Von Bruchlinien und Grenzräumen
Ziel ist nicht nur ein Eingriff in die Geschichtsschreibung der Institutionskritik, sondern vielmehr deren Aktualisierung in der Gegenwart anhand eines neuen Begriffs, jenem der im Titel geführten „instituierenden Praxen“.
Mit ihrem Buch „Instituierende Praxen. Bruchlinien der Institutionskritik“ haben Stefan Nowotny und Gerald Raunig eine Studie vorgelegt, in der sie – entlang der Vorgaben des Forschungsprojekts „transform“ des european institute for progressive cultural policies (eipcp), in dessen Verlauf die Grundlagen ihrer Überlegungen erarbeitet wurden – der inzwischen kanonisierten kunstfeldimmanenten Entwicklungslinie der Institutionskritik eine Perspektivierung entgegensetzen, die die meist unterbelichteten sozialen und politischen Kontexte und ihre AkteurInnen in den Blick rückt. Ziel ist dabei nicht nur ein Eingriff in die Geschichtsschreibung der Institutionskritik, sondern vielmehr deren Aktualisierung in der Gegenwart anhand eines neuen Begriffs, jenem der im Titel geführten „instituierenden Praxen“.
Das neu erwachte Interesse am Thema Institutionskritik
Wie die Autoren im Vorwort bemerken, koinzidierte das Projekt „transform“ mit einem neu erwachten Interesse am Thema Institutionskritik, das seit einigen Jahren wieder auf der Agenda eines kritischen Kunstdiskurses steht, nachdem lange ihr unausweichliches Scheitern konstatiert wurde, wie es beispielsweise die New Yorker Künstlerin Andrea Fraser (2005) zusammengefasst hat: „Now, when we need it most, institutional critique is dead, a victim of its success or failure, swallowed up by the institution it stood against.“
Gewiss, die 40-jährige Geschichte der Institutionskritik ist insofern ambivalent, als die ursprüngliche Dekonstruktion der großen Kunstinstitutionen sich deren Veränderung von außen vornahm. Dass diese Phase, die in den 1960er und 1970er Jahren auf die Analyse der Produktionsbedingungen und der Repräsentations- und Rezeptionskontexte von Kunst abzielte, bald an Kraft verlor, um in den 1990er Jahren einer selbstreflexiven Haltung mit geringerem Anspruch auf Veränderung des Feldes zu weichen, galt immer wieder als Beleg für die letztliche Erfolglosigkeit der zunächst als Rebellion gegen die Institution verstandenen Bewegung. Die Behauptung, die Institution von innen verändern zu wollen, wurde so als (verdecktes) Eingeständnis einer Niederlage gedeutet.
Eine alternative Leseweise der Institutionskritik
Wer jedoch Kritik mit Foucault als dialektischen Gegenpart der Entwicklung moderner Gouvernementalität versteht, findet eine andere Tendenz in der Geschichte der Institutionskritik. Eine solche alternative, sich auf „politische wie theoretische Notwendigkeit“ (Nowotny / Raunig 2008: 21) berufende Leseweise liegt auch dem Projekt „transform zu Grunde, das das eipcp in Kooperation mit mehreren europäischen Institutionen entwickelt und umgesetzt hat. Der nun zum Abschluss publizierte Band versammelt Texte der beiden Autoren, die zwar in stetiger Rückkopplung mit Praxisbeispielen eines avancierten Segments des Kunstfelds – oftmals an der Schnittstelle zu politischen und sozialen Bewegungen – stehen, jedoch in erster Linie eine Auseinandersetzung mit philosophisch-theoretischen Ansätzen darstellen, die in Hinblick auf eine Annäherung an den Begriff der „instituierenden Praxen“ fruchtbar gemacht werden.
So versteht Gerald Raunig mit Foucaults Begriff der „parrhesia“ instituierende Praxen als Verknüpfung von Gesellschaftskritik, Institutionskritik und Selbstkritik, die insbesondere durch Verkettungen mit politischen Praxen und sozialen Bewegungen wirksam werden. Eine weitere Differenzierung nimmt der Autor mit Referenz auf Max Stirner vor, wenn Instituierung als „Selbst-Einsetzung“ und „Selbst-Einrichtung“ jenseits konstituierender Macht definiert wird. Stefan Nowotny stellt dem Begriff ergänzend jenen der „Destitution“ zur Seite, der als „positives Nein“ in Ablehnung des Repräsentationsapparats neue Handlungsmöglichkeiten erschließt (ebd.: 51ff.).
Neben einer solchen intensiven Begriffsarbeit widmen sich einige, zum Teil gemeinsam verfasste Texte den Repräsentationen, Potenzialen und Effekten kunst- und medienaktivistischer wie auch sozialer Bewegungen, deren instituierende Kraft – auch in Absetzung beispielsweise von einer „innerkunstbetrieblichen“, „verengenden“ Haltung wie jener Jacques Rancières – in der Ausweitung der Grenzlinien zu einem geteilten Grenzraum liegt, den es transversal zu durchqueren gilt. Angesichts der eben zumeist feldspezifischen Diskussionen in Hinblick auf eine Reformulierung der Institutionskritik vertreten die Autoren und das Projekt „transform“ derzeit sicherlich eine der elaboriertesten und relevantesten Positionen, die sich im vorliegenden Band spiegelt.
Literatur
Fraser, Andrea (2005): „From the Critique of Institutions to an Institution of Critique“. In: ArtForum 44/1, September 2005.
Nowotny, Stefan / Raunig, Gerald (2008): Instituierende Praxen. Bruchlinien der Institutionskritik, Turia + Kant, Wien.
Luisa Ziaja arbeitet als Kuratorin und Kunstkritikerin in Wien.