Looking for Angela. Sicherheitslücken, Fünf-Finger-Taktik und Zäune
Bald zehn Jahre nach den Protesten in Seattle und deren Slogan „Wir werden gewinnen“ ist die Überzeugung des Gewinnens brüchiger geworden, rückt in den Hintergrund, um anderen Fragen Platz zu machen: „Was würde es tatsächlich bedeuten zu gewinnen?“
Zigtausende PolizistInnen, Wasserwerfer, Hundestaffeln und zehntausende DemonstrantInnen: Das G8-Treffen in Heiligendamm, das von 6. bis 8. Juni 2007 stattfand, blieb lange in aller Munde und die mediale Mainstream-Aufbereitung trug ihr übriges dazu bei, das Konstrukt der/des „gewaltbereiten Globalisierungsgegnerin/-s“ zu zeichnen. Rund ein halbes Jahr und einen teilweise überwundenen (äußeren) Zaun später, liegt mit What would it mean to win? eine filmische Beleuchtung der Geschehnisse rund um Heiligendamm vor.[1] Zanny Begg und Oliver Ressler stellen die Frage „What would it mean to win?“, deren Beantwortung manch einer/-m einfach anmuten mag. Als Interview- partnerInnen fungieren John Holloway, Tadzio Mueller, Adam Idrissou, Emma Dowling, Michal Osterweil und Sarah T. Was deren Antworten ersichtlich machen, ist wohl, dass Antworten auf diese Frage nicht leicht zu geben sind, beziehungsweise auf Momente und Diskussionen innerhalb der Anti-Globalisierungsbewegung verweisen. Dieses Feld voller Fragen zu öffnen und für die/den ZuseherIn sichtbar zu machen, ist die gelungene Pointe dieses Films.
Bald zehn Jahre nach den Protesten in Seattle und deren Slogan „Wir werden gewinnen“ ist die Überzeugung des Gewinnens brüchiger geworden, rückt in den Hintergrund, um anderen Fragen Platz zu machen: „Was würde es tatsächlich bedeuten zu gewinnen?“[2] Mit dieser Frage verbunden ist die Frage nach dem Subjekt, besser den Subjektivitäten, die gewinnen oder zumindest davon überzeugt sind, zu gewinnen: Doch wer ist dieses Wir, das darüber nachdenkt, was es bedeuten könnte, zu gewinnen? Die Clowns, der Nackte Block, TheoretikerInnen, Frauen oder Männer? Dass dieses Wir nicht leicht zu kategorisieren und zu benennen ist, Frage von Verhandlungen bleibt, welche sich wiederum ständig im Fluss und in Veränderung befinden, wird an den Antworten der InterviewpartnerInnen Zanny Beggs und Oliver Resslers ersichtlich.
What would it mean to win? führt direkt zu Fragen der Macht. Es kann beim „Gewinn“ nicht um den tatsächlichen Besitz, im Sinne einer Macht über etwas (Power over/John Holloway) gehen, sondern um die Umwandlung der kapitalistischen Logik und Denkstrukturen (Power to/John Holloway). Genau an diesem Punkt wird, wie John Holloway treffend sagt, klar, was die anti-kapitalistische Bewegung ausmacht und welche Möglichkeiten sich ihr tatsächlich eröffnen: „Gewinnen“ spielt auf Prozesshaftigkeit an, welche sich durch das zusammen arbeiten/blockieren/tanzen/lieben etc. multipliziert und ausbreitet. Es geht somit nicht nur um Widerstandsrhetorik im Sinne von „Wir gegen sie“, also der reinen Demonstration nach außen, sondern vor allem um die Prozesse, die innerhalb des Wir entstehen und angekurbelt werden. Das Wir, wieder in alle Winde zerstreut, wird zu einer Menge an MultiplikatorInnen (Tadzio Mueller), die ihre Erfahrungen hinaus tragen und mit ihrer Umgebung teilen. Auch so wird das Wir zu einem größeren Ganzen.
Wo Emma Dowling davon spricht, dass in Heiligendamm gewonnen wurde, weil gestört wurde und sie diese Störung verbunden mit den Interaktionen der verschiedensten AktivistInnen als eigentlichen Sieg erkennt, verbindet sich Dowlings Aussage mit der von Sarah T. und ihrer Erklärung der Fünf-Finger-Taktik, die sie mit den Worten abschließt: „Wenn genug Menschen da sind, lässt sich einiges machen!“
Dafür, dass die „Wir haben gewonnen“-Euphorie nicht überhand nimmt, sorgt wohl eine der letzten Sequenzen, in der Tadzio Mueller den fehlenden Antagonismus zwischen G8 und Anti-Globalisierungsbewegung kritisiert und somit in Frage stellt, ob tatsächlich von einem Sieg gesprochen werden kann.
Es ist ein schwieriges Terrain, auf das sich Zanny Begg und Oliver Ressler begeben haben, leicht hätte der Film in platte „Widerstandsromantik“ abgleiten können. Dass er dies nicht tut, liegt an den spannenden Positionen, die dank Dokumentations- und Interviewsequenzen sichtbar werden. Vervollständigt werden diese durch die Animationen Zanny Beggs. Ausgehend von John Holloways Eingangsstatement zu Subcomandante Marcos Vorstellung der perfekten Welt, erforschen diese in drei Teilen das Verhältnis von Subjekt, Politik und Widerstand und hinterlassen Spuren witziger Details, Hinweise und Zitate.
Zurückkommend auf die gewählten InterviewpartnerInnen, stellt sich mir die Frage, ob es nicht auch spannend gewesen wäre, mit AktivistInnen zu sprechen, die weniger theoretisch beziehungsweise an weniger prominenten Stellen arbeiten und somit vielleicht einen Einblick in die Bewegung von unten hätten geben können. Natürlich kann auch dieser immer nur fragmentarisch und bruchstückhaft sein, doch erschiene mir diese Herangehensweise sinnvoll, um Hierarchien zu brechen und nicht das Gefühl zu hinterlassen, dass die jetzt Interviewten FürsprecherInnen der anderen sind. Besonders aufschlussreich wäre hier die Frage gewesen, was nach den Protesten passiert, in welcher Form sich diese tatsächlich auf das alltägliche Leben auswirken.
What would it mean to win? lässt die ZuseherInnen mit mehr Fragen zurück, als der Film beantworten kann und möchte. Mein persönlicher Gewinn liegt in der Zeit, die ich damit verbracht habe, mit FreundInnen über den Film und die Ereignisse von Heiligendamm zu diskutieren.
1 What would it mean to win? (2008), 40 Min. Ein Film von Zanny Begg und Oliver Ressler. Der Film wird demnächst auf der Diagonale und in der Ausstellung Have the cake and eat it too. Institutionskritik als instituierende Praxis in der Kunsthalle Exnergasse gezeigt.
2 Das Turbulence Kollektiv, das mit Tadzio Mueller und Michal Osterweil im Film vertreten ist, produzierte eine Zeitschrift, die während des G8 Gipfels verteilt wurde. Vierzehn Artikel beschäftigen sich mit der Frage „What would it mean to win?“.
Belinda Kazeem ist Schwarze Aktivistin und freie Autorin.