach Zustellung dieses Befundes starb der Mann im Alter von 46 Jahren.

Beispiel 2: Eine jüngere Romni mit Kleinkind, abgemagert, 45 Kilo schwer. Diagnose: Herzrhythmusstörungen, Herzmuskelschaden. Im strukturschwachen Burgenland hat die Alleinerzieherin kaum Aussicht auf einen existenzsichernden Job. Dennoch lautet das „Urteil“ der GutachterInnen: „Unwille zur Arbeit“! Ihr Antrag auf Opferrente wurde abgelehnt, weil sie „nicht bestrebt sei, durch Einsetzen ihrer eigenen Arbeitskraft den Lebensunterhalt selbst zu sichern …“ Die Folge: jahrzehntelanges Elend – ein Leben in Krankheit, Armut und größter Not bis zum Tod 1983.

Aufbrüche – Konsolidierungen

Im „Gedenkjahr 1988“ gab es erste Erfolge – zum einen die ideelle Anerkennung der Roma als Opfer der NS-Verfolgung durch den damaligen Bundeskanzler Franz Vranitzky, zum anderen durch eine in Aussicht gestellte Opferfürsorge-Novelle. Sie sollte vor allem den Überlebenden der „NS-Zigeuner-Lager“ Lackenbach und Salzburg zugutekommen.

Damals – ab 1988 – entwickelte sich aus der kleinen Roma-Zivilgesellschaft eine aktive Roma-Bewegung. Sie gründete Eigenorganisationen und erreichte im Dezember 1993 die Anerkennung als ethnische Minderheit, als sechste österreichische Volksgruppe. Das alles hat den gesellschaftlichen Status der Roma hierzulande enorm verbessert. Doch Antiziganismus – Aversion und Hass gegenüber der Roma-Minderheit – bleibt weiterhin ein schwer zu bekämpfendes Phänomen. Der Blick über die Grenzen in neue und alte EU-Länder belegt dies allzu deutlich.

Fußnoten

(1) „Roma“ ist die politisch korrekte Sammelbezeichnung für die gesamte Gruppe dieser sehr heterogenen Ethnie. Für Österreich und Deutschland bietet sich die Verwendung der beiden Eigenbezeichnungen „Sinti“ und „Roma“ an, doch für die Zeit der NS-Verfolgung kann auf den negativ konnotierten Fremdbegriff „Zigeuner“ nicht verzichtet werden.

(2) Am 4. Februar 1995 wurden vier Roma nahe ihrer Wohnsiedlung im Burgenländischen Oberwart durch eine Rohrbombe getötet.

(3) Vor 1938 lebten in Österreich ca. 12.000 österreichische Roma (Burgenland-Roma, Sinti und Lovara), nur etwa 15 Prozent überlebten den NS-Holocaust.

(4) Die Vorfahren der Jenischen (oder Karrner = „Karrenzieher“) stammten nicht – wie im Falle der Roma – aus Indien, es handelt/e sich um Einheimische – TirolerInnen –, die die Armut in früheren Jahrhunderten zu Fahrenden gemacht hatte.

(5) Charakterisierung dieses Gutachter-Verhaltens durch den deutsch-amerikanischen Arzt und Psychoanalytiker Kurt R. Eissler.

Literatur

Steinmetz, Selma (1966): Österreichs Zigeuner im NS-Staat, Wien.

Thurner, Erika (1983): Nationalsozialismus und Zigeuner in Österreich, Wien/Salzburg.

Erika Thurner ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Leopold-Franzens-Universität, Innsbruck.