Läuse im Fell
Die Einkommenssituation ist deprimierend schlecht und schließt an den Befund aus der groß angelegten Studie zur sozialen Lange von Künstler_innen aus dem Jahr 2008 an: Alle Befragten geben ein Jahreseinkommen bis ca. 10.000 Euro an, nur wenige können diese Summe vollständig über ihre künstlerischen Tätigkeit verdienen.
Arbeiten und Leben im Bereich Performance/Tanz.
Wie arbeiten und leben Künstler_innen im Bereich Performance/Tanz? Diese simple Frage war der Ausgangspunkt einer Befragung von Kunstschaffenden im Rahmen des Festivals CROSSBREEDS 2012, das Fragen nach Arbeits- und Lebensumständen in diesem Feld sowie nach Alternativen nachging (siehe dazu auch den Artikel von Sabina Holzer). Ausgehend von standardisierten Fragebögen wurden Fragen nach Einkommen, Absicherungen, Perspektiven und Desideraten erhoben, die hier nun einer ersten Auswertung unterzogen werden. (1) Und, so viel kann vorausgeschickt werden, die Ergebnisse sind in den Grundzügen wenig überraschend. Wieder einmal.
Arbeit, Einkommen und Absicherung
Die Einkommenssituation ist deprimierend schlecht und schließt an den Befund aus der groß angelegten Studie zur sozialen Lange von Künstler_innen aus dem Jahr 2008 an: Alle Befragten geben ein Jahreseinkommen bis ca. 10.000 Euro an, nur wenige können diese Summe vollständig über ihre künstlerischen Tätigkeit verdienen. Viele Künstler_innen nehmen deshalb Nebenjobs an, wobei die Art dieser Jobs in den meisten Fällen sekundär ist. Die Flexibilität dieser Tätigkeiten zählt, damit die künstlerische Arbeit, die als „eigentliche“ Arbeit gesehen wird, weiter betrieben werden kann. Dies hat zur Folge, dass auch mittels der Nebenbeschäftigungen (die in Bezug auf Einkommen, aufgewendete Zeit und Versicherung statistisch als Hauptbeschäftigung zählen würde) nur unzureichende langfristige Absicherungen vor allem in Hinblick auf das Pensionsalter geleistet werden können, da auch diese Tätigkeiten prekär und vorübergehend bleiben.
Das Leben entlang der Armutsgrenze, in bewusster oder unbewusster Halb-Legalität in Bezug auf steuerrechtliche Belange wird von den Betroffenen zwar einerseits als normaler Bestandteil künstlerischer Berufe wahrgenommen („Living on low standards is of course a natural thing“), stellt aber andererseits einen mit dem Alter zunehmenden Belastungsfaktor dar, der regelmäßig zu Burn-out-Phasen führt. Die Rolle des AMS wird dabei definitiv nicht als Unterstützung, sondern nur als eine zusätzliche Schikane wahrgenommen, sehen die befragten Künstler_innen doch trotz – oder oft wegen – ihrer hohen Qualifikationen keine Möglichkeit, eine adäquate Arbeit zu finden. Die Undurchdringlichkeit der verschiedenen, oftmals inkompatiblen Absicherungssysteme – AMS, Künstlersozialversicherung, SVA, Anstellungsverhältnisse, Mindestsicherung und Notstandshilfe – stellt dagegen einen weiteren „Angstfaktor“ dar; eine Person bezeichnet sich als „U-Boot“, das „ständig die Grenzen der Legalität streift“.
Künstlerische Arbeit als Residualgröße
Die künstlerische Arbeit wird über Einzelförderungen finanziert, wobei Residencies eine besondere Bedeutung zukommt, weil sie den Künstler_innen ermöglichen, zumindest vorübergehend unbelastet von existenziellen Sorgen eine Produktion durchführen zu können. Die übrige Förderpraxis wird skeptisch betrachtet: Immer weniger Künstler_innen kämpfen um immer kleinere Budgets. Bürokratie, informelle und oft unzugängliche Netzwerke sowie der steigende Aufwand der Antragstellung erschweren den Arbeitsalltag und verdrängen künstlerische Inhalte zugunsten von Selbstmanagement und -verwaltung. Dazu gesellt sich das Gefühl, von Kulturpolitik allein gelassen zu werden; die immer weiter um sich greifende Praxis, keine Honorare mehr zu bezahlen, sondern nur mehr Produktionskosten, lässt diesen Eindruck entstehen.
Alternativen, Ziele, Perspektiven
Spannenderweise findet sich aber trotz dieser tristen Umstände nur wenig Resignation und kein Beigeben – im Gegenteil. In fast allen Interviews bestätigen die Befragten, dass sie inhaltlich nicht von ihren Idealen abrücken, sondern diese eher noch hartnäckiger verfolgen: Kunst als reflexives Innehalten in einer wild gewordenen, ökonomisierten Welt; kritisches Hinterfragen von Zuständen, das Entwerfen von Alternativen eines als unhaltbar empfundenen Status quo.
Netzwerke – vor allem informelle Freund_innen- und familiäre Netzwerke –, aber auch professionelle Netze wie Im_flieger, die aus der Szene heraus entstanden sind, bis hin zu etablierten Festivals wie Impulstanz arbeiten dem Gefühl der Isolation entgegen, schaffen Sichtbarkeit, bieten Anerkennung und die Möglichkeit, im Kollektiv zu produzieren. Der Ausbau dieser Netzwerke sowie eine verbesserte Infrastruktur, insbesondere Produktionsräume, sind ein wiederkehrender Wunsch in den Interviews.
Was die Netzwerke allerdings nicht bieten, sind existenzielle Absicherung und die Möglichkeit, das fehlende Einkommen zu kompensieren. Hier ist die Politik gefragt – direkt angesprochen mit der oft und scharf geäußerten Kritik daran, künstlerische Arbeit nicht mehr zu bezahlen. Abhilfe würde hier ein bedingungsloses Grundeinkommen schaffen, das auch jenen Personen ein Leben in Würde ermöglicht, die von der öffentlichen Hand für ihre Arbeit nicht mehr bezahlt werden. Denn Hauptziel und -perspektive ist – wie auch in vielen anderen Studien zur sozialen Lagen von Künstler_innen nachzulesen – stets der Wunsch, arbeiten zu können. Ganz banal: regelmäßig und bezahlt.
Elisabeth Mayerhofer ist Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich.
Literatur
Schelepa, Susanne/Wetzel, Petra/Wohlfahrt, Gerhard (2008): Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich. L&R Research: Wien; Unter: Endbericht
Fußnote
(1) Die verwendeten Zitate sind direkt den Interviews bzw. Fragebögen entnommen.