Subkultur in Graz wieder ermöglichen!

Es muss dringend an einer langfristigen Strategie zur Absicherung und Aneignung offener, kulturell vielfältiger, niederschwelliger und nichtkommerzieller Räume gearbeitet werden.

Der Artikel ist im September 2021 in einer Sonderausgabe des Poetry Slam Magazins Bühnen – Texte erschienen.

 

Blick ins Paralleluniversum

Ein lauschiger Abend im Frühsommer. Die Wahl der Abendgestaltung fällt schwer. Im Lend brummt es mal wieder so richtig. Der Bezirk hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten als ein weit über die österreichischen Grenzen hinaus bekannter, kreativ-innovativer Hub einer jungen, progressiven Underground Kunst- und Musikszene etabliert. Im Gemeinschaftsgarten des Kulturzentrum Marienmühle brutzeln die letzten Spieße am Griller, während von drinnen die ersten Beats herausschallen und psychodelische Visuals an die Wand projiziert werden. Nur 200 Meter die Mariengasse runter gibts im altehrwürdigen Fond-Haus am Volksgarten experimentellen Noise und Tanzperformances. Ein paar Gehminuten weiter, im Niesenberger, ist heute Clubnacht – es stehen mehrere internationale Acts am Line-Up – und in der Papierfabrik trifft sich die lokale Hip-Hop-Szene. Bei der Aftershowparty legen DJs diverser Drum 'n' Bass-Kollektive aus der Stadt auf. Das Publikum wechselt im Laufe des Abends zwischen den Locations hin und her – praktischerweise liegen zwischen den Orten nur ein paar Straßen.

Die Namen und Orte habt ihr noch nie oder schon lange nicht mehr gehört? In den letzten drei Jahrzehnten gab es in Graz unzählige temporäre Art Spaces, Clubs und nichtkommerzielle Vereinslokale mit niederschwelligem Kultur- und Veranstaltungsangebot und vielfältigen Partizipationsmöglichkeiten. Von ihnen ging jahrelang eine nachhaltige, innovative Kraft aus, die das kulturelle Leben der Stadt entscheidend mitgeprägt hat. Die Geschichte dieser aufgrund verschiedener Gründe nicht mehr existierenden Orte ist bezeichnend für den Umgang der Stadtpolitik mit (sub)kulturellen Räumen.

Von der Verbotshauptstadt zum Provinzdorf

Klar, es gibt da und dort noch immer kleine Initiativen, aber zurzeit ist keine starke dynamische, engagierte und international orientierte Szene erkennbar. Die Cluböffnungen in Österreich rund um post-Corona machen klar, wo wir stehen. Ganz Österreich tanzt euphorisch. Nur in Graz gibt es abgesehen von ein paar Lokalen im Univiertel, die eher mit ihrer Getränkekarte als mit ihren Line-ups glänzen, fast gar nichts, das öffnet.

Die Subkultur scheint in der Stadt unerwünscht zu sein. Aktuell gibt es für nichtkommerzielle Kollektive in Graz kaum noch Orte, an denen sie veranstalten können. Ein Ausweichen in den öffentlichen Raum wäre nicht nur coronabedingt für viele eine interessante Option, scheitert aber meist an den bürokratischen Hürden. Die Behörden erschweren bzw. verunmöglichen durch lange Bearbeitungszeiträume der Anträge und eine strenge Auslegung der gesetzlichen Vorgaben eine niederschwellige Nutzung des öffentlichen Raumes durch kleinere Vereine und Initiativen. Statt Basisinitiativen wie den Annenviertelflohmarkt zu unterstützen, werden Mega-Events wie das folkloristische „Aufsteirern“ forciert. Das groteske „Trickverbot“ für Skateboarder*innen – wohlgemerkt inmitten des Sportjahres - am Kaiser-Josef-Platz und am Lendplatz ist der vorerst letzte boshafte Akt im Konflikt um den öffentlichen Raum.

All dies verdeutlicht eine Negativentwicklung in der Grazer Kulturlandschaft, die nicht erst mit der schwarz-blauen Koalitionsregierung ihren Anfang genommen hat, aber sich seither weiter verschlimmert hat. Es fehlen klare und vehemente Bekenntnisse zu einem vielfältigen Kulturleben abseits von Design, Creative Industry und Großveranstaltungen.


Was die Politik erkennen muss

Teile der Stadtpolitik wünschen sich eine internationale Relevanz der Stadt. Jedoch scheint den politischen Verantwortlichen nicht ganz klar zu sein, wie es dazu kommt. Man kann sie nicht mit Medienkampagnen oder punktuell gesetzten Formaten (Stichwort Kulturjahr) erreichen oder sich ewig auf den Lorbeeren vergangener Jahrzehnte ausruhen. International bedeutende Initiativen und Akteur*innen fallen nicht einfach vom Himmel. Sie sind einer Basisarbeit im Unter- und Mittelbau der Grazer Kulturszene geschuldet. Kleine Kulturzentren sind der kreative „Humus“ einer Stadt. Es braucht Orte von Hedonismus und „Otherness“! Queere Orte! Safe Spaces! Kollektive Orte! Sie sind notwendig, um Zukunft auszuprobieren, die Gegenwart zu reflektieren, Grenzen zu verhandeln und Neues zu entwickeln. Ohne diese Orte gibt es keine innovativen Entwicklungen, sondern die ewige, immer-gleiche Reproduktion des Bestehenden. Werden sie abgedreht, ziehen motivierte Künstler*innen und engagierte Kulturarbeiter*innen frustriert weg.

Was sich ändern muss

An diesem Punkt ist Graz angelangt. Höchste Zeit, das Ruder herumzureißen! Es muss dringend an einer langfristigen Strategie zur Absicherung und Aneignung offener, kulturell vielfältiger, niederschwelliger und nichtkommerzieller Räume gearbeitet werden. Dazu müssen Politik und Verwaltung endlich ihre Haltung ändern und Kulturräume aktiv fördern, anstatt ihnen Steine in den Weg zu legen. Es braucht klare Signale und Bereitschaft, mit den letzten verblieben lokalen Akteur*innen in Dialog zu treten.

Leerstehende Immobilien der Stadt, unser aller öffentliches Gut, könnten von Akteur*innen des Feldes bespielt -und dauerhafte Nutzungskonzepte entwickelt werden – Stichwort habiTAT Genossenschaft – anstatt noch mehr Stadteigentum an Privatinvestoren zu verkaufen. Im öffentlichen Raum würde eine unterstützende Kulturpolitik Möglichkeiten zur niederschwelligen und unbürokratischen Nutzung schaffen. Die Stadt Graz könnte beispielsweise an bestimmten Plätzen frei nutzbare Bühnen aufbauen oder zu diesem Zweck eine Servicestelle einrichten, die unkommerzielle Veranstalter*innen bei ihren Vorhaben unterstützt.

Damit eine solche Kulturpolitik nicht utopisch bleibt, braucht es solidarisches Handeln und Denken innerhalb des kulturellen Feldes und ein entschiedenes Auftreten gegenüber den politischen Akteur*innen. Wesentlich ist, die über das kulturelle Feld hinaus bestehenden Partnerschaften zu stärken und auszubauen, gemeinsam wieder ein Momentum zu entwickeln, reaktionäre, ausschließende und anti-emanzipatorische Entwicklungen konsequent zurückzudrängen und progressive gesellschaftliche Entwürfe auch wieder politisch durchzusetzen.