Kreatives Europa?
Im Jahr 2011 hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Verordnung zum Förderprogramm für den Kultur- und Kreativsektor ab 2014 vorgestellt. Primäres Anliegen ist, die Struktur zu vereinfachen: Die Programme Kultur, MEDIA und MEDIA Mundus werden zusammengelegt. Dem Sektor soll über die Einrichtung eines Garantiefonds zu Krediten verholfen werden.
Im Jahr 2011 hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Verordnung zum Förderprogramm für den Kultur- und Kreativsektor ab 2014 vorgestellt. Primäres Anliegen ist, die Struktur zu vereinfachen: Die Programme Kultur, MEDIA und MEDIA Mundus werden zusammengelegt. Dem Sektor soll über die Einrichtung eines Garantiefonds zu Krediten verholfen werden. Der Rat der Kultur- und Bildungsminister_innen konnte sich dazu am 27. November 2012 ein zweites Mal nur auf eine „partielle allgemeine Ausrichtung“ einigen. Der Entwurf wird von vielen Seiten für seinen veränderten, nämlich sehr ökonomischen, Duktus kritisiert. Der deutsche Kulturrat sprach diesbezüglich sogar von einem Paradigmenwechsel. Cornelia Bruell sprach mit Andreas Kämpf, Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren und Vorsitzender des Fachausschusses Europa/Internationales des Deutschen Kulturrates.
Kulturrisse: Wie bewerten Sie die neue Sprache der Europäischen Kommission im Entwurf zum Förderprogramm Creative Europe, mit der Verwendung von Termini wie „Kultur- und Kreativwirtschaft“, „Kulturindustrie“, „Kulturökonomie“ und die damit einhergehende Betonung von wirtschaftlichem Wachstum und Wettbewerb in Bezug auf Kultur?
Andreas Kämpf: Die Stellungnahme, die es vom Kulturrat und von mir zu Creative Europe gibt, bezieht sich auf den Text, der von der Kommission vorgelegt wurde. Es gab ja dann eine Ministerratssitzung in diesem Jahr, im Juni, wo man über diesen Textentwurf und das Programm beraten hat und nach meinen Informationen ist es so, dass man nicht zuletzt aufgrund der Kritik des deutschen Kulturrates gewisse Veränderungen des Textes beschlossen hat – nämlich die sogenannten intrinsic values der Kultur, die Kultur als eine Ware der besonderen Art auszeichnen, zu betonen. Bis heute – und dies bestätigen Leute, mit denen ich bis vor kurzem gesprochen habe – gibt es meines Wissens keinen neuen Text, der das aufgenommen hätte.
Es gibt keinen neuen Text – auch die Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments unter der Leitung von Silvia Costa greifen auf den genannten Text zurück.
Ja, mal schauen, was dabei raus kommt. Ich war bei der Informationsveranstaltung der Kommission zum Creative Europe-Programm im Januar. Da habe ich auch die Position des Kulturrats sehr klar vorgetragen, und damals war die Position der Kommission: alles nicht so wichtig, was da steht – wir machen hinterher sowieso was anderes, und das wird alles ganz toll. Letzten Endes ist aber entscheidend, wie die Ausführungsbestimmungen, wie die konkrete Gestaltung dann in der Umsetzung aussehen. Auch wenn dann noch etwas repariert werden kann, erstmal steht so ein Text da, und das ist keine Lappalie. Wenn die Europäische Kommission und letzten Endes dann die Europäische Union so einen Text in die Welt setzen, wird das als Vorbild von anderen gewertet. Das halten wir für eine sehr gefährliche Entwicklung, weil es natürlich absurd ist, Kultur auf Ökonomie oder die ökonomischen Effekte zu reduzieren – die sie natürlich hat, was aber nicht das einzige ist. Und so wie es da steht, da kommt ja im ganzen Text nichts anderes vor.
Es handelt sich hier natürlich auch um eine Tendenz, die wir von Seiten des Kulturrats immer schon sehr argwöhnisch verfolgt haben. Es gab vor einiger Zeit diese großen Auseinandersetzungen auf OECD-Ebene über die Welthandelsabkommen und Dienstleistungen, wo es darum ging, Kultur letztendlich auch auf ihre ökonomische Seite zu reduzieren und im Rahmen der Globalisierung über einen Kamm zu scheren. Das waren damals sehr große und sehr schwierige Auseinandersetzungen, von den USA kam da sehr viel Druck. Letztendlich ging es darum, dass man die gesamte Kultursubvention als wettbewerbsschädigend eingeschätzt hätte, und das hätte verheerende Folgen haben können.
Was halten Sie von diesem betonten Doppelcharakter von Kultur: als Wirtschaftsfaktor und im Sinne von l’art pour l’art? Ist diese Dichotomie sinnvoll oder sollten neue alternative Denkmodelle zur Definition von Kultur und Kunst entworfen werden?
Neue Denkmodelle muss es immer geben. Wenn ich nicht gerade beim deutschen Kulturrat tätig bin, arbeite ich in einem Soziokulturellen Zentrum in Singen, das heißt, das ist ein Kulturbereich, wo wir nun nicht jeden Tag das hohe Lied von l’art pour l’art singen. Da geht es durchaus um gesellschaftliche Dimensionen von Kultur, um kulturelle Bildung und die ganzen Dinge, die damit zusammen hängen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass es nicht möglich ist, Kunst/Kultur ohne öffentliche Förderung rein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betreiben – das funktioniert nicht. Das funktioniert vielleicht bei wenigen Ausnahmen. Man kann sich allerdings darüber streiten: 85 Prozent Finanzierung über Zuschüsse und gerade mal um die 15 Prozent Eigenfinanzierung bei Opernhäusern, ob das nun unbedingt das letzte Wort sein muss – da bin ich der letzte, der das sagt. Nur, bei den Soziokulturellen Zentren sind oftmals 30 Prozent unserer Kosten über Zuschüsse abgedeckt, 70 Prozent erwirtschaften wir selbst – ohne diese 30 Prozent Zuschuss würde es aber auch nicht gehen. Dann müssten wir hier eine Disco aufmachen und würden halt wirklich auf Teufel komm raus kommerzialisieren müssen. Deswegen bin ich fest davon überzeugt, dass man Kultur nicht als reine Ware und als ökonomische Einheit sehen kann.
Sollten Mikro- und Einpersonenunternehmen bei der Mittelvergabe gleich berücksichtigt werden wie kleine und mittlere Unternehmen (KMUs)?
Ursprünglich war, glaube ich, nur von Kleinunternehmen die Rede. Das setzt aber auf EU-Ebene schon einen Jahresumsatz von über zwei Millionen Euro voraus. Ich meine, dann hat man das geändert in Richtung Mikrounternehmen. Wenn das in der Kultur Sinn haben soll, funktioniert das natürlich nur, wenn das bis zu solchen Kleinsteinheiten geht. Ein sehr großer Anteil der ganzen Kunstproduktion bewegt sich in diesen Dimensionen.
Sollten beim Monitoring und der Evaluierung der Programme statt ausschließlich quantitativer Erfolge auch qualitative Aspekte eine Rolle spielen?
Das ist ein ganz schwieriges Problem. Wer jemals mit diesen Anträgen an die EU zu tun hatte, der weiß, was das heißt. Das ist ja grauenhaft. Ich bin ja auch im Vorstand des European Network of Cultural Centres und habe daher auch von der betroffenen Seite aus mit diesen Dingen zu tun. Ich habe immer gesagt, mit den ganzen Anträgen und den zahlreichen Verwendungsnachweisen hinterher – da spricht ein Grundmisstrauen heraus. Dass man wieder und wieder die gleichen Dinge abfragt, damit versucht man, eine Sicherheit über Quantifizierungen zu erzeugen, die man aber bei der Kultur eigentlich nie haben kann. Ein großer Teil von dem, was Kulturarbeit leistet, ist eben nicht quantifizierbar. Also ich kann zwar sagen, es waren gestern 120 Leute in unserer Theatervorstellung, aber ob die klüger raus gegangen sind oder nicht, das kann ich nicht quantifizieren.
Das Grundproblem ist natürlich, dass da eine Behörde sitzt, die Förderungen für ein „Riesenreich“ organisieren muss. Natürlich ist es sehr schwierig, aus der Brüssler Distanz heraus zu sagen, was vor Ort passiert. Bei uns in Deutschland kann man sagen, zu den Leuten, mit denen man es zu tun hat, wenn es um Förderungen geht, hat man eine gewisse Nähe, oder man kennt sich, sodass zumindest mal eine positive Grundhaltung da ist – ich unterstelle nicht von vornherein, dass die mich übers Ohr hauen wollen. Und das ist auf der EU-Ebene schwer zu machen, weil die Distanzen so groß sind, auch die kulturellen Distanzen zwischen Antragstellern und Bewerbern natürlich. Das kommt ja auch noch dazu – die verschiedenen nationalen Mentalitäten und Umgangsweisen.
Ich habe das am eigenen Leibe erfahren. Wir wollten ein repräsentatives Netzwerk aufbauen – das verstehen manche Leute gar nicht. Ich hatte dazu eine Ablehnung bekommen: Da wurde offensichtlich nicht verstanden, was das heißt, weil die aus einem Land kam, wo Repräsentativität bei Verbandsstrukturen nicht eine so große Rolle spielt.
Das sind so Dinge, die es schwer machen, wo man sich vielleicht wirklich noch mal Gedanken machen müsste, eine ganz andere Vergabestruktur zu realisieren, sodass vielleicht doch eine größere Nähe auch zu den Antragstellern da ist, damit man dieses Grundmisstrauen aus der Welt schafft. Diese Tendenz zur Quantifizierung hat aber nicht nur mit der EU zu tun, das hat auch etwas mit gewissen Strömungen zu tun: alles zu quantifizieren, zu messen. Das ist natürlich auch grundsätzlich infrage zu stellen. Kultur ist nicht messbar.
Was halten Sie von der geplanten Zusammenlegung der Media Desks und Cultural Contact Points?
Was grundsätzlich ein Problem an diesem Creative Europe-Programm von vornherein war, ist dieses Zusammenlegen der Medien- und der Kulturförderung. Mittlerweile sind ja die Media Desks und die Cultural Contact Points schon dabei, sich miteinander anzufreunden: klingt erstmal gut, wir legen was zusammen, ist erstmal eine feine Sache. Aber die Medien haben doch eine ganz andere Struktur, da ist das Wirtschaftliche viel stärker im Vordergrund, und ich denke, dass bei der Zusammenlegung immer die Kultur hinten dran hängen wird. Die Medien sind auch für die EU das Interessantere, da darf man sich nichts vormachen. Das sind Entwicklungen, die man doch mit Sorge verfolgen muss. Es wird die Frage sein, was von den Vorschlägen des Parlaments durchkommt, und letztendlich ist die spannende Frage, was aus dem EU-Haushalt wird.
Haben Sie weiter Anmerkungen zum neuen Förderprogramm Creative Europe?
Die Netzwerkförderung ist völlig absurd: Im Creative Europe-Text steht, es wird keine Förderung mehr für Netzwerke geben, es wird nur mehr Projektförderung geben, weil es kontinuierlicher ist – das ist purer Zynismus! Wir alle wissen, was Projektförderung bedeutet. Bei der Veranstaltung der Kommission im Januar hatte zum Beispiel auch die Vertreterin der Kommission, Ann Branch, klar und deutlich gesagt: „Wir werden da etwas in den Ausführungsbestimmungen bringen, sodass es eine Dreijahresförderung für Netzwerke gibt, die in ihrem Effekt allen institutionellen Förderungen gleichkommt und gleichzeitig auch wesentlich größere Sicherheit über diese drei Jahre bringt.“ Die Kommissionsleute sagen also, wir machen trotzdem eine institutionelle Förderung, die eben „Projektförderung“ heißt.
Der Chef von Ann Branch hat bei dieser Veranstaltung klipp und klar gesagt, sie hätten diesen Text von Creative Europe nur geschrieben, weil Barroso gedroht hat, wenn sie nicht die Kultur unter die Ökonomie subsumieren, gibt es gar keine Kulturförderung mehr. So kann man natürlich auch Kulturpolitik machen.
Anmerkung
Ein Bericht zu dem von Cornelia Bruell durchgeführten Forschungsprojekt Kreatives Europa am Institut für Auslandsbeziehungen Stuttgart (ifa) wird im Frühjahr 2013 veröffentlicht werden.