Merkwürdige Parallelisierungen von Interessen

Was verteidigen die rechtsextremen Parteien europaweit? Nicht die Interessen einer Klasse, nicht die Interessen einer Minderheit und nicht direkt Interessen des Kapitals, sondern immer und überall den Nationalstaat.

Die rechtsextremen Parteien sind keineswegs als ein vorübergehendes Phänomen zu betrachten. Sie haben ihre Wurzeln genauso wie die „neuen politischen Bewegungen“ in der Tatsache, dass die binäre Parteienstruktur in Westeuropa – die fast die ganze Periode nach dem Zweiten Weltkrieg beherrschte – keine Antwort mehr auf die real stattfindenden geopolitischen Veränderungen hat. Der Versuch einer parteipolitischen Erneuerung in den 1980er Jahren brachte gleichzeitig neben den zwei alten Parteien in Österreich zwei neue, zuerst kleine und danach relativ einflussreiche Parteien hervor: die Grünen und die FPÖ unter Jörg Haider – und wie die Wiener Wahlen am 10.10.2010 zeigten, auch unter Heinz Christian Strache. Die Unterschiede zwischen den Figuren Strache und Haider sind nicht so klein, wie üblicherweise behauptet wird. Wichtig ist zu konstatieren, dass der Übergang von einer Führerfigur zur nächsten gelungen ist. Die Parteistrategen anderer Parteien wären da aufgerufen, sich mal zu überlegen, wie dies trotz allem passieren konnte. Wie konnte es sein, dass eine durch Korruption, durch Flügelkämpfe, durch erfolglose Regierungsbeteiligung delegitimierte Partei dieses ganze Schlamassel überwindet und in Wien wieder zur zweitstärksten Partei wird?

Wenn sie ernsthaft die Standpunkte der eigenen Partei vertreten und nicht nur an die eigenen Machtpositionen denken, dann sollten sie sich auch ernsthaft mit dieser Erfolgsgeschichte befassen und dies nicht als belanglos abtun, zumal rechtsextreme Parteien wie diese in Europa auf dem besten Wege sind, sich zu einem Dauermachtfaktor zu stabilisieren. Die Unterschätzungen der FPÖ sind Selbstverblendungen und führen nirgendwohin außer in die Dunkelkammer des Fatalismus. Da hilft nichts anderes als eine rationale Vorgangsweise: Will man die Rechtsextremen bekämpfen, muss man sie in ihren Handlungen so präzise wie möglich nachvollziehbar machen! Dieser Rationalisierungsvorgang ist der beste Schutz davor, gleich wie sie zu werden, denn jeder Kampf verbirgt in sich eine wirksame Gleichmachungsmaschine, sodass die Gegner am Ende einander gleichen – und gerade in dieser Gleichheit die große Gegnerschaft aufbauen. Es genügt nicht, die rechtsextremen Parteien moralisch zu verurteilen. Diese Art von Denken ist, milde gesagt, kontraproduktiv. Es handelt sich bei dem, was die FPÖ macht, keineswegs um etwas fern von jeglichem Verstand, sondern um eine Variante des Denkens, also um etwas, das auch diskursiv widerlegt oder auf der Praxisebene aktionistisch durch Tun verdrängt werden kann.

Ansätze einer Wahlkampfanalyse

In Folgendem geht es darum, eine kurze Skizze der Wahlstrategien der FPÖ im Wiener Wahlkampf zwischen 1. 9. und 10.10.2010 zu liefern. Ein Blick zurück verdeutlicht die gegenwärtige Situation. Was verteidigen die rechtsextremen Parteien europaweit? Nicht die Interessen einer Klasse, nicht die Interessen einer Minderheit und nicht direkt Interessen des Kapitals, sondern immer und überall den Nationalstaat. In diesem Sinne unterscheiden sie sich von anderen alten Parteien, die entlang der Linien der Klassenkämpfe im 19. Jahrhundert entstanden sind und entsprechend die Interessen einer bestimmter Klasse wahrnehmen, zumindest was die offizielle ideologische Position betrifft. Die FPÖ (schon unter Jörg Haider) bindet sich unmittelbar an keine Klasse mehr. Sie bindet sich an den Nationalstaat, der durch die Globalisierung eine Transformation erlebt. Während die Grünen die Positivität ihrer Position in Richtung der links eingestellten Zivilgesellschaft vorantreibt, diese an Menschenrechte bindet und vor allem an den Mainstream-Feminismus knüpft, knüpft die FPÖ an das vorhandene Ressentiment der Lohnabhängigen innerhalb der Nationalstaaten an. Sie knüpft nicht an die Klasse, sondern an die Ängste eines Großteils der Mehrheitsbevölkerung an – an die Ängste und auch an das Bewusstsein der Nachkriegsgeneration, dass es nie mehr so sein wird, wie es einmal war.

Die Lösung von Jörg Haider für diese Situation hieß „Ausländerbashing“. Diejenige von seinem Nachfolger heißt „Islambashing“. Dazwischen passierte der 11.09.2001, Huntingtons „Kampf der Kulturen“ und die Invasion im Irak und in Afghanistan. Während Haider in aristokratischer Manier die Reichen um sich scharte und gleichzeitig der Nation in einer patriotischen Geste den Knochen „Ausländer“ zum Fressen vorwarf, geht Strache einen anderen Weg. Strache setzt auf die volksnahen Bürgerinitiativen: gegen die Moscheen, gegen die Sexarbeit, Selbstschutzbewegungen usw. Er teilt die Codes, die wir alle durch unsere popkulturelle Sozialisation verinnerlicht haben, mit uns, nur eben von der rechtsextremen Seite her; und aus einer konservativen Position heraus, in der es darum geht, den Nationalstaat zu erhalten und nicht aus einer progressiven, in der es darum geht, diesen zu verändern. Veränderungen fordert Strache nur beim Filz, also dort, wo das Ganze, eben „unser“ Nationalstaat oder „unser“ Wien, seiner Meinung nach nicht gut funktioniert.

Die merkwürdige Parallelisierungen der Interessen

Eine weitere Linie, die die FPÖ konsequent verfolgt, ist die der Kultur: Die Behauptung der Existenz eines kulturellen westlichen Kerns greift derzeit weit über das rechtsextreme Spektrum in die gesellschaftliche Mitte hinein. Es ist die Essenz des Westens, die angeblich verteidigt wird. Während die rechtextremen Parteien auf der institutionellen Ebene fanatische Nationalisten sind – sie wehren sich gegen jede institutionelle Vertiefung der EU –, sind sie auf der kulturellen Ebene die großen Verteidiger der europäischen Werte. Diese werden als die Errungenschaften der großen Vergangenheit definiert: „Die historisch gewachsenen europäischen Werte, basierend auf der griechischen Philosophie, dem römischen Recht, germanischem Freiheitsstreben, auf dem jüdisch-christlichen Erbe des Humanismus und der Aufklärung werden zunehmend von den Dogmen der Political correctness überlagert“ (Mölzer 2010). Und sie werden gegen den Islam verteidigt. Denn die „Islamisierung ist zur größten Herausforderung für die europäische Leitkultur im 21. Jahrhundert geworden“ (ebd.).

Der antimuslimische Rassismus ist der kleinste gemeinsame Nenner aller rechtsextremen Parteien in Europa. Nicht mehr ein undifferenzierter Rassismus, wie er seitens der Haider-FPÖ vertreten wurde, sondern ein vielschichtiger Differenzierungsvorgang entlang der Linie des Islams prägt den Wahlkampf der Strache-FPÖ. Nicht nur dass sich Strache – im Unterschied zu seinem politischen Ziehvater Haider – der üblichen antisemitischen Wahlfolklore (z.B. der „Ariel-Sager“) gegen den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Ariel Muzicant nicht bedient hat; sondern ganz im Gegenteil, die FPÖ bekämpfte – nicht abgesprochen, aber doch – gemeinsam mit der IKG während des Wahlkampfes Omar Al Rawi, einen sozialdemokratischen Gemeinderat, der als Repräsentant der Islamischen Glaubensgemeinschaft gilt. Natürlich tun sie das ausgehend von anderen inhaltlichen Zielsetzungen, aber eben mit den gleichen Mitteln und parallel zueinander. So kam es zu öffentlichen Allianzen, die in der Zeit vor Strache nicht denkbar gewesen wären. Während Haider, gestützt durch Gelder aus dem arabischen Raum, es sich auch leistete, einmal sogar eine Schächten-Erlaubnis von der Al Azhar Universität einzuholen und unter AusländerInnen mehr ArbeitsmigrantInnen im Allgemeinen anvisierte, zielt Strache gezielt auf die Muslime und stützt sich auf eine bis dahin undenkbare kurzfristige Parallelisierung der Interessen.

Zwei weitere merkwürdige Interessenangleichungen ereigneten sich während des Wiener Wahlkampfes: erstens die Allianz zwischen der FPÖ und dem rechten Flügel der Frauenbewegung – symbolisiert durch Alice Schwarzer, einer einflussreichen Feministin aus Deutschland, die vor nicht allzu langer Zeit auch bei SPÖ-Frauen ein gern gesehener Gast in Österreich war. Antimuslimischer Rassismus schafft wie jede Ideologie grenzüberschreitende Gemeinsamkeiten. Er basiert aber vor allem darauf, dass seine VertreterInnen sich selbst als Sprechende und Handelnde auf die Seite des Guten stellen. Schwarzer distanzierte sich natürlich von ihrer Zeugenschaft im Dienst einer rechtsextremen Partei. Ihre Abgrenzung aber fiel relativ milde aus: Sie fühlte sich missbraucht von dieser Partei. In der Sache selbst bleibt sie aber dort, wo sie schon war. Die Komplizenschaft ist da und wirft Fragen auf, mit denen sich zu befassen notwendig ist. Das wird an zwei „FPÖ-Frauenparolen“ deutlich. Zuerst die Ouvertüre: „Wir schützen freie Frauen. Die SPÖ den Kopftuchzwang.“ Und daran anschließend das Crescendo: „Wir wollen FREIE FRAUEN. Und selbst prominente Linke geben uns Recht. Lesen Sie selbst: ,Ein Burka-Verbot im öffentlichen Raum sollte in ganz Europa selbstverständlich sein.‘ Alice Schwarzer, Deutschlands linke Vorzeige-Feministin. ,Das Kopftuch ist ein Symbol der Unterdrückung und Ausgrenzung.‘ Günther Wallraff, Enthüllungsjournalist. Weil ich an EUCH glaube.“ Im Mittelpunkt steht das Kopftuch, hier präsentiert als Unterdrückungssymbol, und die FPÖ-Burschen „wollen“ und „schützen“ „freie Frauen“.

Ein dritter interessanter Moment im strategischen Wahlkampf der FPÖ war die Parallelisierung der Interessen der FPÖ mit der linksgerichteten kurdischen Diaspora in Österreich, die seit Jahren gegen den Ilisu-Staudamm in der Türkei kämpft. Die Zielrichtung dieser letzten Vereinnahmung ist natürlich die Türkei. Aber war nicht dieselbe Türkei auch die Zielscheibe für die linken kurdischen AktivistInnen? Eben nicht! Während die einen an die Türkei, die Menschenrechte verletzt, denken, denken die anderen an die Türkei, die ein geopolitischer Faktor ist. Aber die FPÖ sandte auch Presseaussendungen, die sich dezidiert auf die Menschenrechtslage in der Türkei bezogen und auch auf die Kurdenfrage. Darüber hinaus: Wurden nicht die EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei seit Jahren seitens der österreichischen EU-Delegierten konsequent sabotiert? Die Mosaiksteinchen fügen sich in der Richtung zusammen, dass es sich hier um eine viel breitere Allianz der Kräfte gegen die Türkei handelt als nur um die zwischen der rechtsextremen Partei und der linken kurdischen Diaspora … und dass die FPÖ dies nun auch konsequent in ihrem Wahlkampf einsetzte. Dabei geht es nicht um die Türkei als religiösen Faktor, sondern um die Türkei als strategischen Partner Amerikas im Nahen Osten, eine Partnerschaft, die die FPÖ entlang der Linien der Befreiung Europas (gemeint sind natürlich Deutschland und andere von den Alliierten „besetzte“ Gebiete nach dem Zweiten Weltkrieg) vom amerikanischen Einfluss verfolgt. In diesem Sinne bleibt die FPÖ die Partei von Altnazis. Es geht einerseits darum, die Anbindung der Türkei an die Alliierten, an Amerika und schließlich an die Europäische Union zu sprengen, und andererseits darum, der Gefahr, dass die Türkei als EU-Mitglied ein machtvoller Konkurrent Deutschlands sein könnte, einen Riegel vorzuschieben. Die FPÖ ist eben eine Partei der Deutschnationalen. Das hat sie u. a. im Kampf um die Hegemonie in Österreich bewiesen, indem sie so lange Deutschkurse als „Integrationsmaßnahme“ in die Öffentlichkeit schrie, bis alle anderen machtrelevanten Parteien und Interessenvertretungen diese Art von „Verdeutschung Österreichs“ als natürlichste Maßnahme der Welt zu betrachten anfingen.

P.S. Auf Platz 166 der SPÖ-Landesliste kandidierte mit Gülsum Namaldi die einzige Frau als Subjekt mit Kopftuch während des Wiener Wahlkampfs. Sie bekam 5.601 Vorzugstimmen, mehr als alle anderen kandidierenden Frauen auf allen Listen aller politischen Parteien.

Anmerkung
Die Zitate stammen aus Wahlwerbungen der FPÖ im Vorfeld der Wien Wahlen am 10. Oktober dieses Jahres und aus „Wir retten Europa! Perspektiven für patriotische und rechtsdemokratische Parteien – Zehn Thesen von Andreas Mölzer“. Unter: Zur Zeit (22.11.2010).

Ljubomir Bratić ist Philosoph und Publizist, lebt in Wien.