Living in interesting times. Das neue EU-Kulturprogramm Creative Europe
Es geht los! Das neue Kulturprogramm der EU, das von 2014-20 laufen wird, ist erschienen. Und es gibt einige beachtliche Neuerungen, denn erstmals adressiert sich das Kulturprogramm nicht nur mehr an den nicht-profitorientierten Kunst- und Kultursektor, sondern auch an Kultur- und Kreativunternehmen.
Es geht los! Das neue Kulturprogramm der EU, das von 2014-20 laufen wird, ist erschienen. Und es gibt einige beachtliche Neuerungen, denn erstmals adressiert sich das Kulturprogramm nicht nur mehr an den nicht-profitorientierten Kunst- und Kultursektor, sondern auch an Kultur- und Kreativunternehmen. Dazu passend verlagert sich der Förderschwerpunkt weitgehend weg von der Produktion und hin zu Vermittlung und Vertrieb. Dies ist gleich die erste Stelle, wo es spannend wird: Nach grosso modo 40 Jahren produktionsorientierter Förderung in den europäischen Ländern spricht es sich allmählich bis in die politischen Eliten durch, dass die Dinge aus dem Gleichgewicht geraten sind: Einem kulturellen Überangebot, das vielfach durch hemmungslose Selbstausbeutung erzeugt wird, steht ein immer heftiger umkämpftes Publikum gegenüber, das in manchen Genres langsam, aber stetig verschwindet. Nun ist natürlich der Head Count nicht alles, nun wissen wir selbstverständlich alle, dass es bei Kunstförderung sehr oft um die Förderung von Nischen geht, die eben jene kulturelle Vielfalt ausmachen, die wir alle so schätzen; und um qualitative Kriterien, um deren Formulierung und methodische Operationalisierung sich nur leider in den letzten 20 Jahren kaum jemand bemüht hat.
Wenn das neue Programm nun optimistisch gesehen wird, so birgt es die Chance, mit der systematischen Nichtbeachtung des Publikums in vielen Kunstbereichen zu brechen, mit der bornierten Arroganz, die der junge Dirigent Yoel Gamzou in einer emotionalen Rede anlässlich der Programmpräsentation am European Culture Forum in Brüssel anprangerte. Denn weder aufgesetzte Vermittlungsprojekte, wie sie seit Jahren mehr oder weniger verzweifelt und mehr oder weniger gelungen von den großen Institutionen durchgeführt werden, noch forciertes Marketing ersetzen eine Bindung an ein Publikum, das auf Augenhöhe wahrgenommen wird – statt als kunstunverständige BanausInnen oder politisch zu Belehrende. Das Europäische Kulturprogramm kann als Erinnerung an die gesehen werden, die es auf der anderen Seite auch noch gibt: die RezipientInnen.
Ironischerweise kommt es genau hier auch gleich zu einer eher groben Unvereinbarkeit auf europäischer Ebene: So soll nun verstärkt die Verbreitung von künstlerischen Werken und Produktionen in Europa und darüber hinaus gefördert werden. Gleichzeitig aber gibt es die starke Tendenz, die geistigen Eigentumsrechte restriktiver zu handhaben – ebenso wie die Mobilität von Menschen. Wie die Ziele von Creative Europe in diesem Kontext konkret umgesetzt werden sollen, ist eine offene Frage. Ein gemeinsamer europäischer Kulturraum braucht freie Zugänge – für Menschen wie für Inhalte. Den bisherigen Vertriebspraxen, die vorwiegend Geschäftsmodelle waren (Musik, Film, Verlage …), kommt ihr Businessplan durch die Digitalisierung abhanden, sie können nur mehr durch gravierende Einschnitte in zivile Rechte gerettet werden. Alternativen liegen auf der Hand (wie zum Beispiel Zwangslizenzen), erfordern aber politischen Mut. Die Kommission setzt hier auf die Erneuerungskraft der Industrie – ein wenig Gutes verheißender Ansatz vor dem Hintergrund ihres bisherigen Agierens.
Eine weitere Erschütterung wird durch die Interessenvertretungen gehen. Die bisherigen Möglichkeiten, Förderungen für Vertretungsstrukturen zu erhalten, wurden massiv eingeschränkt, mit dem politischen Ziel, Zusammenschlüsse anzuregen, größere Organisationen zu fördern; hier kann von einer kommenden Flurbereinigung gesprochen werden, die einige gewachsene Strukturen in Mitleidenschaft ziehen wird. Es wird interessant.