Originale ... und andere unethische AutorInnenschaften in der Kunst.

Während im Wissenschaftsbetrieb der Begriff „Plagiarismus“ durchwegs negativ konnotiert ist und die derzeitige Debatte hauptsächlich darum geht, wie man Plagiate am effektivsten aufdecken und mit welchen Maßnahmen man sie vermeiden bzw. ihnen und ihren HerstellerInnen begegnen kann, gehört Plagiarismus in der bildenden Kunst zu einer langen und vielfältigen Tradition von künstlerischen Aneignungspraktiken.

„In short, plagiarism saves time and effort, improves results and shows considerable initiative on the part of the individual plagiarist.“ Vague #18/19, S. 3 (Impressum), London 1985, später auch Luther Blissett in Plagiarism and Why You Should Use It

Während im Wissenschaftsbetrieb der Begriff „Plagiarismus“ durchwegs negativ konnotiert ist und die derzeitige Debatte hauptsächlich darum geht, wie man Plagiate am effektivsten aufdecken und mit welchen Maßnahmen man sie vermeiden bzw. ihnen und ihren HerstellerInnen begegnen kann, gehört Plagiarismus in der bildenden Kunst zu einer langen und vielfältigen Tradition von künstlerischen Aneignungspraktiken. Beginnend in der frühen Moderne mit der kubistischen Collage und Dada-Gedichten – die sich erstmals Zeitungsausschnitten bemächtigten, um diese in ihre Bild- oder Textarrangements einzufügen – ziehen sich künstlerische Aneignungen von Bild- und Textmaterial durch die gesamte Moderne und nehmen bestimmte Aspekte postmoderner Infragestellung und Dekonstruktion von Originalität, Authentizität und AutorInnenschaft vorweg. Dabei reichen die Aneignungen vom Integrieren kleiner Teile in ein neues Gesamtkonzept bis hin zur vollständigen Übernahme eines gesamten Werkes ohne jegliche Veränderung.

Aneignung (appropriation)

Um die vielfältigen künstlerischen Praktiken der Verwendung bereits vorhandenen Materials zusammenzufassen, wird am häufigsten der Begriff „Aneignung“ verwendet. Er ist offen genug, um die sehr unterschiedlichen Methoden und deren teilweise auch sehr verschiedenen Zielsetzungen zu umfassen. Doch der Begriff ist nicht unproblematisch, denn er enthält den Wortstamm „eigen“ und bezieht sich auf das „Eigene“, das „Eigentum“ eines anderen, das „angeeignet“ wird.[1] Dadurch wird suggeriert, dass eine derartige künstlerische Praxis sogar illegal sein könnte, in jedem Fall aber moralisch zu missbilligen ist. Dazu kommt die mangelnde Präzision des Begriffes „Eigentum“ in der Kombination „geistiges Eigentum“, um das es hier geht. Denn anders als bei materiellen Gütern muss der Eigentümer geistiger Güter nach der Aneignung durch eine andere Person nicht auf sein Gut verzichten; es ist immer noch da und hat sich durch den Akt der Aneignung lediglich vervielfältigt. Insofern ist auch eine Definition von Plagiat als „Diebstahl“ geistigen Eigentums fragwürdig, denn der Bestohlene bleibt weiter im Besitz seines Eigentums. Dazu kommt, dass (geistiges) Eigentum zwar beispielsweise in Deutschland grundgesetzlich im Rahmen des Artikel 14 geschützt wird, sein Sonderstatus aber dadurch zum Ausdruck kommt, dass sein Schutz zeitlich begrenzt ist. Nach Ablauf einer Frist von 70 Jahren nach dem Tod des/der Autors/in wird der Allgemeinheit uneingeschränkter Zugriff auf das geistige Eigentum gewährt.
Dass sich der Begriff „Aneignung“ trotz der damit verbundenen negativen Implikationen durchgesetzt hat, mag zum einen daran liegen, dass er vonseiten der KünstlerInnen immer bewusst offensiv und provokativ eingesetzt wurde und zum anderen, dass die damit verbundenen Angriffe auf die ideologische Formation der Institution Kunst weitgehend als legitime künstlerische Strategien Akzeptanz gefunden haben – sofern es möglich war, diese Angriffe als Kunst in das System zu integrieren. Je historischer und damit ungefährlicher die Angriffe werden, desto höher ihr Marktwert.[2]

Appropriation Art

Zu den radikalsten und später erfolgreichsten Ausformungen von Aneignungskunst gehörte die zu Beginn der 1980er in den USA entstehende Kunstrichtung gleichen Namens: Appropriation Art. Wesentlich beteiligt an ihrer Durchsetzung war, dass es sich nicht um Einzelpositionen handelte, sondern um das Zusammenwirken von KünstlerInnen, VermittlerInnen, TheoretikerInnen und Publikationsmedien sowie Orten der Präsentation. Anders als bei ihrer Vorläuferin, der ebenfalls US-amerikanischen Künstlerin STURTEVANT, deren Konzept bereits Mitte der 1960er Jahre darin bestanden hatte, bestehende Kunstwerke eins zu eins noch mal zu machen, also zu wiederholen, wurde für die Appropriation Art ein breiter Diskurs aufgebaut, der die künstlerischen Vereinnahmungen theoretisch fundierte und innerhalb der kritisierten Institution Kunst seine eigene „autorisierende Subinstitution“ (Römer 2001: 99) etablierte.

Allen Ansätzen der Appropriation Art gemeinsam ist die Aneignung fremder Bildlichkeit und die Absicht, das Kopieren als eigenständige Kunst zu etablieren. Der Großteil der Aneignungen bezog sich auf andere Kunst.[3] Trotzdem geht es nicht um künstlerische Bezugnahmen und die übliche Selbstreferenzialität in der Kunst, sondern um die Problematisierung der Referenzen. Wenn weder mediale noch inhaltliche Transformationen stattfinden und, wie im Fall Sherrie Levine, sie nun als Autorin der Fotografien von Walker Evans auftritt (die sie eins zu eins abfotografierte), bleibt als künstlerische Aussage der Blick Levines auf Evans Bilder. Wie die umfangreiche Theorie, die zu diesem einfachen Vorgang entwickelt wurde (Levine weist jeden kreativen Akt zurück), aufzeigt, geht es Levine nicht vorrangig um die abgebildeten Sujets, sondern um die Bilder davon. Es geht um Machtverhältnisse, abbildende Repräsentation und die Kritik daran, aber auch um eine Entwertung des „originalen“ und einmaligen Werkes, dessen Warenförmigkeit dadurch verdeutlicht werden soll. Für die Institution Kunst erschütternder als die kapitalismuskritische Decodierung des Warenfetischs ist jedoch die Ablehnung der für die Moderne zentralen Begriffe Kreativität, Expressivität und Originalität (vgl. Krauss 2000). Zusätzlich wird Appropriation Art oftmals als feministische Praxis interpretiert, als Kritik am männlichen Blickregime und an den durch die männliche Kunstgeschichte vorgenommenen Zuschreibungen von AutorInnenschaft, Werk und dessen Verortung.

Plagiieren und Plagiarismus

Der Begriff „Plagiat“ wird vom lateinischen Wort „plagium“ (Menschenraub) abgeleitet und taucht zum ersten Mal in der Spätantike auf. Er bezieht sich auf einen Fall, bei dem ein gewisser Fidentinus sich Gedichte des Epigrammatikers Martial aneignete und als seine eigenen ausgab, woraufhin letzterer diesen Vorgang mit dem Raub von Kindern verglich. Der Unterschied zwischen dem „Original“ und dem „Plagiat“ bestand lediglich durch die Zuschreibung des Textes zu einem anderen Autorennamen – was eine gewisse Parallelität zu dem Vorgehen Levines nahe legt.

Offensichtlich hat das gleiche Verfahren aber nicht immer die gleiche Bedeutung. Zu den Faktoren, die zu einer Bewertung des Aneignens führen, gehört die Berühmtheit der Vorlage, also ihr Wiedererkennungswert. Ist eine Vorlage im allgemeinen kulturellen Gedächtnis gespeichert, richtet sich das Augenmerk bei ihrer Verwendung entweder auf eine damit verbundene inhaltliche Bezugnahme, auf eine Reflexion der Rezeption oder auf das Aneignen selbst. Oftmals ist das Aneignen Teil eines künstlerischen Statements, worauf viele Bezeichnungen für künstlerische Praktiken hinweisen. Dazu gehören zum Beispiel: Wiederholung, Imitation, Collage, Détournement, Adaption, Verfremdung, Transmutation, Replikation, Found Footage, Ready-made, Objects trouvés, Re-Präsentation, Reprise, Re-Animation, Re-Mediation, Re-Fotografie, Remix, Sampling, Recycling, Bearbeitung, Cover-Version, Cut-Up, Bootleg, Transformation, Permutation, Bastardisation und Interpretation.

Eindeutig am negativsten besetzt, weil als unkreativ und unmoralisch geltend, ist der Begriff „Plagiarismus“, was wohl der Grund dafür ist, dass er sich in der subkulturellen Anti-Copyright-Bewegung der 1980er und 1990er Jahre besonderer Beliebtheit erfreute und als bewusste Provokation eingesetzt wurde – selbst wenn die damit verbundenen Aktivitäten nicht unbedingt plagiatorisch waren. Wie Florian Cramer in seinem Text „Copyright in künstlerischen Subkulturen“ aufzeigt, gab es parallel zur Appropriation Art ein Geflecht von Aktivitäten, deren Anliegen es war, eine Plagiarismus-Kampagne zu lancieren (vgl. Cramer 2000). Dazu gehörten die Festivals of Plagiarism (die sich als Plagiate der neoistischen Apartment-Festivals verstanden, die wiederum Plagiate der Fluxus-Festivals waren) ebenso wie die Fanzines VAGUE, SMILE (International Magazin of Multiple Origins), FILE (und dessen Plagiate BILE und VILE) sowie PhotoStatic/ Retrofuturism. Durch ihre Verortung in kleinen Galerien und der Bezugnahme auf Fluxus (und Situationismus) fand eine Auseinandersetzung mit Kunst statt. Die beabsichtigte Provokation blieb aber ohne Reaktion. Es handelte sich um eine Insiderszene, die sich subkultureller Medien bediente (Fanzines) und auch nur eine begrenzte theoretische Auseinandersetzung mit ihren Subjects betrieb. Als erfolgreichstes Projekt der plagiatorischen Subkulturen bezeichnet Cramer die Plunderphonics, zu denen die Tape-beatles, Jon Oswald, das CVS – Copyright Violation Squad Bulletin und Negativland gehörten. Doch auch hier handelt es sich streng genommen nicht um Plagiarismus, sondern um popkulturelle Soundcollagen. Durch spektakuläre Fälle wie dem Prozess gegen das U2-Label Island Records erreichte Negativland aber eine sehr große Öffentlichkeit.

Ein Resümee

Es bleibt fraglich, was die beiden Ansätze – gemessen an ihren Ansprüchen – bewirkt haben. Die Appropriation Art wusste sich klar und fundiert innerhalb der von ihr kritisierten Institution Kunst zu platzieren und erzielte damit einen gewissermaßen paradoxen Erfolg, der ihre radikalen Konzepte neutralisierte. Einmal mehr wurde das System Kunst ausgelotet und die Kritik daran ausgereizt. Offensichtlich war die Kritik formal und inhaltlich interessant genug, um vom System einverleibt zu werden. Die Mythen der Moderne leben ungebrochen weiter. Auch lassen die durch Computer ermöglichte unbegrenzte Kopierbarkeit von digitaler Information und ihre durch das Internet fast kostenlose Verbreitung die Proklamation von Plagiarismus in fotokopierten Fanzines heute mehr als anachronistisch erscheinen.

Was heute provoziert – vor allem die großen Medienkonzerne – ist Piraterie. Angeblich zum Schutz individueller UrheberInnen wurden und werden Kampagnen lanciert, die eine allgemeine Hysterie bezüglich geistigen Eigentums und Urheberrechts zur Folge haben. Die ursprüngliche Absicht des Urheberrechts, zwischen den Interessen individueller UrheberInnen und denen der Allgemeinheit einen Ausgleich zu schaffen, bleibt dabei auf der Strecke. Bedeutung scheinen nur noch kommerzielle Interessen zu haben – vorwiegend die der Medienkonzerne. In den dadurch entstehenden Strudel der Kriminalisierung großer Bevölkerungsschichten geraten zunehmend auch KünstlerInnen, deren Arbeiten sich auf vorhandenes Bild- und Textmaterial bezieht. Immer mehr haben sich vor Gericht für ihre künstlerische Arbeit zu verantworten, was bei denjenigen, die sich das nicht leisten können, zu vorauseilendem Gehorsam und Selbstzensur führt. Erste von KünstlerInnen ins Leben gerufene Initiativen, die sich gegen die überzogene Handhabung des Urheberrechtes wehren, sind die Appropriation Art Coalition in Kanada (www.appropriationart.ca) und Kunstfreiheit in der Schweiz (www.kunst-freiheit.ch). Bisher vereinzelte Künstlerpositionen zu verbinden, könnte Ausgangspunkte sein für einen breiten Diskurs über künstlerische Aneignung im digitalen Zeitalter. Anstatt die Institution Kunst anzugreifen, kann es jetzt nur noch darum gehen, die Rolle des geistigen Eigentums im 21. Jahrhundert kritisch zu hinterfragen.

1 Das Verhältnis zwischen dem rechtlichen Status als „Eigentum“ und der „Eigentümlichkeit“ einer Schöpfung ist dabei nicht zufällig. Siehe dazu die Ausführung in Plumpe 2003.

2 Zwei Beispiele: - Richard Prince erzielte 2006 den Rekordpreis von 1,2 Millionen US-$ für eines seiner appropriierten Marlboro Werbefotos; - Das Museum für moderne Kunst, MMK, Frankfurt realisierte 2005 eine umfassende STURTEVANT-Retrospektive;

3 Eine Ausnahme hiervon ist beispielsweise Richard Prince, der die Vorlagen seiner Reproduktion des amerikanischen Mythos Werbebildern entnahm.

Literatur

Cramer, Florian (2000): „Copyright in künstlerischen Subkulturen“.

Krauss, Rosalind (2000): Die Originalität der Avantgarde und andere Mythen der Moderne, Dresden

Plumpe, Gerhard (2003): „Der Autor im Netz. Urheberrechtsprobleme neuer Medien in historischer Sicht“. In: Klaus Städtke / Ralf Kray (Hg.) (2003): Spielräume des auktorialen Diskurses, Berlin, 177-194.

Römer, Stefan (2001): Künstlerische Strategien des Fake, Köln

Anmerkung:
,,Dieser Text darf frei – auch ohne Herkunftsangabe – abgedruckt, übersetzt und bearbeitet werden.“ (Variation des Impressums der Situationistischen Internationale)

Cornelia Sollfrank
ist Künstlerin und arbeitet u.a. zum Thema „geistiges Eigentum“. In einer Werkreihe beschäftigt sie sich mit dem Blumenmotiv Warhols, das sie aufgreift und weiterentwickelt. Die daraus resultierenden juristischen Probleme sind Teil des Konzeptes und fließen in die Arbeiten ein. Auf der Konferenz Wizards-of-OS4 gestaltete sie eine Podiumsdiskussion zum Thema künstlerische Freiheit.
wizards-of-OS

artwarez.org