Quidditas und Haeccitas
Die Bezeichung Scheiß-N. verstößt nicht gegen die Menschenwürde. Dies hat das Landesgericht Linz kürzlich anlässlich der Anklage gegen einen Polizisten, der einen Schwarzen bei einer Lenkerkontrolle beschimpft hatte, festgestellt. Eine "feindselige Handlung gegen eine Rasse" ist laut Urteilsbegründung nicht gegeben, da ein Verstoß gegen die Menschenwürde nur dann vorliege, wenn jemand unmittelbar oder mittelbar das Recht auf Menschsein schlechthin abgesprochen werde.
Die Bezeichung Scheiß-N. verstößt nicht gegen die Menschenwürde. Dies hat das Landesgericht Linz kürzlich anlässlich der Anklage gegen einen Polizisten, der einen Schwarzen bei einer Lenkerkontrolle beschimpft hatte, festgestellt. Eine "feindselige Handlung gegen eine Rasse" ist laut Urteilsbegründung nicht gegeben, da ein Verstoß gegen die Menschenwürde nur dann vorliege, wenn jemand unmittelbar oder mittelbar das Recht auf Menschsein schlechthin abgesprochen werde. Dies jedoch sei nicht der Fall, so das Landesgericht Linz, denn mit dem Präfix "Scheiß-" werde nur der Unmut gegen eine Person ausgedrückt, nicht jedoch ihr Lebensrecht in Frage gestellt. Es handle sich also nur um eine "Ehrenbeleidigung gegen eine individuell bestimmte Person", die "zufällig der schwarzen Rasse (sic!)" angehöre.
Nun könnte man denken, dass es Dringlicheres zu tun gibt, als diese Blüte österreichischer Normalität zu kommentieren. Tatsächlich führt diese Begründung jedoch in die scholastischen Abgründe österreichischer Rassenmetaphysik, nämlich schnurstracks in das sogenannte Problem von Quidditas und Haeccitas. Über dieses stritten sich schon Thomas von Aquin und Duns Scotus. Die Frage lautet hier: was bestimmt das Sein eines Objekts? Ist es seine Washeit, also seine spezifische universale Existenz oder seine Diesheit, also seine singuläre Form des So-Seins? Der Richter, soviel steht fest, schlägt sich auf die Seite von Thomas von Aquin – und definiert in seinem Urteilsspruch folgendes: Der Kläger sei nur in seiner rein "zufälligen" Schwarzheit angegriffen worden, nicht jedoch in seiner universalen Existenz als Mensch. Diese Schwarzheit sei – so der scholastische Terminus – somit rein akzidentiell und eben keine essentielle Eigenschaft wie das Menschsein. Mit dieser Definition wird also die Schwarzheit wie ein Blatt Papier von der Person abgelöst, und dahinter kommt ein essentiell farbloser, eventuell milchig-transparent schimmernder Universal-Mensch zum Vorschein, dem solche Beleidigungen - so meint die österreichische Justiz – nichts anhaben können.
Aber ist diese christkatholische Haarspalterei nicht genauso wurscht wie die scholastische Frage danach, wieviel Engel auf einer Nadelspitze Platz finden? Die Anwort lautet: nein. Denn wer will nach diesem Präzedenzurteil noch ausschließen, dass der Vorfall in Linz kein neues Paradigma darstellt? Denn richten sich die feindlichen Handlungen gegen die schwarze Bevölkerung - an denen es in Österreich bekanntlich nicht mangelt – nicht vielleicht grundsätzlich nur gegen deren akzidentelle Schwarzheit, und keineswegs gegen ihr Menschsein? Ist der Fall Cheibani W.´s, der kürzlich in Wien verstarb, nachdem die zu Hilfe gerufenen Sanitäter lieber auf ihm herumstanden, als ihm zu helfen, demzufolge nicht auch als scholastisches Acting Out zu verstehen? Denn – so wird uns jetzt sonnenklar - die Sanitäter standen ausschließlich auf der Schwarzheit des Getöteten - nicht aber auf seiner universalen Eigenschaft als Mensch! Und so müssen wir die scholastische Urfrage für die österreichische Normalität umformulieren: Wieviel Sanitäter finden auf einer Schwarzheit Platz?