Wer von Kulturpolitik redet, darf vom Bier nicht schweigen...
Instanzen im Machtapparat, unabhängig von der Staatsform oder allfälligen inhaltlichen Erwägungen, können irgendwie gewünschte Effekte in ihrer Bevölkerung auf zwei Arten erzielen. Sie können, erstens, Gesetze, Dekrete, Anordnungen, Verbote erlassen. Das heißt, dass sie die Durchsetzung des Gewünschten an ihre diversen Verwaltungsund Exekutivorgane weiterreichen (von denen der Kieberer im Hinterkopf des einzelnen Bürgers, vormals „der liebe Gott“, nicht das unwichtigste ist). Sie können aber auch, zweitens, Geld ausgeben. Damit kaufen und/oder fördern sie dann entweder das Ding oder die Dienstleistung, das/die sie wollen, ganz direkt – Beachvolleyballplätze, Solarpaneele, Straßen und wohlverputzte Barockfassaden fallen einem auf die Schnelle ein – oder sie kaufen/fördern irgendwas, das das Gewünschte zum Effekt hat (touristisch verwertbare Hochalmen dank Agrarförderung zum Beispiel, oder Industriearbeitsplätze dank militärisch sinnloser Panzerankäufe). Die Durchsetzung des Gewünschten geschieht in diesen Fällen, wenn der Investition eine korrekte Einschätzung der Sachlage vorangeht, „von selbst“, das heißt aufgrund des Eigeninteresses der GesellschaftsinsassInnen, das solche oder solche objektiven Bedingungen vorfindet.
Beide Methoden sind in der freien Wildbahn nicht von einander zu trennen, Mischformen notwendigerweise die Norm. Dennoch lassen sie sich grob zwei unterschiedliche Auffassungen davon zuordnen, was ein Staat ist bzw. sein soll. Methode eins, der Befehl, hat als seine ideale Folie den Nachtwächterbzw. Polizeistaat, Methode zwei setzt den Staat und seine Unterinstanzen als wirtschaftliche Akteure eigenen Rechts voraus.
Abgesehen von wenigen Ausnahmefällen – sagen wir der Rekrutierung altrömischer Gladiatoren und nordkoreanischer Filmregisseure – gehört Kulturpolitik, wie kaum eine andere Sorte Politik, ausschließlich der zweiteren Sphäre an. Ob, was sie jeweils bezweckt, nun das konkrete kulturelle Artefakt selber ist, oder doch eher (siehe: Kühe auf Hochweiden) ein bestimmtes Klima im Lande, vermittelt durch eine bestimmte Sorte Jobs für eine bestimmte Sorte Personal (siehe: Bourdieu, Die feinen Unterschiede), ist dann zweitrangig.
Grundsatz statt Gnade. Kulturpolitik hat aber unter den Ressorts, in die die offizielle Politik hierzulande eingeteilt zu werden pflegt, noch ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Es ginge, vom Standpunkt der Macht aus gesehen, sehr gut auch ganz ohne sie.
Gut – kurzfristig brächte ein Totalverzicht auf kulturpolitische Lenkungsmaßnahmen und Fördertöpfe soundso viel Prozent mehr Arbeitslose mit sich – aber sonst? Geschrieben, gespielt, gemalt, gesungen wird immer, und der Markt für jene Kultursachen, die überhaupt je markttauglich waren, bestünde weiter. Die Moderne-Kunst-Sekten-Angehörigen, denen lebensgefühlig etwas an der Sache liegt, würden selbstverständlich in ihrer Freizeit weitermachen. Höchstens, dass es sich die herrschende Klasse ein wenig Mühe kosten lassen müsste, die bestehenden nichtöffentlichen Agenturen zur Umwandlung ihrer Gedanken in die herrschenden Gedanken ordentlich zuzurüsten: Kirchen und lokale Mittelbetriebe würden in die Bresche springen, die Rolle der SammlerInnen, MäzenInnen und Stiftungen vergrößerte sich; das alles brächte veränderte Umgangsformen bei Vernissagen und Lesungen mit sich (sagen wir: noch weiter ausdifferenzierte Codes des Wohlverhaltens, größere Bedeutung der Statusmarker in Kleidung, Sprache, Redezeit); die relative Bedeutung der einzelnen Genres und Formen würde einer Revision unterworfen. Aber wen außer uns Kulturbetriebsnudeln würde das kratzen?
Aus dem Gesagten lassen sich zum Glück auch andere Schlüsse ziehen als der so naheliegende wie niederschmetternde, wir müssten eben das, was dann doch an offizieller Kulturpolitik betrieben wird, als Gnade annehmen und im Übrigen das Raunzen über die jeweils neueste Budgetkürzung einstellen.
Ja, objektiv handelt es sich bei kulturpolitischen Maßnahmen um Gnadenakte. Aber: Dass diese Gnadenakte geschehen, und zwar in jenem immer noch vergleichsweise riesigen Umfang (die Stadt Wien allein hat mehr Kulturbudget als das US-amerikanische national endowment for the arts), gibt uns einen Hinweis darauf, in welche Richtung wir argumentieren müssen, wenn wir von den diversen öffentlichen Stellen was Grundsätzliches wollen (und wir wollen doch immer was, oder?).
Denn offensichtlich gibt es ein Bedürfnis auf Seiten der Politik, irgendwas ganz Bestimmtes über den Umweg der sogenannten Hochkultur oder „modernen Kunst” zu kontrollieren oder auch nur am Leben zu erhalten (weil müssen tut sie ja, wie wir gesehen haben, nicht). Dieses Bedürfnis speist sich ebenso offensichtlich, siehe oben, aus einem bestimmten Begriff davon, was ein Gemeinwesen ist oder sein soll – nämlich mehr und anderes als ein Nachtwächterstaat. Es ist also de facto zumindest ein (kleiner) Teil der Produktionsmittel vergesellschaftet, und man scheint sich, wie nebulös auch immer, parteiübergreifend darin einig zu sein, dass das auch so bleiben soll. An dieser Stelle muss eine Kulturpolitik der AkteurInnen, im Gegensatz zur offiziellen, ansetzen.
Wir (s.o. – die Betriebsnudelschaft) könnten zum Beispiel sagen: Dass ihr uns Geld gebt, ist nicht strikt notwendig. Ihr wisst das, wir wissen das. Was ihr dafür wollt, ist der Vorschein, einem gesellschaftlichen Ideal zu genügen, das ihr Euch selbst gesetzt habt. Nicht falsch verstehen – es ist nützlich, dass ihr was von dem Geld rausrückt, das alle gemeinsam erwirtschaftet haben. Aber bis ihr Anstrengungen unternehmt, in Wirklichkeit herzustellen, was wir für euch zum Schein darstellen sollen – sagen wir, Bedingungen für einen intakten, geschmacklich und diskursiv regen Mittelstand, soziale Mobilität, gesellschaftliche Teilhabe – nehmen wir erstmal gar nichts mehr. Danke, aber nein danke. Wir konkurrieren nicht mehr untereinander um die begrenzten Mittel. Wir streiken. Wir könnten es auch anders, niederschwelliger angehen und sagen: Dadurch, dass ihr überhaupt offizielle Kulturpolitik betreibt, habt ihr euch zu einer planenden Wirtschaftspolitik bekannt (wenn wir’s so umschreiben, trauen sich vielleicht auch ÖVP-FunktionärInnen, ohne mühsames Zieren mitzuspielen). Gratulation! Dann plant mal schön, und zwar substanziell. Es gibt haufenweise Rahmenbedingungen unserer Arbeit, die ihr ignoriert, weil sie nicht zuerst die „Kultur” betreffen, über die sich aber mehr bewirken ließe als über nochmal 3.000 Euro für mein neues Filmprojekt.
kulturverkehr? Beispiel gefällig? – Bier. Bier und Autos. Will sagen: Der Pool an potenziellem Kulturpublikum hängt, von Großereignissen und echten Fans mal abgesehen, vor allem von der Größe des Einzugsgebiets ab, innerhalb dessen man mal eben auf ein bis fünf Bier (und vielleicht noch in diese Lesung oder jenes Konzert) gehen kann, ohne mit dem Auto heimfahren zu müssen. Je mehr Planungsaufwand für das Publikum involviert ist, in desto geringerer Anzahl wird es erscheinen. Da es sich nun leider nicht ausgehen wird, dass alle acht Millionen ÖsterreicherInnen nach Wien ziehen, wo sich U-Bahn und Nachtbus „guten Morgen” sagen, ist damit für die p.t. Politik gesagt: Baut S-Bahnen, die zu etwas anderem nütze sind als zum Hinund Her-Gondeln zwischen Arbeit und Einfamilienhaus in der zersiedelten G’stetten rund um Linz, Graz, Klagenfurt! Rentabilitätsstudien gelten nicht, weil: Ihr habt euch ja schon dazu bekannt, Geld für Sachen in die Hand zu nehmen, die nicht rentabel sind. Dann auch: Haltet die Mieten in den Zentren „künstlich” niedrig, damit nicht alles nach und nach von Ladenund Boutique-Ketten zugepflastert wird, sondern sich die gemütlichen, unrentablen kleinen Beisln halten können. Schließlich: Wenn schon nur aus Gründen der verbesserten Kulturpolitik durch Ausdehnung des Publikumspools – könnte man nicht zum Beispiel aufhören, den Sozialstaat kaputtzumachen? Oder Zeitungsförderungen an die Bedingung knüpfen, dass wieder soundsoviele hauptberufliche Theater-, Literatur-, KunstkritikerInnen beschäftigt werden, die dann das wie beschrieben angewachsene Publikum mit Information und Diskurs versorgen?
Alles dieses und noch mehr wären allgemein-politische Maßnahmen, auf die wir viel dringender hinarbeiten müssten als hier die Unterlassung einer Einsparung bei Medienkunstankäufen oder da die Aufstockung des Etats der Blaskapelle Gramatneusiedl. Es läge in unserem Interesse, nicht kulturpolitische Forderungen zu stellen, sondern solche politischen Forderungen, die das Ganze meinen, als Kulturschaffende.