Open heaven
Andauernd werden Muslim_innen in den letzten Jahren exponiert. Sie sollen als neue Projektionsfläche für unterschiedlichste Wünsche dienen – noch vor paar Jahren waren sie nur als Migrant_innen sichtbar. Aber bekanntlich (re)generiert sich Herrschaft zugleich durch (Wissens-)Schaffung über und Delegitimierung von (immer neuen) Gruppen. Ein Spiel, in dem wahrlich für jede_n etwas dabei ist.
Andauernd werden Muslim_innen in den letzten Jahren exponiert. Sie sollen als neue Projektionsfläche für unterschiedlichste Wünsche dienen – noch vor paar Jahren waren sie nur als Migrant_innen sichtbar. Aber bekanntlich (re)generiert sich Herrschaft zugleich durch (Wissens-)Schaffung über und Delegitimierung von (immer neuen) Gruppen. Ein Spiel, in dem wahrlich für jede_n etwas dabei ist: Die christlichen Mitbürger_innen dürfen andere Religionen dämonisieren, die Nationalist_innen hetzen, die Atheist_innen dürfen sich über die Unaufklärbaren erheben, die (konservativen?) Feministinnen den Blick für die Erscheinungsformen des orientalischen Unterdrückers schärfen, und so manche_r Linke darf in x-tem Spiralgewinde ehrgeizig reflektieren, wieso sie homogen bleibt.
Wie lassen sich aber Positionen verschieben? Wer oder was legt die Steinchen, dank derer man aus dem Dickicht dessen herausfindet – vorläufig, immer nur vorläufig! –, was eigen, richtig, gut ist? Woran merkt man, dass die eigene Positionierung zwar gut begründet, trotzdem aber zutiefst unergiebig geworden ist? Was verbindet die kleinen Spur-Weiser zum Pfade oder macht sie zum Stolperstein?
Die Bereitschaft, etwas neu bzw. mit anderen Augen zu sehen, fordert die ohnehin heikle Balance zwischen Beweglichkeit und Standhaftigkeit der (eigenen) Positionierung immer wieder von Neuem gehörig heraus. Neupositionieren ist wie Übersiedeln – während das eine verloren geht, taucht Verlorengegangenes plötzlich wieder auf. Vieles passt dann so gar nicht in den neuen Räumen und sucht länger nach einem passenden Ort. Sie beschert uns neue Nachbar_innen, ändert unsere Nächsten – aus denen vielleicht unerwartete Verbündete oder sogar Weg-Genoss_innen werden können. Denn egal wie autonom wir in den eigenen Positionen auch sind, leben tut keine_r im luftleeren Raum, in dem die eigene Position für die Ewigkeit wie in einem Vakuum frisch gehalten wird. Wo Luft ist, dort sind auch Reibungseffekte und Ambivalenzen. Peinlich wie bereichernd waren zumindest einige der meinen: Die Volksschule der Oppositionalität machte ich mitunter durch den verbotenen Gang zur Kirche, die in meiner adoleszent-atheistischen Ahnungslosigkeit der Moschee und dem Tempel vorerst völlig gleich gesetzt war. Tradiertheit und Differenz erwischten mich bald drauf und politisierten. Den Erhalt des Atheismus wiederum verdanke ich letztendlich höchstwahrscheinlich dem expansiven Aufstieg der institutionellen Religiosität in Osteuropa nach der Wende, der mir jedoch nicht die Eindrücke der möglichen emanzipativen Praxen zu nehmen vermochte.
Bleibt die Frage, wie gute Lehrende Ambivalenzen sind. Bringen sie einem_r eine Welt näher, die schön widersprüchlich und ein Gegenüber ist, das sich weder so eindeutig noch so monolithisch zeigt, wie gern angenommen wird? Oder bleiben wir in ihnen langfristig stecken? Macht das Üben den_die Meister_in? Und auch wenn man sich manchmal die Augen reiben muss, um sicher zu gehen, nicht in den falschen Film geraten zu sein – z. B. wenn zur x-ten Hochzeit ex-militanter Atheist_innen unter der Kirchenkuppel getanzt wird –, offen will man sie sich trotzdem halten. Denn Ambivalenzen sind eben nicht einzig beklemmend, sondern auch lustig, skurril und – keinesfalls verpassen – manchmal richtig befreiend.
Während die einen sich weiter in Distinktion üben – das Verlernen soll gelernt werden –, flitzt eine neue Generation mal mit, mal ohne Kopftuch zwischen prekären und undokumentierten Jobs, unsicherem Aufenthaltsstatus, Community- und politischer Arbeit, Unistudium, Demos und neuer Solidarität hin und her.
Für den Fall, dass nach dem Ableben doch irgendwelche Paradiese zu bevölkern und in Schuss zu bringen wären, würde ich mein atheistisches Zuhause lieber näher an ihrer Adresse halten. Denn hier wie dort braucht man entschlossene, reflektierte, spannende und ambivalente Mitstreiter_innen, um weiter zu kommen. In der Zwischenzeit mache ich mich lieber daran, meine atheistische, antirassistische, feministisch-dekolonial-queere usw. Nachbarschaft gastfreundlich und attraktiv zu machen.