Österreich auf dem Weg zum autoritären Staat?

In vielen kleinen Schritten wurde eine Art "Orbanisierung" Österreichs betrieben. Das Ende von Schwarzblau bedeutet eine kurze Atempause. Doch nicht nur die FPÖ, auch Kurz selbst hatte die Zivilgesellschaft mehrmals polemisch attackiert. Mit „NGO-Wahnsinn“ diskreditierte er pauschal einen ganzen Sektor. Es steht sinnbildlich für eine Entwicklung, die Österreich in Richtung Autoritarismus zu verändern droht. Wie steht es um die Zivilgesellschaft in Österreich? Was ist nun zu erwarten? Und welche neuen Widerstandsformen bilden sich?

Schwarzblau, Regierungskrise, Foto Chuttersnap

Der Zivilgesellschaftsindex der IGO bemisst genau diese Frage. Ruth Simsa von der Wirtschaftsuniversität erklärt, wie sich daran eine Entwicklung in Richtung autoritären Staat ablesen lässt. Diese verläuft nämlich nicht plötzlich, sondern schleichend. Alles was sich in der Literatur zu den konkreten Entwicklungsschritten von einer Demokratie zu einem autoritären Regime findet, bestätigt, dass diese ersten Schritte in Österreich bereits getan wurden. 

IGO Zivilgesellschaftsindex 2019

Was wir bereits erleben mussten, beinhaltet einen schärferen Diskurs über die Zivilgesellschaft, also eine Delegitimisierung und Abwertung. In Österreich wurde dem Sektor bereits Profitgier unterstellt, obwohl NGOs ja grundsätzlich keine Profite generieren oder abwerfen können, so Simsa. Auch die Partizipationsmöglichkeiten in politische Entscheidungen einzuwirken zu können werden eingeschränkt, so zum Beispiel bei der Umweltverträglichkeitsprüfung. Ein dritter Punkt betrifft die öffentliche Finanzierung. Hier wurden bereits im ersten Jahr von Schwarzblau im Bund oder auch in Oberösterreich eine ganze Reihe von kritischen Organisationen aus dem Integrations- oder Kunst- und Kulturbereich, aber auch dem Bereich der Arbeitsmarkt- oder Frauenpolitik der Hahn abgedreht, bzw. diese zur Existenzgefährdung gekürzt. Inhaltlich fehlte dazu völlig die Grundlage, wenn Bogner-Strauß beispielsweise weiter schlagende Burschenschaften fördert. Der letzte Schritt betrifft die Einschränkung von Grundrechten. Diese wurden in Österreich noch nicht drastisch eingeschränkt, die Menschenrechte aber beispielsweise bereits offen von Regierungsvertretern infrage gestellt. Auch die Pressefreiheit war einer Reihe von Angriffen ausgesetzt. Von der FPÖ kannte man das ja auch in der Vergangenheit. Neu war nun, dass dies von Vertretern von einer Regierungspartei ausging. Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen, sprach deshalb vom Versuch einer "Orbanisierung der Presse"

 

Wie weit sind wir schon?

Nun bestehen noch nicht Verhältnisse wie in Polen, Ungarn oder gar der Türkei. Allerdings sei es wichtig, so Ruth Simsa, das Muster zu erkennen, um noch rechtzeitig eingreifen zu können. Das ist in der Praxis aber häufig schwierig, weil der traditionell unterfinanzierte Sektor kaum Möglichkeiten hat, neben dem Tagesgeschäft die Ressourcen aufzubringen, um neue diskursive Formen oder Formen des Protests zu entwickeln.
Außerdem hat das Spiel mit der Angst funktioniert: Eine Reihe an Institutionen tritt bereits wesentlich weniger kritisch auf, um nicht Gefahr zu laufen, weggekürzt zu werden und damit die Institution, oder auch die Existenz der Mitarbeiter*innen zu gefährden. Eine Reihe weniger „kooperativer“ Initiativen wurde ja bereits gekürzt. Vertreter von Regierungsparteien haben kritische Kunst nicht nur äußerst aggressiv angegriffen, es wurde auch offen mit dem Entzug von Subventionen gedroht, wie beispielsweise nach der Schmähung der Regierung bei den Nestroy-Spielen in Schwechat. Das ist neu in Österreich. Paul Poet, Regisseur von "Ausländer raus! Schlingensiefs Container", meinte deshalb, dass der Umgang mit kritischer Kunst noch aggressiver geworden sei, als bei Schwarzblau I. 


Attac Schneeberg, 12-Stunden Tag Dirndl neben KurzGleichzeitig sehen wir auch die Entwicklung neuer Widerstandsformen. Der Protest gegen Schwarzblau speiste sich zum Millennium noch zu großen Teilen aus dem Kunst- und Kulturbereich. Dieses mal war er viel breiter aufgestellt. Auch die Formen werden kreativer, medienwirksamer. Bei der Aktion der Attac am Schneeberg wurde mit dem Dirndl ein konservatives Symbol verwendet, im geeigneten Moment beim Spaziergang neben Kurz und vorhandenem Scheinwerferlicht ein Protestsymbol gegen den 12-Stunden-Tag enthüllt.
Auch die „Omas gegen Rechts“ sind eine neue Gruppierung, die sich gegen den Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Österreich formiert hat. Zu großen Teilen aus der 68er Generation bestehende Mitglieder, hauptsächlich hochpolitische Frauen in höherem Alter, sind die „Omas“ genauso sympathisch wie engagiert. Sie treten für ein offenes und demokratisches Österreich ein und sind auf Demonstrationen gegen Sozialabbau, Rassismus oder Sexismus anzutreffen. Gründungsmitglied Monika Salzer, die sonst nicht unbedingt von sozialen Medien begeistert ist, hat die Initiative ausgerechnet mit einem offenen Aufruf auf Facebook gestartet. Mittlerweile gehören sie mit ihren ikonischen Mützen und Schildern zu einer der bekanntesten Gruppen der Demonstrationen. Sie sehen sich in der Verantwortung und wollen den politischen Mut und den Glauben an das, was man tatsächlich ausrichten kann, den jüngeren Generationen mitgeben. 

 

 

Die EU-Wahlen haben gezeigt, dass Ibiza und das vorläufige Ende der Regierung noch keinen politischen Erdrutsch bedeuten - weder in die eine, noch in die andere Richtung. Die Mehrheitsverhältnisse könnten durchaus ähnlich bleiben. Die möglichen Regierungskonstellationen hingegen scheinen sich mit der aufgeheizten Stimmung eher komplizierter zu gestalten. So ist nicht abzusehen, ob der Kurs der Einschränkungen der Zivilgesellschaft, diese sogenannte „Orbanisierung“, eine Fortsetzung finden wird oder die Lage sich beruhigt. In jedem Fall bietet der Herbst eine Gelegenheit, sich für ein offenes, demokratisches, freies Österreich auszusprechen. Und das steht und fällt nun einmal mit der Zivilgesellschaft. 

 

 

Podcast zum Thema:

 

Coverfoto: chuttersnap on Unsplash
Foto Schneeberg: Attac Austria (CC BY-SA 2.0)