Kreative Entwicklung? Netzkultur und Immobilienhaie.

Wie zwei ausgezeichnet recherchierte Artikel F.E. Rakuschans (2001a/b) über das MQ belegen, hat man diesen Avantgarde-Effekt auch in Wien zu nutzen gewusst, indem Gruppen und Initiativen in der Umbau phase Räume zur Verfügung gestellt wurden, die der Baustelle MQ Leben eingehaucht haben. Nun, nach der Fertigstellung, sind diese Gruppen nicht mehr da. An ihrer Stelle gibt es einen Verband namens Quartier21, unter welchem sich eine sehr arbiträre Vielfalt von Entitäten verbirgt.

Die vielen Kräne sind im East End Londons kaum zu übersehen. Was da gebaut wird, sind vor allem Wohnungen, die als Luxury- oder City-Appartements zu horrenden Preisen angeboten werden. Gated Communities, komplett mit Zaun, Überwachungsanlage, Portier, eigenem Fitness-Club, etc., damit gestresste Angestellte von Investmentbüros sich hier im Osten des Zentrums auch wohl fühlen können. Denn eigentlich war Hackney – so heißt der Stadtteil – bisher verrufen, ja sogar als besonders „gefährliches“ Viertel voll von „armen“ Einwanderern verschrien. Bereits vor 20 Jahren hatte die Anarchistengruppe CRASS „Keep the Yuppies out of Hackney“ auf Brückenpfeiler gesprüht. Hackney war schon damals „attraktiv“ und „gefährlich“ zugleich, und so hat sich die Gentrifizierung langsamer als erwartet eingestellt. Heute, im Herbst 2005 scheint ein Point of no return erreicht zu sein. Als Sargnagel der alten Identität des Viertels wird der Zuschlag für Olympia 2012 gesehen. In diesem Artikel geht es um den Zusammenhang zwischen zwei Begriffspaaren, den creative industries (CI) und der urban regeneration. Der Begriff CI markiert eine Umdeutung des Kulturbegriffs. Nicht nur jene Teile des Kulturbetriebs, die immer schon kommerziell orientiert waren, sondern alle sollen von diesem Begriff erfasst werden. Nicht-kommerzielle Formen werden zumindest indirekt instrumentalisiert. Hierzu gibt es verschiedene Modelle. Eines ist das Museum als Tourismus-Hit, wobei die Kulturinstitution dank ihrer Größe selbst zum lokalen Wirtschaftsfaktor wird und zur Attraktivität einer Stadt beiträgt. Beispiele dazu gibt es genügend, wie etwa Paris in den 80er Jahren, als das Centre Pompidou und eine Reihe weiterer kultureller Großprojekte entstanden, oder London mit der Tate Modern Galerie und nicht zuletzt auch Wien mit dem Museums Quartier (MQ). Ein weiteres Modell beruht darauf, dass das Personal der kreativen Industrie freiwilligen Dienst als Vorhut der Entwickler leistet. Künstler ziehen in eine heruntergekommene Gegend wegen günstiger Mieten. Die Infrastruktur, die so ein kreativer Cluster eben braucht, wie Cappuccino- Shops, Restaurants, Kunsthandwerkliches folgt. Das Viertel wird hip und das zieht auch die Rechtsanwälte und Börsenleute an. Als Musterfall in London gilt Shoreditch, das innerhalb weniger Jahre von einer leeren Warenhaus-Gegend zum Mekka für Design, Kunst und Night-life wurde. Die alte, etwa auch aus New York nur zu gut bekannte Formel hat in den 90er Jahren noch von selbst gewirkt, heute ist sie offizieller Bestandteil der Policy von Arts Council und London Development Agency.
Wie zwei ausgezeichnet recherchierte Artikel F.E. Rakuschans (2001a/b) über das MQ belegen, hat man diesen Avantgarde-Effekt auch in Wien zu nutzen gewusst, indem Gruppen und Initiativen in der Umbau phase Räume zur Verfügung gestellt wurden, die der Baustelle MQ Leben eingehaucht haben. Nun, nach der Fertigstellung, sind diese Gruppen nicht mehr da. An ihrer Stelle gibt es einen Verband namens Quartier21, unter welchem sich eine sehr arbiträre Vielfalt von Entitäten verbirgt. Lautete der Tenor des Artikels damals schon, dass kritische soziopolitische Initiativen von einer Kultur-Shopping- Mall abgelöst werden, so hat sich dieser Verdacht bis heute nur verstärkt. Damit sollte keine Aussage über die Qualität der einzelnen Aktivitäten gemacht werden, es geht allein um die kulturpolitische Tendenz. Im Wiener MQ zeichnet sich ab, dass die Bewohner des Quartier21 bald ihre Schuldigkeit getan haben werden, indem für die Verlebendigung des Geländes gesorgt wurde. Was noch an „echter“ Kultur vorhanden ist, könnte bald von Luxus-Boutiquen ersetzt werden. Die Kultur des Spektakels wird dann wieder einmal ihr logisches Ende erreicht haben.

Von der „Kulturindustrie“ zur „Kreativwirtschaft“

Überhaupt stellt sich beim Thema der Instrumentalisierung der Kunst und Kultur für die Stadtentwicklung leicht ein deja vu-Effekt ein: Hat man das nicht alles schon einmal gehört oder selbst erlebt? Gibt es zu diesem Thema einen neuen Theorie-Layer? Begrifflich ist vor allem auf die Bedeutungsverschiebung zu achten, die mit dem Wechsel von der Verwendung des Begriffs Kulturindustrie zu dem der Creative Industries oder Kreativwirtschaft einherging. Dieser Entwicklung geht eine Veränderung des Begriffs der Kulturindustrie in den 80er Jahren voraus, die durch Cultural Studies die nötige theoretische Begleitung erfuhren. Adornos Kritik wird – nach dieser Lesart – von seinem eigenen künstlerischen Elitismus (Teddy didn’t like Jazz) allzu leicht ausgehöhlt. Im Postmodernismus werde die Trennung zwischen Hoch- und Populärkultur aufgehoben, heißt es. Damit schien die Analyse der kritischen Theorie passé zu sein. Seit den 80er Jahren wird unter Schlagworten wie Hybridisierung an einem Umbau des Kulturbegriffs gefeilt; zu den „alten“ elektronischen Medien wie dem Fernsehen treten Computer, Games und andere vernetzte und interaktive Formen. Diese Logik setzt sich fort mit dem Internet- Boom ab 1995 und es sind vor allem diese neuen Dynamiken, die sich aus dem Netz ergeben, die erneut eine begriffliche Neubestimmung erforderlich machen. Aus der Kulturindustrie wird endgültig die CI, und London nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein. 1998 erscheint der erste Mapping-Bericht der Creative Industries Task Force, gefolgt von einem zweiten 2001. Die frisch ins Amt gewählte New Labour Regierung setzt sich auf den Hype um London als coolste Stadt des Planeten, indem sie das Land als Cool Britannia zu vermarkten sucht: „Cool Britannia may have been a media spectacle, but it was the need to attract foreign direct investment (FDI), combined with the co-ordinates of a new service-based economy, that underpinned Londons spectacular emergence as the coolest city on the planet.“ (Davies und Ford 2000). Doch auf den Hype ist längst der Hangover gefolgt.

Der kulturelle Bauboom in UK wird überwiegend aus den staatlichen Einnahmen der Lotterie finanziert. Dabei hat man schon einige bittere Lektionen gelernt, denn diese Interventionen gehen nicht immer gut aus. Der Millennium Dom, der schon mehr als eine Milliarde Pfund Sterling (ca. 1.5 Milliarden Euro) gekostet hat, wird allgemein als Debakel staatlichen Dirigismus verstanden. Inzwischen klingen in der Saga um die Creative Industries andere Töne an. Als der Diskurs um die CI unter Kulturminister Chris Smith einen Zenit erreichte, 1999, auf dem Höhepunkt des Dot-Com Booms, wurden naturgemäß etwas überoptimistische Annahmen getroffen. 2000 – 2001 erlebte die Kreativwirtschaft sogar eine Kontraktion ihrer Beschäftigtenzahlen. Angepasst über 10 Jahre ist das durchschnittliche Wachstum zwar 6% und somit höher als die Gesamtwirtschaft, doch Träume wie einst, dass die CI die Verluste der alten Industrien mehr als nur kompensieren könnten, sind längst schnöderen Realitäten gewichen. Die Musik-Industrie ist in der Krise, im Film wird versucht, den Erfolg von z.B. Lock, Stock and Barrel zu wiederholen, doch die Gesetze des Marktes in diesem Bereich sind launisch.

Die Aufweichung der Grenzen zwischen Business und Kultur

The London Particular (TLP) haben sich als freies Studienprojekt jahrelang mit dem Thema auseinander gesetzt. Sie kritisieren die Diskrepanz zwischen einer Zunahme an relativ billigen Community-Art Projekten und den tatsächlich nötigen Investitionen für Stadterneuerung, Bildung, Kultur. Kritik an diesen neuen hybriden Vernetzungsformen zwischen Business und Kultur klingt auch bei Anthony Davies und Simon Ford durch. Netzwerkartige Organisationsformen sind kein Vorrecht basisdemokratischer sozialpolitischer Bewegungen. Schon seit längerem haben sich bestimmte Sektoren der Wirtschaft netzwerkartig organisiert. Zu diesem Schluss kamen Davies und Ford 2000 in ihrer Abhandlung über Culture Clubs, den neuen „Hubs“ der Kreativwirtschaft, wo neue Typen von Intellectual Property Brokering auftauchen, wie bei First Tuesday oder dem Club des ICA. Was bei diesen Vernetzungs-Meetings vielfach überschritten wurde, waren herkömmliche Grenzen zwischen Business und Kultur. Davies und Ford sehen diese Aufweichung der Grenzen als ernste Gefahr, weil damit z.B. der Bereich der „Öffentlichkeit“, der in der Vergangenheit mit dem Staat assoziiert wurde, nun von so genannten Private- Public-Partnerships (PPPs) in Beschlag genommen wird. In ihrer Analyse kommen sie zu dem Schluss, dass die Netzwerke es ermöglichen, dass wirtschaftliches Denken und Methoden in den Kulturinstitutionen Einzug halten, was deren Eigendefinition umkrempelt. Sie sehen sich nun nicht mehr als Inbegriff von öffentlicher Kultur, sondern als Mitverwalter von Öffentlichkeit. Selbst radikaleren Formen dezentralen, vernetzten Protests bliebe da nur noch wenig Spielraum. Vier Jahre später stellt Anthony Davies (2005) in einem weiteren Text zum Thema klar, dass sich der Hauptverdacht bestätigt, dass nun Kulturförderprogramme im Rahmen dieser PPPs so strukturiert sind, dass Wirtschaftsunternehmen die Fördergelder erhalten. Die Überschreitung der Grenzen hat die Querförderung der Wirtschaft über Kultur als Feigenblatt zum Normalfall gemacht. Dieses neue Nahverhältnis mit den Basic Instincts äußert sich unter anderem darin, dass die Frieze Kunstmesse in diesem Jahr so gut ging wie nie zuvor. Die Kaufwut einer neuen Kundenschicht, die sich bevorzugt aus dem Star-Milieu zu rekrutieren scheint, bläst dem jungen Londoner Kunst-Markt Leben ein. Doch der Fokus auf solche Phänomene wäre der kreativen Buchführung verdächtig, schrieb James Heartfield schon 1999 im Guardian. Denn tatsächlich ist das FDI seit den 90er Jahren empfindlich zurück gegangen und die CI haben sich nicht als ausgleichende Kraft erwiesen. Die Spendierlust der Reichen ist auch nicht unbedingt auf eine allgemein bessere Wirtschaftslage zurückzuführen, eher im Gegenteil. Die Gewinne, die unter anderem aus der Immobilienspekulation, dem Buy-to-Let (Kaufen um unter zu vermieten), entstehen, werden nicht in die Wirtschaft reinvestiert, sondern für teure Luxusgüter wie Galerienkunst ausgegeben. Das heißt, dass die Künstler, die neue Stadtteile erschließen helfen, automatisch auch schon an ihrem eigenen displacement arbeiten, da eine Menge Reichtum aus der Immobilienspekulation kommt. London schneidet sich damit selbst die kreative Luftzufuhr ab, die es so dringend bräuchte.

Jenseits des mythischen Lala-Lands der CI

Auch auf anderen Gebieten und an anderen Orten gibt es diesen nicht nachlassenden Druck. Es wird das Image einer Kreativindustrie beschworen, die es so vielleicht gar nicht gibt. Trotzdem sind gerade in diesen Bereichen, die sich vage mit Netzkultur umschreiben lassen, Konzepte und Realitäten geschaffen worden, die paradoxerweise den Weg zu einer kreativen Wirtschaft neuen Stils weisen, obwohl sie mit herkömmlichen Vorstellungen bezüglich derselben völlig über Kreuz liegen. Während freie Software und copyleft eine immer größere Bedeutung erlangen, proklamiert Ministerin Tessa Jowell, dass sie ihr Hauptaugenmerk bei der Förderung der CI auf besseren gesetzlichen Schutz und mehr „enforcement“ (Durchsetzungsgewalt) von geistigem Eigentum legen wird. Solchen Missverständnissen begegnet man auch in Österreich. Hier wie da befindet man sich in einem mythischen Lala-Land der CI. In Wirklichkeit ist es so, dass wir zwar in einem gemischten Modell leben, und dass wir alle den Expansionskräften des Marktes ausgesetzt sind. Auch nicht die reinste Künstlerseele kann auf völlige Autonomie verweisen. Doch es zeichnen sich immer mehr Nachteile der kreativen Bastardisierung des Kulturbegriffs ab, welche tatsächlich bestehende Unvereinbarkeiten zwischen Kommerz und Inhalten nur notdürftig übertünchen. Die Bestimmung dieser Grenzen ist ein Auftrag an die Kulturschaffenden, wollen sie nicht gänzlich von den Netzen der Stadtentwickler eingefangen werden.

Literatur

Davies, Anthony / Ford, Simon (2000): Culture Clubs. In: Mute magazine 18/2000

Davies, Anthony (2005): Basic Instinct: trauma and retrenchment 2000-4. In: Mute magazine 29/2005

F.E. Rakuschan (2001a): Glanz und Elend der Institutionen. Depot und Public Netbase am Scheideweg. In: Kulturrisse 04/01

F.E. Rakuschan (2001b): MuQua: Hammer oder Spiegel? Kursorische Anmerkungen zum MuseumsQuartier Wien. Auf: Telepolis (www.heise.de/tp)

Armin Medosch ist Autor und Medienkünstler und lebt in London und Wien. Er unterrichtet Network Media am Ravensbourne College of Design and Communication.