Politik unter Ausschluss der Politik. Zur Auslagerung und Depolitisierung des Kampfes gegen Antisemitismus
Diese Ausgabe der Kulturrisse beschäftigt sich mit der Frage, was das Politische am Kampf gegen Antisemitismus sein kann. Nun wäre es naheliegend, sich dabei mit bestehenden politischen AkteurInnen, mit ihren Forderungen, Positionen und politischen Strategien auseinander zu setzen. Und es wäre nicht nur naheliegend – es ist eine in der Frage angelegte notwendige Voraussetzung. Insofern diese Nummer der Kulturrisse sich nämlich nicht primär mit Antisemitismusanalyse, sondern vor allem mit dem Kampf gegen Antisemitismus beschäftigt.
Diese Ausgabe der Kulturrisse beschäftigt sich mit der Frage, was das Politische am Kampf gegen Antisemitismus sein kann. Nun wäre es naheliegend, sich dabei mit bestehenden politischen AkteurInnen, mit ihren Forderungen, Positionen und politischen Strategien auseinander zu setzen. Und es wäre nicht nur naheliegend – es ist eine in der Frage angelegte notwendige Voraussetzung. Insofern diese Nummer der Kulturrisse sich nämlich nicht primär mit Antisemitismusanalyse, sondern vor allem mit dem Kampf gegen Antisemitismus beschäftigt, fragt sie grundsätzlich und wesentlich nach politischen Handlungen, nach politischen AkteurInnen.
In Analogie zum Konzept des politischen Antirassismus würde die Frage lauten: Inwieweit lässt sich der Kampf gegen Antisemitismus so formieren und formulieren, dass er nicht bloß aus dem Antisemitismus abgeleitet werden kann – nämlich eben als politische Handlung? Oder um die Analogie zum Konzept des politischen Antirassismus weiterzuführen: als "Tat" (wie es etwa Ljubomir Bratic in dem von ihm herausgegebenen Sammelband "Landschaften der Tat" formuliert hat). Wenn man sich also die Frage nach dem Kampf gegen Antisemitismus stellt und dabei auf eine Politisierung abzielt, kommt man – das liegt eigentlich auf der Hand – nicht um die politischen AkteurInnen herum. Eine Auseinandersetzung mit bestimmten antideutschen Positionen, wie sie sich seit Anfang der 90er Jahre in Deutschland und Österreich entwickelt haben, könnte vielleicht Antworten geben. Ebenso eine Beschäftigung mit den Strategien des Republikanischen Clubs, der seit 1986 ein wesentlicher Akteur im Kampf gegen den österreichischen Opfermythos und die offizielle Geschichtspolitik ist. Eigentlich scheint das soweit klar und selbstverständlich. Wenn man sich jedoch die Einladungspolitik für die vorliegende Nummer ansieht, stellt sich heraus, dass es das offenbar nicht ist... Nun stellt sich also eine andere Frage. Nämlich die, warum diese Antworten leider ausbleiben, warum das Thema des politischen Kampfes gegen Antisemitismus unter Ausschluss von bestehenden anknüpfungsfähigen Positionen gestellt werden kann. Was ist der Hintergrund für die offensichtliche Lücke in der Auseinandersetzung mit politischen Aktivismen, die den Antisemitismus bekämpfen?
Die Auslassungen sind signifikant. Sie markieren einen Ausschluss politischer Positionen und sie drücken den Selbstwiderspruch der Themensetzung implizit aus. Explizit ließe sich eine in linken und antirassistischen Zusammenhängen gerade in Österreich gerne praktizierte "Heraushaltetaktik" vielleicht folgendermaßen formulieren: "Gegen Antisemitismus sind wir natürlich alle. Aber mit den politischen AktivistInnen in diesem Zusammenhang wollen wir ungern assoziiert werden. Sind das nicht alles entweder Mainstream-Bürgerliche oder Antideutsche Rassisten?" Von Politisierung und Allianzenbildung zu sprechen, setzt auch hier voraus, die Aspekte des Ausschlusses und der Depolitisierung zunächst in den Blick zu bekommen. Das bedeutet in diesem konkreten Fall, dass es notwenig wird, die Momente freiwilliger Selbstzensur im Fall vorlaufender Konfliktscheue zu thematisieren, die es möglich machen, sich politischer Perspektiven sehr einfach zu entledigen.
Hier soll nun versucht werden, den Ausschluss zu kontextualisieren und die Strategien der Auslagerung aktivistischer und politischer Positionen gegen Antisemitismus im konkreten Kontext der politischen Wiener Szene, die sich in den letzten fünf Jahren verstärkt formiert hat und deren Teil die Kulturrisse sind, zu beleuchten.
Die blinden Flecken der Politisierung
Die eingangs erwähnten Fragen verdanken sich einer Auseinandersetzung, die in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Formulierung eines politischen Antirassismus geführt wurde. Die Arbeit an der Definition eines politischen Antirassismus führte bewusst eine politische Trennlinie in eine schwammig erscheinende "Bewegung" ein, die sich um die Regierungsbildung im Jahr 2000 entwickelt hatte: Sie verdankte sich einer Absetzung vom "moralischen Antirassismus", der als Ausdruck von paternalistischen Rhetoriken eines HelferInnensyndroms und der damit einhergehenden Einzementierung des Opferstatus von MigrantInnen thematisiert wurde. Ljubomir Bratic formulierte dies in einer Publikation des Büro für ungewöhnliche Maßnahmen, die diesem Thema gewidmet war: "Der politische Antirassismus war stets bestrebt, den moralischen Antirassismus zu verdrängen". Es ginge dabei darum, "dem herrschenden Rassismus auf eine andere Art als moralisierend entgegenzutreten."
Bei der Einführung dieser Trennlinie wurden die Karten um politische Bündnisse und politische Gegner neu gemischt. Sie wurde mitten in einen Kontext eingeführt, in dem die Demonstrationen gegen die Regierungsbildung mit der FPÖ noch im Raum standen. Diese Demonstrationen waren mit unterschiedlichen Motivationen aufgeladen, von unterschiedlichen AkteurInnen getragen und hatten unterschiedliche Forderungen. Sie waren gegen Rassismus ebenso wie gegen Antisemitismus gerichtet und drückten sich sowohl moralisch, parternalistisch und staatstragend wie politisch und radikal aus. Mit der Einführung der Trennlinie war klar, dass nicht alle, die gemeinsam demonstriert hatten, notwendig auf derselben Seite standen. Vielmehr gab es nun zwei neue Seiten, und die Frage war, auf welcher der beiden Seiten man politisch Position bezog. Neue Allianzenbildungen wurden möglich, moralische Antirassismen sahen sich diskreditiert und mit der Notwendigkeit einer Neupositionierung konfrontiert.
Was dabei auch unmerklich geschah, war eine Konzentration der Diskussionen auf das Thema Antirassismus unter Ausblendung der Strategien, die sich für einen Kampf gegen Antisemitismus wählen ließen. Denn der "politische Antirassismus" war nicht nur politisch, er war auch ein Antirassismus, der eben nicht Kampf gegen Antisemitismus war. Dies zeigt sich in der thematischen Ausrichtung der Aktivismen und Diskussionen, die ihren Niederschlag auch in den Texten und Schwerpunktthemen der Kulturrisse fanden. Die Politisierung produzierte einen Ausschluss. Unbemerkt hatte man das Thema Antisemitismus verloren. Jene AkteurInnen, die gegen Antisemitismus auftraten, waren entweder auf der moralischen Seite gelandet oder fanden keinen Raum mehr für ihre Forderungen und Strategien. Dabei wurde ein Kontext hergestellt, in dem das Thema Antisemitismus weitgehend den Mainstream-Medien überlassen und zugeschrieben wurde. Ebenso unbemerkt fand so eine Ausblendung eines Themas statt, das in Österreich allzu gerne ausgeblendet wird. Der alte blinde Fleck des Antisemitismus in der Linken wurde reproduziert.
Das wiedergekehrte Verdrängte verdrängen
Gegen die Ausblendungen und blinden Flecken des Antisemitismus in der Linken treten antideutsche Positionen seit Anfang der 90er Jahre an. Ihre politische Ausrichtung gegen Antisemitismus rückte die unausgesprochene Selbstverständlichkeit in den Blick, mit der die scheinbar moralisch unantastbare linke Position sich eines unangenehmen Themas entledigt hatte. Eine wesentliche Errungenschaft der Antideutschen war es, diesen blinden Fleck anzusprechen und aufzubrechen. Ihre Auseinandersetzungen und Kämpfe machten die Mechanismen gegenwärtiger antisemitischer Rhetoriken und Antisemitismen deutlich: Nach 1945 ist es in Deutschland und Österreich nicht mehr möglich, offen antisemitisch zu sein. Dass Antisemitismus trotzdem weiter existieren konnte, und zwar scheinbar ohne Antisemiten, ist heute weitgehend bekannt. Er brach sich auf unterschiedliche Weisen Bahn, fand sich Verschiebungen für seinen Ausdruck. Die Strategien für diese Verschiebungen reichen von Phantasmen eines "internationalen Finanzkapitals" bis zu antizionistischen Positionen. Gemeinsam haben diese Verschiebungen, dass dabei eine "moralisch gute Position" eingenommen wird, sozusagen die Fürsprecherrolle für eine unterdrückte Position. Diese Umschiffungen des "Antisemitismustabus" treffen sich mit alten linken Strategien, den Antisemitismus zu mobilisieren, ohne ihn anzusprechen – denn Antisemitismus war nie ein offen ausgesprochenes Mobilisierungspotenzial linker Politik, und doch wurde er historisch in unterschiedlicher Ausformung immer wieder angerufen. Genau darauf wiesen und weisen zahlreiche antideutsche Texte und Positionierungen immer wieder hin. Sie legen den Finger auf die blinden Flecken der Rhetorik der scheinbar richtigen Seite. Dass dieser Aspekt antideutscher politischer Arbeit keinen Platz in dieser Ausgabe finden soll, ist nicht nur Ausdruck einer Verengung der Rezeption antideutscher Positionen. Er weist auch darauf hin, wie sehr das "Raushalten" aus den Diskussionen um antideutsche Positionen dazu geführt hat, dass das Thema Antisemitismus kaum mehr politisch behandelt werden konnte.
Depolitisierung des Themas
Ein Grund für diese Verunmöglichung einer Politisierung des Kampfes gegen Antisemitismus in politischen und antirassistischen Zusammenhängen ist die zunehmende Rhetorik einer Verdachtsstruktur: Alle Positionen, die entfernt als antideutsch wahrgenommen werden könnten, werden bewusst "herausgehalten". Das zeigt sich auch an der Einladungspolitik zu diesem Heft: AutorIn dieser Nummer konnte offensichtlich nur werden, wer über den Verdacht, antideutsch zu sein, erhaben war. Die Themensetzung findet also in einem mehrfachen Selbstwiderspruch statt. Gefragt wird, wie sich eine politische Ausrichtung gegen Antisemitismus formulieren ließe, und diese Frage wird unter Ausschluss wesentlicher politischer AkteurInnen in diesem Bereich gestellt.
Auf der Suche nach einer Politisierung bleiben bestimmte politische TheoretikerInnen und AktivistInnen unberücksichtigt, während andere, die das Thema neu behandeln sollen, bewusst angesprochen werden. Die Einladungspolitik zeigt, dass die Politisierung, die dabei im Blick ist, nur eine scheinbare ist, da sie die Ausschlüsse selbst weder behandelt noch aufbricht. Das Thema "Allianzenbildung" wird zu einer Deckerzählung, bei der für die skizzierte Vorgehensweise ein politisch korrekter Weg gefunden wird. Tatsächlich handelt es sich aber um eine Depolitisierung unter dem Deckmantel der Politisierung und zwar durch die Verunmöglichung der Anknüpfung an einen bestehenden radikalen politischen Kampf gegen Antisemitismus.
Anmerkung der Redaktion
Da der oben stehende Text zum Teil und fälschlicherweise den Eindruck vermitteln könnte, die Autorin sei in die redaktionelle Arbeit zur vorliegenden Ausgabe der Kulturrisse eingebunden gewesen, sehen wir uns zu folgender Anmerkung veranlasst: Es gab seitens der Redaktion niemals eine Entscheidung für den Ausschluss bestimmter Positionen im Zusammenhang mit dem Schwerpunktthema des aktuellen Heftes. Damit soll natürlich nicht bestritten werden, dass die Kulturrisse-Redaktion prinzipiell eine "Einladungspolitik" verfolgt und also theoretisch und politisch ihr nahestehende AutorInnen gezielt zur Partizipation an den auf diesen Seiten ausgetragenen Debatten auffordert. Im Falle der nun vorliegenden Nummer zur Frage des politischen Anti-Antisemitismus, die sich u.a. gerade dem Bruch mit der Reproduktion des angesprochenen "blinden Flecks des Antisemitismus" in der Linken verschrieben hat, erging die Anfrage u.a. auch bewusst an Nora Sternfeld, deren Beitrag deshalb hier – einigen grundsätzlichen Differenzen zum Trotz und in der Hoffnung auf produktive Folgediskussionen – publiziert wird.
Nora Sternfeld ist Kunstvermittlerin und lebt in Wien.