Musiktheater als bürgerlicher Selbstbedienungsladen?
<p>Musiktheater gilt – 400 Jahre nach seiner Entstehung – noch immer als die Königsdisziplin der (darstellenden) Kunst. Da darin alle bekannten Künste zusammen geführt wurden (Instrumentalmusik, Gesang, Dichtung, Schauspiel, Tanz und Malerei) kann die Entwicklung der Oper als Versuch gedeutet werden, eine gültige Form des Gesamtkunstwerks zu schaffen. Entsprechend anspruchsvoll waren und sind bis jetzt die Bedingungen, unter denen Musiktheater gepflegt wird: großes
Musiktheater gilt – 400 Jahre nach seiner Entstehung – noch immer als die Königsdisziplin der (darstellenden) Kunst. Da darin alle bekannten Künste zusammen geführt wurden (Instrumentalmusik, Gesang, Dichtung, Schauspiel, Tanz und Malerei) kann die Entwicklung der Oper als Versuch gedeutet werden, eine gültige Form des Gesamtkunstwerks zu schaffen. Entsprechend anspruchsvoll waren und sind bis jetzt die Bedingungen, unter denen Musiktheater gepflegt wird: großes Orchester, Chor, Ballettensemble, Solist/innen, musikalische Leitung, aufwendiges Bühnenbild und szenische Ausstattung in einem großen Haus mit guter Akustik. Das ist nicht gratis zu haben, weshalb Musiktheater im kulturellen Feld das kostspieligste abendfüllende Vergnügen ist, das Menschen sich leisten. Kostspielig ist der Besuch des Musiktheaters nicht nur für das Publikum sondern auch für die Steuerzahler/innen. Gebietskörperschaften, die Musiktheater betreiben, geben leicht einmal die Hälfte ihrer Fördermittel für die darstellende Kunst mit ihrer Königsdisziplin aus, während Bereiche wie Literatur, bildende Kunst, Tanz, Medienkunst etc. im Vergleich dazu „unterfördert“ sind.
Ist es aus kulturpolitischer Sicht zu rechtfertigen, dass den Ausgaben des BMUKK für die Bundestheater (142 Millionen) nur etwa 91 Millionen für die Förderung aller anderen Anbieter innerhalb der Kunstsektion gegenüber stehen, von denen „ein der Bedeutung der zeitgenössischen Kunst angemessener Anteil“ für aktuelle Produktion und Präsentation zu verwenden ist? Oder dass eine Stadt wie Graz 49% ihrer Kulturausgaben der darstellenden Kunst widmet (davon 95 % der Theaterholding), während 1,7% den Kulturinitiativen zugute kommt?
Während die Besucher/in der Staatsoper zwischen Preisen von etwa 30 bis 212 € wählen kann, legt die Steuerzahler/in im Durchschnitt 85 € drauf (Quelle Geschäftsbericht der Bundestheaterholding 2009/2010). Das mag ökonomisch gerechtfertigt erscheinen angesichts der gesamtökonomischen Wirkung, die den Bundestheater zugeschrieben wird (das IHS spricht in einer Untersuchung von 2008 von 432,6 Millionen).
Hier ist aber die Frage nach der kulturellen Teilhabe zu stellen. Vereinfacht gesagt geht es darum, ob die Anbieter öffentlicher Leistungen im Kulturbereich die richtigen Angebote für die richtigen Menschen bereitstellen. Kulturelle Teilhabe hängt hauptsächlich von drei Faktoren ab: Nahversorgung mit Kulturangeboten, Bildung und Kaufkraft. Während die beiden ersten Faktoren im Verlauf der letzten 30 Jahre bessere Bedingungen für die Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten erbracht haben, gilt dies für die Kaufkraft nicht, da sie nur für kleine Anteile der Bevölkerung gestiegen ist. Gerade im klassischen Musikbetrieb zeigt sich auch, dass es trotz kräftig steigender Ausgaben nicht mehr Besucher/innen werden, allenfalls mehr Besuche jener, die immer schon hingegangen sind.
Eine genauere soziodemografische Untersuchung der Besucher/innenstruktur im Musiktheater und in den anderen Feldern der Kultur wäre für eine fundierte Betrachtung der Mittelverteilung hilfreich. Die Kulturstatistik der Statistik Austria publiziert zwar Besucher/innenzahlen für die öffentlichen Kultureinrichtungen, für den privaten Sektor gibt es aber nur sehr lückenhafte Daten und insgesamt keine Verknüpfung mit soziodemografischen Aspekten.
Im Musiktheater bleibt der wohlbestallte Teile der 57+ Generation weit gehend unter sich, deren Kulturkonsum mit viel öffentlichem Geld unterstützt wird. Das aber wird in der kulturpolitischen Diskussion regelmäßig mit wirtschaftlichen Argumenten legitimiert.
Juliane Alton ist Geschäftsführerin der IG Kultur Vorarlberg und Vorstandsmitglied der IG Kultur Österreich.
ALTERNATIVEN ZUM VERLUST DER KULTURPOLITIK:
Teil 26: Umverteilung ist eine Alternative. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 25: Die engen Grenzen der Kunst. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 24: Internationale Kulturpolitik zwischen Dialog, Selbstrepräsentation und Ausgrenzung. Von Franz Schmidjell
Teil 23: Kulturpolitik machen – für eine Verteilungsdebatte, jetzt! Von Juliane Alton
Teil 22: Umverteilung jetzt! Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 21: Die Wissensgesellschaft und ihre freien Idioten. Von Andrea Roedig
Teil 20: Kunst irrt. Von Juliane Alton
Teil 19: Gipsy Dreams. Von Gilda-Nancy Horvath
Teil 18: Intervention zur Wienwoche. Von Ülkü Akbaba und Andreas Görg
Teil 17: Kulturpolitik für Menschen, nicht für Institutionen! Von Marty Huber
Teil 16: Mobilität statt Barrieren!. Von Petja Dimitrova
Teil 15: Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik: Ein Zwischenresümee. Von Gabi Gerbasits
Teil 14: Von Schönheitsfehlern und Mißtönen abgesehen. Von Gerhard Ruiss
Teil 13: Lasst alle Hoffnung fahren. Von Otto Tremetzberger
Teil 12: Soziale Lage? Oder Wallfahren für Linke. Clemens Christl
Teil 11: Ein Lüfterl oder ein Brain-Storm? Gottfried Wagner
Teil 10: Panic on the Streets of London. Michaela Moser
Teil 9: Gefällige Demokratur oder demokratische Kultur? Stefan Haslinger
Teil 8: Räume der kulturellen Tat. Marty Huber
Teil 7: Transparenz in der Kulturverwaltung - a never ending story. Juliane Alton
Teil 6: Musiktheater als bürgerlicher Selbstbedienungsladen? Juliane Alton
Teil 5: Zwei ökonomische Argumente, warum man sich bei der Kultur nichts erspart und ein Plan B. Paul Stepan
Teil 4: Eine Kulturpolitik für Alle und von Allen. Ljubomir Bratić
Teil 3: Abschminken ist angesagt! Michael Wimmer
Teil 2: Keine Angst vor den freien Szenen? Elisabeth Mayerhofer
Teil 1: Fehlt da jemand? Stefan Haslinger
Teil 0: Geht's noch? Marty Huber